Saw X

Film-Besprechung von Marcel Scharrenbroich

Totgesagte leben länger

Heeeeeere’s Johnny!!!

Tot, begraben, aber nie wirklich vergessen. Für John Kramer gingen bereits in „Saw IV“ (2007) die Lichter aus, allerdings sorgte der anhaltende Erfolg der Horror-Reihe dafür, dass (höchstens halbwegs) begabte Autoren sich allerlei Mumpitz aus den Ärmeln schüttelten, um die Torture-Maschinerie weiter am Laufen zu halten. In Rückblenden - oder oft im Geiste - war der findige Fallensteller deshalb immer präsent. Klären wir aber zuerst mal, was „Saw“ eigentlich ist, und warum die Filme sich noch immer so großer Beliebtheit erfreuen:

2005 wurden die Kinogänger von einem äußerst fiesen Horror-Thriller eiskalt erwischt. „Saw“ (Produktionsjahr 2004) bot nicht nur extremen Nervenkitzel, sondern hievte das Mainstream-Kino dazu noch auf einen ungewohnt frischen Härtegrad. Der Satz „Ich möchte ein Spiel spielen“ ist seitdem nicht nur Gorehounds ein Begriff. Und alles begann mit dem Arzt Lawrence Gordon (Cary Elwes) und dem Fotografen Adam Stanheight (Leigh Whannell). Diese fanden sich nach einer Entführung angekettet in einem siffigen Waschraum wieder, einander unbekannt und ohne große Erinnerung daran, wie sie dort hingelangt waren. Inmitten des Raumes lag eine blutüberströmte Leiche (*zwinker*-*zwinker*). Der Gastgeber hatte allerdings Hinweise zurückgelassen, die die beiden Opfer ziemlich panisch einzuordnen versuchten. Zwei platzierte Sägen sollten ihnen die Möglichkeit lassen, sich jeweils den Knöchel durchzusägen, um zu entkommen. Ein perfides Spiel, welches in die Annalen des modernen Horrorfilms eingehen sollte.

Das Ende von „Saw“, dessen Handlung durch Rückblenden immer mehr an Form gewann, ließ so manche Kinnlade runterklappen. Regisseur James Wan, auch bekannt durch die Reihen „Insidious“, „Conjuring“ und die Comic-Verfilmung „Aquaman“, hat ein wahres Händchen für kreative Horror-Stoffe, was er erst 2021 mit dem überraschend starken „Malignant“ wieder unter Beweis stellte. Zusammen mit Drehbuchautor und Schauspieler Leigh Whannell sorgte er für einen Box-Office-Hit, der bei einem Budget von gerade einmal 1,2 Millionen US-Dollar rund 104 Millionen in die Kassen spülte.

Die Idee, einen selbst todgeweihten Serienkiller in den Fokus zu stellen, war so schlicht wie genial. Der krebskranke Jigsaw-Killer John Kramer (Tobin Bell) ließ seinen Opfern stets eine (mehr oder weniger faire) Chance, sich selbst zu befreien. Allerdings ging das „Spiel“ für die meisten tödlich aus. Wenig verwunderlich, mangelte es Kramer doch nie an Kreativität, wenn es um das Erstellen von mechanischen Fallen ging. In der Regel mussten die Opfer (übrigens allesamt keine Unschuldslämmer) sich vorher reichlich verstümmeln, um an einen rettenden Schlüssel oder Ähnliches zu gelangen. Ein Spiel auf Zeit, welches neben Mut noch eine gehörige Portion Wahnsinn verlangte.

