Twisters
Film-Besprechung von Michael Drewniok
Vor fünf Jahren waren Kate, ihr Freund Jeb sowie Javi, Addy und Praveen als Sturmjäger aktiv: Im US-Staat Oklahoma, der alljährlich von Tornados gebeutelt wird, fuhren sie den Wirbeln hinterher, um sie zu erforschen. Kate arbeitete zudem an einer Chemikalien-Mixtur, die den gierigen Saugrüssel eines Tornados zusammenfallen lassen sollte.
Das fröhliche Abenteuer endete als Tragödie, als das Team in einen Wirbelsturm geriet, der nicht nur die Beruhigungs-Chemie ignorierte, sondern über die jungen Leute herfiel. Nur Javi und Kate überlebten. Schwer traumatisiert hat sie Oklahoma verlassen und ist nie zurückgekehrt. Im tornadosicheren New York arbeitet Kate für einen Wetter-Sender.
Dort findet sie Javi, der sie in die „storm alley“ ihres Heimatstaates zurücklocken will. Ein reicher Geschäftsmann sponsert eine neue Technik, mit der sich Wirbelstürme so exakt wie nie zuvor vermessen und womöglich besser voraussagen lassen. Nach kurzem Zögern kann Kate nicht widerstehen und schließt sich dem Team von „Storm Par“ an.
Es dauert eine Weile, bis Kate ihre Tornado-Angst überwindet. Beflügelt wird dies durch die Konkurrenz: YouTube-„Stormwrangler“ Tyler Owens irritiert mit seiner wilden Truppe die „Storm-Par“-Forscher. Dann findet Kate heraus, dass Javis ‚Sponsor‘ Marshall Riggs gezielt (und billig) das Land verzweifelter Hausbesitzer und Farmer aufkauft, deren Besitz gerade von einem Sturm zerstört wurde. Enttäuscht verlässt sie „Storm Par“ und schließt sich Tyler an, der sich jenseits seiner Cowboy-Attitüde als anständiger Mann mit meteorologischem Studienabschluss entpuppt.
Owens kann Kates Forschergeist neu beleben. Sie mischen ein neues Gegenmittel zusammen, um damit einen Tornado zu füttern. Das Experiment wird von einem Super-Sturm durchkreuzt, der sich den ahnungslosen Bürgern des Städtchens El Reno nähert. Kate und Tyler sowie ein inzwischen geläuterter Javi versuchen, die Bewohner in Sicherheit zu bringen und gleichzeitig den Tornado zu zähmen ...
Vom Sturm geschliffene Story
1996 ließ Regisseur Jan de Bont die Kuh fliegen - buchstäblich, und das vom Wirbelsturm durch die Lüfte getragene Hornvieh ging in die Filmgeschichte ein. „Twister“ wurde zu einem Blockbuster jener Kategorie, die von der Kritik verrissen, aber von Hollywood-Produzenten geliebt werden, denn er spielte eine gewaltige Geldsumme ein. Als „Quasi-Klassiker“ gilt dieser Film aufgrund seiner spektakulären Spezialeffekte, die das Publikum buchstäblich ins Auge des Sturm zerrten. Obwohl die (digitale) Technik in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Fortschritte machte, kann sich „Twister“ immer noch (an-) sehen lassen; dies auch, weil Jan de Bont vor seiner (kurzen) Regie-Karriere als Kameramann tätig war und sehr genau wusste, wie man Schauwerte möglichst eindringlich zur Geltung bringt.
Die erwähnte Kritik erkannte die optische Wucht an, richtete ihr Augenmerk aber auch auf Story und Darsteller. Was hier lautstark und völlig korrekt moniert wurde, lässt sich deckungsgleich auf „Twisters“, die ‚Fortsetzung‘ von 2024, übertragen und ist gleichermaßen interessant wie traurig: Ohne regelmäßiges Sturmbrausen würden beide Filme in erzählerischen Nebensträngen bzw. Sackgassen verenden; sie bieten nichts, das sich mit Begriffen wie „Spannung“ oder gar „Originalität“ umschreiben ließe. „Twister“ wurde mit einer „Goldenen Himbeere“ für den „schlechtesten Film, der über 100 Mio. Dollar eingespielt hat“ ausgezeichnet; eine eher hilflose Geste, die vom produzierenden Studio naturgemäß ignoriert wurde, aber deutlich Hinweis auf das grundsätzliche Problem hinweist.
