Zeitreisen
von Marcel Scharrenbroich / Titel-Motiv: iStock.com/solarseven
Im Wandel der Zeit
Zeitreisen sind ein Thema für sich, da können wir ruhig mal ehrlich sein. Wer kann schon genau sagen, wie sowas funktioniert? Besser gesagt… OB es überhaupt SO funktioniert, wie die Science-Fiction uns das Reisen durch die Zeit immer glaubhaft verkaufen will? Hat es in der Realität schon mal jemand geschafft? Können wir jemanden fragen, der diese Erfahrung bereits am eigenen Leib gemacht hat? Wohl kaum, denn WENN es jemand tatsächlich fertiggebracht hätte, wäre er wohl kaum im Deutschland des Jahres 2019 anzutreffen. Außerdem: Wäre es in der fernen, fernen Zukunft irgendwann möglich, in die Vergangenheit zu reisen, wäre dann nicht schon längst jemand in unserer Gegenwart aufgeschlagen und wir hätten es irgendwie mitbekommen? Oder ist ein solcher Reisender längst unter uns und hält sich nur bedeckt? (Upsi… Alu-Hütchen verrutscht.) Sollte sich so ein Zeitreisender tatsächlich in unsere Gefilde verirrt haben - sei es aus der Zukunft, der Vergangenheit oder… was auch immer – müsste ein Blick in die Tageszeitung genügen, dass er sich freiwillig wieder in seine Zeitmaschine wirft und die Düse macht… was gleich eine nächste Frage aufwirft: Wie könnte solch eine Apparatur aussehen?
Braucht man nur einen schnittigen DeLorean DMC-12 (gebaut von 1981 – 1982), den man obligatorisch mit Plutonium betankt (womit auch sonst?) und anschließend dessen 132 Pferdestärken auf den Asphalt drückt, bis das Gefährt die 140 km/h erreicht, mit einem Knall und lustigen Blitzen im (N)irgendwo verschwindet und nichts als brennende Reifenspuren zurücklässt? Wenn gerade kein DeLorean (oder Plutonium) zur Hand ist, könnte man vielleicht auch eine englische Polizei-Zelle nehmen? Das Lieblings-Reisegerät der Time Lords? Oder klöppelt man sich ein Vehikel aus Omas Sperrmüll und verziert es mit bunten Glühbirnen und einem überdimensionalen Drehteller, wie es Rod Taylor einst in der filmischen Adaption von H. G. Wells‘ gleichnamigem Roman „Die Zeitmaschine“ tat? Man könnte sich natürlich einfach in einen Schrank stellen und die Augen zukneifen, wie es Bill Nighy und sein Film-Sohn Domhnall Gleeson in Richard Curtis‘ sympathischer Romantic Comedy „Alles eine Frage der Zeit“ vormachten, aber… wer hat schon so viel Platz im Kleiderschrank? Vielleicht bekommt man ja auch einen Tipp von Tony Stark von den Aveng… ach ne, da war ja was… Ach! Draufgeschissen… ich ruf einfach die Hotline von Skynet an. Die freundlichen Mitarbeiter dort werden schon wissen, wie es geht…
Theorie
Ich könnte jetzt natürlich weit, weeeeeeit ausholen und erklären, wie so eine Zeitreise funktionieren könnte, möchte jedoch nicht riskieren, dass Albert Einstein um seine eigene Achse rotiert, deswegen… ach, was soll’s… Natürlich habe ich nicht den BLASSESTEN Schimmer. Ich war immer froh, wenn ich der Handlung von „Zurück in die Zukunft“ logisch folgen konnte und bin nun noch mehr überrascht, dass „Dark“ mich mit seiner komplexen Handlung nicht komplett zerstört hat, weswegen ich mich hüten würde, hier irgendwelche Theorien aufzustellen. Nur so viel, zu bereits bekannten Fakten:
Gestützt durch Albert Einsteins (1879 – 1955) „spezielle Relativitätstheorie“, mit der der theoretische Physiker 1905 die damalige Vorstellung von Raum und Zeit über den Haufen warf, sind Reisen in die Zukunft nicht nur in der Theorie möglich, sondern auch praktisch durchführbar. Mehr noch, sind diese sogar in gewisser Weise schon geschehen. So befand sich beispielsweise ein russischer Kosmonaut für mehr als 800 Tage im All und umkreiste die Erde mit mehr als 27.000 km/h, was dafür sorgte, dass er langsamer alterte. Hier bewegen wir uns allerdings im kaum messbaren Sekunden-Bereich, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass auf der ruhenden Erde, im Gegensatz zur sich relativ bewegenden Raumstation, die Uhren langsamer tickten. Würde man jetzt im Großen denken und Lichtgeschwindigkeiten sowie extreme Entfernungen einberechnen, würden sich größere Zeitsprünge für den Reisenden ergeben, was aus technischer Sicht jedoch (noch?) nicht realisierbar ist. Und einen Menschen mit derart Speed durchs All zu ballern, stelle ich mir jetzt auch nicht unbedingt gesundheitsfördernd vor. In einem physikalischen System, welches sich schneller als der außenstehende, ruhende Beobachter bewegt, vergeht die Zeit also langsamer. Ergo, wäre ein Reisender, der aus diesem System in die Beobachter-Perspektive zurückkehrt, ein Zeitreisender.