Spätestens nach „Saw IV“, wo die Jigsaw-Saga eigentlich ihr Ende fand, war die Luft dann aber komplett raus. Mittäter, die angeblich von Anfang an in Kramers Machenschaften involviert waren, wurden nachträglich von halbgaren Schreiberlingen installiert. Das sorgte nicht selten für Stirnrunzeln, da so mehrfach die komplette Story wieder auf den Kopf gestellt wurde. Und mit jedem neuen Ableger wurde es schwerer, die zeitliche Verortung des neusten Teils zu erkennen. Ähnlich dem „Final Destination“-Franchise, war die Rahmenhandlung dem Publikum irgendwann egal. Hauptaugenmerk waren die kreativen Fallen, mit denen Jigsaw die Sünderlein möglichst blutrünstig ins Jenseits beförderte. Nachvollziehbar, dass die FSK-Prüfstelle mit jedem neuen Ableger regelmäßig an die Belastungsgrenze geführt wurde. Der sogenannte Torture-Porn bekam durch „Saw“ und auch Eli Roths „Hostel“ (2005) einen zweiten Frühling beschert, der freilich unzählige Nachahmer auf den Plan rief. Die meisten davon allerdings von belangloser/minderwertiger Natur.

„Saw“ legte dafür nicht nur den kommerziellen Startschuss, sondern kann sich selbst fast zwei Jahrzehnte später noch immer im Sattel halten. Erschien bis zum Jahr 2010 jährlich ein neuer Schabernack, war nach „Saw 3D – Vollendung“, dem nunmehr siebten Teil, erstmal Schluss mit lustig. Da konnte auch der kurzweilige 3D-Trend, bei dem allerlei lustiges Gedöns in Richtung Zuschauer suppte, nichts mehr dran ändern. Erst 2017 wagte man unter der Regie der Spierig-Brüder („Daybreakers“, „Predestination“) einen neuen Anlauf. Recht wagemutig entfernte man sich da nicht nur von einer Nummerierung, sondern benannte die Nummer gleich komplett um. „Jigsaw“ war aber nicht mehr als alter Wein in neuen Schläuchen… und warf abermals die komplette Story über den Haufen. 2021 sollte „Saw: Spiral“ dann wieder mehr zu den Ursprüngen zurückkehren. Thriller-Elemente und Story sollten in den Vordergrund. Schauspieler (und Oscar-Preisträger für die beste Backpfeife 2022) Chris Rock, der auch gleich die Hauptrolle übernahm, pitchte dem Studio seine Idee, wie es mit dem Franchise weitergehen könnte, welche dann auch gleich von den „Jigsaw“-Autoren Josh Stolberg und Pete Goldfinger zu Papier gebracht wurde. Der „Saw“-erfahrene Darren Lynn Bousman (Regie bei den Teilen II, III und IV) konnte allerdings keinen neuen Hype entfachen. Ein Film, der eher ein zweiter „Sieben“ als ein neunter „Saw“ sein wollte (daran aber krachend scheiterte) und nicht zuletzt durch die glatte Fehlbesetzung des Komikers Rock baden ging.

Alles aber scheinbar kein Grund, erneut auf die Marke „Saw“ zu setzen. Mit dem zehnten Teil stellt man nun John Kramer und sein unausweichliches Schicksal komplett in den Vordergrund. Regisseur Kevin Greutert, der zuvor bereits „Saw VI“ und „Saw 3D“ inszenierte und der Reihe als langjähriger Editor verbunden ist, schafft es immerhin, dem Franchise mit „Saw X“ eine ungewohnte Tiefe zu verleihen. Nicht zuletzt ist dies Tobin Bell zu verdanken, welcher als Jigsaw noch mal fleißig seine abenteuerlichen Fallen präsentieren darf. Zeitlich ist der Jubiläums-Splatter zwischen den ersten beiden Filmen angelegt.

Don’t f**k with Jigsaw!

