Selbst Bunkerstahl trotz diesem Grauen nicht
Pete, Dan, Tessa, Jimmie, Sue und Jay sind sechs Durchschnitts-Teenager und Freunde aus einem kleinen Nest an der neuenglischen US-Küste. Sie erleben oder erleiden die letzten Monate ihrer High-School-Zeit, stehen vor dem Beginn eines ereignisarmen Lebens als Arbeiter, kleine Angestellte oder Hausfrauen und schlagen bis dahin die Zeit tot.
Ungewöhnlich ist in ihrem Leben höchstens Sues Großvater, ein ebenso reicher wie exzentrischer Mann. Aktuell erstaunt er seine Mitbürger durch den Bau eines Bunkers. Obwohl selbst konservative US-Bürger die Russen nicht mehr fürchten, ließ der alte Mann auf der kleinen, der Küste vorgelagerten Insel Sparrow Rock einen 75 qm großen, mit Hightech ausgestatteten und für viele Monate verproviantierten Schlupfwinkel einrichten.
Den wollen sich die Freunde an einem besonders langweiligen Abend anschauen. Sie haben den Bunker kaum betreten, als über der Küste und wohl auch über dem Rest Nordamerikas Atombomben detonieren. Es gibt keinerlei Verbindung zur Außenwelt, die mit hoher Wahrscheinlich zerstört und radioaktiv verseucht ist. Die Freunde sind deshalb im Bunker zwar in Sicherheit aber auch gefangen.
Die Erkenntnis, dass sämtliche Familien und Freunde tot sind, wird durch die Isolation auf engem Raum verschärft. Vor allem Jimmie und Jay zeigen deutliche Anzeichen einer Nervenkrise. Die relative Sicherheit des Bunkers erweist sich als Illusion, als hinter einer geheimen und allzu risikofreudig geöffneten Schleusentür definitiv tote Ratten auf die Gruppe losgehen; auch Sues Opa zeigt macht sich als Zombie bemerkbar.
Zwar gelingt es, die untoten Nager abzuwehren, doch der virale Erreger, der offensichtlich mit den Bomben abgeworfen wurde, ist bereits ins Bunkerinnere eingedrungen. Dort befällt er nach und nach die Bewohner, die von einer fremden Kollektivintelligenz übernommen werden und sich dabei körperlich grausig verändern. Ohne Möglichkeit zur Flucht bricht im Bunker erst Panik und dann ein Kampf auf Leben und (Un-) Tod aus ...
Entrinnen als doppelte Strafe
"... man könnte jene kaum glücklich nennen, die Tod oder direkter Verwundung entgehen, dafür aber verstrahlt werden - bedroht durch Leukämie und anderen Arten von Krebs, mit zerrissenem genetischem Code, was das Risiko heraufbeschwört, deformierte Kinder zu bekommen. Wäre das Leben noch lebenswert?"
(Nikolai Nikolajewitsch Blochin [1912–1993], russischer Mediziner und Präsident der "Akademie der Medizinischen Wissenschaften" der UdSSR, im sowjetischen Parteiorgan "Prawda", Oktober 1982, zitiert nach "DER SPIEGEL" 35/1982)
Die Drohung einer atomaren Apokalypse und ihre womöglich noch schlimmeren Folgen begleiteten die Menschheit schon mehr als ein halbes Jahrhundert. So lange sich "der freie Westen" und "der Ostblock" im Kalten Krieg gegenüberstanden, drohte dieser Konflikt mehrfach in eine glühend heiße, allerletzte Schlacht auszuarten. Mit dem Ende der UdSSR und der Erkenntnis, dass man im neuen Russland andere Sorgen hat, als das ohnehin ruinöse Wettrüsten fortzusetzen, kam es zu einer Atempause. Doch die Atombombe ist weiter in der Welt und wird von Staaten begehrt, in deren Besitz sie man sie definitiv nicht sehen möchte.
