Brandon Sanderson
von Sebastian Fischer
Titel-Motiv: © Nazrilof
Herr der Fantasy
Wer nun glaubt, eine Lobpreisung über den Schöpfer der beschwerlichen Reise des Herrn Frodo Beutlin vor sich zu haben, den muss ich enttäuschen. Provozieren will ich mit dieser Überschrift aber ganz bewusst. Denn was eignet sich besser zur Verdeutlichung eines Standpunktes als eine wohl temperierte Provokation. Also lasst uns einsteigen und herausfinden, wer der wahre Herr der Fantasy ist. Darum soll es hier gehen.
Büchercover werfen heutzutage nur so mit Superlativen um sich. Buch und Autor werden in höchsten Tönen gelobt und der Weg ist geebnet, um sich mit Vergleichen zu Branchengrößen wie J. R. R. Tolkien oder George R. R. Martin zu behelfen. Dabei werden die beiden unter anderem deswegen so oft genannt, weil sie natürlich davon profitieren, dass ihre Werke auch auf der Kinoleinwand bzw. den Fernsehbildschirmen zu sehen sind und der große Bekanntheitsgrad das Kompliment unterstreicht. Bevor der Aufschrei nun groß ist, halte ich an dieser Stelle fest, dass diese exemplarisch ausgewählten Genregrößen wahrlich ihre Berechtigung als Qualitätssiegel besitzen. Das Vermarkten eines Labels schließt natürlich keine schriftstellerischen Glanzleistungen aus. Und doch nehme ich es mir heraus, die folgende These in meine Tastatur zu hämmern. Denn aus meiner Sicht gibt es ein Gütesiegel, das die beiden vorgenannten Recken sowie andere Meister und Meisterinnen ihres Faches gekonnt in den Schatten stellt. Dieses Gütesiegel trägt den Namen Brandon Sanderson. Wer wissen möchte, warum ich dieser Meinung bin, der braucht nicht mehr als ein paar Minuten Zeit, um sie in diese Zeilen zu investieren.
Ich muss gestehen, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht alle Werke von Brandon Sanderson gelesen zu haben. Dieses Ziel ist noch in der „Mache“. Trotzdem gehe ich diesen Schritt und stelle mich mit meiner These dem öffentlichen Raum, denn ich bin mir sicher, mit Sandersons Werken genug erlebt zu haben, um Euch, liebe Lesenden, von meinen Aussagen zu überzeugen, oder zumindest die Saat meiner Begeisterung in Eure Köpfe zu pflanzen.
Fangen wir aber mal von vorne an. Brandon Sanderson ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, der 1975 in Nebraska das Licht der Welt erblickte. Die Literatur war schon immer ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Er liebte das Lesen und Schreiben und schloss 2004 sein Studium in kreativem Schreiben ab. Bis heute ist Brandon Sanderson Mitglied der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Brigham Young University, wenn auch in Teilzeit, denn dicke Fantasybrocken zu schreiben nimmt viel Zeit in Anspruch.
Mit seinem Debütroman „Elantris“ gelang ihm ein erster Bestseller und der Weg war bereitet für Sandersons Vormachtstellung in der Fantasyliteratur.
Brandon Sanderson ist ein detailverliebter Mistkerl (ich meine das so positiv wie es nur eben geht). An die Detailversessenheit eines J. R. R. Tolkien kommt er zwar nicht heran, zumindest gemessen am Vergleich der erschienenen Werke. Aber seien wir ehrlich, dieser Umstand kann keinesfalls negativ ausgelegt werden. Wer die Trilogie rund um die Ringkriege in Mittelerde gelesen hat, weiß genau, dass Einzelheiten auch überfrachten können. Um alle Zeilen des „Herrn der Ringe“ zu genießen, muss man wahrlich mit allen literarischen Wassern gewaschen sein. Sanderson bringt seine an Nuancen leichter verdaulich zu Papier. Prägen lassen hat er sich vielleicht bei Robert Jordan, dem Schöpfer von „Das Rad der Zeit“. Sanderson und auch meine Wenigkeit haben Jordans Lebenswerk verschlungen und lieben gelernt. Sein Talent und seine Liebe zu dieser Reihe waren mit Sicherheit auschlaggebende Gründe dafür, dass nach Robert Jordans Tod seine Witwe und Lektorin Sanderson darum bat, das Lebenswerk ihres Ehemannes nach dessen Vorgaben zu beenden.
