The Deep Dark
Film-Besprechung von Michael Drewniok
Mitte der 1950er Jahre verlässt der junge Amir sein Heimatland Marokko, um im fernen Frankreich als Bergmann Geld für sich und seine Familie zu verdienen. Man schickt ihn in die „Teufelsmine“, wo jene Bergleute enden, die schon alt und krank sind, als Querulanten gelten oder sich anderweitig bei der Firmenleitung unbeliebt gemacht haben. Hier ist die Arbeit schwer und gefährlich und die Unfallrate hoch. Die Kollegen verachten den „Araber“ und machen ihm das Leben schwer. Immerhin gibt Roland, der erfahrene Vorarbeiter, Amir eine Chance und macht ihn mit dem Leben unter Tage vertraut.
Noch arbeitet sich Amir ein, als Roland und sein Team für einen Sonderauftrag abgestellt werden. Professor Berthier will angeblich Bodenproben in möglichst tiefgelegenen Erdschichten entnehmen. Da die Minenschächte nicht so weit vorangetrieben wurden, soll sich die Gruppe durch die unterste Schicht sprengen.
Roland ist nicht begeistert, denn 1000 Meter unter der Erde will jeder Schritt gut durchdacht sein. Ein Jahrhundert zuvor gerieten mehr als 30 Bergleute in ein Schlagwetter und wurden verschüttet; ihre Leichen fand man nie. Doch die Prämie lockt, und so steigt man in die Tiefe, kann tatsächlich den Boden durchdringen - und dringt in ein gigantisches, bisher unbekanntes Stollensystem vor.
Der misstrauische Roland zwingt Berthier zu offenbaren, dass dieser eigentlich auf den Spuren einer uralten Kultur ist. Hier brachte man einst einem ‚Gott‘ namens Mok'Noroth Menschenopfer. Tatsächlich finden die Eindringlinge ein altes Grab und darin einen gigantischen Sarkophag: Hier liegt Mok'Noroth, der jedoch alles andere als tot ist. Als die gierigen Bergleute auf der Suche nach kostbaren Grabbeigaben sein Grab schänden, erwacht er - und knüpft unverzüglich dort an, wo er einst einhalten musste: Er jagt die Diebe und verschont auch jene nicht, die an dem Grabraub unbeteiligt waren.
In der Finsternis beginnt eine wilde Flucht. Der Schacht nach oben ist inzwischen eingestürzt, was ein Entkommen verhindert. Zwar entdeckt Berthier einen anderen Ausweg, aber Mok'Noroth ist der Gruppe hart auf den Fersen, weshalb sich deren Mitgliederschar rasant vermindert. Dann entdeckt Amir, was Mok'Noroth eigentlich plant, weshalb er unbedingt daran gehindert werden muss, auf die Oberfläche vorzudringen ...
Das überforderte Augentier
In der Dunkelheit lauert das Böse: Diese Erkenntnis dürfte den Menschen begleiten, schon bevor er seine Welt in Gedanken und Worte fassen konnte. In der Frühzeit waren die Nächte ohne Licht, und um die notdürftig gesicherten Nachtlager schlichen hungrige Raubtiere. Auch in den Höhlen, die man lange als Wohnplätze nutzte, war es finster und unheimlich; wer oder was mochte dort hausen?
Es ist nur ein Schritt zu der Überzeugung, dass die Abwesenheit von Helligkeit eine breite Palette von Kreaturen und Entitäten verbirgt, die man man unter den Oberbegriff „übernatürlich“ stellte. In einer Welt, die jenseits einer noch nicht existierenden Wissenschaft für Rätsel und Ängste sorgte, gab es viel Platz für Geister und Ungeheuer mit finsteren Absichten: Mok'Noroth war überall!
Die Aufklärung sorgte angeblich für das Ende solchen Aberglaubens. Tatsächlich hielten sich die Monster hartnäckig dort, wo es auch in modernen Zeiten unheimlich blieb. Auf Stollen, die man tief unter die Erde trieb, trifft dies eindeutig zu. Bergleute waren (und sind) abergläubisch. Sie verdienen ihr tägliches Brot dort, wo es nicht nur dunkel, sondern auch lebensgefährlich ist. „The Deep Dark“ zeigt im Prolog eine typische Situation: Durch ein in die Bergwand getriebenes Loch strömt Erdgas in den Stollen. Es ist nicht nur giftig, sondern auch hochexplosiv, weshalb diese Episode für die anwesenden Kumpels tragisch endet.
