Paul Tremblay
08.2019 Yannic Niehr im Gespräch mit Paul Tremblay - Autor von "Das Haus am Ende der Welt".
"Schreibt man in einem bestimmten Genre bzw. verwendet dessen Grundbausteine, ist das Schöne daran, dass man sie neu anordnen, verdrehen oder unterwandern kann, um mit den Erwartungen der Leser zu spielen..."
Phantastik-Couch:
Mr. Tremblay,Sie haben einen Master-Abschluss in Mathematik und sogar eine Zeit lang als Mathelehrer an einer High School gearbeitet – das scheint auf den ersten Blick eine ganze Ecke vom Schreiben entfernt zu sein. Wie kam es, dass Sie zu einem erfolgreichen Romanautor geworden sind?
Paul Tremblay:
Da bin ich mir manchmal selbst nicht ganz sicher…
Die Kurzversion: zu meinem 22. Geburtstag hat mir Lisa (mittlerweile meine Ehefrau) Stephen Kings The Stand – Das letzte Gefecht geschenkt. Ich habe es verschlungen. Neben Joyce Carol Oates‘ Kurzgeschichte Where are you going, where have you been? fing mit diesem Buch meine lebenslange Liebesbeziehung zum Lesen an. Während ich mich die nächsten zwei Jahre durchs Masterstudium kämpfte, habe ich alles von King, Oates, Peter Straub, Clive Barker und Shirley Jackson gelesen, was ich in die Finger bekam. Ich ging mit einem Abschluss von der Uni ab, aber auch mit einem seltsamen Jucken in den Fingern – ich wollte mich selbst am Schreiben versuchen.
Anfangs war es mir damit noch nicht sehr ernst, da habe ich lieber Gitarre gespielt und davon geträumt, Punkmusiker zu werden. Schließlich stellte ich aber fest, dass ich zum Autor mehr taugte als zum Gitarristen; so fing ich in den frühen 2000er Jahren an, mich dem Schreiben konsequenter zu widmen. Von da an war es ein langsamer, aber stetiger Aufstieg. Ich war relativ geduldig und habe mein Material bei Literaturzeitschriften eingereicht. Was meine Romane angeht habe ich zwei Jahre damit verbracht, mit verschiedenen Agenten ins Gespräch zu kommen. Meinen Agenten habe ich dann 2006 mit einem Roman gewonnen, den er am Ende nicht an den Mann bringen konnte. Das hat er aber ein Jahr später mit meinem Kriminalroman The Little Sleep geschafft. Allzu gut hat der sich allerdings – wie auch der Folgeroman – nicht verkauft. Nachdem ich anschließend ein paar Jahre lang meine Wunden geleckt hatte, fing ich den Prozess von vorne an. Da ich nach wie vor auf meinen Agenten und mein Netzwerk zurückgreifen konnte, war das Ganze dieses Mal nicht mehr so einschüchternd, und A Head Full of Ghosts: Ein Exorzismus verkaufte sich schließlich deutlich besser.
Ich habe Phantastik immer geliebt, von Kindheit an. Auch ein Literaturstudium hat dem keinen Abbruch getan. Ebenso liebe ich die Szene mit ihren Fans, Geeks, Nerds und Cons. Die Welt ist bunter durch sie – auch wenn wir meistens schwarz tragen.
Phantastik-Couch:
Können Sie uns ein bisschen von ihrer Arbeit als Jurymitglied des „Shirley Jackson Award“ berichten?
Paul Tremblay:
Ich gehöre zum Vorstand und bin (neben JoAnn und Brett Cox sowie John und Sarah Langan) Mitbegründer des Preises. Wir verstehen unseren Auftrag darin, die Werke von Shirley Jackson bekannter zu machen und gleichzeitig das Beste zu würdigen, was der heutige Markt an Horror und düsterer Literatur zu bieten hat. Die ersten zwei Jahre, nachdem der Preis ins Leben gerufen wurde, war ich Jurymitglied, was eine Menge Leseaufwand bedeutet hat. Heute, im mittlerweile elften Jahr, bin ich eher für administrative oder die Jury unterstützende Tätigkeiten zuständig. Die Jury besteht im Übrigen aus Autoren und Lektoren, die sich im Genre auskennen.
Phantastik-Couch:
Was war die Inspiration zu Das Haus am Ende der Welt? Schreiben Sie aus persönlicher Erfahrung oder ist alles pure Fantasie? Oder verarbeiten Sie beim Schreiben ihre eigenen Ängste?
