Teil 1:
Das literarische Spukhaus
von Dr. Michael Drewniok
Idealer Ort für intensive Ängste
Geister: Gibt’s die? Gehen wir hier davon aus, womit das tatsächliche Erscheinen von Gespenstern, Vampiren u. a. Geschöpfen der Finsternis gemeint ist. Lassen wir die naturwissenschaftlichen Unmöglichkeiten außer Acht und stellen uns eine zweite Frage: Wo würden sie uns am stärksten zu schaffen machen? Die Antwort ist einfach: in unserem Heim! Dort sind wir schwach und angreifbar, weil wir uns in Sicherheit wähnen.
„Heim“ ist ein Begriff, der in der Regel einen Ort bezeichnet. Wir bewohnen ein Zimmer, eine Wohnung oder ein Haus; allein oder mit Lebensgefährten bzw. der Familie. Dort verbringen wir jene Stunden, in denen wir uns nicht mit dem alltäglichen Lebenskampf beschäftigen. Vor allem die Lohnarbeit führt uns außer Haus. Sie ist bekanntlich reich an Konflikten und auch sonst anstrengend. Deshalb benötigen wir einen Ort, an dem wir unsere Schutzschilde fallenlassen und regenerieren können.
Die Vorstellung, dass genau dort Mächte oder Kreaturen hausen, die uns dies verweigern und sogar attackieren, ist der ideale Katalysator für Angst. Wohin sollen wir flüchten, wenn uns die eigenen vier Wände keinen Schutz bieten? Wir müssen uns der Bedrohung stellen und dabei dem gesunden Menschenverstand = jenen Instinkten widerstehen, die - so wollen es jedenfalls nicht unbedingt wissenschaftliche, sondern populäre Theorien - in die Ära des Mammuts und Säbelzahntigers zurückreichen und im uralten, primitiven „Reptilhirn“ entsprechende Instinkte und Verhaltensmaßnahmen konservieren, die sich auch im Zeitalter der Weltraumfahrt zurückmelden, wenn wir uns belauert fühlen.
Mäuse, Motten, Wanzen - und Geister
Spukhäuser gibt es wahrscheinlich, seit wir Menschen uns ein Dach über dem Kopf geschaffen haben. Dies geschah außerhalb von Höhlen nachweislich vor mehreren Jahrtausenden, was viel Raum für entsprechende Gruselgeschichten bietet. Über deren Existenz können wir leider nur spekulieren, weil die schriftliche Überlieferung längst nicht so alt ist wie der Hausbau. Zudem weist sie Lücken auf, die naturgemäß je breiter klaffen, desto weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen.
Manchmal haben wir Glück. In einem seiner Briefe (Buch VII, 27) schreibt der römische Chronist Plinius der Jüngere (61-112 n. Chr.) über ein Geisterhaus in Athen: Nachts hört man Kettenrasseln und Stöhnen, die Nachbarn fürchten sich. Ein ebenso neugieriger wie mutiger Mann - der Philosoph Athenodorus von Tarsos (74 vor-7 n. Chr.) mietet sich (preiswert) ein und stößt des Nachts auf das Gespenst eines alten Mannes, der offenbar umgehen muss, weil er ermordet und im Hof verscharrt wurde. Die Knochen werden geborgen und begraben, der Geist verschwindet.
Schon dieser frühe ‚Bericht‘ beinhaltet Elemente, die wir mühelos erkennen. Er macht außerdem deutlich, dass Spukhäuser überall auf dieser Welt stehen, während dieser Beitrag sich (primär aufgrund der dem Verfasser bekannten Faktengrundlage) auf die angelsächsische Gruselliteratur konzentriert.
Wie kommt der Spuk ins Haus?