„Das Rad der Zeit“ ist eine der wortreichsten Romanreihen der Welt. Darin versteckt ist die von mir soeben erwähnte Liebe zum Detail und Unmengen an Handlungssträngen. Diesem Auftrag wäre nicht jeder gewachsen gewesen. Mr. Sanderson erledigte diese Herkulesaufgabe mit Bravour und schenkte den vielen tausend Fans da draußen ein episches Finale. Dieses Privileg, als nichts anderes würde ich es bezeichnen, ist eine Auszeichnung und Herausstellungsmerkmal, das Brandon Sanderson am Fantasyolymp erstrahlen lässt. Im Folgenden möchte ich mich insbesondere auf die Sturmlicht-Chroniken beziehen – Sandersons bislang größtes Projekt.
Wie viele seiner anderen Werke sind auch die Chroniken im sogenannten „Kosmeer“ angesiedelt. Dabei handelt es sich um ein Universum, in dem Sanderson die Geschehnisse seiner Bücher etabliert. Kritische Stimmen werfen den Chroniken vor, zu viele „Längen“ zu besitzen. Ein Begriff, mit dem Buchnerds Sequenzen bezeichnen, in denen vermeintlich nicht viel passiert. Im Fall der Sturmlicht-Chroniken bedeutet dies, dass die Protagonisten ihren Gedanken nachhängen oder das Rad der geopolitischen Situation in Roschar (die Welt, in der die Chroniken angesiedelt sind) sich nur mühsam und zentimeterweise voran bewegt. Ja, von diesen Passagen findet man so einige in diesen Büchern. Sie als Längen zu bezeichnen, trifft den Nagel wahrscheinlich auf den Kopf. Epische High Fantasy lebt jedoch mitnichten nur von seiner Spannung oder rasanten Handlung.
Diese Bücher sind keine Werke für ein paar nette Stündchen. Diese Epen wollen zelebriert werden, und dazu gehört eine Welt, in der es abseits des roten Fadens unglaublich viel zu entdecken gibt. Die Chroniken, wie auch andere seiner Werke, liefern genau das. Eine Welt voller atemberaubender Magie, interessanter Völker, unterschiedlicher Kulturen und Religionen, Herrschaftsformen oder Vegetationen. Seine Welt will verstanden werden, will seziert werden in seine Einzelteile, um sie dann wieder zusammenzusetzen, mit dem Ziel, endlich alles zu verstehen. Als Hilfestellung wird dem Leser ein Glossar (Ars Arcanum) an die Hand gegeben, das ganz nett ist, aber unzureichend, um wirklich alles nachschlagen zu können. Man muss Autor und Verlag aber zu Gute halten, dass ein vollumfängliches Glossar den Rahmen sprengen würde. Benötigt man also Hilfestellung, findet man im Internet auf Fanpages genug Unterstützung, um mögliche lose Fäden wieder einzufangen.
Keine Sorgen, liebe Lesenden, diese Zeilen sollen keinesfalls abschreckend wirken. Dafür ist es wohl zu spät, moniert nun der ein oder andere. Deswegen sei Folgendes gesagt, auch, um den oben genannten Aspekt der epischen Fantasy wieder aufzugreifen.
Diese „Donnerbrocken“ (Achtung: inhaltliche Andeutung) an Büchern leben von ihrer facettenreichen Welt, in der es auch mal gemächlicher zugeht. Als Lesender bekommt man die Zeit, mit jeder Faser in Roschar einzutauchen und sich vorzubereiten auf das Spannungsfeuerwerk, das Sanderson in jedem seiner Bücher zu zünden gedenkt.
