Kohlrabenschwarz – Staffel 1
Serien-Kritik von Marcel Scharrenbroich
Vom Hörspiel-Hit zum Serien-Tipp
Es war einmal… und nun ist es wieder!
Es muss nicht immer wilde Fiktion - entsprungen aus Hirnen eifriger Hollywood-Schreiberlinge - sein, damit ein Konzept funktioniert. Neue Welten, immer größer und phantastischer, oder Horror-Garn, so abgedreht, dass selbst eingefleischten Genre-Fans die Haare auf der Gänsehaut zu Berge stehen. Nichts gegen frischen Wind im übernatürlichen Phantastik-Kosmos, aber manchmal liegt erfolgversprechender Stoff quasi vor der Haustür… beziehungsweise schlummert in der angestaubten Sagen- und Mythenwelt gemütlich vor sich hin. Erstmal wiederentdeckt und von Spinnweben befreit, können regionale Erzählungen - auch abseits der weit verbreiteten Märchen der Gebrüder Grimm - selbst nach Jahrzehnten noch ein Publikum begeistern. Vor allem, wenn man sie gekonnt in die Gegenwart transportiert und auf unsere Realität prallen lässt. Als wären viele Legenden trotz ihrer zeitlichen Entfernung nicht schon furchteinflößend genug - denn wem jagen Hexen, die kleine Kinder im finsteren Wald verspeisen wollen, keinen Schauer über den Rücken? -, ist die Bedrohung aus dem Sagenreich gleich noch viel spür- und greifbarer, wenn nicht zwingend wohlgesonnene Gesellen plötzlich mir nichts dir nichts durch spärlich ausgeleuchtete Straßen und Gassen oder unwirtliche Wälder, deren Ruhe zumindest bei Tageslicht eine wohltuende Kulisse par excellence symbolisiert, spazieren. Eine derart naheliegende Idee, dass man sie im weitläufigen Phantastik-Feld fast hätte übersehen können. Aber nur fast… doch dazu gleich mehr. Schauen wir aber erstmal, wie man einen kuriosen Spagat zwischen augenzwinkerndem Mystery-Horror und niedergeschriebenen Sagen und Mythen vollführt, ohne sich splitternd die Leisten zu brechen.
„Was bist du eigentlich für ein Pfarrer?“
Die Geschichte von „Kohlrabenschwarz“ ist eigentlich schnell erzählt. Alles beginnt mit einer scheinbaren Entführung eines Jungen. Einer Entführung, die gleich mehrere Fragen aufwirft… wagt man sich denn, diese auch zu stellen: Der Teenager Simon (Florian Geißelmann) wird am späten Abend mitten in Rosenheim in einen Lieferwagen gezerrt. Eine rasche Aktion und zurück bleibt sein Kumpel Jonas (Andreas Hagl), der in völliger Hilflosigkeit lediglich panisch die Nummer die Polizei wählen kann.
Kriminalpolizist Thomas Falbner (Jürgen Tonkel) ist mit dem Fall betraut und möchte sich gerne einen alten Kollegen ins Boot holen. Den Psychologen Stefan Schwab (Michael Kessler). Eigentlich hat Schwab seiner beratenden Funktion für die Polizei abgeschworen, da sein obsessives Engagement in der Vergangenheit für Spannungen sorgte, denen seine Ehe nicht standhielt. Als Falbner jedoch offenbart, dass in den letzten Tagen gleich mehrere Kinder in Rosenheim auf mysteriöse Weise verschwunden sind, wirft Schwab kurzerhand alle Zweifel über Bord und willigt ein. Das passt nicht allen im Kommissariat. Ganz besonders nicht dem Polizeipräsidenten Eberhard Kroiss (Axel Milberg). Und auch nicht Stefans Ex Susanne (Bettina Zimmermann). Bei der schlüpft er nämlich kurzerhand unter. Freilich ohne Hintergedanken, denn Susanne ist mittlerweile wieder glücklich verliebt… in den örtlichen Pfarrer Franz Hartl (Peter Ketnath).
