Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen
- Atlantis
- Erschienen: Januar 2015
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Baker Street 221b goes Fantasy
Wir kennen sie, die Welt in der Sherlock Holmes und sein Chronist Dr. Watson ermitteln. England, besser gesagt zumeist London Ende des 19. Jahrhunderts bietet gemeinhin die Kulisse, vor und in der die beiden ihre faszinierende Fälle lösen.
Was aber wäre, wenn unser Ermitler-Duo in einer uns zwar auf den ersten Blick vertraut wirkenden, letztlich aber doch ganz anderen Welt leben und deduktieren würden?
Vorhang auf für ein Empire, das die Tore zur Anderwelt, zunächst noch vorsichtig, dann aber angesichts der notwendigen Immigranten weit aufgestoßen hat. Oberon hat es seinen Untertanen freigestellt ins Reich Queen Victorias zu emigrieren und Zwerge, Trolle und Feen haben die Chance genutzt. Während erstere sich bei anstehenden U-Bahnbau bewähren, die Trolle als Leibwächter Anstellung finden, fungieren Feen als geflügelte Boten.
Seit ein paar Wochen hält ein Serienkiller London in Atem. Der Ripper stellt den geflügelten Botinnen nach, heizt damit den eskalierenden Ressentiments gegen die eingewanderten Minderheiten weiter an.
Unser geniale Ermittler allerdings widmet sich lieber seine Privatfehde gegen den Premierminister Moriarty (!) als die Morde an den Feen aufzuklären. Erst als einem amtlich bestellten Kurator das legendäre Excalibur gestohlen wird, wird sein Interesse geweckt, gilt es letztlich in der Folge doch, einen Anschlag auf das Leben der Queen, die Erweckung längst zu Staub zerfallenen Barbaren, die London belagern und damit, den Untergang des Empires zu verhindern – doch das überfordert auch Holmes fast ein wenig ...
Eigenwillige Hinzudichtung zum Holmes Kosmos
Christian Endres ist dem Freund der phantastischen Literatur wahrlich kein Unbekannter. Seine Artikel bereichern die gängigen Periodika, sowohl was den Prosa-Bereich wie auch die Comics anbelangt, dazu gesellen sich Bücher und Geschichten, die seinen Namen tragen.
Vorliegend wendet er sich, nach seiner Collection um Holmes erneut den Duo aus der Baker Street zu. Um sich von der Masse derer abzuheben, die dem Holmes Kanon ihre ganz eigenen Ergüsse beifügen verwöhnt er uns mit einer im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Welt.
Neben der unorthodoxen Anlage seiner Welt, in der die Erzählungen Watsons ähnlich wie die seines Freundes Dickens oder Wildes in einer unmagischen Phantasiewelt angesiedelt sind, verwöhnen insbesondere die bizarren Einfälle des Autors den Leser. Magische Wesen, Rassismus, ein Premierminister, den wir angeleitet durch Holmes als Schurken misstrauen, Drachen und Luftschiffe, magische Waffen und ein Dodo – Endres fährt auf, was interessant, ungewöhnlich und spannend ist.
Auch wenn er es, insbesondere im ersten Viertel des Romans, mit den Anmerkungen zu fiktiven wie veröffentlichten Fällen des Meisterdetekives fast ein wenig übertreibt, finden sich sowohl der Holmes-Fan als auch unbedarfte Phantastik-Leser in dieser Welt gut zurecht. Allerdings fiel mir auf, dass Holmes vorliegend selten seine Deduktionsfähigkeit aufblitzen lässt. Statt zu überraschenden, letztlich aber logischen Schlussfolgerungen zu kommen, eilt unsere Spürnase regelrecht von den Geschehnissen getrieben von einem Tatort zum Nächsten, ohne dass er seine Erkenntnisse wirklich nachvollziehbar präsentieren könnte.
So bleibt Endres dann auch die Auflösung der Ripper-Morde schuldig, verlaufen manch andere Ansätze im Sande. Das trübt die Lesefreude keinesfalls, ist aber eben weil es eine deutliche Unterscheidung zum Vorbild darstellt, zu erwähnen.
Überraschend auch, dass Holmes in vielen Kapiteln fast schon im Hintergrund agiert, dass der eigentliche Erzähler und Held der Geschichte unser frisch verliebte Dr. Watson ist. Das Tempo ist hoch, die Handlung rast dem erwarteten Höhepunkt mit der etwas unpassenden Rettung entgegen.
So ist dies eher eine phantastische Abenteuergeschichte, weniger eine Detektivstory die insbesondere ab der Mitte des Romans immer packender, schneller und spannender wird.
Christian Endres, Atlantis
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