Giants - Sie sind erwacht (Giants 1)
- Heyne
- Erschienen: Januar 2016
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Zweifelhaftes Geschenk von den Sternen
Ende der 1980er Jahre wurde in US-Boden eine menschenähnliche Hand aus Metall gefunden. Sie misst sieben Meter, was auf einen Restkörper schließen lässt, der etwa 60 m Höhe erreichen dürfte. Obwohl sich die Untersuchung des unbekannten und schier unzerstörbaren Metalls schwierig gestaltet, kann ermittelt werden, dass die Hand mindestens 6000 Jahre alt und keinesfalls irdischen Ursprungs ist.
Viele Jahre später erforscht die Physikerin Dr. Rose Franklin intensiv die Geheimnisse des Artefaktes. Die US-Regierung hält dessen Existenz vor dem Rest der Welt geheim, was zum Problem wird, als sich herausstellt, dass es tatsächlich einen Gesamtkörper gibt, der jedoch in Einzelteilen über den Erdball verstreut wurde. Die Bergung kann dort, wo US-Militär und Geheimdienste ausländische Grenzen verletzen, nicht lange verborgen bleiben.
Als es soweit ist, haben Franklin und ihr Team bereits einen riesigen Roboter zusammengesetzt, der über unglaubliche Kampfkraft verfügt. Dass diese Maschine sich im Besitz der USA befindet, will kein Staat der Erde dulden. Man steuert auf einen dritten Weltkrieg zu, während Kara Resnick, eine ehemalige Armee-Pilotin, und der Linguist Vincent Couture allmählich lernen, den Roboter zu steuern.
Dabei kommt es zur Katastrophe, die den geheimen Stützpunkt zerstört. Um den Frieden zu wahren, wird der Roboter in der Tiefsee versenkt, um ihn jedem Zugriff zu entziehen. Doch die gewaltige Maschine hat Begehrlichkeiten geweckt. Insgeheim tobt ein erbitterter Kampf, während auch das Wissen um die Herkunft des Roboters wächst: Die außerirdischen Erbauer haben ihre Hinterlassenschaft keineswegs aus den Augen verloren. Sie warten ab, ob die Menschheit sich einigen oder vernichten wird, behalten sich aber auch vor, selbst ein- und die Erde anzugreifen.
Danaergeschenk für ohnehin zerstrittene Empfänger
Schon bevor fantasievolle (bzw. wirrgeistige) Zeitgenossen die Ansicht vertraten, unsere Erde sei in grauer Vorzeit von Außerirdischen angeflogen worden, die womöglich die Zivilisation in Gang brachten und als "Götter" in dumpfer Kollektiv-Erinnerung verblieben, nachdem sie sich zurück ins All empfohlen hatten, griffen Science-Fiction-Autoren auf fiktive Hinterlassenschaften fiktiver Alien-Besucher zurück.
Mit einem solchen Artefakt kommt eine Geschichte quasi selbst in Gang, denn dieser Plot bedient klassische, zeitlos beliebte Erzählmuster. Das ET-Relikt ersetzt beispielsweise die antike Wunderlampe, der nach Reibung ein Geist entspringt, welcher dem glücklichen Eigentümer Wünsche erfüllt, ohne dabei an Naturgesetze gebunden zu sein.
Die Zeiten haben sich geändert. Konnte man früher als Befehlshaber eines Flaschengeistes problemlos zu Reichtum und Macht kommen, sind heutzutage die Kräfte global ausgeglichener. Ein zentraler Handlungsstrang von Giants rankt sich um die Tatsache, dass niemand die entdeckte Maschine einsetzen kann: Sie mag zwar alle irdische Waffentechnik in den Schatten stellen, vermag aber nicht gleichzeitig überall zu sein, weshalb beispielsweise eine attackierte Atommacht problemlos den Besitzer des Roboters bzw. dessen Heimatland mit Raketen verheeren könnte.
Der lange Weg zur Erkenntnis
Was macht man deshalb mit einer solchen "doomsday machine"? Autor Sylvain Neuvel spielt den von Frustrationen und Fehlentscheidungen gesäumten Weg zur Erkenntnis durch und kommt zu dem Schluss, dass faktisch jede Macht dieser Erde Zugriff auf den Roboter haben muss, um sich nicht bedroht zu fühlen. Daraus entsteht ein Patt, das den Weg zu einem nächsten Schritt ermöglicht, den Neuvel in der Fortsetzung seiner Geschichte gehen wird.
