Strahlen aus dem Wasser

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1966
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2019

Kanalarbeiter, Postboten und Cowboys der Zukunft

Nicht Abenteuer im Weltall oder auf fernen Planeten oder der Kampf gegen glotzäugige Invasoren, sondern die Versorgung einer zukünftigen Menschheit mit Wasser, Nahrung und Post stehen im Mittelpunkt dieser ungewöhnlichen SF-Kurzgeschichten. Zur einfallsreichen, heute reizvoll veralteten Darstellung entsprechender ‚Supertechnik‘ kommen ‚gefährliche‘ Zwischenfälle, die für Spannung sorgen: kuriose Blicke in eine Zukunft, die gegenwärtige Alltagsprobleme durchaus andeutet.

- Strahlen aus dem Wasser (Guttersnipe, 1964), S. 5-33: Aufgrund der enorm gewachsenen Bevölkerung darf in dieser zukünftigen USA kein Tropfen Wasser ungenutzt bleiben, weshalb es eine Katastrophe darstellt, dass plötzlich ein mysteriöses Gift die kostbare Flüssigkeit verseucht.

- Leck im Wassernetz (The Thirst Quenchers, 1963), S. 33-96: An anderer Stelle bricht das ausgeklügelte Netz der Wasserleitungen zusammen, weshalb des wertvolle Nass nutzlos im Erdboden zu versickern droht. Mutige Spezialisten starten ein Himmelfahrtskommando, um das Leck zu stopfen.

- Galaktische Poststation (The Mailman Cometh, 1965), S. 96-137: Für ein Jahr schieben Brian und Steve Dienst an Bord ihres Postraumschiffs. Technische Schwierigkeiten, Ärger mit der Zentrale und Überforderung prägen ihren Alltag. Der Trott wird jäh unterbrochen, als das Duo eine junge Frau aus Raumnot rettet. Doch Sharon Reilly ist weder hilflos noch dankbar.

- Die Ranch im Park (Odd Man in, 1965), S. 137-179: Ein Verwaltungsfehler sicherte  John Watt lange seine Existenz als letzter Rancher Nordamerikas. Nun sind die Bürokraten auf ihn aufmerksam geworden und wollen ihren Fehler korrigieren, wogegen sich der alte Mann notfalls mit Waffengewalt zu wehren gedenkt.

Spannender Blick auf zukünftige Alltäglichkeiten

Die Science Fiction hielt ihren Blick lange buchstäblich nach oben gerichtet. Auf der Erde schien alles Relevante entdeckt zu sein, weshalb die „Grenze“, hinter der das Unbekannte je nach Betrachtungsweise entweder lauerte oder wartete, in den Weltraum verlegt wurde. Dort war Platz genug für sensationelle, aufregende Entdeckungen, selbst wenn (oder gerade weil) sie nur ausgedacht waren.

Deutlich kleiner war die Gruppe jener Zeitgenossen, die sich mit Fragen beschäftigten, die lange als banal und unwichtig galten. Zwar zerbrachen sich viele Schriftsteller die Köpfe, wie die Zukunft der Menschheit auf Erden aussehen würde, doch sie konzentrierten sich dabei auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen. Weitgehend ignoriert wurden dagegen zukünftige Alltäglichkeiten: Woher werden wir unser Wasser bekommen? Wie wird man Abwässer entsorgen? Auf welche Weise wird man Nachrichten übermitteln?

Heute hat sich der Wind gedreht. Die ungestüme, scheinbar grenzenlose Entwicklung auf der Erde und im All hat sich als endlich erwiesen. Lange gehegte Träume von einer Hightech-Zukunft, die auf wundersame Weise mit den banalen Problemen der Gegenwart aufräumt, platzten nachdrücklich, als sie auf den Prüfstand gestellt wurden. Unter dieser Prämisse belegen Rick Raphaels hier präsentierte Storys eine gänzlich andere, auch vom Verfasser so nicht geplante, weil nie geahnte Voraussicht.

Nicht so selbstverständlich wie gedacht

Raphael beschreibt Zwischenfälle, die ein ansonsten ausgeklügeltes und funktionstüchtiges System beeinträchtigen, ohne es in Frage zu stellen. Wasser gilt heute als Selbstverständlichkeit - jedenfalls dort, wo es im Überfluss vorhanden ist, was keineswegs auf jeden Winkel unserer Erde zutrifft. Dass es generell zur Mangelware werden könnte, ist eine recht junge (und unerfreuliche) Erkenntnis. Raphael konzentriert sich auf den nordamerikanischen Kontinent, dessen Bevölkerung und Industrie in ‚seiner‘ Zukunft so stark zugenommen haben, dass die natürlichen Ressourcen lückenlos überwacht und reguliert werden müssen.

Jeder Tropfen Wasser wird verwaltet. Ausführlich stellt uns Raphael dieses System vor, um anschließend mit. „Strahlen aus dem Wasser“ und „Leck im Wassernetz“ zweimal ein Problem zu thematisieren, die der zukünftigen Gesellschaft zum Verhängnis werden könnten: Faktisch gibt es keinen Spielraum für Ausfälle und Schäden. Das System arbeitet hervorragend, aber stets am Rand seiner Kapazität. Raphael erspart seinen Lesern die daraus resultierenden Konsequenzen, die in der aktuellen, pessimistischer (bzw. realistischer) gestimmten SF die eigentliche Handlung ausmachen würden. Stattdessen schildert Raphael, wie man das System dank kluger und wagemutiger Spezialisten in Gang hält.