Stürme wirbeln, was Computer an Pixelkraft hergeben - und das ist in der Tat sehenswert! Zwischen solchen Szenen fällt es jedoch schwer, die Augen offen zu halten. 1996 wie 2024 liegt es nicht an den Schauspielern. Bill Paxton und Helen Hunt legten sich ebenso nachdrücklich ins Zeug wie nunmehr Daisy Edgar-Jones und vor allem Glen Powell auftreten. Ihm gelingt es sogar, das Klischee des Cowboy/YouTube-Großmauls in eine sympathische und heldenhafte Figur zu verwandeln, die vom Winde verwehte Kinder und Hunde rettet, ohne dabei lächerlich zu wirken; eine Herausforderung, an der die Nebendarsteller scheitern müssen, weil sie vom Drehbuch mit für uns Zuschauer qualvollen Konsequenzen im Stich gelassen werden.
Dünne Luft für windige Story
Wer den Film von 1996 gesehen hat, kommt nicht umhin zu erkennen, dass 2024 ungeachtet der Variationen dieselbe Geschichte erzählt wird. Im Kern geht es hier wie dort darum, Tornados anzusteuern, um sie ‚wissenschaftlich‘ in den Griff zu bekommen. Natürlich geht das schief, zumal „Twister“ und „Twisters“ primär von Null-Hirnen dominiert werden, die Lebensgefahr scriptbedingt selbst dann fahrlässig ignorieren, wenn diese sie in ihre Hintern beißt, weshalb sie vom Wirbel eingesaugt und in die Höhe gerissen werden. Niemand bemitleidet sie, denn sie rekrutieren sich aus einer endlosen Schar gesichtsloser Darsteller, die US-zünftiges Landleben in Oklahoma simulieren. (Leichen bekommt man nicht zu sehen, um die Altersfreigabe „ab 12 Jahre“ nicht zu gefährden.)
Zieht der jeweilige Tornado ab, dümpelt die Story in einer Flaute vor sich hin. Ebenfalls um die (US-) Jugend nicht in Wahnsinn und Amok zu treiben, wird jegliche Zweisamkeit, die über ‚Freundschaft‘ hinausgeht, radikal ausgeblendet. Das führt zu Absurditäten wie dem ständigen Umeinanderkreisen von Kate und Tyler, die definitiv mehr als ‚Freunde‘ sein wollen, aber nicht dürfen. (Solche Ambivalenz ist außerdem nützlich, sollte es zu einer Fortsetzung kommen, die dem Paar vielleicht Erfüllung gönnt.)
Kates Tornado-Trauma wird u. a. im Rahmen eines Prologs aufwändig eingefädelt, löst sich aber später ebenso spurlos auf wie die meisten Todeswirbel, denen die Sturmjäger hinterher fahren. „Emotionale Intensität“ definiert dieser Film als „Hysterie“. Unter ebenso ohrenbetäubenden wie geistlosen Begeisterungsgebrüll und mit aus sämtlichen Lautsprechern dröhnendem Country-Rock - der Soundtrack zum Film will schließlich ebenfalls verkauft werden - rasen besagte ‚Jäger‘ wie Lemminge über Stock und Stein. Sie sind so lachhaft überzeichnet, dass man sich als Zuschauer freut, wenn sich der Sturmrüssel wieder einen dieser Idioten krallt.
Tornado-Wüten oder Hirn-Sausen?
Liegt es daran, dass Stephen Spielberg als „Ausführender Produzent“ zeichnet? „Twisters“ wirkt wie einer dieser harmlos-kindgerechten Streifen, mit denen er in den 1980er Jahren berühmt wurde. Mehrere Jahrzehnte später wirkt dies als „Stranger-Things“-Nostalgie aufgewärmt und ranzig. Jene Naivität, mit der in Hollywood lange die Realität überzuckert und verfälscht wurde, hat als Stilmittel offenbar ihre Wirkung verloren. Gefühlvolle oder solidarische Aufwallungen der Figuren - „Wir pfeifen jetzt auf Profit und helfen US-patriotisch gratis & mit unseren Händen“ - sind so plump ins Geschehen montiert, dass man sich als Zuschauer fremdschämt. Dazu kommt eine wissenschaftliche Akkuratesse, mit der nicht einmal das „Star-Wars“-Publikum für dumm verkauft würde. Was in „Twisters“ über Stürme und vor allem ihr ‚Abschalten‘ verzapft wird, sollte man umgehend vergessen!