Mit möglichen Reisen in die Vergangenheit sieht es dagegen eher mau aus. Zwar glauben Wissenschaftler hier ebenfalls, dass diese generell möglich sein könnten, haben aber keinerlei Erkenntnisse, wie diese zu bewerkstelligen sein sollten. Diverse Paradoxa, wie beispielsweise, dass Veränderungen in der Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen könnten, Zeitschleifen entstehen würden oder dass die Vergangenheit sich durch das Prinzip der Konsistenz per se nicht verändern lässt, sorgen für rauchende Köpfe, wenn man nur lang genug darüber nachdenkt, sind jedoch reine Theorie. Lediglich der österreichische Mathematiker Kurt Friedrich Gödel (1906 – 1978), ein damaliger Freund Einsteins, lieferte mit dem nach ihm benannten Gödel-Universum einen ersten Ansatzpunkt. Dieses rotierende, geschlossene Universum baut auf Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie auf und würde zwei Weltlinien in der vierdimensionalen Raumzeit miteinander verbinden. So könnte man (allerdings nur auf dem Papier und eine enorme Geschwindigkeit vorausgesetzt) wieder am Startpunkt ankommen, würde man der Linie konstant folgen. Dann befände man sich quasi wieder am Anfang eines bestimmten Ereignisses und damit in der Vergangenheit. Verrückt. Da mir jetzt ordentlich der Schädel brummt und meine Zeit auf Gottes grüner Erde ebenfalls begrenzt ist, wenden wir uns nun einigen spannenden Geschichten zu, die kreative Schreiberlinge sich zum Thema Zeitreisen so aus dem Kreuz geleiert haben…
(Fiktive) Praxis
In der Science-Fiction-Literatur sind Zeitreisen bereits ein alter Hut, wie das zuvor schon angeführte Beispiel von Herbert George Wells (1866 – 1946) am besten beweist. Sein Werk „Die Zeitmaschine“ erschien bereits 1895, war aber dennoch nicht die erste Lektüre, die sich mit dieser phantastischen Thematik befasste. Die wohl allseits bekannte Erzählung „Eine Weihnachtsgeschichte“, von Charles Dickens (1812 – 1870) geschrieben und erstmals zur Weihnachtszeit 1843 publiziert, kann grob ebenfalls dem Genre zugerechnet werden, obwohl andere Aspekte im Vordergrund stehen und der Blick in sowohl Zukunft als auch Vergangenheit des Hauptcharakters, Ebenezer Scrooge, von „Geisterhand“ geschehen, anstatt sich dem Phänomen wissenschaftlich zu nähern. Allerdings schwingt in Dickens‘ Geschichte eine gehörige Portion Sozialkritik mit, was „Eine Weihnachtsgeschichte“ mit vielen der ihr folgenden Genre-Werke gemeinsam hat. Der wohl älteste fiktionale Beitrag dürfte der utopische Roman „Das Jahr 2440: ein Traum aller Träume“ vom französischen Autor Louis-Sébastien Mercier (1740 – 1814) sein, den dieser bereits 1771 verfasste. Auch der US-amerikanische Schriftsteller Edward Page Mitchell (1852 – 1927) und der Spanier Enrique Gaspar y Rimbau (1842 – 1902) bedienten das Zeitreise-Thema, bevor Wells‘ phantastischer Beitrag zur Weltliteratur einen Stein ins Rollen brachte, den auch heute noch unzählige Schriftsteller und Drehbuchautoren am Laufen halten.
