Ein Land für Helden: Flucht in die Wälder
- Heyne
- Erschienen: Januar 2000
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Ein Kampf mit Rom im 21. Jahrhundert
In diesem 21. Jahrhundert ist das Römische Reich niemals zusammengebrochen, sondern herrscht inzwischen über den gesamten Erdball. Ob im fernen Asien, in Afrika oder auf dem amerikanischen Doppel-Kontinent: Überall ist der Wille Roms Gesetz - auch in Eburacum, der Hauptstadt der römischen Provinz Britannien.
Im Kampfdom, der modernen Version der antiken Arenen, muss die junge Aristokratie antreten und sich messen. Nur die Stärksten dürfen hoffen, Macht und Einfluss im Reich zu erlangen. Zum ersten Mal kreuzen sich die Lebenswege dieser jungen Menschen:
- Victor Ulysses ist Sohn und Erbe einer der mächtigsten römischen Familien Britanniens, ein unerschrockener Kämpfer, den eine glänzende Zukunft erwartet; hinter der Fassade verbirgt sich ein unglücklicher Mann, der sich durch die starren Regeln des römischen Systems eingeengt fühlt.
- Angus Macnamara ist ein begabter Mechaniker-Lehrling und im Kampfdom für die Wartung der Kampfmaschinen zuständig.
- Miranda Duff ist die Tochter von Wallace, Angus' Lehrmeister, und Auszubildende an der Polytechnischen Frauenschule von Eburacum.
Als Miranda bei einem Bankett in der Militär-Akademie aufwarten muss, wird sie vom betrunkenen Victor vergewaltigt. Angus, Mirandas Geliebter, schwört Rache. Als er seinen Gegner stellt, schlägt dieser sich plötzlich auf Angus' Seite: Victor nutzt die Gelegenheit, aus dem verhassten System auszubrechen. Gemeinsam mit Angus und Miranda flieht er in die Wälder um Eburacum. Dort leben die Nachfahren jener keltischen Ur-Bevölkerung, die sich nie mit den Römern arrangierten. Lyf, der undurchsichtige Waldläufer, führt die Flüchtigen in ein Dorf der Waldbewohner. Dort leben sie sich allmählich ein, und Victor Ulysses ist sich nicht zu stolz, als Schweinehirt zu arbeiten.
Allerdings ist die römische Obrigkeit nicht gewillt, die Waldbewohner in Frieden zu lassen. Eine Polizei-Truppe stürmt das Dorf. Victor, Angus und Miranda können entkommen. Sie machen sich auf nach Stand Alone Stan, einem verborgenen Ort, den der abtrünnige römische Gelehrte Roscius als Hort des antirömischen Widerstandes ins Leben rief ...
Die Frage nach der Alternative
Was wäre, wenn ... Jesus Christus nicht gekreuzigt worden ... Adolf Hitler noch als Baby getötet worden ... das römische Imperium nicht untergegangen wäre. Schon vor der Erfindung der Science Fiction waren solche Gedankenspiele sehr beliebt. Naturgemäß vertrieben sich hauptsächlich Historiker die Zeit damit. Seitdem werden solche Fingerübungen gern von jenen zitiert, die ihr Herzblut daran setzen, die SF zur "seriösen" Literatur aufzuwerten. Entsprechende Planspiele werden herausgegeben. Sie belegen in der Regel eindringlich, dass derartige Spekulationen in der Regel vor allem eines sind: fürchterlich langweilig.
Phillip Mann ist glücklicherweise ein Science Fiction-Autor, der das wichtigste Ziel einer Geschichte - zu unterhalten, nicht zu belehren - kennt und es nicht aus den Augen verliert. Wie es heutzutage üblich ist, denkt er außerdem praktisch; wenn er sich schon die Mühe macht, eine ganze Welt zu erfinden, sollte sie schon mehr als nur einem Roman als Kulisse dienen. Ob es ihm gelingen wird, die Faszination, die sein römisches Britannien zu wecken weiß, über die gesamte Distanz von vier Romanbänden aufrecht zu erhalten, muss sich zeigen. "Flucht in die Wälder" profitiert jedenfalls stark vom Reiz des Neuen. Darüber hinaus ist Mann ein Geschichtenerzähler, der sein Handwerk beherrscht.
Es ist dabei weniger die Handlung, die den Leser in ihren Bann zieht. Sie kann nur in der ersten Romanhälfte wirklich fesseln und mündet dann in ein gedehntes Katz-und-Maus-Spiel, das sich wohl auch im zweiten Band fortsetzen wird. Nein, es ist Manns Talent, eine stimmige Welt zu schaffen, die auf den Idealen und Regeln eines Staatsgebildes fußt, das vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren entstand und längst vergangen ist.
