Frau auf dem Mond gerät in gefährliche Verschwörung
In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist der Mensch auf den Mond zurückgekehrt - und geblieben. Inzwischen gibt es eine Stadt auf dem Erdtrabanten. Artemis zählt 2000 Einwohner, die sich längst an ein Alltagsleben außerhalb irdischen Normen - und Regeln - gewöhnt haben und mehrheitlich den Mond als ihre Heimat betrachten.
Zu ihnen gehört Jasmine „Jazz“ Bashara, eine junge Frau, die zur Unterschicht der Mondstadt bzw. zu denen gehört, die deren Funktionieren in einer lebensbedrohlichen, weil druck- und luftlosen Welt gewährleisten. Jazz schlägt sich als Lastenträgerin durch und träumt von einer Karriere als Touristenführerin. Bevor sie diesen lukrativen Job bekommt, muss sie jedoch von der EVA-Zunft aufgenommen werden, die kritisch darauf achtet, wer sich ihr anschließen will.
Jazz hat generell schlechte Karten, denn sie ist der Mond-Polizei schon mehrfach als Schmugglerin aufgefallen, ohne bisher überführt zu werden. Um endlich an das große Geld zu kommen, stellt sich Jazz nun in den Dienst des ‚Geschäftsmanns‘ Trond Landvik. Er will das Monopol für die Aluminiumherstellung auf dem Mond an sich reißen. Deshalb soll Jazz die „Sammler“ sabotieren, die unbemannt auf der Suche nach metallhaltigem Gestein über die Mondoberfläche kreuzen.
Dass mehr dahintersteckt und die Mond-Menschen keineswegs unverletzt bleiben sollen, merkt Jazz zu spät. Landvik wird ermordet, was einerseits die lunare Polizei auf den Plan ruft, während Jazz andererseits ins Visier des organisierten Verbrechens gerät. Eine mafiaähnliche Gruppe hat ihre Tentakel von der Erde zum Mond ausgestreckt. Landvik wähnte sich schlauer als sie und versuchte sie zu betrügen, was wie erwähnt übel endete. Der Killer hält sich noch in Artemis auf und sucht offenbar nach etwas, das Jazz zufällig gefunden hat. Was ihr zunächst viel Geld verspricht, wird zur Lebensgefahr, als besagter Killer nunmehr Jazz aufs Korn nimmt...
Fluch des Debüt-Erfolgs
Hat man den Gipfel eines Berges erreicht, geht es nicht mehr höher hinauf, sondern nur noch nach unten: Was Bergsteiger wissen, müssen u. a. auch Schriftsteller erfahren. Normalerweise dauert es eine Weile, bis diese unerwünschte Richtung eingeschlagen wird, denn zunächst ermöglichen Ideen und Schwung den Drang nach oben = eine Karriere.
Anders kann es denen ergehen, die durch die Laune des Schicksals quasi von Normalnull auf Gipfelhöhe gehoben werden: Manchmal gelingt es einem Verfasser, mit einem Erstlingswerk zum Liebling der Kritiker und/oder Leser zu werden. Ruhm und hohe Verkaufszahlen sind die Folgen - und eine Erwartungshaltung, die zum Fluch werden kann: Nicht grundlos lautet ein Sprichwort, dass das zweite Buch ungleich schwieriger zu schreiben ist als sein Vorgänger.
In die Reihen derer, die diese Erfahrung machen mussten, gesellt sich nunmehr Andy Weir. Zwar war „Der Marsianer“ kein ‚echtes‘ Romandebüt. Erst 2014 gedruckt erschienen, hatte man dieses Buch bereits ab 2011 auf Weirs Website finden können. Es entwickelte sich zu einem Bestseller, der 2015 ebenfalls sehr erfolgreich verfilmt wurde. Die ganze Welt liebte die Geschichte vom Robinson Mark Watney, der auf dem Planeten Mars strandete, um einfallsreich improvisierend und letztlich erfolgreich die Rückkehr zur Erde zu versuchen.
Kleinere Brötchen in geringerer Entfernung
Nun wartete besagte Welt (neu-) gierig auf Weirs zweiten Streich. Der Autor war nicht so dumm, den bewährten Watney auf einem anderen Himmelskörper bruchlanden zu lassen. Weir dachte sich durchaus etwas Neues aus - scheinbar, denn „Artemis“ lässt recht bald bekannte Handlungsstrukturen durchschimmern.