Niemand wundert es, dass der Mensch sein Heim vor Geistern, Wiedergängern, Hexen, Kobolden u. a. Schauergestalten zu schützen versucht. Es gab eine Zeit, als diese für real gehalten wurden und bedrohlich nahe jenseits nur bedingt stabiler Hausmauern lauerten; entsprechende Vorstellungen lassen sich praktisch global nachweisen. Abhilfe konnte (angeblich) ein unter der Türschwelle begrabenes Menschenopfer schaffen, aber von dieser Methode - heute ein gutes Beispiel dafür, dass die Heilung manchmal schlimmer als die Krankheit ist - ging man irgendwann ab. Alternativ sollten Talismane, Symbole und Sprüche nächtliche Unholde fernhalten; sie verwandelten sich in christlicher Zeit zu frommen Anrufungen kirchenseitig gebilligter Heiliger. An alten Häusern lassen sich solche Abwehrzeichen noch heute finden.
Die Palette heimgesuchter Gebäude erweiterte sich, je einfallsreicher Architekten und Bauherren wurden. Umgehen kann es beispielsweise in Hotels und Apartmenthäusern, Burgen und Schlössern, Kirchen, Klöstern u. a. Gotteshäusern, aber auch in Gefängnissen oder an anderen Orten, an denen Menschen zahlreich zusammenkommen, (zwangsweise) festgehalten wurden oder zu Tode kamen. (Später kamen Bahnhöfe, Flughäfen oder sogar Möbelhäuser hinzu.) Dort bündeln sich - so die Theorie - Lebenskraft und Todesschrecken, was wiederum Mächte lockt, die im Jenseits wurzeln.
Für die Entstehung eines Spukhauses gibt es einen grundlegenden Faktor: Entweder das Gebäude oder die Stätte, auf der es erbaut ist, weisen eine Verbindung zu jenseitigen oder negativen Kräften auf, Entsetzliches muss in (oder unter) seinen Mauern geschehen sein. Mord, Inzest, Orgien, Schwarze Magie: Dies sind ideale Methoden, ein Haus in eine „Batterie des Bösen“ zu verwandeln, dessen Wände das Grauen buchstäblich aufsaugen und speichern, um ihm später die erforderliche Energie zu verleihen.
- Horace Walpole: The Castle of Otranto
(Das Schloss [von] Otranto/Die Burg von Otranto), 1764 - Ann Radcliffes: The Mysteries of Udolpho
(Udolphos Geheimnisse), 1794 - Matthew Gregory Lewis: The Monk
(Der Mönch), 1796 - Heinrich von Kleist: Das Bettelweib von Locarno
1797 - Arthur R. Ropes: The Hole of the Pit
(Aus dem Abgrund), 1914 - Stephen King: Shining
(Shining), 1977 - Overlook Hotel - F. Paul Wilson: The Keep
(Das Kastell), 1981 - Edward Bulwer-Lytton: The Haunters and the Haunted
(Das verfluchte Haus in der Oxford Street), 1859 - O. Henry: The Furnished Room
(Das möblierte Zimmer), 1906 - Algernon Blackwood: The Empty House
(Das leere Haus), 1906 - Oliver Onions: The Beckoning Fair One
(Die lockende Schöne), 1911 - Richard Matheson: Hell House
(Das Höllenhaus), 1971 - Belasco-Haus - Jay Anson: The Amityville Horror
(Amityville Horror), 1977 - Dan Simmons: Summer of Night
(Sommer der Nacht), 1991 - Grady Hendrix: Horrorstör
(Horrorstör), 2014 - Edgar Cantero: The Supernatural Enhancements
(Mörderische Renovierung), 2014
Kurzer Exkurs: Schrecken, Glaube (& Dummheit)
Die These des ‚gespeicherten‘ Schreckens dokumentiert bereits den Einfluss der modernen Naturwissenschaften. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wich die einst ‚reale‘ Furcht dem ‚aufgeklärten‘ Vergnügen am nur noch literarischen Grusel. Allerdings gibt es weiterhin ‚echte‘ Geistergläubige und Geisterjäger, die dem Spuk ‚wissenschaftlich‘ auf die Spur kommen wollen; ein Bemühen, das noch jedes Mal fehlgeschlagen ist, was zu denken geben sollte: Zwischen Geister- und Bauernfängern existiert ein Band, das deutlich fester ist als das zwischen Dies- und Jenseits. Dritter im Bund ist dabei der durchaus redliche ‚Zeuge‘, der etwas ‚gesehen‘, ‚gehört‘ oder ‚erlebt‘ haben will, das sich seiner Erkenntnislage entzieht und ‚Geister‘ dort verantwortlich macht, wo eine intensive (aber schwierige und langweilige) Untersuchung für echte Aufklärung sorgen könnte. Unverdrossen wird weiter ‚geforscht‘, wobei die Methoden nicht selten so selektiv sind, dass geliebte Theorien quasi ‚bestätigt‘ werden müssen.