Eine eigene, düstere Welt
Der Horrorfilm begibt sich gern unter die Erde. Dunkelheit und enge Stollen sorgen dafür, dass karge Kulissen und nur schemenhaft sichtbare Ungeheuer vom Publikum hingenommen werden: Da unten ist es halt finster. Dies wird außerdem für Szenen genutzt, in denen das jeweilige Ungemach urplötzlich ins Licht springt und die Zuschauer aufschreien lässt. (Auch Mok'Noroth macht gern Gelegenheit von diesem Überraschungseffekt.) Auf diese Weise lässt sich Produktionsgeld sparen - jedenfalls dann, wenn Schauspieler bereit sind, sich den Strapazen recht anstrengender, schmutziger und nicht ganz ungefährlicher Dreharbeiten zu stellen.
Mathieu Turi fand solche Darsteller, und sie mussten sich wahrlich ins Zeug legen! Ständig ist es kalt und feucht unter Tage, und die Luft wird von Staub durchzogen. Außerdem wird das Geschehen beinahe ausschließlich durch die Helmlampen der Schauspieler ‚beleuchtet‘, die in der Tat in der Finsternis umherstolpern mussten. Kameramann Alain Duplantier hat hier Großes geleistet - und gleichzeitig geholfen, die unterirdischen Handlungsorte effektvoll und möglichst ungemütlich wirken zu lassen.
Ein Großteil der Dreharbeiten fand tatsächlich unter Tage statt; dies auch, weil das Budget den Bau aufwändiger Kulissen nicht zuließ. Drei inzwischen stillgelegte, aber zu Museumszwecken für Besucher geöffnete Bergwerke dienten als Drehorte. Turi nutzte nicht nur die Stollen, sondern hauchte auch den überirdischen Anlagen dieser Zechen Filmleben ein, indem er sie mit seinen Darstellern und zahlreichen Statisten bevölkerte: „The Deep Dark“ kann sich sehen lassen!
Für den Mystery-Faktor ging Turi außerdem in die Höhlenkirche St. Jean, gelegen in Aubeterre-sur-Dronne im französischen Département Charente. Franziskaner haben sie im 12. Jahrhundert in den Fels gehauen und dabei ältere Vorgängerstollen genutzt. Die Anlage geriet in Vergessenheit und wurde erst 1958 zum Jubel der Historiker wiederentdeckt. Die unter Tage entstandene Alt-Architektur, sorgt in „The Deep Dark“ dank der richtigen Mischung aus Licht und Schatten für gruselige Effekte.
Der Bund der „schwarzen Fressen“
Turi spult sein Gruselgarn nicht ohne Ambitionen ab. Es gibt einen deutlichen Subtext, der an den zeitgenössischen (?) Rassismus erinnert: Amir kommt als ‚Gastarbeiter‘ nach Frankreich. Wie ein Sklave wird er zuvor gemustert und mit einem grünen „Tauglich!“-Stempel markiert. In Frankreich steht er ganz unten in der Hierarchie, obwohl grundsätzlich alle seine Kumpels soziale Außenseiter sind. Die Chefs schicken sie um der Profits willen hinab, dort sind sie auf sich gestellt. Entstanden ist unter diesen Bedingungen ein separater Mikrokosmos. „Die schwarzen Fressen“ - so lautet übrigens der französische Originaltitel, der hierzulande einfallsreich ins Englische ‚übersetzt wurde ... - sind unabhängig von Herkunft und Hautfarbe alle gleich; daran erinnert Roland, wenn seine Multi-Kulti-Truppe gleichmäßig vom Kohlestaub eingefärbt wieder im Tageslicht steht. Professor Berthier muss dies auf die harte Tour erfahren: Sobald er, der blasierte Wissenschaftler, der die Kumpels nur als Arbeitstiere begreift, mit diesen in der Tiefe steht, macht ihm Roland unter dem Beifall der anderen handgreiflich deutlich, dass hier unten nur die „schwarzen Fressen“ das Sagen haben.
Tief unten muss man sich auf den Kumpel verlassen können. Obwohl die Männer Amir beschimpfen und verhöhnen, schalten sie in der Krise um. Jeder sorgt sich um den Kameraden; eine in der Not funktionierende Einheit, die erst Mok'Noroth auseinanderreißt. Er ist jenes Element, das sich nicht von Roland kontrollieren lässt, woraufhin ihm die Lenkung der Männer entgleitet.
Sobald die Grenzen des erwähnten Mikrokosmos’ überschritten werden, ist es insgesamt vorbei mit der Disziplin der Bergleute. Von dem, was der Professor unwillig erzählt, merken sich die Männer nur das Stichwort „(historischer) Schatz“. Geldgier und der (nachvollziehbare) Drang, endlich das „Teufelsbergwerk“ hinter sich zu lassen, führen zur ‚Auferstehung‘ Mok'Noroths und setzen die Tragödie in Gang.
