Frankfurter
Buchmesse
2019

von Lisa Reim (10.2019)

Bücher satt, Füße platt

Achtung: Wer seinen SUB (Stapel ungelesener Bücher) abbauen möchte, sollte nicht auf die Frankfurter Buchmesse gehen! Dieser Gedanke beschleicht mich auf dem Messegelände immer wieder, die Bücherwunschliste stets griffbereit. Doch Sorgen und Ängste über einen immer schneller wachsenden Bücherstapel haben auf dem größten internationalen Treffen der Buchbranche nichts zu suchen. Heute wird der Bücherlust gefrönt! 

Dieser Ort mutet tatsächlich wie der größte Buchladen der Welt an, finden sich doch Unterhaltungsliteratur, Fachliteratur, Hörbücher und -spiele, Sachbücher, Schulbücher und jede Menge internationale Literatur geballt auf einem Raum. Auch wenn der Bücherverkauf nur am Wochenende stattfindet und ich mir den Donnerstag ausgesucht habe, spricht nichts dagegen, die eigene Wunschliste auf den neuesten Stand zu bringen. Aber wo soll man anfangen? 7.450 Aussteller aus 104 Ländern sind schließlich eine große Hausnummer. Überforderung ist hier vorprogrammiert, wenn man nicht mit einem halbwegs guten Plan an die Sache rangeht. Da ich begeisterte Fantasy-Leserin bin, ist mir klar, dass ich mich hauptsächlich bei der Unterhaltungsliteratur herumtreiben werde. Aber auch das sind gefühlt gute 2 Quadratkilometer. Also: Liste gezückt und auf geht’s!

Von Cannabis, Gutshäusern und Schimmel

Das Gute an der Buchmesse ist ja, dass die Stände in den einzelnen Hallen im Schachbrettmuster angeordnet sind. So kann man immerhin etwas System in das eigene Stöbern bringen und sicherstellen, dass man auch wirklich alle relevanten Verlage und Aussteller abklappert. Außerdem ist diese Vorgehensweise enorm hilfreich, wenn man von so vielen Sinneseindrücken auf einmal bombardiert wird: Neben den unzähligen großen und kleinen Ständen finden sich überall verteilt Bühnen, auf denen Interviews, Vorträge oder Diskussionen stattfinden. So überschwemmt einen nicht nur an jedem Stand eine gewaltige Bilderflut, man wird auch von Debatten über die Lage der Buchbranche beschallt. Häufig habe ich keine Ahnung, wer die jeweiligen Akteure sind, und auch ein Blick auf die Namen ist nicht besonders erhellend. Die Bedeutung der jeweiligen Personen lässt sich jedoch anhand der Zuschauermenge immer recht gut einschätzen. Genauso wie meine Unwissenheit …

Da widme ich mich doch lieber den Hauptakteuren der Messe: den Büchern. Zwischen all den bekannten Verlagshäusern, die große Flächen in den Hallen einnehmen, finden sich auch etliche unbekannte Verlage, die ihr Programm in kleinen Nischen zur Schau stellen. Hier offenbart sich die Vielfältigkeit der Buchbranche, denn von den meisten Verlagen habe ich noch nie etwas gehört, geschweige denn die Ahnung gehabt, dass es zu bestimmten Themen überhaupt eigene Verlage gibt. Oder hätten Sie den Verlag gekannt, der sich nur mit der Cannabis-Pflanze beschäftigt? Es gibt sogar Verlage, die sich nur einem einzigen Buch verschrieben oder die noch gar kein Buch herausgebracht haben.

Wer bei so vielen Ständen und Büchern irgendwann den Fokus verliert, kann sich zur Abwechslung dem Genreraten widmen. Man schaut nur auf das Cover und rät, um welches Genre es sich handelt. Eigentlich ziemlich langweilig, denn wie sich herausstellt, sind gerade die großen Publikumsverlage etwas konservativ, wenn es um die Covergestaltung geht. Archaische Krieger und Waffen oder mystische Orte sind meist für die Fantasy reserviert, Krimis und Thriller erkennt man bereits an der effekthaschenden Schrift, im Zweifelsfall auch an blutigen Gegenständen. Handelt es sich um einen Cosy-Krimi wird das Ganze um eine Teekanne und ein Stück Kuchen vor englischer Landidylle ergänzt. Ganz klar liegt der Fall bei (romantischen) historischen Romanen, die zumeist eine junge Frau zeigen, die mit dem Rücken zum Leser steht und auf eine Art Guts- oder Herrenhaus schaut. Natürlich ein Supergau, wenn in dem Buch gar kein herrschaftliches Haus vorkommt. So zumindest eine entrüstete Leserin, die die Chance auf der Buchmesse genutzt hat, um sich beim erstbesten Verlagsmitarbeiter zu beschweren.

