Tagebuch der Apokalypse 2

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
  • 0
Tagebuch der Apokalypse 2
Tagebuch der Apokalypse 2
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2015

Drastische Folgen eines importierten Untods

Vor sechseinhalb Monaten wurden die USA biologisch attackiert: Brave wie böse Bürger standen nach ihrem Tod als Zombies wieder auf. Biss für Biss breitete sich die Seuche aus. Gegen die nur schwer außer Gefecht zu setzenden, nimmermüden und an Zahl rasant zunehmenden Zombies gab es keine Gegenwehr. Die US-Regierung geht untot in ihrem atombombensicheren Bunker um, das Militär ist in Auflösung, Anarchie greift um sich.

Überall versuchen Überlebende verzweifelt, den Zombies zu entgehen. Zu ihnen gehört der Ich-Erzähler, ein (namenloser) Offizier, der sich mit einigen Kampfgenossen zu einer aufgegebenen Raketenabschussbasis durchschlagen konnte. Hinter den dicken Mauern von "Hotel 23" sind sie vor den Horden der Untoten einigermaßen sicher. Allerdings treiben kriminelle Banden ihr Unwesen. "Hotel 23" sticht ihnen ins Auge, doch ein Angriff kann unter großen Opfern abgewehrt werden.

Die Sieger igeln sich einerseits ein, während sie andererseits gefährliche Expeditionen ins Umland unternehmen müssen, um Benzin, Lebensmittel, Medikamente oder Werkzeuge zu beschaffen. Dabei trifft die Gruppe nicht nur auf die allgegenwärtigen Zombies, sondern auch auf weitere Überlebende, die nach Möglichkeit gerettet werden.

Eines Tages steuert eine kleine aber gut ausgerüstete Einheit Marinesoldaten "Hotel 23" an. Sie unterstellen sich dem Befehl des Erzählers, der auf diese Weise Kenntnis von einer rudimentären Restregierung erhält, die sich an Bord eines Flugzeugträgers verschanzen konnte. Doch irgendwo lauert ein quicklebendiger und gut bewaffneter Feind, der diesen letzten Pfeiler der alten USA gewaltsam zum Einsturz bringen will. Immer wieder kommt es zu hinterlistigen Attacken, die zu allem Überfluss ein Heer von Zombies vor die wankenden Tore von "Hotel 23" lockt ...

Helm ab & noch schneller wieder auf

Die Krise ist das Lebenselixier des Militärs. Um sie zu meistern, wurde es gegründet, ihr ist die Ausbildung der Soldaten gewidmet. In der Regel geht es darum, einen Landesfeind mit Waffengewalt in die Schranken zu weisen, "Krise" lässt sich aber definitorisch weiter fassen: Umweltkatastrophen, monumentale Unfälle oder ähnliche, nicht der Invasion geschuldete Einschnitte in den Lebensalltag lassen das Militär ebenfalls zur Tat schreiten.

Die Wiederkehr der Toten fällt wohl in sämtliche Kategorien einer Krise. Zombies sind nicht willens, als Eroberer tätig zu werden, da ihnen jegliche Planung unmöglich ist: Zwar bleibt das Hirn weiterhin wichtigstes Organ des Untoten, aber denken lässt sich damit nicht mehr. Zombies werden unfreiwillig und aufgrund ihrer Überzahl zum "Feind". Erschwerend hinzu kommt jene Ernährungsgewohnheit, die eine Diät aus frischem Menschenfleisch ganz oben auf die Liste stellt.

J. L. Bourne ist Berufssoldat und deshalb mit der Parallelwelt des Militärs vertraut. Wenn er in seiner "Apokalypse"-Serie den untotenbedingten Untergang der Zivilisation aus uniformierter Sicht durchspielt, wirkt dies für den Zivilisten authentisch und ist erträglich: Bourne ist ein überzeugter Soldat aber kein kalter Krieger, weshalb er Raum für Zweifel und Kritik lässt. Schon dass die Zombies die USA samt Militär in die Knie zwingen, ist ein Zugeständnis, das andere Autoren mit ähnlichem Hintergrund nicht machen wollen.

Nichtsdestotrotz heißt es auch für Bourne: Einmal Soldat, immer Soldat, was aus seiner Sicht bedeutet, dass der Drang, dem eigenen Land und dessen Bürgern zu Diensten sein zu wollen, dem nicht nur ausgebildeten = indoktrinierten, sondern tatsächlich von seiner Sache überzeugten Landser nie wirklich auszutreiben ist. Der namenlose Ich-Erzähler sträubt sich zwar gegen die Reaktivierung, doch wirkt diese Reaktion aufgesetzt und richtet sich höchstens gegen den verhassten Papierkram, der die Apokalypse überlebt hat.

Ordnung schaffen mit vielen Waffen

Der Wiederaufbau eines vor die Hunde bzw. die Untoten gegangenen Landes fällt hier in die Zuständigkeit des Militärs. Es übernimmt die Entscheidungsgewalt, solange die Demokratie notfallbedingt pausiert. Für Bourne ist es keine Frage, dass die Militärverwaltung umgehend den Platz für die "normalen" Staatsorgane räumen wird, sobald diese wieder existieren: "Sein" Militär ist Stütze des Staates, den es nie ersetzen will - eine lobenswerte Einstellung, die indes den Skeptiker zweifeln lässt.