Schon in der Blütezeit der atomaren Hochrüstung wurde in Gedanken durchgespielt, wie eine von Zerstörung und radioaktiver Verseuchung geprägte "Zukunft" aussähe. Auch und gerade die Populärkultur schlug ihre Wurzeln in dieser Thematik, da sich "Post-Doomsday"-Szenarien durch ebenso gruselige wie unterhaltsame Bilder illustrieren und gut verkaufen ließen. Inzwischen haben ‚moderne' Weltuntergänge meist biologisch/chemischer Natur die atomare Bedrohung ein wenig ins Abseits gestellt. Meist sind es Viren, die ihre Opfer global verröcheln lassen oder gar in Zombies verwandeln, ansonsten drohen Erderwärmung, Asteroideneinschlag und das Ozonloch. Nichtsdestotrotz ist die Atombombendetonation weiterhin als spektakulärer Startschuss einer durch Mutation, Degeneration und Rückfall in die Steinzeit charakterisierten Handlung beliebt.
Die letzte Festung wird zur Gruft
Der Atomschlag ist für Nate Kenyon freilich nur Mittel zum Zweck. Zwar spekuliert man im Bunker über Anlass und Verursacher, doch ist die Klärung dieser Fragen unwichtig. (Dass er sie später auf dümmstmögliche Weise klärt, ist der dickste Bock, den der Autor schießt.) Kenyon geht es darum, seine Figuren in eine Isolation zu treiben, die ihnen keinen Ausweg bietet. Es gibt außerhalb des Bunkers keinen Ort mehr, zu dem man flüchten könnte. Dies verstärkt die Erkenntnis, dass ein ebenso tödlicher Feind sich Einlass in den allerletzten Unterschlupf verschafft hat, zum elementaren Schock: An Ort und Stelle muss man sich mit dieser Bedrohung auseinandersetzen - eine Bedrohung, die drastische Entscheidungen fordert und die Vernichtung draußen ins Innere des Bunkers transportiert.
Wenn man zu viele Ratten in einen zu kleinen Käfig sperrt, fallen die gestressten Tiere irgendwann übereinander her. Diese Erkenntnis ist Gold wert für Schriftsteller (und Filmemacher), denn sie lässt sich mit eindrucksvollen Horroreffekten glaubhaft auf einander ausgelieferte Menschengruppen übertragen. In Sparrow Rock kommt nach und nach ans Tageslicht, dass die scheinbar sorgenarmen Teenies psychisch vorgeschädigt sind und deshalb umso spektakulärer ausrasten. Entsprechende Szenen wirken intensiver als die typischen, bereits in unzähligen Horrorfilmen präsentierten Attacken körperfressender Insekten oder bissiger Zombies.
Die Routinen nehmen zu, als die Gruppe im letzten Viertel der Handlung die Isolation aufbrechen und den Bunker verlässt. Horror-Traditionalisten dürften dies begrüßen. Tatsächlich geht es nunmehr härter zur Sache, da die Feinde sich nicht mehr durch meterdicken Stahlbeton wühlen müssen, sondern sich aus der Dunkelheit des Hintergrundes auf ihre Opfer stürzen können. Erhalten bleibt jenes Spannungsmoment, das aus der Frage erwächst, ob und wer bereits infiziert ist.
Stand by me: Realität vs. Illusion
Dass Sparrow Rock mehr als die bekannten Schockmomente bietet, verdankt der Roman dem Gespür des Verfassers für seine Figuren. Hier ist Kenyon Stephen King eindeutig näher als Richard Laymon, wofür ihm diejenigen Leser, die Figuren nicht nur als Killermaschinen bzw. potenzielles Monsterfutter betrachten, dankbar sind. Am Schicksal dieser kleinen Gruppe nimmt man Anteil, denn wir lernen die Mitglieder kennen.
