Es war schon immer da, und irgendwann holt es dich
Ein Job führt im Jahre 1965 drei gefährliche Menschen zusammen: Micah Shughrue, Minerva Atwater und Ebenezer Elkins - der „Engländer“ - verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Mietkiller. Dummerweise treffen sie auftragsbedingt aufeinander; eine Begegnung, die sie nur knapp überleben und in Polizeigewahrsam geraten lässt.
Zu dritt gelingt die Flucht. Die Kameradschaft hält, weshalb sich das Trio nicht trennt, sondern fortan gemeinsam anheuern lässt. Der Erfolg gibt diesem Konzept recht, bis Shughrue sich in die junge Ellen Bellhaven verliebt, als die ihn um einen ‚Gefallen‘ bittet: Ex-Schwager Reggie hat seinen Sohn Nate - Ellens Neffen - in eine obskure religiöse Kommune verschleppt. Ihr Oberhaupt ist der selbsternannte Prophet Amos Flesher. Er hört ‚Stimmen‘, die ihn dazu getrieben haben, in der Wildnis des US-Staates New Mexico und im Schatten eines als verflucht geltenden Felsens „Little Heaven“ zu gründen.
Ellen zahlt gut, weshalb Atwater und Elkins Shrughue begleiten. Die Aktion wird zum Desaster, denn die „Stimmen“ sind keineswegs Hirngeburten des psychisch gestörten Fleshers, sondern Gedankenbefehle einer uralten Kreatur, die seit jeher im Inneren des genannten Felsens haust und die Gelegenheit gekommen sieht, ihre Speisekammer aufzufüllen. Auch die drei Killer gehen ihr in die Falle, können das Wesen jedoch scheinbar besiegen. Es lässt sie nicht nur gehen, sondern erfüllt ihnen auch je einen Wunsch.
Dennoch wurden Shrughue, Atwater und Elkins betrogen, und ihr Leben wird zur Hölle. Nach „Little Heaven“ kehren sie 1980 nur zurück, weil die Kreatur sie abermals austrickst Das Trio stellt sich dem Schrecken, obwohl der ihnen dieses Mal keine Chance zur Gegenwehr geben wird …
Schrecklich solider Horror: Es gibt ihn noch!
Auch die Horrorliteratur kennt Modeströmungen. Sie führen das Genre manchmal dorthin, wo ihm der Fan nur bedingt oder gar nicht folgen mag. Manchmal ist die literarische Corioliskraft so groß, dass er (oder sie) an den Rand geworfen wird und sich lieber von dem nährt, was der Hauptstrom zurücklässt.
Derzeit ist es der ‚solide‘ Horror, der zu einer Schlusslichtexistenz verdammt scheint. In den 1970er Jahren wurde er durch Autoren wie Stephen King, Dean R. Koontz oder Peter Straub populär. Erzählt werden gruselige Geschichten, in denen es durchaus heftig = blutig zur Sache geht. Die Effekte bleiben jedoch Teil einer Geschichte und ihr untergeordnet. Heute mag dies altmodisch wirken, aber es ist die aufwändigere und - das Wort wird hier mit gebührender Vorsicht eingesetzt - redlichere Methode, sein Publikum zu unterhalten.
Effekte haben in allen modernen Unterhaltungsmedien eine elementare Rolle gewonnen. Das ist keineswegs generell zu verdammen, sondern vor allem bzw. nur dann, wenn sich Effekte zum Selbstläufer entwickeln. „Gewaltpornografie“ ist der Begriff, unter den sich die übelsten Folgen zusammenfassen lassen. Dieses Böse ist entweder blutrünstig oder geil bzw. beides. Was daraus resultiert, wird über viele Seiten explizit beschrieben. Es soll ‚schrecklich‘ sein, was durchaus zutrifft: Es ist schrecklich simpel und schrecklich langweilig. In solchen Schwanz-im-Fleischwolf-Garnen sterben nicht nur die Protagonisten, auch die Stimmung bleibt auf der Strecke. Nur die sogenannten „Gore-Bauern“ oder Nachwuchs-Leser, die den faulen Zauber noch nicht erkennen, sind beeindruckt, wenn sich Gewalt- und Sex-Fantasien in absurde Gefilde emporschrauben.
Zwar lang, aber unterhaltsam
Nick Cutter ist kein Splatter-Stammler, aber auch kein Vertreter des „Blumhouse“-Horrors, der im Kino für kostengünstig produzierten Grusel steht, angeblich die ‚Atmosphäre‘ der Action vorzieht und vor allem routinierte Langeweile produziert. „Das Böse“ geizt nicht mit Szenen, in denen buchstäblich die Fetzen fliegen. Auch Verfall und Niedertracht werden ausführlich thematisiert. Für den Unterschied sorgt die Einbettung in eine einfache, nie originelle, aber unterhaltungstaugliche Story, die handwerklich solide umgesetzt wird.
Nicht einmal die Tatsache, dass dieser Roman keineswegs 700 Seiten zählen müsste, kann den erfreulichen Gesamteindruck mindern. Durch den nichtssagenden deutschen Titel oder das generische Billig-Cover sollte sich der Freund tatsächlich handfesten Grusels erst recht nicht abschrecken lassen. Cutter will eine Geschichte erzählen. Dass wir diese eigentlich kennen, ist kein Grund, ihm nicht dabei zu folgen: Die meisten guten Geschichten sind längst erzählt. Für Unterhaltung sorgt die Variation des Bewährten. In diesem Punkt weiß Cutter, was zu tun ist.
