Gewürm

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2016
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Gewürm
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2018

 Schleimige Parasiten attackieren geile Teenies & Lumpenpack

Pritchard’s Key ist eine Insel vor der Küste von Florida. Flora und Fauna sind tropisch, und das Wasser ist warm, weshalb die Jugend gern mit dem Boot hierherkommt, um Dünnbier zu trinken und Körperflüssigkeiten auszutauschen. Aktuell sind es die dummgeilen Teenager Howie, Alan, Carol und Leona, die diesen Hobbys frönen.

An anderer Stelle landet Professor Nora Craig mit einem kleinen Team. Für „National Geographic“ sollen sie und ihr Assistent Loren Fredricks der Fotografin Annabelle Omert einen seltenen Wasser-Wurm zeigen. Begleitet werden sie von Lieutenant Trent, denn Pritchard’s Key war während des Kalten Krieges eine Raketenbasis und ist noch heute Eigentum der US-Army.

Ebenfalls Kurs auf die Insel nehmen die Brüder Jonas und Slydes, zwei archetypische Rednecks, die nicht nur wildern, rauben und morden, sondern auch auf Pritchard’s Key eine Marihuana-Plantage betreiben. Mit der gemeinsamen Geliebten Ruth wollen sie in der Nacht ernten.

Alle Anwesenden ahnen nichts von der Anwesenheit einer weiteren Gruppe, die auf der Insel streng geheim an einer ganz besonderen biologischen Waffe bastelt: Planmäßig mutierte Würmer und Parasiten entwickeln auf Pritchard’s Key eine Kollektiv-Intelligenz, die es ihnen ermöglicht, Menschenkörper zu übernehmen und zu kontrollieren. Die Opfer gehen gezielt auf die Suche nach Pechvögeln, denen sie die Schlau-Schmarotzer weitergeben können. Zurück bleiben Leichen: die der Befallenen und die derjenigen, die von der Insel flüchten und das kriminelle Forschertreiben aufdecken könnten.

Während unseren Teenies und den Rednecks rasch und hässlich das letzte Stündlein schlägt, leisten Professor Craig und ihre Begleiter dem schleimigen Tod hartnäckig Widerstand. Die Naturwissenschaftler kennen sich gut aus mit Würmern, weshalb die heimlichen Wurm-Treiber sie schließlich selbst zum Schweigen bringen wollen...

Glitschig = eklig = schrecklich (unterhaltsam)

Wir Menschen teilen uns diesen Planeten mit Kreaturen, denen wir ungern gegenübertreten. Dazu zählen in erster Linie jene, die groß genug sind, uns zu packen und zu fressen, was seit der Steinzeit glücklicherweise stark nachgelassen hat. Ebenso vorsichtig nähern wir uns Wesen, die vielleicht kleiner sind als wir, dies aber durch starke Gifte mehr als ausgleichen können.

Dann gibt es noch die richtig unheimlichen Geschöpfe, die wir nicht sehen können, weil sie zu klein oder zu gut getarnt sind, um sie früh genug zu bemerken. Schlimmer: Sie schlüpfen in unsere Körper, nisten sich dort ein und nähren sich von uns - eine Vorstellung, die jederzeit für Schrecken und Ekelschauer sorgt! Solche Schmarotzer können zu allem Überfluss beachtliche Körpermaße erreichen; so misst ein Bandwurm leicht über 6 Meter und kann mehrere Jahrzehnte im Darm ‚seines‘ Menschen hausen. Dieser Parasit führt die Größentabelle keineswegs an; Fischbandwürmer können bis zu 20 Meter messen. (Damit sie in einen Menschendarm passen, müssen sie sich spiralig aufrollen, was ihnen keine Probleme bereitet.) Auch kleine Würmer sind keinesfalls gern gesehene ‚Gäste‘. Zwar wurde bisher keine Art entdeckt, die Menschenhirne nicht nur befällt, sondern auch ‚umprogrammiert‘, damit der unglückliche Wirt nunmehr im Sinn des Parasiten agiert, aber was nicht ist, kann ja noch werden; die Forschung kennt inzwischen viele Tierarten, die auf diese Weise kontrolliert werden.

Wird der Angst die unmittelbare Basis genommen - heutzutage gibt es erfreulicherweise Antibiotika, die den meisten Parasiten den Garaus machen -, wandelt sie sich in Grusel um, eine Emotion, die durchaus unterhaltsam sein kann. Die Infiltration = Penetration durch fremde Lebensformen gehört daher längst zum Repertoire der Phantastik. Sie ist sicher nicht die Wurzel eines subtilen Schreckens, sondern bedient den harten, buchstäblich körperbetonten Horror.

Die ‚Verwandtschaft‘ von Sex und Schrecken

Würmer besitzen keinen Niedlichkeitsfaktor. Sie sind unzweifelhaft faszinierende Lebensformen, die darüber hinaus unverzichtbar sind, wenn es darum geht, tote Pflanzen und Tiere zu vertilgen, bevor sich diese stinkend überall auf der Erde stapeln. Dank dürfen sie dafür nur indirekt erwarten, denn sie sind hässlich anzuschauen: weich, glitschig, augenlos. Man kann sie in Stücke hacken, doch sie regenerieren sich, und sie sind definitiv in der Überzahl, weshalb man froh sein sollte, dass Würmer keinen Verstand besitzen.

