Schlaf
Film-Kritik von Carola Krauße-Reim / Titel-Motiv: © Salzgeber & Co. Medien GmbH
Surrealer Heimathorror
Marlene wird seit Jahren von Albträumen geplagt. In einem Reisejournal findet sie einen Hinweis, dass es den Ort aus ihren Träumen tatsächlich gibt: das Hotel Sonnenhügel im Dorf Steinbach. Sie fährt hin, hat den schlimmsten Albtraum überhaupt und landet in der Psychiatrie. Ihre 19-jährige Tochter Mona will herausfinden was geschah und mietet sich ebenfalls im Hotel ein. Plötzlich wird auch sie von den gleichen Albträumen heimgesucht. Es ist klar, dass alles mit diesem Hotel und diesem verschlafenen Nest zusammenhängt. Mona begibt sich auf Spurensuche und die Grenzen zwischen Realität und Traum scheinen zu verwischen.
Märchen einmal anders
Regisseur Michael Venus hat zusammen mit Thomas Friedrich ein Drehbuch verfasst, das sehr an die Märchen der Gebrüder Grimm erinnert. Ein einsamer Ort im tiefen Wald, ein in die Jahre gekommenes Hotel als Hexenhausersatz, die Bewohner skurril und undurchsichtig. Gewürzt haben die beiden die Geschichte mit einer Prise Kafka und einer Prise David Lynch und herausgekommen ist ein surrealer Heimathorror vom Feinsten.
Der Zuschauer bewegt sich zwischen Realität und Albtraum-Welt, wobei die Grenzen immer mehr verschmelzen und man zum Schluss nicht mehr weiß, ob nicht vielleicht doch alles nur geträumt ist. Szenen mit albtraumhafter Absurdität wechseln sich mit alltäglichen Tätigkeiten ab und wecken beim Zuschauer den Wunsch nach Aufklärung. Doch hier scheint es keine Gewinner zu geben, so sehr sich die (Königs-)tochter auch bemüht, sie scheint den Fluch nicht brechen zu können – oder doch?
Vergangenheit wird zur Gegenwart
Mona begegnet in ihren Träumen Trude, einer Frau, deren Mutter polnische Zwangsarbeiterin war und die selbst eine uneheliche Tochter hat, die es zu beschützen gilt. Bald wir deutlich, dass Mona und ihre Mutter in einem Zusammenhang zu dieser Frau stehen müssen. Die Vergangenheit holt die beiden in ihren Träumen ein, das politische Erbe von Steinbach kann nicht ad acta gelegt werden. Wenn dann auch noch Hotelbesitzer Otto eine rechtsradikale Versammlung in seinem altbackenen Riesenschuppen abhält, wird klar – hier hat sich nicht viel verändert.
Wenn das Wildschwein um die Ecke kommt…
Wieder einmal muss ein verlassenes Hotel als Horrorkulisse herhalten. Doch dieses Mal ist es kein axtschwingender Hausverwalter, der umgeht, sondern ein Wildschwein. Dieses dunkle massige Mega-Vieh ist genauso gruselig und stellt eine Bedrohung par excellence dar.
Damit nicht genug – es existiert auch aus Holz geschnitzt als eine Art Totem für Marlene. In dieser Form zeigt es Mona den Weg zur Lösung des ganzen surrealen Durcheinanders – wobei es ganz zum Schluss wieder um die Ecke kommt und man sich fragt, ob nicht vielleicht doch alles nur ein weiterer Albtraum von Marlene war. Ein Hinweis darauf könnte das unkorrekte Alter der angeblichen Generationen sein: Otto – Marlene – Mona – Christoph. Mehr sei hier nicht verraten.
Die Schauspieler sind brillant
Bis jetzt hat man Marion Kracht und August Schmölzer eher weniger in anspruchsvollen Filmen gefunden. Somit wird durch die beiden wiederum der Kreis zum Heimatfilm geschlossen. Doch sie schaffen eine erstklassige Performance als Otto und seine Frau Lore. Undurchsichtig, vielschichtig und sehr geheimnisvoll sind ihre Figuren, die weniger durch ihre fast immer ziemlich banalen Dialoge glänzen, als vielmehr durch die mimische Zurschaustellung des Nicht-Gesagten. Genauso brillant ist Sandra Hüller als Marlene, die in der Psychiatrie die muskelverkrampft Bewegungslose ohne Stimme und doch sehr wachen Instinkten so realistisch gibt, dass sie wirklich Angst im Wohnzimmer verbreitet. Ihre fürsorgliche Tochter Mona wird von Gro Swantje Kohlhof gespielt. Sie vermittelt den Wunsch ihrer Mutter zu helfen und die gleichzeitige Bereitschaft sich selbst dabei in Gefahr zu bringen gekonnt und atmosphärisch dicht. Der Film steht und fällt also mit den Schauspielern, denn die Dialoge sind hier nicht so wichtig, wie das Handeln. Hier passen auch der bizarre Tanz im Schwarzlicht mit Christoph (Max Hubacher), Franzi (Martina Schöne-Radunski) und Bille (Katharina Behens) bestens hinein, genauso, wie die absurden Szenen, die den Schluss bilden.
Fazit:
„Schlaf“ ist kein Unterhaltungsfilm für den verregneten Sonntagnachmittag. Er entführt den Zuschauer in eine skurril-bizarre Welt zwischen Schlafen und Wachen und verbindet Horroreffekte mit einem albtraumhaften Heimatfilm-Ambiente. Wen David-Lynchs „Twin Peaks“ begeistert hat, dürfte hier richtig sein, wer aber einen konventionellen Horrorfilm sehen will, könnte enttäuscht werden.
Fotos: © Salzgeber & Co. Medien GmbH
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