Sleepy Hollow

Film-Besprechung von Marcel Scharrenbroich

Man nehme:

Einen verschrobenen Regisseur mit einzigartig visuellem Stil, einen exzentrischen Hollywood-Rebellen, der unter guter Anweisung so gut wie alles spielen kann, lässt den Kessel auf der Flamme einer ebenso beliebten wie bekannten Erzählung köcheln und schmeißt zum Abschmecken noch zwei Hände voller Alt-Stars rein, um dem allein optisch schon beeindruckenden Gruselgericht noch den letzten Pfiff zu verleihen. Unter ständigem Rühren fügt man schluckweise noch den Score von Danny Elfman hinzu, während man den Hauptcast mit Christina Ricci scharf anbrät. Et voilà… unter dem Herunterbeten des Satzes „Solche Filme werden heute nur noch selten gemacht“ wahlweise in einem ausgehölten Kürbis oder einem frisch geschlagenen Schädel servieren, fertig ist der Bums. Bon Appétit.

AAAAAAAAAAAAB MIT DEM KOOOOPF!!!

1799: Der New Yorker Constable Ichabod Crane (Johnny Depp), berühmt-berüchtigt für seine unkonventionellen, wissenschaftlich angehauchten Ermittlungsmethoden, wird von der Großstadt in die kleine Gemeinde Sleepy Hollow beordert. Dort soll er sich um eine mysteriöse Mordserie kümmern, welche den überschaubaren Kreis von Einwohnern und Einwohnerinnen des holländisch geprägten Örtchens seit jüngster Vergangenheit nicht mehr ruhig schlafen lässt. Kein Wunder, denn namhafte Mitglieder der Gemeinde wurden mit abgeschlagenen Köpfen aufgefunden… von denen selbst jede Spur fehlt. Für einen leicht hochnäsigen Polizeiermittler mit nervösem Magen und Hang zur Ohnmacht genau das Richtige.

Vor Ort stößt Ichabod Crane – neben Freude über eine hoffentlich baldige Aufklärung – aber auch auf Ablehnung. So gerät er zum Beispiel gleich mit dem arroganten Aufschneider Brom van Brunt („Starship Trooper“ Casper Van Dien) aneinander, der sein Herz an die schöne Katrina van Tassel (Christina Ricci), der Tochter von Ichabods wohlhabenden Gastgebers Baltus van Tassel (Michael Gambon), verloren hat. Diese wiederum zeigt sich äußerst fasziniert vom Ermittler aus der Stadt. Gleich mal zum abendlichen Einstand ordentlich Konfliktpotential geschaffen. Glückwunsch, Constable Crane!

Ist Ichabod zu Beginn seiner Arbeit noch voller Überzeugung, dass die grausigen Taten von der Hand eines wahnsinnigen Täters aus Fleisch und Blut begangen wurden, stellen die Ältesten von Sleepy Hollow sein rationales Weltbild schnell auf den Kopf. Reverend Steenwyck (Jeffrey Jones), Bürgermeister Samuel Philipse (Richard Griffiths), Dr. Thomas Lancaster (Ian McDiarmid), der Notar James Hardenbrook (Michael Gough) und van Tassel selbst erzählen ihm von der alten Legende, die in Sleepy Hollow jedes Kleinkind kennt: die Legende vom kopflosen Reiter.

Einst äußerst menschlich, war der hessische Söldner (Christopher Walken) auf den Schlachtfeldern des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs extrem gefürchtet. Zur Abschreckung seiner Gegner feilte er sich die Zähne spitz, was sein martialisches Auftreten nur noch verstärkte. Seine Widersacher enthauptete er mit gekonnten Hieben. Lediglich Kinder verschonte der Hesse… was ihm dann zum Verhängnis wurde. Als er abseits des Kampfes im Wald auf zwei kleine Mädchen traf, wurde sein Aufenthaltsort dem Feind verraten. Dieser rächte sich sogleich und tötete den Reiter, wie dieser seine Opfer richtete. Zusammen mit seinem abgeschlagenen Haupt wurde der Hesse unweit von Sleepy Hollow begraben. Doch glaubt man den Ausführungen der Ältesten, hat er sich lange genug ausgeruht und entsteigt des Nachts seinem Grab. Gezielt geht er nun wieder auf die Jagd und tut das, was er am besten kann: seinen Opfern in vollem Galopp den Kopf von den Schultern schlagen.

