Kai Meyer
12.2011 Kai Meyer gehört zu den Vielschreibern der deutschsprachigen Phantastik-Szene, seit 1993 hat er 45 Bücher geschrieben. Gerade ist der letzte Band seiner Wolkenvolk-Trilogie erschienen, die nächsten vier Bücher sind schon in Planung. Wir wollten wissen, was den 38jährigen Schriftsteller antreibt und haben ihn gefragt.
Wenn einen Leser die Bilder und Emotionen einer Geschichte nicht mehr loslassen, dann ist mir gelungen, was ich mir vorgenommen habe.
Phantastik-Couch.de:
Kai, was ist das beste daran, Schriftsteller zu sein?
Kai Meyer:
Trotz aller Sackgassen, in die manch einen ein freischaffender Beruf manövrieren kann: Der kleine Zusatz "frei" ist vielleicht wirklich einer der angenehmsten Faktoren am Schriftstellerdasein. Nur kann das niemals "das Beste" sein - sonst könnte ich ja auch freiberuflicher Fliesenleger sein. Ganz oben auf der Liste dürfte demnach stehen: Meine Geschichten für andere real werden zu lassen. Zumindest für die Zeit, die sie mit meinem Buch verbringen.
Phantastik-Couch.de:
Hast du Vorbilder? Welche Autoren haben dich am meisten beeinflusst?
Kai Meyer:
Als ich mit elf den "Herrn der Ringe" gelesen habe, dachte ich mir, so etwas möchte ich auch mal machen. Gar nicht so sehr inhaltlich - auch wenn ein paar meiner ersten Schreibversuche als Teenager in diese Richtung gingen -, sondern eher vom viel beschworenen "sense of wonder" her. Dieses Staunen war immer das, was ich in erster Linie in der Phantastik gesucht habe. Wenn es mir gelingt, jemanden in einen ähnlichen Zustand zu versetzen wie den, in dem ich war, als ich mit sieben oder acht zum ersten Mal "Star Wars" gesehen habe, dann bin ich am Ziel. Wenn einen Leser die Bilder und Emotionen einer Geschichte nicht mehr loslassen, dann ist mir gelungen, was ich mir vorgenommen habe. Ich bin also nicht so sehr von einzelnen Autoren beeinflusst worden, als vielmehr vom visuellen und emotionalen Potential des Genres.
Phantastik-Couch.de:
Was motiviert dich, weiterzuschreiben?
Kai Meyer:
Bevor ich ans Ende einer Geschichte komme, habe ich schon die nächste im Kopf. Nicht vollständig, aber die ersten Ideen sind da, die ersten Bilder - das ist ein ähnlicher Effekt wie der, den ich gerade beschrieben habe, nur in umgekehrter Reihenfolge. Ich muss die Bilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme, aufs Papier bringen, um sie mit anderen zu teilen.
Phantastik-Couch.de:
Welche Themen willst du mit deinen Büchern besonders zum Ausdruck bringen?
Kai Meyer:
Meine Bücher haben Themen - manche mehr, andere weniger -, aber ich werde mich hüten, sie aufzulisten. Ein Thema in einem Satz zusammenzufassen, lässt es in der Regel flach oder, schlimmer noch, prätentiös klingen. Wenn ein Roman wie "Herrin der Lüge" recht eindeutig um ein ganz bestimmtes Thema kreist, dann gebe ich mir auf mehr als 800 Seiten Mühe, das nicht zu offensichtlich zu machen. Die Geschichte muss stimmen, die Figuren und ihre Emotionen müssen funktionieren - alles andere steht hinten an.
Phantastik-Couch.de:
In der Wolkenvolk-Trilogie spielen Schöpfer-Figuren - menschliche und göttliche - eine zentrale Rolle. Welche Rolle spielen Religionen für dich in deinen Werken?
Kai Meyer:
Ich benutze sie wie jeden anderen Mythos.
Phantastik-Couch.de:
Die Fließende Königin, Die Wellenläufer und jetzt Das Wolkenvolk: Stets stehen starke Mädchen im Mittelpunkt. Warum entscheidest du dich für weibliche Protagonisten?
Kai Meyer:
Die Wolkenvolk-Trilogie hat einen männlichen Protagonisten, die Wellenläufer- und die Merle-Trilogien nahezu gleichwertige männliche Nebenfiguren. Ich bin selbst nicht ganz sicher, woher der Eindruck rührt, dass ich nur über Mädchen und Frauen schreibe. Die Frage taucht ja immer wieder auf. Aber niemand will von J.K. Rowling wissen, warum ihre Bücher "Harry Potter" und nicht "Hermione Granger" heißen.
Phantastik-Couch.de:
Machst du einen Unterschied zwischen so genannter Young-Adult- und Erwachsenenliteratur?
Kai Meyer:
Niemals in Sachen Stil oder Intensität. In meinen so genannten Jugendbüchern wird genauso gestorben, getötet oder verraten wie in meinen übrigen Büchern. Der einzige Unterschied, den es bislang gab, war der, dass Bücher wie "Die Fließende Königin" oder "Seide und Schwert" eine größere Zahl an phantastischen Elementen haben. Aber das ändert sich gerade. Mein nächstes Buch, das im Herbst 2008 bei Lübbe erscheinen wird, ist kein historischer Roman.
Phantastik-Couch.de:
Was machst du, wenn Figuren und Handlung beim Schreiben eine Eigendynamik entwickeln, die du nicht geplant hast?
Kai Meyer:
Ich lasse es bis zu einem gewissen Punkt zu. Dann ziehe ich die Notbremse und bringe sie wieder auf Kurs.