Bourne scheint nicht zu merken, dass er diese Bereitschaft selbst in Frage stellt. In dem von ihm geschilderten Alltag herrscht das Recht des Stärkeren. Selbst die moralisch gestärkten Bewohner von "Hotel 23" greifen wohl oder übel ständig zu den Waffen. Nicht die Abwehr der Zombies sorgt für ein ethisches Dilemma, sondern der Kampf mit denen, die sich nehmen wollen, was ihnen Gesetz und Recht nicht mehr verwehren können.

In der Regel handelt es sich dabei um Zivilisten. Sie entwickeln die Führungsqualitäten des typischen Warlords, der nach dem Prinzip "Teile & herrsche" handelt und mit brutaler Gewalt und entsprechend gepolten Kumpanen weniger gesetzentrückte Mitbürger drangsaliert. Der typische Bandenstrolch ist darüber hinaus faul und nicht bereit, selbst Hand anzulegen, um zu organisieren und aufzubauen. Er raubt und tötet und steht damit moralisch sogar unter dem Zombie, der einfach nicht aus seiner Haut kann.

Wer munkelt im Dunkeln?

Der Zombie-Horror ist ein Genre ohne besonderen Entwicklungsspielraum. Man kämpft gegen untote und lebende Gegner, gerät in die Minderheit oder in tückische Fallen, sucht nach Überlebenden und streitet miteinander. Das bietet wenig Raum für Handlungsalternativen.

Bourne versucht es. Dieser zweite Band der "Apokalypse"-Serie deutet eine Hintergrund-Story an, die der Zombie-Epidemie einen fasslichen Auslöser gibt: Ein außerirdischer Pilot wurde vor langer Zeit zunächst selbst zum Zombie und stürzte dann auf der Erde ab. In China fand man das Schiff und den Insassen und patzte bei der (natürlich streng geheimen) Erforschung, weshalb sich der Untod über den gesamten Globus ausbreitete.

Dieser ET ist "Patient Nr. 1" und wird im dritten Teil der Serie eine zentrale Rolle spielen. Bourne verlässt sich aber nicht allein auf das Rätsel dieses Fremdlings. Auf der Erde selbst geht Seltsames vor: Die militärisch gestützten Reste der ‚alten' USA sehen sich den Attacken unbekannter aber gut organisierter und ausgerüsteter Gegner ausgesetzt.

Dahinter stecken Menschen, denn ungeachtet der untoten Bedrohung geht es im Zombie-Horror immer zuerst um den (lebendigen) Menschen. Der Untod ist vor allem Katalysator für Ausnahmeverhalten. Die bestehende Ordnung wird auf den Prüfstand gestellt, gewogen und in der Regel für zu leicht befunden. Die üblichen Konflikte, die in einer zombiefreien Welt opferfrei ausgefochten werden, geraten außer Kontrolle, was der Leser in der Sicherheit seines krisenfernen Sessels als Unterhaltung genießt.

Die Drohung des Klischees

In jedem Zombie-Roman bleiben die Zombies deshalb auffällig handlungsfern. Als allgegenwärtige Bedrohung werden sie eingeführt. Der Held muss erst lernen, was ein Zombie ist und wie man ihn ausschalten oder ihm wenigstens ausweichen kann. Entsprechende Konfrontationen können nicht unendlich hintereinandergeschaltet werden. Nichts ist langweiliger als eine stetig wiederkehrende Gefahr, der man selbst nicht ausgeliefert ist. Es ist spannender, wenn Pechvögel in immer neue Bredouillen geraten. In dieser Hinsicht kann der Zombie wenig Abwechslung bieten und sollte deshalb dosiert wüten.

Andererseits darf er nicht in Quasi-Vergessenheit geraten. Bourne berücksichtigt dies, indem er seinen namenlosen Helden während einer Routine-Mission recht grundlos inmitten zombieverseuchten Geländes stranden lässt. Dies bietet eine willkommene Alternative zum ständigen Menschenzank und bietet Bourne die Gelegenheit, eine weitere Neuerung zu versuchen.

Wie dumm darf oder muss der Zombie sein? Wieso verliert er seinen Verstand? Was wäre, wenn der Untote intelligent bliebe? Damit bekäme die Auseinandersetzung eine völlig neue Dimension. Bourne bleibt vorsichtig: Nur einige Zombies werden schlauer. Die Radioaktivität der Atombomben, die das Militär auf die eigenen Großstädte abgefeuert hat, lässt sie mutieren. Selbst der sprichwörtliche Kopfschuss lässt sie nicht sicher "sterben". Noch hält sich ihr Einfluss in Grenzen, doch die "schlauen" Zombies sind im Kommen und werden in den nächsten Romanen der Serie buchstäblich ein Wörtchen mitreden.

J. L. Bourne erfindet den Zombie-Horror niemals neu. Die Handlung bietet jederzeit viel Leerlauf, der mit sinnfreier Action gefüllt wird. Doch Bourne ist redlich. Er bemüht sich um Variation dort, wo er den Stoff beherrscht, und meidet Glatteis. So erlebt der namenlose Held eine intensive Beziehung, von der jedoch nur nebenbei die Rede ist. Bourne will und kann keine Liebesgeschichte erzählen. Statt es zu versuchen und peinlich dabei zu scheitern, klammert er sie aus: eine gute Entscheidung. Da Bourne Horror und Action besser beherrscht, ist man bereit, seinem Helden weiter auf der Odyssee durch die verheerte Welt zu folgen!

Tagebuch der Apokalypse 2

J. L. Bourne, Heyne

Tagebuch der Apokalypse 2

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