The Sadness
Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich / Titel-Motiv: © Capelight
Kein Film von Traurigkeit
Alvin und die Gorehounds
Wie man darauf kommt, während einer Pandemie einen Film über eine Pandemie zu drehen, muss mir vielleicht mal jemand genauer erklären… Ich meine, man zeigt während eines Langstreckenfluges ja auch nicht „Airport“ oder auf einer lauschigen Kreuzfahrt „Die Höllenfahrt der Poseidon“. Ebenso wenig entlässt man Teilnehmer eines Tauchkurses mit einem Best-of von „Der weiße Hai“ 1 bis 4 in die erste Schnorchel-Stunde oder drückt Hotelbesuchern am Empfang eine Kopie von „Flammendes Inferno“ in die Hand, damit sie auf dem Weg in den 138. Stock was zum Nachdenken haben. Kurioserweise hielt man die Idee in Taiwan für supi und beauftragte den Drehbuchschreiber Rob Jabbaz damit, irgendwas Flottes mit Zombies auf die Beine zu stellen. Immerhin hatte Corona zu diesem Zeitpunkt schon fast die gesamte Welt im Griff und aus Hollywood kam kein Film-Nachschub mehr, da die Produktionen allesamt gestoppt wurden, weshalb sich ein eilig heruntergekurbelter Streifen so schnell an die Spitze der Charts katapultieren könnte. Jabbaz hing das Zombie-Thema (wie wohl den meisten von uns) aber schon zu den Ohren raus… also unterbreitete er den Bossen einen anderen Vorschlag:
Taiwan hatte die reale Pandemie bis April 2022 eigentlich sehr gut im Griff. Die Infektionszahlen waren - bis auf wenige Peaks - meist im ein- höchstens zweistelligen Bereich, weshalb man mit der Arbeit der Regierung mehr als zufrieden war. In unserem Alternativ-Taiwan ist dem nicht so und man steht Behörden und Machthabern eher kritisch gegenüber. Die tun sich auch keinen Gefallen, als in den Medien über einen mysteriösen Virus berichtet wird, den man „Alvin“ getauft hat. Eine Infektion verursacht aber keine quäkige Pieps-Stimme, regt zum Singen an und sorgt dafür, dass man einem gewissen Dave tierisch auf den Sack gehen möchte, nein… „Alvin“ scheppert mal so richtig rein und weckt die niedersten Instinkte. Rasende Wut und enorm gesteigerten Sexualtrieb. Mit blutunterlaufenen, schwarzen, tränenden Augen, gepaart mit einem grenzdebilen Grinsen von einem Ohr zum anderen, stürzen die Infizierten sich wahllos auf unbescholtene Bürgerinnen und Bürger. Sie weiden sie nach allen Regeln der Kunst aus, vergewaltigen sie und verspeisen sogar gerne mal das eine oder andere Stück Menschenfleisch. Dabei gehen sie äußerst clever vor und mischen sich zuerst unerkannt in Menschenmengen, um möglichst effektiv zuzuschlagen.
Diese Erfahrung muss auch die junge Kat (Regina Lei), machen, die kurz zuvor von ihrem Freund Jim (Berant Zhu) zu einem U-Bahnhof in Taipeh gebracht wurde. Während Jim beim morgendlichen Tässchen Kaffee in einem Diner die Bekanntschaft der Infizierten macht, wo eine „Alvin“-Omi einem armen Angestellten mal kurzerhand den Inhalt der brutzelnden Fritteuse über den Schädel gießt, muss sich Kat in der Bahn den lästigen Anmachversuchen eines leicht abgelederten Geschäftsmanns (Tzu-Chiang Wang) stellen, der die hübsche Frau wohl schon länger im Auge hat. Gerade als sie dem Lustmolch die Leviten liest, bricht im Abteil das Chaos aus. Ein Mitreisender sticht wahllos auf die Passagiere ein, dass es nur so platscht. In Panik rennen die Fahrgäste am nächsten Stopp aus der Bahn, doch auf den Straßen werden sie bereits von rasenden Irren, denen Geilheit und die Lust nach Gemetzel schon aus den triefenden Augen läuft, erwartet. Nun ist es an Jim, sich die Wilden selbst vom Leib zu halten und möglichst heil seine Angebetete aus der Hölle von Taipeh zu retten… doch Kat hat einen starken Überlebenswillen und schlägt sich gar nicht schlecht alleine durch.