Überraschenderweise erweist sich der Pfarrer als richtig guter Typ! Stefan und Franz sind ziemlich schnell auf einer Wellenlänge und da in der Kirche immer noch so etwas wie die Schweigepflicht gilt, plaudert der redselige Psychologe bei einem mitternächtlichen Schluck ein wenig über den Fall der verschwundenen Kinder. Anhand von Jonas‘ Zeugenaussage und wenig hilfreichen Kamera-Auswertungen ergeben sich erste kleine Hinweise, die Franz durch sein Wissen über die lokalen Mythen und Legenden in eine ungeahnte Richtung lenkt. Er erzählt vom sogenannten „Kraxelmann“, der die unartigen Kinder mit einer Schlinge einfängt und in sein Versteck in den finsteren Wald bringt… um sie zu fressen!
Es klingt verrückt, doch alle Hinweise passen zu der alten Sage, die einem düsteren Schauermärchen gleicht. Dass Kroiss von den Fakten wenig begeistert ist, versteht sich von selbst. Auch Susanne sieht das entfachte Feuer in ihrem Ex eher skeptisch, kennt sie diesen Blick doch noch zu gut aus der Vergangenheit. Der mit allen Weihwassern gewaschene Franz ist gleich für ein Abenteuer bereit und mit der aufgeschlossenen und zugleich charmanten Polizistin Anna Leitner (Bettina Lamprecht), ebenfalls keine Freundin von Kroiss‘ pedantischem Führungsstil, haben sie gleich noch eine tatkräftige Verbündete an Bord.
Allerdings öffnet die Spur zum „Kraxelmann“ regelrecht die Büchse der Pandora, denn der Menschenfresser ist nur die Spitze des Eisbergs. Stefan, Franz, Anna und Susanne geraten immer tiefer in die ebenso tief verwurzelte Sagenwelt, die man bislang nur aus Büchern kannte… ganz, ganz finsteren Büchern.
Von Audible…
Michael Kessler, der ebenso bekannte wie beliebte Schauspieler aus „Manta, Manta“, „Switch Reloaded“ oder „Kessler ist …“, brachte den Stein bei einem gemeinsamen Abendessen mit „RTL Samstag Nacht“-Urgestein und „Bernd das Brot“-Co-Schöpfer Tommy Krappweis ins Rollen. Er warf die Idee, dass man nach der gemeinsamen Arbeit am Hörspiel „Bill Bo und seine Bande“ doch mal einen unverbrauchten Genre-Mix aus Krimi, Horror und alten Mythen in Angriff nehmen könnte, in die Runde. Freilich ohne zu ahnen, dass Krappweis sich während der folgenden Monate voller Tatendrang in die Umsetzung stürzen würde. Zusammen mit Drehbuchautor und Schriftsteller Christian von Aster („Der letzte Schattenschnitzer“, „Die große Erzferkelprophezeiung“) machte er sich ans Schreiben.
Für Audible entstand die erste Hörspiel-Staffel, die Ende 2020 an den Start ging und nach großem Zuspruch im Folgejahr um eine weitere Staffel ergänzt wurde. Kessler war als Sprecher der Hauptfigur Stefan Schwab gleich mit im Boot. Als Erzähler konnte man Götz Otto („James Bond 007 - Der Morgen stirbt nie“, „Der Untergang“, „Ossi’s Eleven“) gewinnen. Bettina Lamprecht („Switch“, „Bettys Diagnose“, „Pastewka“) stieß als Anna Leitner hinzu, während die Rolle von Susanne, die sich voller Spielfreude Wortgefechte mit ihrem Ex-Mann liefert, von Bettina Zimmermann („Mondscheintarif“, „Apokalypse Eis“, „2030 - Aufstand der Alten“, „Der Lack ist ab“) glänzend bekleidet wurde. Jürgen Tonkel („Hausmeister Krause“, „Wer früher stirbt ist länger tot“, „Tatort“) übernahm die Rolle des tatkräftigen Pfarrers Franz.
