Zerrissene Erde (Die große Stille 1)

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2018
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Zerrissene Erde (Die große Stille 1)
Zerrissene Erde (Die große Stille 1)
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Carsten Kuhr
78°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2018

Achtung - dies ist keine Geschichte über die Rettung der Welt. Dies ist auch keine Geschichte, in der es um Triumphe oder um Siege geht.

Wie wäre es, wenn wir einmal ganz von vorne anfangen würden. Wie wäre es, wenn wir mit dem Ende der Welt beginnen würden. Vorbei, vernichtet, jetzt gibt es Platz für interessantere Dinge. Das ist mal ein Romananfang, der uns gleich sowohl schockt, wie auch neugierig macht.

Im daran anschließenden Prolog begegnet uns ein Mann, der mittels seiner Fähigkeiten in der Lage und willens ist, einen ganzen Kontinent auseinanderzureißen - und dies, ohne große Emotionen an den Tag zu legen, auch tut. Das Leid, der millionenfache Tod, den er damit auslöst, berühren ihn innerlich schlicht nicht.

Willkommen in der Welt der zerrissenen Erde - einer Welt, in der das Leben nicht beschwerlich, sondern fast unmöglich ist. Eine Welt, in der die Menschen das Lachen ebenso aufgegeben haben, wie die Hoffnung.

Eine Welt, in der niemand leben, aber jeder überleben will.

Wir begleiten drei Erzähler in dieser Welt der ultimativen Apokalypse.

Essun lebt seit zehn Jahren in Tirimo. Sie scheint ihr bescheidenes Glück gefunden zu haben. Ein allseits geachteter Mann, zwei gesunde Kinder und einen Beruf als Lehrerin. Was niemand weiß oder auch nur ahnen darf ist, dass Essun orogenisch ist: Mit ihrer Gabe, die sie an ihre beiden Kinder vererbt hat, kann sie Erdbeben und Vulkanausbrüche auslösen und beeinflussen.

Als sie mentastet, dass aus dem Norden eine vernichtende Erdbebenwelle auf die Stadt zukommt, hat sie diese um ihre Heimat herumgelenkt.

Dass ihre Art verfemt ist, dass sie gefürchtet, ausgegrenzt und gejagt wird, weiß sie. Dass ihr eigener Mann, als er entdeckt, dass ihre Kinder die Gabe haben, ihren gemeinsamen Sohn brutal erschlägt und die Tochter entführt, bricht ihr das Herz. Sie will, nein, sie muss ihr Kind wiedersehen.

Viele Meilen entfernt...

lernen wir ein kleines Mädchen, das sich auf einem Heuschober versteckt, kennen. Ihre Eltern haben die Kleine dort eingesperrt, bis der Kinderkäufer sie abholen kommt. Seitdem sie ahnen, dass ihre Tochter orogenisch begabt ist, fürchten sie, dass diese - und mit ihr die ganze Familie - einem Lynchmob zum Opfer fällt. Da ist es besser, die Kleine in die Hände der Gilde nach Fulcrum zu geben - einem Ort der Strenge, an dem die Begabten darin ausgebildet werden, ihre Gabe zu kontrollieren und für die Allgemeinheit einzusetzen. Die, die dies nicht bewältigen bleiben mitleidlos und gebrochen auf der Strecke.

Syenite ist eine dieser Agenten, die in Begleitung eines sehr erfahrenen Orogenen an die Küste ausgesandt wird.

Sie alle versuchen in einer Welt zu überleben, die gezeichnet ist vom drohenden, aktuellen Untergang, von der Aussichtslosigkeit und den unabwendbaren Gefahren.

In Schreibseminaren wird gelehrt, dass man ein Buch immer mit einem packenden, den Leser neugierig machenden Satz beginnen sollte.

N. K. Jemisin beherzigt diesen Ratschlag geradezu vorbildlich. Was fesselt den Leser mehr, als im ersten Satz bereits von der Zerstörung der Bühne zu erfahren. Wie kann es hier noch weitergehen, das wird sich ein Jeder fragen.

Was macht den Roman, der unter anderem mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, zu etwas Besonderem?

Nun, da ist zunächst und in erster Linie die beschriebene Welt zu nennen. Eine Welt, die alle paar Jahrhunderte von schweren, desaströsen Naturkatastrophen heimgesucht wird, die eben jene Welt auseinanderreißen. Der Klimawandel greift massiv in den Alltag der Bewohner ein, prägt die Menschen. Ein ums andere Mal müssen die wenigen, geschundenen Überlebenden sich aufrappeln und von neuem anfangen, ihre Zivilisation wieder aufzubauen. Also nichts mit der üblichen archaischen Welt der Ritter und Zauberer.

Dazu kommen die Menschen - Menschen, die nach ihrer Nützlichkeit für die Allgemeinheit eingruppiert und geachtet werden, Menschen, die Vorurteile und Ressentiments haben und diese ausleben, Menschen, die schlicht Angst haben. Menschen, die leiden, die gebrochen werden, die weitermachen, ohne dass sie wirklich mutig voranschreiten würden. Diese geschundenen Figuren dauern uns, zusammen mit diesen leiden wir, entdecken aber auf diese Weise die Welt und ihre Besonderheiten quasi aus einer inneren Perspektive.

Sukzessive lernen wir diesen Handlungsort kennen, finden uns ein und bergreifen erst so richtig die mannigfaltigen Gefahren, die unseren Erzählern drohen. Die sehr komplexen Charaktere, die von ihren Erfahrungen geprägt, ja zum Teil gebrochen werden, sind schlicht interessant. Dass sie sich entwickeln, dass und wie sie sich orientieren, die Begegnungen, die sie prägen und die Welt, die sie erkunden, bestimmen das langsame Tempo des Buches. Erst spät nimmt die Handlung Fahrt auf, doch ist dies nicht wirklich zu bemängeln. Zu interessant sind die unterschwelligen Themen des Buches - es geht der Autorin darum, uns vor Unterdrückung zu warnen.

Jemisin warnt vor Ausgrenzung, vor Diskriminierung aufgrund sexueller Vorlieben oder der Hautfarbe - und zeigt, wie bei denen, die unterdrücken, diese Geisteshaltung verinnerlicht und weitergegeben wird, ohne diese je zu hinterfragen.

Die Übersetzerin, Susanne Gerold ist selbst Autorin und dies merkt man der sehr feinfühligen, angenehm zu lesenden Übertragung des Textes an. Dabei gelingt es ihr mustergültig auch die vielen traurigen, bedrückenden Szenen der Figuren einfühlsam zu beschreiben ohne zu pathetisch zu werden.

Fazit:

Mit dem Auftaktroman - auch die beiden Folgetitel wurde jeweils mit Preisen überschüttet - gelingt es der Autorin etwas Neues, so bislang nicht Gelesenes vorzulegen. Wer heroische Triumphe sucht, schlicht oberflächlich unterhalten werden möchte, ist hier falsch. Für alle, die sich tiefgründiger auf einen ungewöhnlichen Plot, markante Charaktere und eine so nie gelesene Handlungsbühne einzulassen wagen, sei dieser Band empfohlen.

Zerrissene Erde (Die große Stille 1)

N. K. Jemisin, Droemer-Knaur

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