Kein Zombie, kein Glockenseil
Angepriesen wurde „The Sadness“ als „Der wohl brutalste Zombiefilm aller Zeiten!“. Nun ja… erstmal ist er kein Zombiefilm, da fängt es schon mal an. Ebenso wenig wie Danny Boyles „28 Days Later“ bzw. dessen Fortsetzung „28 Weeks Later“, denen dieser Genre-Zweig ebenfalls sehr gerne zugeschrieben wird. Wären alle Infizierten gleichzusetzen mit Zombies, bei denen es sich laut Definition ja immer noch um wieder zum Leben erwachte Tote handelt, hätten wir hier wohl mittlerweile eine Menge Kandidaten herumschlurfen. Was Zombies im Film noch am nächsten kommt, sind die Passagiere der U-Bahn, die erst bemerken was abgeht, als sie schon knietief im Blut stehen. Ein Hoch auf Smartphones! Warum den Infizierten in „The Sadness“ aber letztendlich die Synapsen durchknallen, wird im Laufe des Films noch erklärt. Überraschend und simpel sogar, wenn man sich den ansonst holprigen Verlauf des Films ansieht.
„The Sadness“ krankt nämlich an vielen kleinen Problemchen, die man nicht einfach ausblenden kann. Zum einen wären da die Darsteller, die über Seifenoper-Niveau selten hinauskommen. Lediglich der diabolische Geschäftsmann kann überzeugen, was durchaus dem Schauspieler Tzu-Chiang Wang zuzuschreiben ist. Im Gegensatz zu seinen jungen Kollegen kann der 55-jährige auf eine beachtliche Latte an Film- und Serien-Engagements zurückblicken. Ein weiterer Kritikpunkt ist das unausgegorene Tempo des Films. Wenn die Infizierten losstürmen, gibt es wahrlich kein Halten mehr. Dann wird „The Sadness“ schnell, hart und äußerst gnadenlos. Dann folgen aber wieder Passagen, in denen ellenlang geredet wird. Und selten kommt dabei etwas rum, das die eh schon dünne Story weiter voranbringt. Geht es allerdings um das, was dem Film schon im Vorfeld von sich reden machen ließ, werden keine Gefangenen gemacht: der Härtegrad.
Fast ausschließlich handgemacht, haben es die Splatter-Effekte in „The Sadness“ wahrlich in sich. Unmengen an Blut, Gekröse und Sabber. Die Kamera hält in fast allen derben Szenen ordentlich drauf, was Grenzen des guten Geschmacks immer wieder überschreitet, Gorehounds aber glücklich machen wird. Runtergekurbelt in 28 Tagen (ha, Zufall?), darf man keinesfalls eine filmische Offenbarung erwarten. Gewiss nicht. Dafür gibt die überschaubare Story nicht ansatzweise genug her, was aber auch nicht die Intention des Regisseurs war. Sinn und Zweck sind einzig Aneinanderreihungen von Perversitäten und Brutalitäten. Das löchrige Story-Gerüst wird dann noch mit derben Flüchen und pösen Chimpfwörtern angereichert, sodass es das Ganze irgendwie zusammenhält und bis zum Abspann rettet.
„Hirntot“
Das Label CAPELIGHT brachte „The Sadness“ für kurze Zeit in ausgewählte Kinos, doch der Weg dorthin war nicht einfach. Gleich dreimal musste man den Streifen der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) vorlegen, um eine Freigabe ab 18 Jahren zu erreichen. Ach was, zu erkämpfen! Wo ehemals „böse“ Filmchen mittlerweile in ihrer ungekürzten Form neben Komödien im Elektrofachmarkt liegen, gibt es halt doch noch Klopper, die den Prüf-Gremien die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Sind unter anderem die Frühwerke des „Herr der Ringe“-Regisseurs Peter Jackson rote Tücher für die Prüfstelle, würden Filmfans die schwarzhumorigen Splatter-Raketen gerne in ihre Heimkinos aufnehmen, was eventuell mal in den Bereich des Möglichen rücken KÖNNTE… immerhin arbeitet Jackson an 4K-Restaurierungen seiner gorigen Wurzeln, wobei der überzogene Humor durchaus ausschlaggebend für eine eventuelle Freigabe sein kann. Dieser geht „The Sadness“ allerdings gänzlich ab, weshalb man dem saftigen Filmchen eine Freigabe für den Heimgebrauch verweigerte. Ohne Schnitte war da nichts zu machen, wogegen sich wiederum CAPELIGHT stellte. So blieb nur noch der Gang zur Juristenkommission (JK), einer weiteren Einrichtung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), ähnlich der FSK. Diese attestierte „The Sadness“ keine schwere Jugendgefährdung, weshalb eine Veröffentlichung doch noch möglich wurde. Große Elektrofachmarkt-Ketten sträuben sich zwar gegen SPIO/JK geprüfte Titel, jedoch bleibt noch der Weg über den Online-Handel.