Kosten-, aber ansonsten ungünstige Baugrundstücke
Verständlicherweise ist es nie eine gute Idee, sein Heim über einem Friedhof zu errichten. Schon die üblichen ‚Bewohner‘ könnten verärgert sein, dass man ihre Gräber abräumt oder - noch schlimmer! - besagtes Heim einfach darüber setzt. Garantiert ist nächtlicher Ärger, wenn besagter Friedhof nicht (mehr) geweiht oder gar verflucht ist, weil dort Zeitgenossen verscharrt liegen, die nach Rache dürsten oder zu Lebzeiten Grässliches getan und Schuld auf sich geladen haben, die sie auch im Tod nicht abtragen können (oder wollen).
Gemieden werden sollten überhaupt Kultstätten jeglicher Art. In der Phantastik sind faktisch alle ‚Eingeborenen‘ ferner Landstriche Kinder der Natur, die im engen Kontakt mit inzwischen vergessenen Naturgeistern stehen und hässliche Kreaturen heraufbeschwören können, die kein Problem damit haben, sich nach äonenlanger Wartezeit ausgerechnet im Keller des gerade eingerichteten Traumhauses zu materialisieren. Alter ist ohnehin kein Definitionsmerkmal für ein verwünschtes Haus. Bereits nach dem Richtfest kann sich das Böse einnisten, wobei es auch vor dem Befall eines schnöden Vorstadt-Bungalows keinesfalls zurückschreckt.
Ebenfalls ein negatives Standortmerkmal ist eine bekannte oder vertuschte Tragödie, die sich genau dort ereignet hat, wo das spätere Spukhaus gebaut wird. Die Heime von Hexen und Magiern, vergessene Massengräber, Pestgruben oder einst galgengekrönte Richtstätten sind perfekt geeignet, wenn des Nachts unheimlicher Besuch ins Haus kommen soll. Eine wichtige Tatsache sei an dieser Stelle erwähnt: Unwissenheit schützt vor (Spuk-) Strafe nicht! Geister gehen energisch ihrem Job nach, und sie lassen in der Regel nicht mit sich diskutieren. Niemand ‚wusste‘ dies besser als der englische Schriftsteller Montague Rhodes James (1862-1936), der mit Liebe zum grimmigen Detail (und schwarzem Humor) die Folgen beschrieb! Ansonsten spuken Geister unabhängig von Geschlecht, Alter (zum Todeszeitpunkt) oder Sozialstatus. Jede/n kann es erwischen.
- Algernon Blackwood: The Case of Eavesdropping
(Durch die Wand), 1906 - Howard Philips Lovecraft: Dreams in the Witch-House
(Träume im Hexenhaus), 1933 - Algernon Blackwood: The Damned
(Das Haus der Verdammten), 1914 - Richard Matheson: A Stir of Echoes
(Echoes - Stimmen aus der Zwischenwelt), 1958 - Graham Masterton: The Manitou
(Der Manitou), 1975 - James Kahn: Poltergeist
(Poltergeist), 1982 - Scott Thomas: Kill Creek
(Kill Creek), 2017
Werdegänge verschiedener Geister
Wer taugt zum Gespenst bzw. was muss man getan haben, um zu diesem Schicksal verdammt zu werden? Die ideale Voraussetzung ist - es klang bereits an -, zu Lebzeiten grob gegen Rechte oder Regeln zu verstoßen. Dabei ist es nebensächlich, ob vor dem Tod die irdische Justiz zufriedengestellt wurde. In der Regel gibt es ‚höhere Mächte‘, vor denen Rechenschaft abzulegen ist. Die Religion sorgt hier für besonders kritische Richter.