Natürlich fordert Sanderson seine Leser dadurch auch ein Stück weit heraus. Die schiere Kreativität und die gemächlichen Passagen sind Hürden, die genommen werden müssen, um das volle Potenzial seiner Bücher auszuschöpfen. Diese Hürden können jedoch von jedem gemeistert werden, der Lust hat, sich auf diese Werke einzulassen.
Brandon Sandersons Magiesysteme sind einzigartig und komplex. Sie drücken den Werken seinen Stempel auf und lassen sie in der Masse der Fantasyliteratur hervorstechen. Da macht ihm wirklich niemand etwas vor. Doch es geht noch besser. Ich leite über zu Sandersons Paradedisziplin – dem epischen Moment. Sanderson ist ein Virtuose, wenn es darum geht, Momente voller Gänsehaut, Herzrasen und zittrigen Fingern filetiert auf das Papier zu bringen. Diese Szenen sind sein Markenzeichen, seine Währung und Unterschrift. Sei es eine Schlacht, ein Duell vor Publikum, eine ausweglose Situation oder die Offenbarung von Fähigkeiten, Brandon Sanderson nagelt seine Leser förmlich an die Seiten und lässt einem das Kopfkino in Michael Bay-Manier um die Ohren fliegen. Danach heißt es erstmal tief durchatmen und vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen, was gerade offenbart wurde.
Diese Augenblicke sind die Essenz, die die Leserschaft süchtig macht und nach mehr fordern lässt. Gnädigerweise ist Sanderson ein produktiver Autor, der nach eigener Aussage bis zu 100.000 Wörter in drei Monaten zu Papier bringen kann und seine Fans mit immer neuen Büchern versorgt. Das Ende der Fahnenstange ist also lange noch nicht erreicht.
Zu guter Letzt wartet Sanderson noch mit einer sympathischen Fannähe auf. Auch das sei erwähnt bei all den Superlativen, die meine Finger der Tastatur entlocken. Auf seiner Homepage veröffentlicht er einmal im Jahr den sogenannten „State of the Sanderson“, bei dem es sich um eine Art Wasserstandsmeldung über seine aktuellen Projekte und Planungen für die Zukunft handelt. Die oben erwähnte Fannähe spiegelt sich auch in Sandersons Vermarktung und seinem Willen wider, seine Projekte an den Fan zu bringen.
Der Herr der Fantasy ist Inhaber einer Firma (Dragonsteel Entertainment LLC), über die er unter anderem einen Merchandise-Shop betreibt. Dort werden z. B. Sonderausgaben seiner Bücher angeboten. Natürlich weiß der Mann sich zu vermarkten und die Erhöhung seines Kontostandes ist zweifellos Teil seines Motivationspaketes. Hinzu kommen Preise im Shop, die zum Teil ziemlich gewöhnungsbedürftig sind, aber es wird ja niemand gezwungen, überteuerte Sticker zu kaufen.
Am 7. Juli 2022 startete Brandon Sanderson auf Kickstarter eine Crowdfunding-Kampagne, um eine besondere Ausgabe seines Buches „The Way of Kings“ zu finanzieren. Das Vorhaben endete im bis dahin erfolgreichsten Kickstarterprojekt in der Kategorie Literatur, und Sanderson gelang es, 6.788.517 USD einzunehmen. Aber Sanderson wäre nicht Sanderson, wenn er sich nicht selbst überbieten würde. Mit einem weiteren Vorhaben über die Plattform Kickstarter sammelte er für seine sogenannten „Secret Projects“, 4 Bücher, die er im Geheimen geschrieben hatte (darunter auch „Weit über der smaragdgrünen See“), wahrhaftig knapp 42 Millionen USD ein (Plattformrekord!).
Brandon Sanderson ist der personifizierte Superlativ eines Schriftstellers. Die phantastische Literatur ist sein Metier und er ist der größte Fisch im Becken. Wer sich mit der modernen Fantasyliteratur beschäftigt, wird an Maestro Sanderson nicht vorbeikommen. Ich lege also jedem Fantasyliebhaber nahe, sich seinen Werken zu widmen. Vielleicht erinnert ihr euch dann an meine Worte und könnt meine Schwärmereien verstehen.
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