So veröffentlichte CAPELIGHT „The Sadness“ am 15. April 2022 in gleich zwei Sondereditionen. Mediabook und Steelbook enthalten den ungeschnittenen Streifen jeweils als 4K-UHD und Blu-ray. Qualitativ gibt es da nichts auszusetzen, denn dank HDR10+ ist das Bild (2,00:1) stets detailreich und scharf. Etwas enttäuschend fällt das Bonusmaterial aus. Außer kurzen Promo-Schnipseln, die wenigstens einen kleinen Einblick in die Produktion liefern, gibt es lediglich ein Interview mit Regisseur Rob Jabbaz. Dieses wird von einem jungen Interviewer per Videocall geführt, der augenscheinlich in seinem Kinderzimmer(?) sitzt und nur mit viel Fantasie zur volljährigen Zielgruppe gehört. Im Buchteil des Mediabooks findet sich - neben Stills aus dem Film und Storyboard-Zeichnungen - ebenfalls ein Interview mit dem Regie-Neuling.
Der „Zombie“-Killer
Bleiben wir noch mal bei Rob Jabbaz, der es sich bei dem etwas befremdlichen Interview mit Laptop auf dem Schoß auf seiner heimischen Couch gemütlich gemacht hat. Als ich zum ersten Mal von „The Sadness“ und seiner Handlung hörte, musste ich sofort an den Comic „Crossed“ (in Deutschland bei PANINI erschienen) denken. Geschaffen vom Autor Garth Ennis, wurden dort ebenfalls Grenzen überschritten, was den guten Geschmack angeht. Triebgesteuerte Infizierte, knüppelharte Verstümmelungen und so weiter. Jabbaz dachte ähnlich und nahm diese nicht ganz unumstrittene Reihe als zündende Idee für die Handlung seines Films. Mit Zusage der kreativen Kontrolle und dem letzten Wort über den Endschnitt nahm er dann auch das Angebot an, den Film - trotz nicht vorhandener Erfahrung im Filmemachen - selbst zu inszenieren. Da genoss er schon einiges an Vertrauen, was ihm - wie man im Interview heraushören kann - etwas zu sehr in den Kopf gestiegen zu sein scheint.
Der in Taiwan lebende Drehbuchautor und Regisseur gibt zwar zu, dass inhaltlich Luft nach oben ist, bezeichnet aber im gleichen Atemzug die Werke seines Kollegen Rob Zombie als „scheiße“. Zu meinen Lieblingsfilmen gehören die siffigen Streifen von Zombie wahrlich auch nicht, aber von dessen beiden „Halloween“-Interpretationen (ja, ich mag „Halloween II“) und sogar „Haus der 1000 Leichen“ ist Jabbaz noch meilenweit entfernt. Wenn er dann noch großspurig die Kameraarbeit im Oscar-prämierten Survival-Drama „The Revenant“ bemängelt, scheint der Größenwahn schon zum Karrierebeginn ordentlich reingekickt zu haben. Sympathisch geht anders, Mr. Jabbaz.
Fazit
Wird „The Sadness“ nun dem Hype gerecht, welcher im Vorfeld um den ultra-brutalen Schocker gemacht wurde? Bedingt… denn es kommt darauf an, wo man seine Prioritäten beim Filmschauen setzt. Die Handlung selbst ist kaum der Rede wert, so ehrlich muss man sein. Dafür, dass er aber in weniger als einem Monat - und mit überschaubarem Budget - im Kasten war, sieht er erstaunlich solide aus. Notdürftig zusammengeschusterte Sets (zu sehen in kurzen Clips im Bonusmaterial) sehen überraschend real aus, was ebenfalls für die drastischen Effekte gilt. Fühlt man sich im Splatter-Genre heimisch, steht der Mischung aus Blut, Kotze und Tränen nichts im Weg. Ansonsten lieber einen Bogen drum machen.
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Fotos: © Capelight
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