Beschränken wir uns an dieser Stelle auf das Christentum. Zehn Gebote und eine mit Vorschriften bzw. Verboten gespickte Bibel sind für ein breites Spektrum möglicher Verstöße gut. Eigentlich sollen diese erst am Tag des Jüngsten Gerichts verhandelt werden, aber offenbar gibt es besonders üble Gesellen, denen schon die Wartezeit so sauer wie möglich gemacht werden soll. Ebenso übel ergeht es denen, die bereits zu Lebzeiten auf der Verliererseite standen und ihrem Elend durch Selbstmord entgehen wollten - ein schwerer Fehler, der erbarmungsfrei durch erbärmliches Spuken geahndet wird!
Gespenster müssen an den Ort ihrer Übeltaten zurückkehren, dort stöhnen und mit schweren Ketten rasseln, um so jenen, die ihnen auf ihrem Pfad ins Verderben folgen wollen, als warnendes Beispiel zu dienen. Manchmal gibt es einen Notausgang, wenn es dem Hausgeist gelingt, eine ihm auferlegte Aufgabe zu erfüllen. Hin und wieder hilft es schon - wir haben es weiter oben erfahren -, die friedhofsfern gelagerten Gebeine des Geistes zu bergen und regelkonform zu bestatten, um buchstäblich Grabesruhe einkehren zu lassen. Meist gilt es freilich einen mitleidigen Zeitgenossen zu finden, der unserer geplagten Seele quasi einen vorzeitigen Freispruch verschafft.
- Oscar Wilde: The Canterville Ghost
(Das Gespenst von Canterville), 1887 - E. F. Benson: How Fear Departed from the Long Gallery
(Wie die Lange Galerie ihren Schrecken verlor), 1911 - Algernon Blackwood: The Listener
(Der Horcher), 1907
Ganz böse auch nach dem Tod
Deutlich weniger umgänglich sind Geister, denen diese Möglichkeit nicht offensteht. Sie bleiben an ihre Spukstätte gebunden. Dort spielen sie in einer Art Endlosschleife Szenen aus ihrem elenden Leben nach, wobei interessanterweise oft nicht zwischen Mördern und Opfern differenziert wird: Beide gehen um, was für den (lebendigen) Außenstehenden (und unfreiwilligen Hausgenossen) unerfreulich wird, weil sich die bloße Projektion in etwas Handfestes verwandeln kann: Böse Geister neigen zur Schadenfreude über ihr übles Tun und mischen sich gern aktiv ins Geschehen ein.
Ihr Schicksal hat sie in keiner Weise geläutert - und sie können nach Belieben erscheinen und verschwinden. Nicht selten verfolgen sie eigene, üble Absichten, doch hinter ihnen kann auch ein Hexenmeister, Dämon oder der Teufel selbst stecken, der dem Geist den Tod = die Freiheit zusichert, wenn er dafür einen anderen Pechvogel in die Falle lockt.
Dieses unlautere Angebot wird zuweilen auch Geistern gemacht, die ihr Dasein eigentlich nicht verdienen. Unschuld zu Lebzeiten kann sich durchaus verflüchtigen, wenn man im Jenseits darben muss. Das Hemd ist halt auch einem Gespenst näher als die Jacke, sodass man auf Dankbarkeit nicht wetten, sondern Hinterlist erwarten sollte.