Dass die Story stringent, aber eindimensional vorangetrieben wird, ist nicht das Problem. Stattdessen verkümmert sie in der Erzählung. Ortschaften, Großfabriken und ganze Raffinerien lösen sich im Teufelswind auf. Trotzdem gibt es keine Überraschungen, das Geschehen läuft wie auf Schienen über längst bekannte Strecken. Die Spannung ist vordergründig, die Dramatik trocken wie Staub, ‚tiefgründige‘ Gespräche verharren in lähmender Eindimensionalität. ‚Die Bösen‘ erkennt man an ihrer Humorlosigkeit, oder sie tragen gelschmieriges Resthaar und Operettenwestern-Anzüge inklusive Bolo tie.
Zugegebene 150 Mio. Dollar wurden in „Twisters“ investiert; tatsächlich waren es - auch aufgrund des Autorenstreiks, der Hollywood 2023 über Monate lahmlegte - wohl einige Millionen mehr. Diese Summe wurde eher mühsam und nicht in den US-Kinos eingespielt. Letztlich kamen mehr als 350 Mio. Dollar zusammen. Von einem Blockbuster kann man trotzdem nicht sprechen. Selbst die großartigen Effekte konnten davon nicht ablenken. Weder Regisseur Lee Isaac Chung noch Kameramann Dan Mindel verfügen über Jan de Bonts Auge. Wo dieser die bedrohliche Wucht tobender Sturmgewalten sicht- und spürbar machen konnte, zeigt „Twisters“ Wind, der allerlei Hausrat durcheinanderwirbelt. Dazu lähmt wieder das Drehbuch, das die Kamera ständig im Inneren von Pick-ups und Plump-Trucks festnagelt. Tornados stehen für Himmel, Horizont und Weite. Viel zu selten wird dies deutlich. Als im Finale Großtanks reihenweise explodieren und Trümmer malerisch durch die Luft sausen, müssen wir dies wieder durch Windschutz- und Seitenscheiben oder Mauerrisse beobachten.
Wem es gelingt, die Hirnaktivität soweit zu dimmen, dass ausschließlich die Action-Szenen zur Kenntnis genommen werden, dürfte dennoch zufrieden sein. Die Abwesenheit emotional überfrachteter Konflikt-Figuren wäre durchaus eine Erleichterung, würde das Drehbuch sie nicht durch bloße Hülsen ‚ersetzen‘. „Twisters“ ist ein Produkt jener Unterhaltungsindustrie, die schematisch, aber handwerklich hochwertig daherkommt. Womöglich liegt man mit der Altersfreigabe richtig: Jugend bzw. das Unwissen dessen, was Film auch sein kann, bereitet die Bühne für Werke wie „Twisters“.
„Twisters“ für das Heimkino
Längst ist es keine Selbstverständlichkeit mehr, dass jenseits der Streamingdienste veröffentlichten Spielfilmen Extras aufgespielt werden. Insofern stellt „Twisters“ zumindest in der Blu-ray-Version eine erfreuliche Ausnahme dar. Regisseur Lee Isaac Chung begleitet das Geschehen mit einem Audiokommentar, der die Klischees erwartungsgemäß ausklammert bzw. ihnen einen Hintersinn andichtet, den wohl nur er sieht.
Ebenfalls angeschaut werden können im Film nicht verwendete sowie verpatzte Szenen. Selbstverständlich folgt unter dem Titel „Jagd auf den Sturm“ ein „Making-of“, das ebenfalls im Dienst der Werbung steht. Glen Powell tut so, als führe er uns Zuschauer hinter den Kulissen herum („Ein stürmischer Tag“). Darüber hinaus gibt es einige Mini-‚Dokus‘, die sich um das Tornado-Phänomen ranken („Im Auge des Sturms“, „Auf Tornadojagd“), den Blick in einen wirbelsicheren Sturmjäger-Truck („Trucks mit allen Extras“) und die Antwort auf die Frage, wie man einen Sturm möglichst unheimlich in Zuschauerohren dröhnen lässt („Wie klingt ein Bösewicht?“) - ein Effekt, der in der 4K-Ultra-HD-Fassung besonders druckstark zur Geltung kommt.
Fazit
„Twisters“ zieht eine Schneise zwischen Unterhaltung und Anspruch: Erstere wird durch bild- und tongewaltige, aber ‚dank‘ Regie und Kamera nur durchschnittlich dramatische Sturm-Szenen garantiert, während letzterer nur behauptet wird und den Figuren endgültig jegliche Relevanz raubt: ein Instant-Spektakel, das für keinerlei frischen Wind sorgt, jedoch den aktuellen Status der Filmtricktechnik definiert.
Wertung: 5
Bilder: © Warner Home Video
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