Paul Tremblay:
Die Geschichte nahm mit einer Zeichnung in einem meiner Notizbücher ihren Anfang. Gedankenverloren hatte ich eine kleine Hütte hingekritzelt. Als ich mir das dann so angeschaut habe, musste ich sofort an das „Home Invasion“-Genre denken - vermutlich das Horror-Subgenre, das mir am wenigsten zusagt. Solche Stories sind verstörend, schwer verdaulich und bieten für meinen Geschmack zu oft nur billige Schocks und Blut statt Substanz. Also fand ich die Herausforderung reizvoll: Wie würde ich eine „Home Invasion“-Geschichte schreiben, so dass ich sie selbst lesen will?
Das Buch ist eine Mischung aus allem: Erfahrungen, Vorstellungskraft und Verarbeitung von Ängsten. Mein Wunsch wäre, dass es sowohl als Horrorroman funktioniert, als auch als Allegorie für die desorientierenden und beunruhigenden politischen Zustände, die wir im Moment auf der Welt erleben. Die Figuren sind zwar keine direkte Entsprechung von mir selbst, aber in jeder von ihnen steckt ein kleines Stück von mir.
Phantastik-Couch:
Queere Figuren sind im Horror- und Thriller-Genre nach wie vor eine Seltenheit und/oder oftmals nur auf ganz bestimmte Rollen beschränkt. Der unaufgeregte Umgang, den Das Haus am Ende der Welt mit dem Thema an den Tag legt, ist auch im Jahr 2019 noch eine willkommene Abwechslung. Was hat Sie zu der Entscheidung bewogen, dass Ihre Protagonisten ein gleichgeschlechtliches Paar (Andrew und Eric) mitsamt Adoptivtochter (Wen) sein sollten? Oder war das nie eine Überlegung, die groß im Vordergrund stand?
Paul Tremblay:
Nachdem ich in meinen zwei vorangegangenen Büchern schon über Familien in Ausnahmesituationen geschrieben hatte, wollte ich diesmal wohl eine, die ein bisschen anders ist. Aber so kalkuliert durchdacht habe ich das gar nicht. Wenn sich bei mir erst einmal das Gefühl eingestellt hat, dass die Figuren für das Buch und die Geschichte passen (und durch wen ließe sich die Geschichte unserer heutigen Sorgen und Ängste besser erzählen als durch Andrew und Eric?), macht es Klick und sie entwickeln sich wie von selbst.
Außerdem sind Andrew und Eric als liebevolle Würdigung angelegt von Familienmitgliedern und Freunden, die selbst homosexuell und verheiratet sind und die ich sehr zu schätzen weiß, da sie mich von meiner ersten Geschichte an begleitet haben. Sie waren meine Erstleser schon zu Zeiten, als meine Machwerke noch alles andere als gut waren, und haben mich sowohl in meinem Berufs- als auch in meinem Leben insgesamt immer sehr unterstützt.
Phantastik-Couch:
Das Haus am Ende der Welt beginnt als klassischer „Home Invasion“-Thriller, schlägt dann aber unvorhergesehene Richtungen ein. Vor allem das Ende mutet beinahe kryptisch an. Wollten Sie etwas ganz Bestimmtes zum Ausdruck bringen oder ist das der Interpretation des Lesers überlassen?
Paul Tremblay:
Schreibt man in einem bestimmten Genre bzw. verwendet dessen Grundbausteine, ist das Schöne daran, dass man sie neu anordnen, verdrehen oder unterwandern kann, um mit den Erwartungen der Leser zu spielen und eine originelle Leseerfahrung zu schaffen. Bei Das Haus am Ende der Welt war es definitiv mein Anspruch, den Leser durch die zahlreichen Enthüllungen und Wendungen in einen unsicheren Grundzustand zu versetzen, sodass er durchgehend nicht weiß, was als nächstes auf ihn zukommt.
Ohne zu spoilern: ich glaube, letztendlich geht es in dem Roman für mich darum, ob wir uns für das Richtige entscheiden - ob wir den Weg der Liebe wählen oder den der Furcht. Vor allem, wenn ich meine Figuren dabei mit der schwierigsten aller Fragen konfrontiere: „Wie kann man das durchstehen? Wie soll es weitergehen?“
Das Interview führte Yannic Niehr im August 2019.
Übersetzt aus dem Englischen von Yannic Niehr.
Foto: © Michael Lajoie
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