„Galaktische Poststation“ verlagert den Blick auf das Dienstleistungsgewerbe der Zukunft ins Weltall. Hier wurde der Autor gnadenlos von der Realität eingeholt. Er postuliert ein Postnetz, das 1 : 1 von der Erde in den Kosmos übertragen wurde. Zwar ersetzen „Aufnahmespulen“ den geschriebenen Brief, doch auch sie werden weiterhin verschickt, von Postboten abgeholt und weitergeleitet, auch wenn dies nun mit Raumschiffen und Postraketen geschieht. Mit einer digitalen Zukunft hat Raphael eindeutig nicht gerechnet und damit unfreiwillig (wieder einmal) bewiesen, dass die Science Fiction höchstens zufällig ‚voraussagt‘, wie die Zukunft aussehen wird.

Der Mensch als Teil (und Opfer) des Systems

Raphael blendet Probleme keineswegs völlig aus. Die rigorose Kontrolle der Wasserversorgung ist ein ständiger Konfliktfaktor, denn die Bürger hassen den aufgezwungenen Sparzwang. Mit Dankbarkeit dürfen diejenigen, die tief unter der Erdoberfläche dafür sorgen, dass das kostbare Nass trotzdem fließt, nicht rechnen. Auch hier thematisiert Raphael die Folgen nur ansatzweise und exemplarisch, wenn er empörte Bürger die braven Wasserwächter als „Rinnsteinschnüffler“ beschimpfen und (offenbar auch politisch motivierten) Aufruhr außerhalb der Handlung unterdrücken lässt.

Nur scheinbar deutlicher geht Raphael auf die Schattenseiten ein, wenn er über „Die Ranch im Park“ schreibt, denn tatsächlich ist dies eine Variante der uralten Story vom Außenseiter, der sich gegen das übermächtige System auflehnt und obsiegt, weil es ihm gelingt, eine Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen, die ihn als Symbol für Dinge betrachten, die falsch laufen. Die Geschichte vom bockbeinigen Rancher, den die Zeit vergessen hat, wirkt heute höchstens sentimental, zumal ihr die nostalgische Ausstrahlung einer altmodischen ‚Hightech‘ weitgehend fehlt.

Ebenso Klischee ist Raphaels Garn von den beiden Postboten, die eine Frau aus Raumnot retten. Hier bietet der Verfasser auf, was einst als ‚lustig‘ galt, wenn es darum ging, Männlein und Weiblein in amouröse Abenteuer zu verstricken, ohne dabei die engen Grenzen des Schicklichen zu übertreten. Das Ergebnis wirkt heute verdruckst bis schlüpfrig, obwohl man Raphael (und dem Übersetzer) zugutehalten muss, dass er (bzw. sie) in ihren Grenzen gute Arbeit geleistet haben. Die Quelle, aus dem sich diese Komik speist, ist übrigens auch im 21. Jahrhundert keineswegs versiegt; man schöpft immer noch aus ihr, wie beispielsweise jede US-Sitcom beweist.

Triumph des Köpfchens

Letztlich stellt Raphael den kompetenten Fachmann als Helden (wider Willen) in den Mittelpunkt. Technische Probleme werden erkannt und unter Anwendung eines nach sorgfältiger Ausbildung gewonnenen Wissens gelöst. Um die Spannung zu erhöhen, geht dabei erst einmal alles schief, weshalb persönlicher Einsatzmut die Lücke schließen muss. In Raphaels Welt gibt es immer einen Kandidaten, der sich ohne große Worte in die Bresche wirft. Dabei kann er sich auf ein Team ebenso fähiger Kollegen verlassen. Raphael hat also durchaus eine Botschaft: Lasst jene ihren Job erledigen, die etwas davon verstehen, auch - oder gerade - wenn ihr zu dumm oder gleichgültig seid, um ihr Handeln zu verstehen!

Raphael hat sich übrigens auch Gedanken über den Straßenverkehr der Zukunft gemacht. Die Kurzgeschichten „Code Three“ (1963) und „Once a Cop“ (1964) verschmolz er 1966 zum Roman „Code Three“ (dt. „Die fliegenden Bomben“), der sich in eine ‚Gegenwart‘ einfügen lässt, die mit der in „Strahlen aus dem Wasser“ identisch zu sein scheint. In „Code Three“ betrachtet Raphael einen ‚Autobahn-Alltag‘, der durch ‚Pkw“ und „Lkw“ geprägt wird, die Schallgeschwindigkeit erreichen, durch die Augen einer Patrouille, die auf dieser Höllenstrecke die Ordnung aufrechterhalten bzw. die Überreste derer beseitigen soll, deren Fahrdisziplin ihren Gefährte nicht gewachsen ist.

Obwohl Rick Raphael nur wenig schrieb, erkennt ihn die Kritik als einen der ersten SF-Autoren an, die zukünftige Alltagsprobleme aufgriffen. Nachträglich und in dem Wissen, dass viele dieser Probleme tatsächlich existieren, bisher nie wirklich gelöst wurden und deshalb eine Zeitbombe darstellen, muss man Raphael dafür loben - und lesen.

Strahlen aus dem Wasser

Rick Raphael, Goldmann

Strahlen aus dem Wasser

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