Golem und Dschinn

  • Hoffmann und Campe
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
Golem und Dschinn
Golem und Dschinn
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Melanie Reichert
31°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2014

Wenn die Qualität unter der Quantität leiden muss …

New York, 1899: Wie so oft läuft ein Schiff in den Hafen ein, dessen Passagiere die Hoffnung auf einen Neuanfang noch nicht aufgegeben haben. Doch zwei der hoffnungsvollen Seelen erreichen ihr Ziel erst gar nicht – Chava, der Golem aus Lehm, musste sich vor der Hafeneinfahrt über Bord retten, weil ihr Meister während der Überfahrt verstorben ist. Das Problem: Chava wurde nur vor wenigen Stunden zuvor zum Leben erweckt, denn sie ist das Ergebnis der dunklen Künste eines skrupellosen Rabbis – gefertigt, um ihrem Meister zu dienen und ihm eine gute Ehefrau zu sein.

Zeitgleich im syrischen Viertel in New York: Ein ahnungsloser Kupferschmied versucht die Vase einer Kundin zu reparieren, als plötzlich ein Mann mit einer Eisenhandschelle vor ihm erscheint. Seine Geschichte ist so skurril wie unglaubwürdig, denn er behauptet ein jahrhundertealter Dschinn zu sein, der nur mit einem Trick in das Gefäß gesperrt wurde.

Langsam müssen sich die beiden Wesen an ihre neue Umgebung gewöhnen und ihr wahres Ich vor ihrer Umgebung verbergen. Jeder kann ihnen Böses wollen, vor nichts und niemandem sind sie sicher. Und doch suchen sie nach Liebe und Freundschaft. Als sich dann eines Tages ihre Wege kreuzen, wird alles anders. Doch auch der übernatürliche Feind hat sie schon im Visier ...

Eine Geschichte wie ein Märchen, ein Schreibstil, der unter die Haut geht und die Länge, die alles kaputt macht: Das ist "Golem und Dschinn". Wenn man das Sprichwort "weniger ist mehr" bisher noch nicht kannte, weiß man nun, welches Buch als perfektes Beispiel dafür dienen kann.

Schon nach den ersten Seiten wird klar, dass man es hier mit einem zauberhaften Schreibstil zu tun hat, der die Geschichte wie ein Märchen wirken lässt. Die Beschreibungen sind malerisch und man kann sich als Leser sofort in die Umgebung fallen lassen. Egal ob die kalten Wellen im Hafen von New York beschrieben werden oder die heißen Dünen in der Wüste, man hat immer ein klares Bild vor Augen. Dabei wirken die Beschreibungen als solche nicht überzogen, sondern gliedern sich gut in das Geschehen ein. Es werden also eher dezente, aber doch deutliche, Informationen gegeben, sodass der Leser nicht überladen wird.

Die Handlungsstränge gehen in verschiedene Richtungen. Zum einen bekommen wir die Geschichte von 1899 in New York erzählt, dann werden aber auch immer wieder Rückblenden eingestreut, die die eigentliche Geschichte auflockern sollen. Diese Rückblenden nimmt man als Leser gerne an, weil man zum einen eine gedankliche Pause einlegen kann und zum anderen mehr über den Dschinn erfährt. Um ganz ehrlich zu sein, haben diese Rückblenden mich davor bewahrt, das Buch abzubrechen. Mein größter Kritikpunkt geht an die zähe Länge der Geschichte. Während ich als Leser natürlich wissen wollte, wie es mit Chava und Ahmad weitergeht, wurde ich unendlich lange auf die Folter gespannt, was zur Folge hatte, dass ich das Buch viel zu oft aus der Hand legen musste, als dass ich es noch als spannend empfinden konnte. Meiner Meinung nach geht die Autorin auf viel zu viele Nebencharaktere ein und beleuchtet überflüssigerweise deren Leben. Zwischendurch habe ich mich mehrmals gefragt, worauf das Ganze überhaupt hinauslaufen soll, aber wer auf den über 600 Seiten nicht aufgibt, wird dann doch mit einem ganz passablen Ende belohnt.

Chava und Ahmad haben mir als Protagonisten sehr gut gefallen Beide haben mit ihren Problemen zu kämpfen und vor allem damit, nicht aufzufallen. Der Golem wurde von einem Rabbi erschaffen, der sich der dunklen Künste bedient und somit kein Gewissen hat. Chava muss von Grund auf alles erlernen, was die Menschen ausmacht und so bekommt auch der Leser einen Spiegel vorgehalten, was man unter normal versteht. Ahmad ist dagegen ein ganz anderer Typ. Er hat sehr wohl eine bewegte und vor allem lange Vergangenheit, die ihm immer noch zu schaffen macht. Vor allem möchte er wieder frei sein. Und genau dieser Gedanke von Freiheit vereint den Golem und den Dschinn auf eine besondere Art und Weise.

Wie oben schon erwähnt, sind die Nebencharaktere sehr vielzählig. Nicht nur, dass sie vom Typ her vollkommen unterschiedlich sind, auch tauchen wir in zwei Welten ein. Chava wird von einem ehemaligen Rabbi aufgenommen und lebt somit im jüdischen Viertel, währen der Dschinn vom syrischen Kupferschmied eingestellt wird. Als Leser kann man von beiden Kulturen sehr viel mitnehmen und sogar noch das ein oder andere lernen. Da beide Viertel stark belebt sind, werden auch viele Namen erwähnt. Allerdings bleibt es nicht nur bei der Erwähnung, denn darüber hinaus wird auch noch auf viele Einzelschicksale eingegangen, was die Story unnötig aufbläht.

Außer, dass wir es mit zwei magischen Wesen zu tun haben, hält sich der Fantasy-Anteil sehr in Grenzen. Viel mehr haben wir es von Ahmads Seite aus mit einer Art Märchen-aus-1001-Nacht zu tun. Chavas Geschichte hat viel eher etwas von einem klassischen Märchen, das von Selbstfindung erzählt. Mit viel gutem Willen könnte man dem skrupellosen Rabbi noch ein bisschen was von einem Magier andichten, denn er liebt seine Beschwörungsformeln und dunklen Riten. Das war es dann aber auch schon mit der Fantasie.

Insgesamt eine Story, die ich gerne am Stück gelesen hätte, wenn sie mich gelassen hätte. Ich bin ziemlich enttäuscht und kann das Buch nicht empfehlen, weil es für mich persönlich ein Kampf war, bis zur letzten Seite dieses (magischen) Märchens vorzudringen.

Golem und Dschinn

Helene Wecker, Hoffmann und Campe

Golem und Dschinn

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