Auch alternative Geschichte ist Veränderung
Die Herausforderung bestand in der Entscheidung, welche Entwicklung ein Weltreich wie das Römische im Laufe von Jahrhunderten durchlaufen haben könnte. Mann hätte es sich einfach machen können. Das ‚Wissen' um das antike Rom speist sich heute bei neun von zehn Zeitgenossen aus Erinnerungen an Hollywood-Filme und TV-Serien wie "Ben Hur" und "Gladiator", "Rom" und "Spartacus". Gepanzerte Legionen rücken in geometrischen Mustern vor; degenerierte Imperatoren feiern rauschende Orgien; Gladiatoren kämpfen in der Arena um ihr Leben: Solche und andere Szenen, die längst zum Klischee verkommen sind, stehen heute für Rom. Doch wer kann ernsthaft glauben, dass das Römische Imperium Anno 2000 noch immer so beschaffen wäre?
Mann jedenfalls nicht. Er greift durchaus auf die alten Bilder zurück, doch sie dienen in erster Linie dazu, die Leser mit einem ansonsten recht modern gewordenen Römischen Reich vertraut zu machen. Ansonsten greift er klug einige grundsätzliche Elemente - die Kastengliederung der Gesellschaft, das mustergültige Straßennetz, die hochentwickelte städtische Kultur - auf und spielt sie durch. Geschickt verzichtet Manns ansonsten darauf, seine römisch beherrschte Welt bis ins Detail vorzustellen. Er siedelt seine Geschichte auch nicht in Rom selbst an. Stattdessen beschränkt er sich auf einen Ausschnitt: den Nordosten der britischen Inseln. Hinweise darauf, was außerhalb Britanniens geschieht, lässt Mann nur dort einfließen, wo es Auswirkung auf seine Geschichte hat.
Man hüte sich vor dem Urteil, Mann habe sein breit angelegtes Abenteuer möglichst einfach halten wollen. Tatsächlich hat sich der Autor große Mühe gegeben. Nach und nach enthüllt sich dem Leser, wie ausgeklügelt diese imaginäre Welt ist, die gleichzeitig moderne und archaische Züge trägt. Die römische Herrschaft ist eine "freundliche Diktatur", die jenen ein ruhiges und sicheres Leben gewährleistet, die sich an die Regeln halten. Eine industrielle und technische Revolution hat niemals stattgefunden, weil die Naturwissenschaften niemals "erfunden" wurden.
Die Übermacht der Kulissen
Andererseits gibt es keine Überbevölkerung sowie eine intakte Umwelt, weil die römische Religion zahllose Naturgeister kennt, deren Heimstätten man nicht zerstören darf. Auf den römischen Straßen, die nunmehr die ganze Welt erschließen, rollen ferngesteuert elektrisch betriebene Fahrzeuge. Den Himmel durchqueren riesige Luftschiffe, Pflanzen stellen Strom her: Die Palette erstaunlicher Einfälle ist breit.
Allerdings fallen sowohl die Faszinations- als auch die Spannungskurve ab, sobald unsere drei Helden ihre römische Heimat verlassen und in das Reich der Waldbewohner vordringen. Zu diesen fällt Mann nur ein, sie als Vertreter einer alternativen Landkommune zu präsentieren, die fern der bösen Zivilisation ständig das Ohr am Boden halten, um dem Pulsschlag von Allmutter Natur zu lauschen. Die Waldbewohner streiten gern, trinken viel und feiern tüchtig, und die Römer halten sich fern, solange sie nicht gereizt werden: Unfreiwillig und von Philipp Mann gewiss nicht beabsichtigt taucht im Kopf des Lesers das Bild eines sehr bekannten gallischen Dorfes auf, in dem die Bewohner nichts fürchten, außer der Himmel könne ihnen auf den Kopf fallen ... Das führt nicht nur zu Irritationen, sondern steht auch im Kontrast zum Einfallsreichtum, mit dem Mann die römische Welt in Szene setzt. Wie so oft sind die "Bösen" interessanter als die "Guten".
Durchweg präsent ist Philipp Mann als Erzähler. Er schildert nüchtern aber farbig, setzt gern und gekonnt den berühmten britischen Humor ein (was in die deutsche Übersetzung gerettet werden konnte) und ist souverän genug, sich als allwissender Mittler zwischen "unserer" Welt und der römischen Parallelwelt zu outen, was es ihm (und dem Leser) außerordentlich erleichtert, Imaginäres zu veranschaulichen, indem Mann es offen mit Realem vergleicht. Somit ist der Start in die "Ein-Land-für- Helden"-Serie gelungen und macht neugierig auf die weiteren Abenteuer von Victor, Angus und Miranda.
Phillip Mann, Heyne
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