Phantasmen

  • Carlsen
  • Erschienen: Januar 2014
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Carsten Kuhr
93°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2014

Ein echter Kai Meyer!

Es war ein ganz normaler Tag, der 17. Mai, der Tag, an dem alles anders wurde. Der Tag, an dem die ersten Geister auftauchten, die mit ihrem Totenlicht 24 Stunden am Tag ihre Umgebung illuminierten, und die ihr Gesicht immer der Sonne zuwandten.

Im Verlauf der Jahre wurden es immer mehr, inzwischen sind Ballungszentren Tag- und Nacht vom Totenlicht erleuchtet.

Wir begegnen unserer Ich-Erzählerin Rain und ihrer verhaltensauffälligen Schwester auf dem Weg ins Spanische Nirgendwo. Hier zerschellte vor drei Jahren ein Airbus bei der versuchten Notlandung, alle 94 Passagiere inklusive der Eltern unserer Erzählerin starben an Bord. In einem Tag sollten ihre Geister wieder auftauchen, so dass sich die Geschwister Emma und Rain mit ihrem altersschwachen Mini gen Süden aufmachten. An der Unglücksstelle begegnet ihnen ein weiterer Hinterbliebener. Tyler verlor damals die Liebe seines Lebens – und erhielt Hinweise darauf, dass der Absturz kein Absturz war, dass nicht alle der Passagiere ums Leben kamen.

Die Spur führt über ein skrupelloses Söldnerheer in die USA. Mitten in New York liegt die Zentrale einer Freikirche, die das Licht anbetet – das Licht am Ende des Tunnels, von dem Menschen, die Nahtoterfahrungen ausgesetzt waren, berichten. Der Sektenführer versucht mit all seiner finanzieller und politischer Macht dem Mysterium um dieses Licht des Jenseits auf die Spur zu kommen. Seit Jahrzehnten finanziert er illegale Forschungen die sich mittels gekidnappter Probanden bemüht, die Frage nach dem, was uns nach unserer schwersten Stunde erwartet zu beantworten. Haben die Forschungen etwas mit dem Auftauchen der Geister zu tun, die in immer größerer Anzahl die Erde bevölkern und Angst und Tot verbreiten? Die Antwort findet sich tief unter der Hauptkirche im Big Apple ...

Kai Meyer nimmt in der Deutschen Phantastikszene eine Sonderstellung ein. Nicht nur, dass er seit Jahrzehnten zu den innovativsten Schöpfern packender, stilistisch anspruchsvoller Texte zählt, seine Romane zeichnet durchweg etwas aus, das selten ist – immer wieder schneidet der sympathische Autor in seinen Geschichten ihm wichtige, ernste Themen an und veranlasst seine Leser sich damit auseinanderzusetzen ohne darüber das Erzählen zu vergessen.

Vorliegend beschäftigt er sich, eingefügt in einen Thriller der Endzeitcharakter atmet, mit der Frage, was mit uns nach dem Ableben passiert. Ist es ein Ende, schläft man ein, ohne sich selbst bewusst zu sein und wacht nicht mehr auf, oder gibt es da etwas, eine Art Weiterexistenz? Untersuchungen von Menschen die Tot waren und zurückgeholt wurden, die von einer lichtdurchfluteten Röhre berichten, durch die man ein hell gleißendes Tor erblickt, lassen hier Hoffnungen aufkommen.

Was aber, wenn man dieses Tor durch Zwang permanent offen hält, wenn die Seelen der Verstorbenen durch das Tor zurückkommen und, ob gewollt oder nicht, mittels ihrem Lächeln die Lebenden töten?

Meyer hat sich aber nicht nur auf das Geheimnis des vermeintlichen Lebens nach dem Tod konzentriert, sondern sich auch verklausuliert mit Sekten, mit vernachlässigten und traumatisierten Kindern und mit der Verantwortung für Andere beschäftigt. Dass dabei dann ein rundum spannender Roman heraussprang, der aktuelle Entwicklungen wie etwa die zunehmenden Söldnerheere aber auch die Vernachlässigung von Kindern durch ihre rein auf die Karriere schielenden Eltern herausgekommen ist zeigt die Sonderstellung Meyers.

Geschickt zeichnet er geplagte Charaktere, denen das Leben schwer mitgespielt hat, die den Leser ob ihres Schicksals dauern, die aber dennoch, oder gerade deswegen zu eigener innerer Stärke finden.

Hier zeichnen sich im Verlauf des Romans immer deutlicher zu Tage tretende seelische Verletzungen ab, finden die Protagonisten trotzdem die Kraft und den Mut sich nicht nur den aktuellen Herausforderungen zu stellen, sondern auch verdrängte emotionale Traumata aufzuarbeiten. Das sind Figuren, die, gerade weil sie nicht stromlinienförmig gezeichnet sind interessant und faszinierend wirken, die uns an die Hand nehmen und anleiten uns schwierigen Themen zu stellen, nicht wegzulaufen, wegzusehen und zu verdrängen, sondern uns zu hinterfragen, Kränkungen aufzuarbeiten und mutig voranzugehen in ein hoffentlich besseres Morgen und nicht einfach in Untätigkeit zu verfallen oder zu resignieren.

Insoweit ist dies neben all der packenden Action auch ein Roman, der Mut machen soll, der anregen soll, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber auch für Andere da zu sein und diese hilfreich zu begleiten – ein echter Kai Meyer eben!

Phantasmen

Kai Meyer, Carlsen

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