Crane, der die Ausführungen der Ältesten für lokales Legenden-Gewäsch hält, wird schon bald eines Besseren belehrt. Leibhaftig trifft er auf den kopflosen Reiter, der gnadenlos seiner Arbeit nachgeht. Zusammen mit Katrina und dem jungen Masbath (Marc Pickering), dessen Vater ebenfalls unter den Opfern des Reiters ist, macht er sich daran, das Geheimnis um den mysteriösen Attentäter, der Sleepy Hollow tyrannisiert, zu lüften.

Die allererste Kurzgeschichte

„The Legend of Sleepy Hollow“ (oder „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“, wie die Erzählung in deutscher Übersetzung heißt), wurde 1820 erstmals im Rahmen der Prosa-Sammlung „The Sketch Book of Geoffrey Crayon, Gent.“ (hierzulande „Das Skizzenbuch“) veröffentlicht. Verfasst vom amerikanischen Schriftsteller Washington Irving (1783 – 1859). Gleich drei Erzählungen dieses Bandes – „Rip Van Winkle, „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“ und „The Spectre Bridegroom“ – waren die Blaupausen für das, was man seitdem in der Literatur als „Kurzgeschichten“ kennt. Obwohl es diesen Begriff zu Irvings Zeiten noch nicht offiziell gab, gelten sie als erste dieser Art. Außerdem war Irving der erste bekannte Schriftsteller, der allein vom Schreiben leben konnte. Allerdings holte er sich seine Inspiration für „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“ wohl ausgerechnet in Deutschland. Der Philologe, Schriftsteller und Märchensammler Johann Karl August Musäus (1735 – 1787) hatte in einer Rübezahl-Legende in seinen „Volksmärchen der Deutschen: 1782 – 1796“ nämlich ebenfalls von einem Reiter ohne Kopf geschrieben. Erwischt!

Regie-Genie

Die hier vorliegende filmische Variante unterscheidet sich vom Ursprungsmaterial aber nochmals gehörig. Der Kern der Geschichte sowie die Charaktere sind zwar weitestgehend unangetastet, aber zwecks Dramaturgie haben die Drehbuchautoren Kevin Yagher und Andrew Kevin Walker ein paar Nummern draufgesetzt. Auf dem Regiestuhl nahm Tim Burton Platz, dessen Werke visuell regelmäßig beeindrucken. Und eine solche Geschichte, gespickt mit düsteren Landschaften, morbidem Humor und reichlich phantastischen Elementen, ist genau seine Kragenweite. Kannte man ihn zuvor bereits durch „Beetlejuice“ (1988), „Batman“ (1989), „Edward mit den Scherenhänden“ (1990) oder „Batmans Rückkehr“ (1992), trägt „Sleepy Hollow“ voll und ganz Burtons Handschrift.

Dazu gehören üppige Sets, praktische Effekte, eine Ausstattung, die jedem Kostümbildner die Freudentränen in die Augen treibt, sowie ein ganz eigener morbider Charme, zwischen Märchen, Tragik und kauzigen Charakteren, die im Gedächtnis bleiben. Auch die eigenwilligen Animationsklassiker „Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche“ (2005) und „Frankenweenie“ (2012; basierend auf Burtons Kurzfilm von 1984) profitieren vom besonderen Gespür für finstere Märchen-Atmosphäre. Selbst wenn es um ein jüngeres Zielpublikum geht, blieb Burton wie in Disneys „Alice im Wunderland“ (2010), „Die Insel der besonderen Kinder“ (2016) und 2022 in der ersten Staffel der NETFLIX-Serie „Wednesday“ seiner bizarren Linie treu. Erst 2024 ließ er mit „Beetlejuice Beetlejuice“ den schrägen Lottergeist wieder auferstehen und mixte klassische, handgemachte Effekte mit dem gut dosierten Einsatz digitaler Effekte. Eine durchaus gelungene Symbiose.