Literarische Schwergewichte wie Lewis Carroll, Mark Twain, T. S. Eliot, Philip K. Dick, Isaac Asimov, Ray Bradbury, Daphne du Maurier und Robert A. Heinlein - mit seiner grandiosen Geschichte „Entführung in die Zukunft“, die 2014 mit Ethan Hawke ebenso grandios als „Predestination“ verfilmt wurde - führten mit zahlreichen, wegweisenden Romanen und Kurzgeschichten die (Zeit)linie fort, bevor in den 70er-Jahren auch humorvolle Zeitreise-Geschichten immer mehr in den Vordergrund traten.
Unterhaltsame und durchaus kreative Science-Fiction bot Stanislaw Lem (1921 – 2006), der in seiner Sammlung „Sterntagebücher“ den Raumfahrer Ijon Tichy auf intergalaktische Reisen schickte. Diese inspirierten auch Randa Chahoud, Dennis Jacobsen und Oliver Jahn, drei Kommilitonen an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, zu zwei Kurzfilmen (1999 und 2000), die zwischen 2006 und 2011 in insgesamt 14 Folgen der ZDF-Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“ mündeten. Die Titelrolle übernahm Jahn persönlich, während Schauspielerin Nora Tschirner als Analoge Halluzinelle stets an seiner Seite spielte… wenn auch nur in holographischer Form.
Der Brite Douglas Adams (1952 – 2001) spielt während seiner fünfteiligen Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ ebenfalls kräftig mit dem Raum-/Zeit-Gefüge, was besonders im zweiten Teil „Das Restaurant am Ende des Universums“ (1980) zum Tragen kommt und nahtlos in den dritten Band „Das Leben, das Universum und der ganze Rest“ (1982) gleitet. Adams‘ Kollege und Landsmann Terry Pratchett (1948 – 2015), Co-Autor von „Ein gutes Omen“ und von der Queen zum Sir ernannt, wagte sich in seinem 29. Roman der legendären „Scheibenwelt“-Reihe ebenfalls daran, die Handlung von „Die Nachtwächter“ (2002) in zwei Zeitebenen spielen zu lassen.
Dass es auch ernster funktioniert, haben Autoren wie Dean R. Koontz mit seinem lesenswerten „Schutzengel“ (1988), Michael Crichton (1942 – 2008) mit „Timeline“ (1999) - welcher 2003 mehr schlecht als recht von Richard Donner („Das Omen“, „Die Goonies“, „Superman“) verfilmt wurde –, Joanne K. Rowling mit dem dritten Harry Potter-Band „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ (1999) - dessen düstere Verfilmung von 2004 für mich persönlich auch das beste und düsterste Kapitel der gesamten Reihe darstellt - und natürlich Stephen King bewiesen. King nahm sich 2011 in „Der Anschlag“ dem Attentat auf John F. Kennedy an und schickte seinen Protagonisten Jacob Epping zurück ins Jahr 1963, um die Ermordung des damaligen US-Präsidenten zu verhindern. Die Video-on-Demand-Plattform Hulu verfilmte den Stoff als achtteilige Mini-Serie mit James Franco in der Hauptrolle.
Es geht aber auch deutsch! Nach diesem kurzen Querschnitt durch die internationale „Phantastik mit Themenbezug“, die selbstverständlich nur einen kleinen Teil der Genre-Kost abdeckt, kommen wir nun zum eigentlichen Kern der Sache. Dass auch deutsche Autoren sich mit Zeitreisen auseinandergesetzt haben, beweisen „Das Jesus-Video“ (1998) und dessen Fortsetzung „Der Jesus-Deal“ (2014) von Andreas Eschbach, sowie die Fantasy-Trilogie „Liebe geht durch alle Zeiten“ - bestehend aus „Rubinrot“ (2009), „Saphirblau“ (2010) und „Smaragdgrün“ (2010) – aus der Feder von Kerstin Gier, welche auch komplett und erfolgreich verfilmt wurde. Am 1. Dezember 2017 begann aber eine neue Zeitrechnung, was deutsche Genre-Kost angeht. An diesem Tag ging nämlich „Dark“ als erste deutsche (und in Deutschland produzierte) Serie des Streaming-Giganten NETFLIX an den Start…
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