…zu Paramount+
Das Gute an den zahlreichen Streamingdiensten, die gefühlt wöchentlich mit immer neuen Anbietern Kundschaft ins Abo locken wollen, ist die unbestreitbare Tatsache, dass plötzlich Projekte möglich sind, die noch vor Jahren auf taube Ohren bzw. zahlungsunwillige Geldgeber gestoßen wären. Während das öffentlich-rechtliche TV sich weiterhin im Kreis zu drehen scheint und auf sichere Banken setzt (Krimis, Schmachtfetzen und gerne mal historische 0815-Dramen vom Reißbrett), haben Projekte wie „Dark“ gezeigt was möglich ist, wenn man die Kreativen mal kreativ sein lässt. Das Netflix-Nachfolgeprojekt „1899“ wurde zwar viel zu schnell und ohne zufriedenstellende Auflösung eingestellt und auch die Prime-Konkurrenz blieb mit der Hohlbein-Adaption von „Der Greif“ hinter den Erwartungen, doch der noch junge Dienst Paramount+ hat mit der Umsetzung von „Kohlrabenschwarz“ ein experimentelles Eisen im Feuer, welches hoffentlich noch länger heiß bleibt.
Die Produktion der sechs verfügbaren Folgen wurde von der bumm film GmbH übernommen, unter der Leitung von Tommy Krappweis und dessen Bruder Nico. Ein wahres Familienprojekt, denn die Buch-Umsetzung des Stoffes, erschienen Ende 2021 bei Edition M, wurde neben den Schöpfern maßgeblich von Sophia Krappweis, Tommys Ehefrau, auf den Weg gebracht. Regie führte bei allen Folgen Erik Haffner („Pastewka“, „Sketch History“, „Frau Jordan stellt gleich“, „Die Geschichte der Menschheit - leicht gekürzt“), ein langjähriger Weggefährte der Krappweis-Familie. Und man merkt, dass alle Beteiligten auf einer Wellenlänge ticken, da der Charme der Hörspiel-Episoden nahezu perfekt auf den kleinen Bildschirm übertragen wurde. Das liegt natürlich auch an der Besetzung, denn die ist nahezu identisch. Auf einen Erzähler wurde selbstverständlich verzichtet, doch Götz Otto konnte man dennoch in der Serie unterbringen. Neben Gastauftritten weiterer bekannter Schauspieler - darunter Christian Tramitz, Esther Schweins, Jasmin Schwiers oder Alexander Schubert - finden sich auch Cameos von Tommy und Nico Krappweis.
Eine Änderung gibt es in der Besetzung von Pfarrer Franz Hartl. Hört man im Audible-Hörspiel noch Jürgen Tonkel, ging die Rolle in der Serie an den „SOKO Stuttgart“-Darsteller Peter Ketnath, der die Kutte des wortkargen Geistlichen aber perfekt ausfüllt. Tonkel übernimmt dafür den Part, den Tommy Krappweis noch im Hörspiel bekleidete. Als duckmäuserischer Thomas Falbner wird er der Rolle durchaus gerecht, was erneut für das gute Casting spricht.
Fazit
Mit einer bislang einzigartigen Mischung aus kauzigem Krimi, märchenhaftem Horror und reichlich Mystery ist Paramount und bumm film ein unglaublich sympathischer Spaß mit spielfreudigen Darstellern gelungen. Die sechs Folgen vergehen (leider!) wie im Flug und machen Lust auf mehr. Die Wortgefechte sind bissig, spitz und überzeugen mit gutem Comedy-Timing. Angenehm düster und spannungsvoll ist es auch. Uneingeschränkt zu empfehlen, selbst wenn man die tollen Audible-Hörspiele bereits kennt.
Wertung: 8
Bilder: © Paramount+
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