Das Ding in der Finsternis
Kritisiert wird Mathieu Turi für „The Deep Dark“ weniger als Regisseur denn als Drehbuchautor. Er setzt viel Zeit und Aufwand ein, um Amir von Marokko nach Frankreich zu bringen, das zeitgenössische Leben der Bergarbeiter zu beleuchten und für die Zuschauer die soziale Isolation dieser ‚Unterschicht‘ zu beleuchten - sämtlich Aspekte, die keinerlei Rolle mehr spielen, sobald in der Dunkelheit das Jagen und Töten einsetzt. Diese Szenen sind schön anzusehen, aber man fragt sich, wann endlich beginnt, was der Prolog nicht nur angedeutet hatte: Das „Teufelsbergwerk“ trägt seinen Namen schließlich zu Recht!
Dummerweise hat das elementare Problem dieses Film einen Namen: Mok'Noroth! Der japanische Spezialeffekt-Künstler Yoneyama Keisuke hat sich einen durchaus fies anzusehenden Dämon ausgedacht. Doch Regisseur Turi wollte ihn auf die ‚klassische‘ Weise wüten sehen. Also gibt es keine digitale Unterstützung, wenn die Kreatur durch die Stollen tobt; das Verb ist ein Euphemismus, denn faktisch ist Mok'Noroth eine Marionette, die schlapp auf einem Stützgerüst steckt und deren zahlreiche Extremitäten mit Fäden ‚bewegt‘ werden. Höchstens sitzend und bewegungslos kann dieser Muppet ein wenig Grusel verbreiten, ansonsten hat man den Eindruck, dass Mok'Noroth nach Jahrtausenden in seiner Höhle schwer an Rheuma und Arthritis leidet.
Da hilft es wenig, dass er im actionreichen letzten Drittel dieses Film für (dezenten) Splatter sorgt. Sogar ein Pferd wird in Stücke gerissen (wobei das Drehbuch völlig offen lässt, wie es den Bergleuten in den Grabstollen folgen konnte; solche Logiklöcher klaffen immer wieder). Abermals sorgt die Finsternis dafür, dass „The Deep Dark“ hierzulande sichtfrei „ab 16 Jahre“ bleiben konnte.
Ebenfalls für das Simpel-Geschehen irrelevant ist jene Mythologie, in die Turi Mok'Noroth einbettet. Professor Berthier findet eine Inschrift, die ihn als Schergen im Dienst des Finsterbolds Cthulhu outet (der nicht namentlich genannt, aber als Felsbild unmissverständlich gezeigt wird). Dieser wurde vom US-Schriftsteller H. P. Lovecraft (1890-1937) erfunden und ist Teil eines modernen Horror-SF-Mythos’, der noch und gerade heute allgegenwärtig in der Phantastik ist. Cthulhu, eine außerirdische Kreatur, wurde nach einem Krieg mit ähnlichen überirdischen Wesen besiegt und auf der Erde eingekerkert. Seither will er sich befreien. Da er über die Macht der Suggestion verfügt, kann Cthulhu aus seinem Gefängnis heraus Helfer rekrutieren, die ihm helfen und dafür belohnt werden sollen. Auch Mok'Noroth hofft auf eine Karriere als Kollaborateur, die er nach seiner Befreiung oberirdisch fortsetzen würde: Dies ist der Nagel, an dem Turi das ansonsten eher unzufrieden stimmende sowie nun doch den Geldmangel offenlegende Finale dieser Geschichte fixiert.
„The Deep Dark“ für das Heimkino
Statt der üblichen Features (Making-of, Interviews usw.) wurde der experimentelle Kurzfilm „Ancient Lore“ (2023) aufgespielt. Der deutsche Filmemacher Patrick Müller drehte ihn nach einem Gedicht von H. P. Lovecraft. In nur sechs Minuten gelingt es ihm, einen Eindruck jener außer- und überirdischen Fremde zu vermitteln, die Lovecraft mit dem Cthulhu-Mythos vermitteln wollte. Zudem liegt ein Booklet bei.
Fazit
Aus einem historischen Sozialdrama wird ein simpler Horrorfilm, sobald sich ein (kläglich ‚animiertes‘) Monster auf die Fersen einiger Pechvögel setzt: Nicht der Plot, den wir u. a. aus dem Gruselklassiker „Alien“ kennen, definiert das Mittelmaß dieser Produktion, sondern die Schwächen des unstrukturierten, abschweifigen Drehbuchs und die Klischeezeichung der als Monsterfutter endenden Nebenfiguren: ein nicht auf digitale Effekte setzender, sondern ‚vor Ort‘ entstandener Film, der mit seinen (echten) Kulissen punkten kann und am besten als pures Monstergarn funktioniert.
Wertung: 6
Bilder: © Plaion Pictures
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