- Bram Stoker: The Judge's House
(Das Haus des Scharfrichters), 1891 - Algernon Blackwood: With Intent to Steal
(Gestohlenes Leben), 1906 - W. F. Harvey: The Ankardyne Pew
(Das Kirchengestühl der Ankardynes), 1928 - Shirley Jackson: We Have Always Lived in the Castle
(Wir haben immer schon im Schloss gelebt), 1962 - Susan Hill: The Woman in Black
(Die Frau in Schwarz), 1983 - Eel Marsh House - Clive Barker: The Yattering and Jack
(Das Geyatter und Jack), 1984 - David Mitchell: Slade House
(Slade House), 2015
Weitere ungebetene ‚Gäste‘
Nicht immer war menschlichen Ursprungs, was durch ein Haus geistert. Richtig übel wird es, wenn sich ein Dämon, ein Vampir oder eine andere Kreatur dort einnistet, wo wir unser Lager aufgeschlagen haben. Je größer ein Haus ist, desto mehr Verstecke bietet es, weshalb der Eindringling nicht unbedingt über die Fähigkeit verfügen muss sich in Luft aufzulösen. Der Heimvorteil ist auf der Seite des Bösen, das sich höchstens Einlass verschaffen muss. Vampire wollen bekanntlich ‚eingeladen‘ werden, bevor sie die Schwelle überschreiten können. Danach wird man sie allerdings nur noch mit Knoblauch, Kruzifix und Holzpfahl los.
Solche und andere ungebetene Gäste machen sich breit, weil sie - wie Termiten, Ratten oder der Holzbock - dem Haus bzw. seinen menschlichen Bewohnern schaden wollen. Zu allem Überfluss sind sie körperlich gut bei Kräften und mit Zähnen oder Klauen ausgestattet. Sie „geistern“ nicht umher, sondern zeigen ihre Anwesenheit auf brachiale Weise. Der Horror-Schriftsteller Stephen Graham Jones unterscheidet zwischen Häusern, die dich vertreiben oder „fressen“ wollen.
Noch finsterer sind Bedrohungen, die schaden und töten können, sich aber nicht erklären lassen: Sie sind so fremd, dass sie sich dem menschlichen Verständnis entziehen. Das verfluchte Haus kann zum Portal in jenseitige Welten werden, das von beiden Seiten durchschritten werden kann, wobei Ankömmlinge von ‚drüben‘ Willkommensgrüße weder erwarten noch verdienen.
- H. G. Wells: The Red Room
(Das rote Zimmer), 1896 - William Hope Hodgson: The Whistling Room
(Das pfeifende Zimmer), 1910 - Daphne du Maurier: Rebecca
(Rebecca), 1938 - Manderley - Stephen King: Salem’s Lot
(Brennen muss Salem), 1975 - Marsten-Haus - Graham Masterton: Prey
(Die Opferung), 1992 - Fitz-James O'Brien: What Was It?
(Das Phantom), 1859 - William Hope Hodgson: The House on the Borderland
(Das Haus an der Grenze), 1908 - Jeffery Konvitz: The Sentinel
(Allisons Haus/Tor zur Hölle), 1974 - Mark Z. Danielewski: House of Leaves
(Das Haus), 2000 - Navidson-Haus - Stephen King: From a Buick Eight
(Der Buick), 2002 - Adam Nevill: Apartment 16
(Apartment 16), 2010 - Dean Koontz: 77 Shadow Street
(Das Nachthaus), 2011 - Shaun Hamill: A Cosmology of Monsters
(Das Haus der finsteren Träume), 2019
Wie wird man sie wieder los?
Flucht ist keine echte Option. Zwar gibt es eine Tradition, nach der die jenseitige Plage an ein bestimmtes Haus gebunden bleibt, doch das ist eine brüchige Vorschrift, die vor allem in der Populärkultur problemlos gebrochen wird. Einem Spuk soll man sich gefälligst final stellen oder ihm tragisch unterliegen. Einfach abzuhauen ist kein unterhaltungstaugliches Konzept. Also tauchen Gespenster oder Kreaturen, die man versucht abzuhängen, bald dort wieder auf, wo man alternativ untergekommen ist.
Die Beine kann man erst recht nicht in die Hand nehmen, liegt ein Spukhaus in einem abgelegenen, dunklen, kalten, von Unwettern umtosten Winkel, wo es im Freien noch gefährlicher als im geisterverseuchten Inneren ist. Stets ein gewichtiges Argument ist der finanzielle Aspekt: Für einen Hauskauf wird das Konto geräumt und das vormalige Heim verlassen. Will man nicht in einen Pappkarton umziehen, muss man ausharren und der Plage gegenübertreten.