Grundsätzlich geht es wieder um einen Überlebenskampf, der trickreich bestanden werden muss. Im Mittelpunkt steht dieses Mal eine Heldin, und Ort des Geschehens ist der Mond, welcher der Erde deutlich näher steht als der Mars und in dieser Geschichte bereits menschlich besiedelt ist - zumindest ansatzweise, denn tatsächlich wirkt Artemis wie eine Grenzstadt des Wilden Westens, was kein Wunder ist, da dieses Konzept seine Tragfähigkeit schon längst und oft unter Beweis gestellt hat.
Artemis und die Oberfläche des Mondes sorgen für einen Spielplatz, den Weir einfallsreich zu nutzen weiß. Dieses Geschick bewies er schon in „Der Marsianer“, und es funktioniert auch dieses Mal hervorragend: Weir besitzt ein glückliches (Schreib-) Händchen für Spannungssituationen, die auf der (oft zweckentfremdeten) Verwendung eigentlich ‚langweiliger‘ Arbeits- und Alltagsobjekte basieren. Er bezieht eine exotische Kulisse - hier den Mond, unseren luftleereren, schwerkraftarmen, entweder eiskalten oder brühheißen Erdtrabanten - einfallsreich ein, wobei er die Physik (sowie Geologie, Chemie u. a. Naturwissenschaften) ausdrücklich berücksichtigt. Allerdings listet Weir nicht einfach Fakten auf, sondern integriert diese ins Geschehen.
Mit diesem Pfund kann er wuchern, wenn die Handlung von einer umständlichen Intrige in den Kampf gegen einen übermächtigen, allgegenwärtigen Feind übergeht, der auf der lebensfeindlichen Mondoberfläche trickreich geführt wird. Endlich findet Weir zu jener Form zurück, die wir in „Der Marsianer“ kennen- und schätzen gelernt haben. Erst in der zweiten Hälfte sorgt „Artemis“ für Lektürespaß - aber dann richtig!
Die Erde ist (zu?) nahe
Die Story selbst kann da nicht mithalten. Weir verbringt viel Zeit damit, uns Artemis, die lunare Umgebung und natürlich seine Heldin vorzustellen. Der Roman wird darüber erstaunlich (bzw. betrüblicherweise) zäh, was auch daran liegt, dass Weirs Plot nicht gerade raffiniert ist. Er schwelgt ausgiebig in SF-Thriller-Klischees, die er womöglich mit einer späteren Verfilmung im Hinterkopf eingebaut hat, während das Geschehen selbst über lange Passagen weder rasant noch plausibel abläuft. Dazu gehört eine nicht wirklich in die Handlung integrierte Rahmenhandlung: Jazz Bashara hat einen ‚Brieffreund‘ auf der Erde, was Weir dazu nutzt, seine Leser mit der irdischen ‚Gegenwart‘ vertraut zu machen. Auch in dieser Hinsicht ist ihm nichts Originelles eingefallen. Politik und Wirtschaft vermag Weir jedenfalls nicht annähernd so plastisch darzubieten wie Naturwissenschaftliches.
Kritikerdruck sowie persönlicher Ehrgeiz fließen in der Hauptfigur zusammen. Ohne echte Begründung (oder Not) beschloss Weir, eine junge Frau aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen. Um die Latte noch ein wenig höher aufzulegen, entstammt „Jazz“ Bashara dem muslimischen Kulturkreis. Auch und gerade hier mutmaßt man, dass „Artemis“ schon den gleichnamigen Film vorwegnimmt, indem der Verfasser derzeitige Blockbuster-Vorgaben berücksichtigt. Ansonsten leuchtet die Notwendigkeit einer weiblichen Heldin nicht ein, zumal Weir sehr bemüht wirkt, wenn er Jazz als nonkonformistische Powerfrau darstellt, die sich nichtsdestotrotz ihrer Herkunft verpflichtet fühlt. Was reizvoll sein könnte, wird von Weir flach so dargestellt, wie sich (nicht nur) ein US-Amerikaner eine ‚moderne Frau‘/eine ‚gute‘ = regelkonforme und gesellschaftlich integrierte Muslima (sowie einen nicht ganz so entspannten Muslim-Vater) vorstellen mag.
„Artemis“ bleibt ein zwiespältiges Lese-Erlebnis. An den „Marsianer“ kommt Weir selten heran. Vergisst man den Vorgänger, lesen wir ein langsam in Gang kommendes, dann stetig an Fahrt gewinnendes, niemals innovatives, aber solides SF-Abenteuer, das unter flachen Figuren leidet. Handwerkliches Können rettet die Story über solche Klippen. Ein Lektüre-Ereignis - wie es die Werbung herbei zu trommeln versucht - sieht freilich anders aus.
Andy Weir, Heyne
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