Eine tolle Möglichkeit, Augen und Ohren zu entlasten und neue Sinneseindrücke aufzuschnappen, ist die Kochbuch-Ecke. Hier werden nicht nur die verschiedensten Kochbücher vorgestellt (eines sogar über Schimmelsorten auf Fleisch, mit entsprechendem Cover), die Rezepte werden auch gleich beim Showkochen umgesetzt. Der Duft von Knoblauch, Gewürzen und Gebratenem verfolgt einen durch die Gänge, zusammen mit dem Magenknurren der Besucher. Schließlich bemerkt man erst hier den eigenen Hunger, wurde man doch bisher von der Fülle an geistiger Nahrung abgelenkt.

So viele Bücher, so wenig Zeit (und noch weniger Platz im Regal)

Egal, welchem Genre man sich verschrieben hat: Auf der Buchmesse findet jeder den passenden Lesestoff. Wer beim Lesen gerne ausgetretene Pfade verlässt, ist bei den Selfpublishern gut aufgehoben. Diese teilen sich oft kleinere Stände und freuen sich über jeden interessierten Besucher, der gleich mit Leseproben versorgt wird. Besonders Fantasy und Krimis scheinen in der Szene im Trend zu liegen. Lange schon handelt es sich bei Selfpublishern nicht mehr „nur“ um die von Verlagen verschmähten Autoren, die keine andere Möglichkeit haben, ihre Geschichten unters Volk zu bringen. Viele entscheiden sich ganz bewusst und von Anfang an für diesen Weg und wollen die einzelnen Fäden um Veröffentlichung und Marketing nicht aus der Hand geben. Zum Glück, denn unter all den Publikationen finden sich häufig richtige Schätze, die es ob ihrer Originalität und nicht aufgrund des Mangels an Qualität tatsächlich nicht in ein Verlagsprogramm geschafft hätten. Gerade für Fantasy-Fans gibt es hier viel zu entdecken.

Kaum gelangt man zurück in den Bereich der Publikumsverlage, sieht es für eben jene Fans eher mau aus. Die großen Verlage behandeln ihr phantastisches Angebot eher stiefmütterlich. Gerade beim riesigen Gemeinschaftsstand von Random House muss man doch genauer hinschauen, bis einem die Cover mit den archaischen Kriegern auffallen. Und hier sind immerhin Fantasy-Größen wie Heyne und Blanvalet mit am Start. Besonders phantastisch geht es jedoch am Stand des Klett-Cotta Verlags zu. Dieser feiert dieses Jahr das 50-jährige Jubiläum der deutschen Erstausgabe des „Herrn der Ringe“, das wohl bekannteste Werk der High Fantasy. Kein Wunder, dass sich der Verlag diesem Genre verschrieben hat. Hier schlägt das Fantasy-Herz höher, ein Pläuschchen mit dem Lektor des Lieblingsromans rundet meinen Besuch ab. Und füllt meine Wunschliste von Neuem.

In einer anderen Ecke entdecke ich die unabhängigen Fantasy-Verlage mit ihren Werken, die man sonst nicht findet, erst recht nicht im Buchhandel. Da die Unabhängigen auf der Frankfurter Buchmesse eher die Leser denn die großen Player der Branche ansprechen, haben die Mitarbeiter an den Fachbesuchertagen viel Zeit, um sich um interessierte Leser zu kümmern und ihr Programm vorzustellen. Das Genre, das hier besonders gut geht, scheint Romantasy zu sein. Auch wenn es sich dabei nicht um mein präferiertes Subgenre der Phantastik handelt, muss ich den kleineren Verlagen zugutehalten, dass sie sich meist fern ab vom Mainstream bewegen und viele deutschsprachige Fantasy-Autoren im Programm führen.