Das ist natürlich eine echte Herausforderung. Was wir nur bedingt über unsere Sinne wahrnehmen können oder ohnehin als ‚unmöglich‘ gilt, jagt uns Menschen nicht zu Unrecht Angst ein. Ist der Gegner zusätzlich in der Lage sich buchstäblich unsichtbar zu machen, wächst die Furcht. Eine Steigerung ist immer möglich: Der Hausgeist ist - eine vor allem in den USA zuverlässig angstschürende Vorstellung - immun gegen Faustschläge oder Feuerwaffen!
Man muss solche Phantome entweder überlisten oder einen Weg finden ihre Überlegenheit auszuhebeln. Da dies ein spannender Vorgang ist, nimmt er in jeder Spukstory breiten Raum ein. Final muss sich herausstellen, ob die mühsam recherchierten Gegenmittel tatsächlich wirken. Selbstverständlich tun sich immer Wirkungslücken auf, die in einer spektakulären Auseinandersetzung münden: Der übernatürliche Gegner kann niedergerungen = vertrieben = vernichtet werden oder der Versuch schlägt fehl = Fortsetzung folgt.
- Howard Phillips Lovecraft: The Shunned House
(Das gemiedene Haus), 1928 - Stephen King: Salem’s Lot
(Brennen muss Salem), 1975 - Marsten-Haus
Das Grauen im eigenen Hirn
Quasi chancenlos sind jene Unglücklichen, die in ihrem Heim nicht von Geistern und Ungeheuern, sondern von den Schattenspielen des eigenen Hirns gejagt werden. Wir nehmen unsere Umwelt durch den Filter unserer Sinne wahr. Was sie aufzeichnen, wird vom Gehirn interpretiert und ‚übersetzt‘. Dieses Organ ist anfällig für biochemische Fehlfunktionen und Krankheiten. Hinzu kommen Störungen, die durch traumatische Erlebnisse ausgelöst werden.
Das Spektrum daraus resultierender Wahrnehmungsschwierigkeiten und Irrtümer ist breit - und eine Fundgrube für Gruselgeschichten, die auf das Übernatürliche verzichten. Gerade dies kann besonders verstören. Dem eigenen Hirn kann man erst recht nicht entkommen. Sein Wirken kann sich vernichtend gegen sich selbst richten. Dabei stellt sich - je nach Talent eines Schriftstellers - in der Regel heraus, dass keine Kreatur des Jenseits‘ gegen die Ausgeburten des Gehirns ankommt.
Das Ende ist dementsprechend düster. Irgendwann setzt sich der Spuk - hier ein Synonym für Wahnsinn - durch. Aus dem Opfer kann im Zuge dieses Prozesses durchaus ein Täter werden. Wer sich bisher helfend an die Seite des oder der Betroffenen gestellt hat, muss plötzlich feststellen, ins Visier eines gestörten Geistes geraten zu sein. Dies dürfte der Moment sein, in dem sich klärt, dass ein solcherart besessenes Haus allemal unheimlicher ist als eine von (mehr oder weniger) vagen Phantomen belästigte Stätte!
- Edgar Allan Poe: The Fall of the House of Usher
(Der Untergang des Hauses Usher), 1839/40 - Guy de Maupassant: Le Horla
(Der Horla), 1887 - Charlotte Perkins Stetson: The Yellow Wall Paper
(Die gelbe Tapete), 1892 - Henry James: The Turn of the Screw
(Das Durchdrehen der Schraube), 1898 - Bly House - Robert Bloch: Psycho
(Psycho), 1959 - Shirley Jackson: The Haunting of Hill House
(Spuk in Hill House), 1959 - Hill House - Ramsey Campbell: Napier Court
(Napier Court), 1971
Titel-Motiv "Spukhaus": iStock.com/ISO3000
Foto "Geisterfrau": iStock.com/chainatp
Foto "Friedhof": iStock.com/Gill Copeland
Neue Kommentare