Dabei wird er die Erbauer des Roboters ins Spiel bringen und damit die Erde in gewisser Weise verlassen, was schade ist, denn Neuvel hat ein Händchen für die Darstellung sehr irdischer Differenzen und Auseinandersetzungen. Obwohl nüchtern im Stil, schildert er mit Ironie bis Sarkasmus, wie sich Politiker im Namen "ihres" jeweiligen Volkes bemühen, die Super-Maschine für sich zu beanspruchen. Während man offiziell Vernunft und Kompromissbereitschaft simuliert, gehen hinter den Kulissen Geheimdienste und verdeckte Einsatzkommandos rabiat gegeneinander vor.
Intrigen, Lügen und Komplotte begleiten dramatisch das gleichzeitige Bemühen, die seltsame Maschine zu begreifen und zu beherrschen. Neuvel erzeugt auch hier viel Spannung, obwohl von Menschen gelenkte Gigant-Roboter - man denke an die schundigen "Powers Rangers" oder ihre zumindest tricktechnisch eindrucksvolleren Pendants aus "Pacific Rim" (2013) - nicht gerade eine Innovation darstellen. (Selbst Dagobert Duck und seine Neffen mussten sich bereits 1965 der "Giant Robot Robbers" erwehren.) Doch die Methode Versuch & Irrtum besitzt nach wie vor ein enormes Unterhaltungspotenzial, das Neuvel mehrfach und ohne Rücksicht auf scheinbare Hauptfiguren auf die Probe stellt.
Roman aus Fragmenten
Sicherlich lässt auch Neuvels Verzicht auf die erzählerische Einheit eines Romans sein inhaltlich routiniertes Garn frisch wirken. Giants bleibt fragmentarisch, das Geschehen setzt sich aus Gesprächs- und Verhörprotokollen, Tagebucheinträgen, fixierten Funkmitschnitten u. ä. Unterlagen zusammen. Sie geben ein großes Ganzes vor, das uns Lesern nur ausschnittweise vorgestellt wird.
Neuvel gelingt es dabei, Brüche und Lücken so zu setzen, dass sein Publikum den Anschluss trotzdem nicht verliert. Gleichzeitig markieren solche Einschnitte mehrfache Zeitsprünge, wobei Heuvel dabei Geschehenes in spätere Abschnitte einfließen lässt, wenn er es für handlungsrelevant hält. Was stilistisch dürr weil primär auf Dialoge beschränkt (oder schon wie ein Drehbuch: Zaunpfahl-Wink für Hollywood) wirkt, ermöglicht nichtsdestotrotz eine erstaunlich intensive Figurenzeichnung. Was andere Autoren seifenoperglatt auf viele Seiten ausgewalzt hätten, hält Neuvel erfreulich fest im Griff. Zwischenmenschliche Zwischenmenschliche Krisen bleiben integraler Teil der Handlung.
Das Geschick des Verfassers wird besonders in der Figur jenes namenlosen Drahtziehers deutlich, der Regierungen, Geheimdienste und Individuen gleichermaßen manipuliert und mit dem Blick aufs Gesamtbild bereit ist, dabei über Leichen zu gehen. Er ist seinen Kontrahenten stets mindestens einen Schritt voraus und überaus einfallsreich darin, sich aus schier hoffnungslosen Engpässen zu winden. Obwohl Gesetz und Moral dabei mit Füßen getreten werden, muss man den Einfallsreichtum, den Neuvel ihn immer ein Ass aus dem Ärmel schütteln lässt, einfach bewundern.
Das Fundament ist gelegt
Wenn Giants endet, steht die eigentliche Geschichte vor ihrem Beginn. Der Roboter ist einsatzbereit, die Menschheit hat einen Platz für ihn gefunden. Schon zuvor streut Neuvel immer wieder Hinweise auf seine Erbauer ein. Sie haben die Erde nicht nur nie aus den Augen verloren, sondern auch gut getarnte Beobachter zurückgelassen.
Die Maschine ist kein Geschenk an die Menschen, sondern ein Prüfstein. Angesichts des gelungenen Auftakts ist man gespannt auf die weitere Entwicklung. Neuvel selbst weiß bereits, wie es weitergehen wird; der Folgeband zu Giants steht vor der Veröffentlichung.
Den einzigen Schatten wirft die Entscheidung des deutschen Verlags, Giants mit allen Mitteln Bestseller-Status förmlich einzublasen: Ein nicht besonders umfangreiches Buch wird als Paperback veröffentlicht, das durch breite Ränder und Zeilenabstände oder auf noch weitgehend leeren Seiten verebbenden Kapitelenden auffällt, statt kostengünstiger (und papiersparend) als Taschenbuch zu erscheinen.
Sylvain Neuvel, Heyne
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