Der Mann, der (fast) alles kann

Noch vor „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005), der makabren Broadway-Adaption „Sweeney Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street“ (2007), dem bereits erwähnten Trip ins „Wunderland“ sowie der Verfilmung der gleichnamigen 70er-Jahre-Serie „Dark Shadows“ (2012), arbeitete Tim Burton in „Sleepy Hollow“ bereits zum dritten Mal mit seinem Hauptdarsteller Johnny Depp zusammen. Hollywoods Enfant terrible, welches 1984 mit Wes Cravens Horror-Hit „A Nightmare on Elm Street“ seinen filmischen Einstand gab, hat seitdem unzählige große und kleine Meisterwerke abgeliefert. In Schubladen ließ sich Depp dabei nie zwängen, hat er doch quer durch alle Genres bewiesen, wie wandlungsfähig er war und ist. Kennen ihn die Jüngeren wohl am ehesten als Captain Jack Sparrow aus der „Pirates of the Carribean“-Reihe oder den öffentlichen Gerichtsverhandlungen mit Ex Amber Heard, fällt alten Hasen wie mir gleich der TV-Dauerbrenner „21 Jump Street - Tatort Klassenzimmer“ ein. Sein komplettes Schaffen auf der großen Leinwand aufzulisten, würde jeglichen Rahmen sprengen, aber aus persönlicher Sicht kann ich sagen, dass der durchgeknallte „Fear and Loathing in Las Vegas“ (1998), „Die neun Pforten“ (1999) als Paradebeispiel eines dichten Mystery-Thrillers, der bedrohliche „The Astronaut’s Wife“ (1999), die Adaption von Alan Moores Comic-Meisterwerk „From Hell“ (2001) und die Verfilmung der Stephen-King-Novelle „Das geheime Fenster“ zu meinen absoluten Genre-Lieblingen zählen. Die Rolle des Ichabod Crane ist Depp in „Sleepy Hollow“ regelrecht auf den Leib geschrieben. Schrullig und exzentrisch, wie nur ein Darsteller seines Kalibers es umzusetzen vermag, ohne in aufgesetztes Overacting zu verfallen.

Ihm zur Seite steht Christina Ricci, sowohl als Love-Interest, als auch als Partner-in-Crime. Die US-Amerikanerin hatte ihren Durchbruch 1990 mit der Komödie „Meerjungfrauen küssen besser“. Dort spielte sie an der Seite von Cher, Bob Hoskins und Winona Ryder. Anschließend ging es Schlag auf Schlag. Es folgten Hauptrollen in den Comic-Verfilmungen „Addams Family“ (1991), „Die Addams Family in verrückter Tradition“ (1993) und „Casper“ (1995). Drei Jahre später spielte sie im schrägen „Fear and Loathing in Las Vegas“ von Terry Gilliam erstmalig gemeinsam mit Depp. Aktuell sieht man Ricci vor allem in erfolgreichen Streaming-Serien. Darunter „Yellowjackets“ und „Wednesday“, dem „Addams Family“-Ableger mit Fokus aufs mürrische Töchterchen, nun gespielt von Shootingstar Jenna Ortega.

Ein kleines Highlight ist die Besetzung des kopflosen Reiters mit Christopher Walken. Seit den späten 50er-Jahren am Broadway unterwegs und seit 1966 von den Leinwänden nicht mehr wegzudenken. Oft nur in kleinen Gastauftritten, bleiben seine Stippvisiten – wie in „Pulp Fiction (1994) – aber immer etwas Besonderes. Mal als Lehrer mit düsteren Zukunftsvisionen („Dead Zone“; 1983), als Scharfschütze in Michael Ciminos Spätwestern „Heaven’s Gate“ (1980), als Erzengel („God’s Army“; 1995) oder als Bond-Gegenspieler Max Zorin in „Im Angesicht des Todes“ (1985), liefert Walken in seinen Hauptrollen stets ab. Manchmal etwas drüber („Batmans Rückkehr“; 1992), dann wieder mit Hang zum Klamauk („Wayne’s World 2“; 1993) oder durch und durch genial („7 Psychos“; 2012). Verstört bin ich allerdings immer noch von „Die Besucher“ (1980), wo Walken als Entführungsopfer mit Aliens durch deren Schiff tänzelt… WTF??? Lange sind seine Szenen in „Sleepy Hollow“ nicht, dafür extrem prägnant. Wenn er mit angespitzten Zähnen und wildem Haar auf seine potentiellen Opfer zugeht, hinterlässt das schon Eindruck. Stunt-Performer für den Kopflosen ist übrigens der Martial-Arts-Spezialist Ray Park, den man entweder als Toad in „X-Men“ (2000) oder derbe verschenkten Darth Maul aus „Star Wars - Episode I: Die dunkle Bedrohung“ kennt. Keiner wirbelt Schwert und Axt so fein durch die Gegend wie der gute Ray.