Das Land der Fjorde und der Lesesucht

Gleich mehrere Hallen sind den internationalen Verlagen vorbehalten. Hier wird es richtig spannend, denn bei Verlagen aus Angola oder Indonesien komme selbst ich mit meinem Coverraten nicht weiter. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist dieser Bereich einer der aufregendsten auf dem ganzen Gelände. Hier entdeckt man Bücher, auf die man in seinem ganzen Leben nie getroffen wäre und man erfährt Einiges über das literarische Schaffen in Ländern, deren Literatur man wohl nie auf dem Schirm gehabt hätte.

Anders sieht es da beim Ehrengast Norwegen aus. Mit norwegischer Literatur verbinde ich immerhin Krimis und Strickmuster. Natürlich eine vorurteilsbehaftete Einschätzung, auch wenn diese sich im norwegischen Pavillon zum Teil bestätigt. Doch das nordische Land, das 3 Nobelpreisträger hervorgebracht hat und dessen Bevölkerung mehr liest, als jede andere europäische Nation, hat wesentlich mehr zu bieten: Das Spektrum reicht von Unterhaltungsliteratur über bekannte Klassiker von Ibsen oder Hamsun bis hin zu Werken in samischen Sprachen. Alle scheint jedoch die Liebe zur rauen Landschaft Norwegens zu vereinen, zumindest findet sich viel davon auf den Covern.

Fantasy sehe ich auf den ersten Blick eher weniger. Auch wenn die Norweger immer wieder gerne genreübergreifend den Troll thematisieren. Wobei einige wohl bestreiten würden, dass es sich bei den Trollen um Phantasiegestalten handelt …

In Frankfurt geht’s ums Business  

Bei aller Liebe für das Buch: Auf der Frankfurter Buchmesse geht es in erster Linie ums Geschäft. Das merkt man sofort, wenn man sich durch einige Stände durchgearbeitet hat. An kleinen runden Tischen drängen sich die Verantwortlichen und stecken die Köpfe zusammen, sodass man ab und zu sogar ein wenig Tratsch aus der Branche aufschnappt, wenn man zufällig danebensteht. Hier geht es um Kooperationen mit Pressevertretern, Verhandlungen mit Buchhändlern oder dem Austausch über aktuelle Entwicklungen und Trends. Schließlich befinden wir uns mitten in den Fachbesuchertagen, was man auch der allgemeinen Stimmung anmerkt. Besonders offensichtlich wird dies in den Hallen der internationalen Verlage. Hier gibt es große Bereiche, in denen Tische und Stühle nur für das Verhandeln von Lizenzen reserviert sind.

Vielleicht ändert sich die Atmosphäre am Wochenende, wenn auch das interessierte Publikum auf das Messegelände strömt. Doch wie einige der Verlagsmitarbeiter erzählt haben, ist es an diesen Tagen häufig so voll, dass die Besucher Probleme haben, überhaupt an die Stände zu kommen. Entspanntes Herumstöbern ist etwas anderes.

Fazit:

Wer gerne durch Buchläden streift und offen für neue literarische Eindrücke ist, dem wird die Frankfurter Buchmesse gefallen. Eine solche Auswahl unterschiedlicher Genres und Verlage findet sich nirgendwo sonst und nur hier bekommt man einen solch umfassenden Einblick in das Schaffen internationaler Verlage.

Tatsächlich lohnt sich die Messe allerdings nur für Leser, die gerne mal über den Tellerrand hinausschauen wollen. Denn die Publikationen der großen Verlage findet man auch im Buchladen, viel Neues entdeckt man nur bei kleineren Verlagen oder im internationalen Bereich. Trotzdem lohnt sich schon allein das Erleben des Büchertrubels und das Beobachten der Zusammenarbeit von Verlagen, Autoren, Selfpublishern, Buchhändlern, Journalisten, Bloggern, Illustratoren, Grafikern, Lektoren, usw. Wenn auch die Leser an den Fachbesuchertagen nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen, ist die Leidenschaft für Bücher und den jeweiligen Beruf bei den Gesprächen mit den Mitarbeitern deutlich zu spüren.

Ein spannender, lustiger, inspirierender und im positiven Sinne kräfteraubender Tag auf der Messe geht zu Ende. Nun heißt es, die Wunschliste und den SUB abzuarbeiten, bis zur Leipziger Buchmesse nächstes Jahr!

"Frankfurter Buchmesse 16.-20.10.2019" - Lisa Reim, Oktober 2019
Titel-Motiv: © Frankfurter Buchmesse / Foto: Fernando Baptista

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