Phantastik-Couch.de:
Welche Chancen hat Fantasy im deutschsprachigen Raum? Was kommt danach?
Kai Meyer:
Deutsche Fantasy - oder das, was derzeit unter dem Begriff verkauft wird - ist so erfolgreich wie nie. Aber der Boom wird irgendwann enden, und einige Autoren werden dann Probleme bekommen. Alle anderen werden weiter schreiben und gelesen werden wie bisher. Wenn ein Boom implodiert - und das ist leider fast unausweichlich, fürchte ich - reißt er nicht zwangsläufig alle Karrieren mit sich. Aber ganz sicher ein paar.
Phantastik-Couch.de:
Du schreibst auch historische Fantasy oder unheimliche historische Romane, je nach dem. Ab wann werden Vergangenheit und Gegenwart fantastisch oder unheimlich?
Kai Meyer:
Oft beginnt es mit den kleinen Dingen. Ich muss nicht erst - wie beim Wolkenvolk - ganze Heerscharen von Drachen aufmarschieren lassen. In "Das Zweite Gesicht" etwa entsteht das Unheimliche und Phantastische fast ausschließlich durch kleine Gesten, manchmal nur bestimmte Metaphern, mit denen etwas vollkommen Reales und Alltägliches beschrieben wird.
Phantastik-Couch.de:
Du wohnst am Rand der Eifel, die keltische Vergangenheit oder vulkanische Aktivität könnten doch Mare von Ideen bergen. Wäre das zu sehr Regionalfantasy?
Kai Meyer:
Ist das, was Stephen King schreibt, Regionalhorror? Ja und nein, schätze ich. Über die Eifel zu schreiben ist vielleicht nahe liegend, Motive gibt es genug, aber irgendwie komme ich nie dazu. Ich hatte diverse Einladungen zu lokalen Horroranthologien, aber es hat zeitlich nie gepasst. Ich bin da weder besonders abgeneigt, noch drängt es mich dazu. Vielleicht bin ich der Eifel auch einen Schritt zu nahe, um das phantastische Potential klar erkennen zu können. Hinter vielen wildromantischen Schluchten oder verlassenen Bergwerksstollen steht eben auch immer ein schreckliches Ausflugslokal. Trotzdem: "Das Buch von Eden" beginnt in der Eifel, weil ich die Reise der Helden, die sie später bis in den Orient führt, mit einem starken lokalen, fast heimeligen Bezug kontrastieren wollte.
Phantastik-Couch.de:
Mittlerweile bist du international sehr erfolgreich, speziell in den USA und Großbritannien. Worin unterscheiden sich deine Leser hüben und drüben?
Kai Meyer:
Ich dachte ursprünglich, die Unterschiede wären größer. Der einzige, der mir konkret aufgefallen ist, war die größere Neugier der Teenager in den USA. Die Fragen zielen auch noch ein wenig mehr auf den Beruf des Schriftstellers ab, statt auf reine Inhalte. Ich vermute, dass liegt daran, weil das Schreiben dort einen anderen Stellenwert hat: Creative Writing wird dort an jeder High School gelehrt und macht das Autorendasein damit schon für Kinder sehr viel greifbarer als hier bei uns.
Phantastik-Couch.de:
Speziell in den USA wird in der Fantasy- und SF-Szene von allen Seiten fleißig gebloggt. Inwieweit ändert sich durch den beinahe direkten Kontakt das Verhältnis Autor/Leser?
Kai Meyer:
Das Angenehme am Bloggen ist ja, dass man gar nicht so genau weiß, wer das nun alles liest. Ich bin immer wieder sehr überrascht, wenn mich jemand auf Dinge anspricht, die in meinem Journal stehen. Auch wenn ich diesen oder jenen Punkt eigenhändig getippt habe, denke ich oft genug, wenn mich jemand darauf anspricht: "Woher weißt du denn DAS?". Man schreibt in ein Vakuum hinein und ist ganz erstaunt, wenn daraus plötzlich echte Menschen werden. Aber beim Bücherschreiben ist es im Grunde ja nicht anders. Für mich hat sich dadurch das Verhältnis zu meinen Lesern kaum geändert - wohl aber, glaube ich, umgekehrt für viele Leser, für die ein Autor durch das Bloggen als Person viel dreidimensionaler und präsenter wird.
Phantastik-Couch.de:
Die Diskussion um Creative-Commons-Inhalte ist nach wie aktuell. Würdest du deine Romane im Internet frei verfügbar machen?
Kai Meyer:
Nein.
Phantastik-Couch.de:
Vorletzte Frage: Was liest du zurzeit?
Kai Meyer:
Da muss ich ziemlich willkürlich etwas aus den zwanzig oder dreißig angefangenen Büchern herauspicken, die hier 'rumliegen. Ich bin gerade dabei, Leigh Brackett wiederzuentdecken. Sie ist heutzutage fast vergessen, aber ihre Mars- und Venus-Geschichten sind zum in die Knie gehen atmosphärisch.
Phantastik-Couch.de:
Und was werden wir demnächst von Kai Meyer lesen?
Kai Meyer:
Im Herbst 2008 einen phantastischen Roman bei Lübbe. Ab Herbst 2009 eine neue Trilogie im Loewe-Verlag. Außerdem erscheinen diverse Comic- und Hörspieladaptionen. 2008 wird zudem die Verfilmung von "Das Gelübde" ausgestrahlt, und dann sollten - wenn alles gut geht - auch bereits die Dreharbeiten zum Kinofilm "Sieben Siegel" begonnen haben.
Phantastik-Couch.de:
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview führte Frank Dudley.
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