Zwar führt er unnötig eingehend die üblichen ‚interessanten‘, durch persönliche Schicksalsschläge gezeichneten Figuren ein, deren Vergangenheiten uns nur bedingt interessieren. Nichtsdestotrotz taugen die drei Killer als heutzutage übliche, moralisch indifferente, im Seelenkern jedoch ‚gute‘ Protagonisten (auch wenn es ihnen im Laufe der Geschehens immer schwerer fällt, uns an ihre ‚Verdorbenheit‘ zu erinnern). Dass auch ‚Helden‘ Schattenseiten haben können, ohne dadurch ihren Status zu gefährden, ist eine weitere Errungenschaft, die wir den oben genannten King, Koontz und Straub verdanken.
Das Ding im Felsen
Professionelle Kritiker, die es seit jeher als ihre Aufgabe betrachten, den ‚Wert‘ der Sieben Künste zu definieren, favorisieren im Horror das menschlich tragische Böse. Zwar denkt und handelt es mit finstereren Absichten, doch dahinter steht ein Aha-Erlebnis - eine fiese Kindheit, der Spott der Welt gegenüber dem Außenseiter, der nie verarbeitete Verlust der/des Geliebten etc. Irgendwo in solchen Übeltätern steckt ein guter Kern, an den appelliert werden kann, was ihnen im unausweichlichen Ende eine sympathische Note verleiht.
Deutlich weniger geschätzt ist das ‚echte‘ Böse, das quasi eindimensional rund um die Uhr damit beschäftigt ist zu tücken. Freut es sich darüber wie ein schmutziger Schneekönig, ist es bei genannten Kritikern gänzlich unten durch. In einem Punkt liegen sie richtig: Ein ausschließlich ‚böses‘ Monster wirkt leicht lächerlich - dies erst recht, wenn es vor jeder Attacke ausführlich die geplanten Grausamkeiten beschreibt. Cutter stellt sich der Herausforderung und stützt sich auf ein prominentes Vorbild: H. P. Lovecraft (1890-1937) war ein Meister in der Darstellung schauerlicher Kreaturen, die faktisch nicht ‚böse‘, sondern ‚anders‘ und menschlichen Moralvorstellungen nicht unterworfen sind. Auch Cutter kommt zu dem Schluss, dass der Schrecken im schwarzen Felsen einfach ‚ist‘. Insofern wirkt es plausibel, dass sich die Kreatur weder ändert noch ‚entwickelt‘.
Ihre Herkunft bleibt ungeklärt. Cutter lässt seine Protagonisten entsprechende Überlegungen anstellen, die jedoch ohne Bestätigung oder Ablehnung bleiben. Letztlich ist es egal, woher das Wesen kommt. Es hat seine Nische in der irdischen Ökologie gefunden. An die genretypisch gern heraufbeschworene „Weltherrschaft“ verschwendet es keinen Gedanken. Es ist in seinem abgelegenen Winkel gut aufgehoben und begnügt sich mit der Rolle der Spinne im Netz.
Umringt von idealen Handlangern
Das reale Böse wird dem Menschen auf dieser Erde von anderen Menschen angetan. Cutter erinnert daran, wenn er dem Ding im Fels den ‚Prediger‘ Flesher zur Seite stellt. Ein Nachwort enthüllt, dass der Verfasser diesen nach dem Vorbild des Sektenführers Jim Jones geformt hat, der 1978 zusammen mit über 900 Anhängern kollektiven ‚Selbstmord‘ beging. Einige Äußerungen dieses Massenmörders legt Cutter Flesher buchstäblich in den Mund, was die Intensität eines ‚menschlichen‘, besonders unheimlichen Bösen unterstreicht. Dies ergänzend ist „Little Heaven“ ein Spiegelbild jener pseudo-religiösen Kommunen, die Rattenfänger meist in abgelegenen Regionen gründen. Dort üben sie ihr Schreckensregime aus, das nicht selten in einem Blutbad endet.
Warum spielt diese Geschichte in der Vergangenheit? Einen aus dem Geschehen resultierenden Grund gibt es nicht. Stutzig macht ein Nebensatz: Minerva Atwater und Ebenezer Elkins fragen sich, ob sie noch einmal nach Little Heaven zurückkehren und sich der Kreatur abermals stellen müssen. Das könnte der Ansatz für eine Fortsetzung sein, die nach 1980 spielt. Angesichts der genannten Qualitäten sorgt dies beim Leser nicht für verstärkten Gallefluss, sondern weckt sogar Vorfreude.
Fazit:
Ein wenig zu episch und mehrfach vom Thema abweichend, aber niemals langweilig versucht sich der Autor erfolgreich am Konzept des ‚unschuldigen‘ Bösen, ohne diesem dabei den Schrecken zu rauben: handwerklich hochwertiger Horror im Stil des (frühen) Stephen King - dies auch im wohldosierten Einsatz drastischer Effekte, die der Story dienen und nicht zum Selbstzweck erstarren.
Nick Cutter, Heyne
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