Wenn dies anders wäre, sähe die Welt sich einem echten Problem gegenüber, wie es Edward Lee nicht nur andeutet. Weil es in seinen Horror-Romanen gar nicht eklig genug zugehen kann, reitet er ausgiebig auf der Ähnlichkeit zwischen Würmern und menschlicher Schleimhaut herum, die - ganz in Lees Sinn - im Äquatorbereich des Körpers dominiert: Dieser Autor liebt es, Geschlechtsorgane unterhaltungsbedingt zweckzuentfremden!

Vor allem die weiblichen Figuren werden entsprechend geschändet, doch keine Sorge: Lee gönnt auch seinen männlichen Protagonisten abscheuliche Aha-Erlebnisse. Diese werden in liebevoller Detailarbeit beschrieben, die höchstens von der Intention übertroffen wird, mit der uns der Verfasser die Folgen nahebringt. ‚Seine‘ Würmer sind darüber hinaus aktiv und aggressiv. Sie attackieren ihre Opfer, die zu tumorigen Zombies mutieren, die innerlich entweder aufgefressen werden oder ‚Gastkörper‘ für Wurmbrut darstellen, während sie damit beschäftigt sind, noch nicht infizierte Zeitgenossen zu jagen.

Kleine Insel für große Widerlinge

Der Plot ist simpel und erinnert an das „Big-Brother“-Konzept: Lee verbannt eine Gruppe sozial und charakterlich unterschiedlicher Figuren auf eine kleine Insel. Flucht ist nicht möglich, weshalb man sich der Gefahr stellen muss. Mit gegenseitiger Unterstützung sollte man in einem Lee-Roman nicht rechnen. Tatsächlich ist sich nicht nur jede/r selbst die bzw. der Nächste, sondern auch widerwärtig.

Sollte es überhaupt eine Figur geben, mit der sich der Leser identifizieren kann, ist dies die Wissenschaftlerin Nora Craig, die allerdings ausgiebig mit ihrer Frigidität hadert, die dauerrattige Annabelle und ihre jeweiligen Liebhaber beobachtet und ständig mürrisch, weil unbefriedigt ist. Schon diese Kurz-Biografie verrät, dass auch Nora mit der Solidarität der Leser nur bedingt rechnen kann.

Die übrigen Protagonisten sind 100-prozentige Drecksäcke, die ihr Schicksal (= Wurmfutter) mehr als verdienen; offenbar ist es Lee wichtig, in diesem Punkt eindeutig zu sein. Sämtliche auftretenden Frauen sind (minus Nora) dumm, geil und berechnend, während die Männer dumm, geil und brutal sind. Kaum über den Urschleim erhoben haben sich die Rednecks Jonas und Slydes, doch darf auch Schlampe Ruth, die es mit beiden treibt, kein Mitleid erwarten, weil sie beinahe ebenso verkommen ist wie die Brüder.

Final-Überraschung und Flau-Epilog

Irgendwo treibt es eigentlich immer jemand auf der Insel der Würmer, und Lee sitzt gern daneben, um uns mit Einzelheiten zu versorgen, die jegliche Erotik zerstieben lassen, wobei der eingesetzte Wortschatz überaus hilfreich beim Erreichen dieses Ziels ist. Treibt es Lee in Sachen ‚Sex‘ und Wurm-Horror gar zu heftig, je näher das Finale rückt, kommt unvermeidbar Heiterkeit auf, weil einfach lächerlich ist, was grausig wirken soll.

Immerhin gibt es eine finale Überraschung, die ein gänzlich neues Licht auf die Ereignisse wirft. Sie bietet andererseits dem Verfasser einen simplen Ausweg aus einem Dilemma: Wie soll er die Geschichte auflösen? Möglich wäre der Tod sämtlicher Inselbewohner, sodass unser Drama folgenlos und von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt enden könnte. Das ist Lee aber zu einfach, weshalb er sich etwas einfallen (bzw. sich ‚inspirieren‘) lässt, was an dieser Stelle zum Wohle potenzieller Leser geschwiegen werden soll.

Leider mag Lee nicht auf den wohl abgegriffensten Epilog-Gag des Horror-Genres verzichten: Etwas hat überlebt … So kann man nach vielen hundert Seiten Schleim-Sex-Grusel nicht wirklich sicher sein, von einer Fortsetzung verschont zu bleiben - eine Drohung, die Lee als Erzähler in dieser Intensität nicht erreichen konnte: „Gewürm“ ist blanke Hackfleisch-Action, die wenigstens konsequent in ihrer Eindimensionalität auf buchstäblich nackte Unterhaltung setzt.

Gewürm

Edward Lee, Festa

Gewürm

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