Endlich…

…hat dieses bildgewaltige Schauer-Kleinod nun die Überarbeitung erfahren, die es verdient. Waren die bisherigen HD-Veröffentlichungen eher im So-lala-Bereich angesiedelt, macht die neue UHD (fast!) alles richtig. PARAMOUNT hat den Burton-Grusler (mit HDR10 und Dolby Vision) ordentlich aufpoliert und das Ergebnis gefällt. Und bei einem Film wie „Sleepy Hollow“, der allein farblich sehr stilisiert daherkommt, hätte dies schnell ins Höschen gehen können. Der entsättigt kühle Look bleibt gut erhalten, dennoch ist das Bild äußerst lebhaft. Einzig wäre anzukreiden, dass das ansonsten tiefe Schwarz fast schon zu intensiv ist. So sehr, dass dunkle Flächen immer wieder im Pechschwarz abzusaufen drohen. Vielleicht hätte ich mir auch noch ein wenig mehr Schärfe gewünscht, obwohl es fraglich wäre, ab wann dies den künstlerischen Aspekt des Streifens verfälschen würde. Zuletzt gab es immer mal wieder 4K-Veröffentlichungen, mit denen man es etwas „zu gut“ meinte. Soll heißen, dass so mancher Klassiker derart mit Filtern und KI-Aufmotz-Weichmachern zugeschissen wurde, dass es schon befremdlich wirkt. Wachsgesichter und regelrecht weggewaschene Details sind dann im Endergebnis nicht wirklich ansprechend fürs Auge. „Sleepy Hollow“ läuft zu keiner Zeit Gefahr, in diese unrühmliche Liste von verschlimmbesserten Klassikern zu fallen.

Vom Bonusmaterial, welches sich ausschließlich auf der ebenfalls enthaltenen Blu-ray befindet, hatte ich mehr erwartet bzw. erhofft. Die etwas mehr als vierzig Minuten teilen sich die beiden Features „Blick hinter die Legende“ und „Gedanken über Sleepy Hollow“. Diese waren bereits Teil früherer HD-Veröffentlichungen, bieten also für Kenner nichts wirklich Neues. Schade, denn „Sleepy Hollow“ bezieht einen Großteil seiner Faszination aus den üppigen Sets und der morbid-künstlerischen Atmosphäre. Da wäre mit detaillierten Extras (in zeitgemäßer Bildqualität) für Liebhaber des Films deutlich mehr drin gewesen. Gerade deshalb, weil „Sleepy Hollow“ 2024 sein 25. Jubiläum feierte und es sicherlich spannend gewesen wäre, wie die Beteiligten mit einem Vierteljahrhundert Abstand auf die Produktion zurückblicken. Eine verpasste Chance…, was auch für den (deutschen und englischen) Ton gilt, der keinerlei hörbares Upgrade verpasst bekam.

Das hört sich im Nachgang doch nach mehr Meckerei an, als ich anfangs durchklingen ließ. Aber Entwarnung: Besser sah „Sleepy Hollow“ bislang nie aus und der neue Scan liefert einen optisch gewaltigen Sprung gegenüber bisherigen Veröffentlichungen. Auch wenn beim Ton nicht viel passierte, ist dies kein Beinbruch, da dieser schon vorher durchaus solide war. Größte Knackpunkte für Filmfreaks (und Nickpicker wie mich) sind einige zu dunkle Bildelemente und das Fehlen jubiläumswürdigen Bonusmaterials.

Fazit

Ein schaurig-morbides Grusel-Märchen, welches zu 100% die Handschrift von Tim Burton trägt. Neben „Batmans Rückkehr“ (ja, Michelle Pfeiffer ist ein Hauptgrund) mein persönlicher Lieblingsfilm des Regisseurs. „Sleepy Hollow“ ist einer der Streifen, die überraschenderweise nie langweilig werden und in regelmäßiger Unregelmäßigkeit den Weg in den Player finden. An den toll ausgestatteten Sets und den spielfreudigen Darstellern kann man sich nur schwer sattsehen.

Wertung: 8

Bilder: © Paramount

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