Das Haus am Ende der Welt

  • Heyne
  • Erschienen: Juni 2019
  • 1
Das Haus am Ende der Welt
Das Haus am Ende der Welt
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Yannic Niehr
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2019

„Vertrau dem Verlauf der Dinge“ …?

Gemeinsam mit ihrer kleinen Adoptivtochter Wen machen Eric und Andrew Urlaub in einem urigen Ferienhaus am Gaudetsee in New England. Es scheint, als könnte nichts die Familienidylle trüben. Doch wer sich im Horror- und Thrillergenre auskennt, weiß natürlich, dass in einsamen, von freier Natur umgebenen Hütten solches Glück nur selten von Dauer ist…

Plötzlich bekommen die drei unangemeldeten Besuch: vier größtenteils junge Leute in verschiedenfarbigen Hemden stehen vor der Tür und bitten um Einlass für ein Gespräch. Sie kennen die Namen der Familie, versichern ihnen aber, dass es um eine wichtige Angelegenheit ginge und sie ihnen nichts Böses wollen. Wohl sprechen die aus Werkzeugen selbst gebastelten Hieb- und Stichwaffen, die sie bei sich tragen, eine andere Sprache…

Es kommt, wie es kommen muss: Leonard, Adriane, Sabrina und Redmond – so stellen sich die Eindringlinge vor – brechen ins Haus ein, und schon finden sich Eric und Andrew in Todesangst an Stühle gefesselt wieder. Die Besucher halten jedoch ihr Versprechen und krümmen keinem ein Haar. Doch sind sie einer „Mission“ verschrieben: sie offenbaren Andrew, Eric und Wen, dass diese eine schwere Entscheidung zu treffen hätten. Sollten sie sich verweigern, wäre alles dem Untergang geweiht. Schon bald zeigen die vier auch, wie tödlich ernst sie es meinen. Sind diese Leute einfach nur Spinner oder ist an ihren Prophezeiungen etwas dran? Was sollen Andrew, Eric und Wen nur tun? Eine Zerreißprobe für die Nerven beginnt…

„Hab keine Angst vor der Dunkelheit da draußen. Fürchte dich vor dem, was hier im Haus passiert und noch passieren wird…“

Sogar Stephen King hat auf dem Einband lobende Worte für Paul Tremblay übrig. Das lässt - zurecht - auf eine gewisse Qualität schließen. Tremblays Stil ist manchmal zu deskriptiv, aber im Großen und Ganzen versteht er sein Handwerk, weiß Spannung zu erzeugen und zu halten, und streut einige schöne literarische Sätze ein. Das Buch ist im Präsens geschrieben – eher eine Seltenheit, aber gerade für das Thrillergenre gut geeignet, da der Leser so unbewusst näher an das Geschehen gerückt wird. Die Zeichnung der Charaktere gelingt sehr komplex, da auch Rückblicke in prägende Ereignisse aus der Vergangenheit eingewoben werden und sich so neue Sichtweisen auf das Verhalten eröffnen. Dies wird ermöglicht durch das stimmige und interessante Stilmittel, dass die Erzählperspektive oft wechselt und immer wieder die Gedanken- und Gefühlswelt einer anderen Figur in den Fokus rückt. Das treibt Tremblay im letzten Abschnitt mit einem originellen und wirkungsvollen Kunstgriff auf die Spitze.

„Der Sturm ist direkt über uns. Aber wir haben schon zahllosen Stürmen standgehalten. Vielleicht ist dieser anders. Vielleicht nicht…“

Tatsächlich ist der Roman sicher nichts für jeden, denn es wird mit jeder Wendung abgefahrener, und als Leser tappt man im Dunkeln. Ist am Ende doch alles so, wie es den Anschein hat? Sagen die Hausbesetzer die Wahrheit? Dass man in der vorliegenden Ausnahmesituation aus lauter Verzweiflung diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung ziehen kann, daraus ergibt sich im letzten Drittel des Buches einiges an Konfliktpotenzial. Gleichzeitig ist eine Stärke des Romans, dass man als Leser nie weiß, was einen als nächstes erwartet, da die Handlung mit Überraschungen - und Schocks - aufwartet. In Ansätzen erinnert das Buch an Michael Hanekes Film Funny Games.

Am Ende wird es dann etwas kryptischer, und eine wuchtige, düstere Stimmung wird dem Leser überzeugend vermittelt. Welche Aussage verbirgt sich in alldem? Vielleicht einfach ein Appell gegen Schusswaffen? Oder die Botschaft, dass Liebe und Empathie gerade in einer gewalttätigen, mit Unheil drohenden Welt der einzige Weg ist? Das Buch ist vielschichtig genug, dem Leser seine eigenen Interpretationen offen zu lassen.

Fazit:

Tremblays Roman ist nur zum Teil ein klassischer Home-Invasion-Thriller, wie er auf den ersten Blick erscheint. Stattdessen entsteht vor den Augen des Lesers ein psychologisches Kammerspiel, das durchweg spannend und unvorhersehbar bleibt und eine nachhaltige Faszination ausübt. Stellenweise könnte man dem Buch ein bisschen mehr Fleisch an den Knochen wünschen, aber insgesamt ist es definitiv zu empfehlen – man muss sich nur darauf einlassen.

Das Haus am Ende der Welt

Paul Tremblay, Heyne

Das Haus am Ende der Welt

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