Erneut kann Kenyon punkten, indem er - anders als beispielsweise Grusel-Kollege Brian Keene - die biografischen Details nicht nur auf das Nötigste beschränkt, sondern sie auch dosiert und direkt ins Geschehen einfließen lässt. Niemand muss sich durch dröge Vorgeschichten quälen, die letztlich unerheblich bleiben. Was Kenyon über seine Figuren zur Sprache bringt, trägt zur Story bei.
Natürlich bleiben Klischees nicht aus. Dass beispielsweise der Football-Star und selbsternannte Anführer Dan tatsächlich ein schwacher, von ehrgeizigen Eltern angetriebener Charakter ist, zählt längst selbst als Klischee. Andererseits ist das Spektrum menschlichen Verhaltens beschränkt, was innerhalb enger Bunkerwände erst recht der Fall sein dürfte. Jedenfalls überzeugt das Szenario einer kleinen Gruppe oberflächlich gut situierter Jugendlicher, die düstere private Geheimnisse hüten und deren ‚Freundschaft' sich als oberflächlich erweist. Die Krise führt keineswegs automatisch dazu, dass Schwächen und Vorurteile irgendwann überwunden werden. In diesem Punkt ist Kenyon pessimistischer als Stephen King, der seine Protagonisten in der Regel irgendwann definitiv in "stark" und "schwach" unterteilt, dabei gern den modernen Sozialdarwinismus konterkariert und "die wahren Werte" triumphieren lässt. Bei Kenyon blitzt final höchstens ein schwacher Hoffnungsschimmer auf.
Das etwas andere Böse
Zwar bedient sich der Verfasser eines klassischen Plots, doch hegt er offensichtlich die Hoffnung, zumindest im Detail einem bekannten Schrecken neues, erst recht unheimliches Leben einzuhauchen. Der atomare Feuersturm reicht Kenyon nicht, der seinen Protagonisten wahrlich teuflisch einheizen wollte. Also lassen die Urheber der Katastrophe den Bomben eine biologische Waffe folgen: eine zerstörerische Intelligenz, die sich in mikroskopisch kleine Fragmente aufteilen und dennoch zielgerichtet operieren kann, wenn sie nach Überlebenden sucht. Sie schlüpft in die Körper ihrer Opfer, die borgähnlich ‚assimiliert' werden - wiederum eine Bedrohung, die besondere Angst erzeugt, weil man sie nicht kommen sieht (was Kenyon mehrfach dramatisch in Szene setzt).
Das Konzept einer "Schwarmintelligenz" klingt nach Science Fiction (und erinnert an "The Body Snatchers"/Die Körperfresser kommen, jenen 1955 veröffentlichten, mehrfach verfilmten SF-Horror-Klassiker von Jack Finney), wird aber von Kenyon horrorkompatibel gestaltet, indem er die winzigen Böslinge nicht nur in lebendige, sondern auch in tote Körper schlüpfen lässt. Diese mutieren zu Zombies, die zuverlässig für Grusel sorgen. (Allerdings unterläuft Kenyon eine Logiklücke: Wieso lassen sich die "ferngesteuerten" Zombies, deren Körper ohnehin tot sind, durch Kugeln oder gar simple Knüppelschläge, die weder die "Gastintelligenz" noch das Gehirn des Wirts zerstören, außer Gefecht setzen?)
Es ist doppelt schade, dass - es wurde schon erwähnt, soll aber weiterhin nicht ausgeführt werden, um potenzielle Leser nicht ihres Spaßes (oder Wutanfalls) zu berauben - die Verantwortung für dieses Grauen den dämlichsten aller möglichen Schurken in die Schaftstiefel geschoben wird. Da Kenyon jedoch abgesehen davon fast alles richtig macht, sowie darüber hinaus auf die spätpubertären Schleim-&-Schnetzel-(Sex-)Einlagen angeblicher Tabubrecher verzichtet, verzeiht man den Missgriff und würde gern weitere Horrorromane dieses Verfassers lesen!
Nate Kenyon, Festa
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