Hirntumor. Eine Schockdiagnose. Für jeden… auch für John Kramer (Tobin Bell). Die neusten Untersuchungsergebnisse sind wenig erbaulich, die Prognose düster. Ihm bleiben lediglich Monate. Grund genug, sich an jeden Strohhalm zu klammern. Von Henry Kessler (Michael Beach), einem ehemaligen Mitglied aus Johns Selbsthilfegruppe, erfährt er von einer neuartigen Behandlungsmethode, die ihm selbst das Leben rettete. Durch einen Medikamenten-Mix, gepaart mit einer Operation, sollen bösartige Krebszellen gezielt ausgeschaltet werden. Ein Verfahren, welches in den Staaten noch nicht zugelassen ist, weshalb eine Behandlung im Ausland stattfinden soll. Dr. Finn Pederson (Donagh Gordon) hat diese Methode entwickelt, ist jedoch untergetaucht, da er Pharmakonzernen und der Regierung ein Dorn im Auge ist. Der Link, den Henry John gab, führt ihn zu Dr. Cecilia Pederson (Synnøve Macody Lund), der Tochter des abgetauchten Spezialisten. Er nutzt hoffnungsvoll die Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Kurz darauf meldet sich Cecilia Pederson tatsächlich bei ihm. Er wäre ein geeigneter Kandidat und könne kurzfristig noch ins Programm aufgenommen werden. In einer Woche soll es losgehen… in Mexico-City.

Schon die anstrengende Anreise erweist sich als äußerst abenteuerlich. Pederson betreibt großen Aufwand, damit die provisorisch eingerichtete Klinik außerhalb der Stadt geheim bleibt. John wird herzlich empfangen und vom gesamten Personal liebevoll umsorgt. Gut so, denn billig ist diese Mission ins Ungewisse nicht gerade. Nun steht der schwierigen Operation am offenen Schädel nichts mehr im Wege. Bei dieser wird der Patient immer wieder aus der Narkose geholt, damit die Hirnfunktionen überprüft werden können. Im Dämmerschlaf kann John auf einem Monitor beobachten, wie die Ärzte an seinem Hirn herumschneiden. Nach der Prozedur ist er verständlicherweise noch sehr geschwächt, doch Cecilia Pederson kommt mit guten Nachrichten: der Eingriff war erfolgreich. Nach ausreichend Erholung stünde John Kramer noch ein langes, krebsfreies Leben bevor. Zu schön, um wahr zu sein…

So ist es. Als John sich vor seiner Abreise noch schnell von der hilfsbereiten Gabriela (Renata Vaca), dem Klinikteam um Mateo (Octavio Hinojosa), Valentina (Paulette Hernandez) und Cecilia selbst verabschieden möchte, findet er das Gebäude verlassen vor. Bis auf wenige Rückstände erinnert nichts daran, dass sich in den Mauern mal eine gut ausgestattete Praxis befand. Zu den Überbleibseln gehört auch ein DVD-Player… samt Disc… über Operationen am Gehirn. Da dämmert es John bereits, doch er geht auf Nummer sicher. Und siehe da, die Aufnahmen sind identisch zu denen, die er dämmernd bei seinem Eingriff zu Gesicht bekommen hatte. Ein Blick unter seinen Kopfverband räumt die letzten Zweifel aus. Keine Narbe. Keine Wunde. Keine Operation.

Rasend vor Wut und Enttäuschung, ist der letzte Hoffnungsschimmer weggewischt. Pederson hat sich an todkranken Menschen bereichert, sie skrupellos und ohne Gewissen ausgenommen. Sich deren Lebenswillen fürstlich in barer Münze auszahlen lassen. Wie viele Opfer fielen auf den Schwindel rein? Wie viele starben, nachdem diese Hochstaplerin deren Wunsch nach Leben mit Füßen getreten hat? Wie viele es auch waren, eines steht fest… John Kramer war der Letzte, mit dem sie sich angelegt hat.

Spiele sind da, um gespielt zu werden

Es dauert rund 35 Minuten, bis es endlich ans Eingemachte geht. Dieses erstaunlich ausufernde Intro tut aber sowohl dem Film als auch dem Background von Jigsaw gut. Es ist zwar etwas befremdlich, dass man ihn hier fast schon als moralische Instanz mit nachvollziehbaren Rachegelüsten installiert, doch kann man den Machern nicht ankreiden, dass sie nicht mal einen anderen Weg einschlagen würden. Das wurde im Vorfeld schon mehrfach behauptet, verpuffte bei den meisten Sequels allerdings in einem lauen Lüftchen. Ging es in „Saw“ stets darum, schlechte Menschen zu läutern, sie vor die Wahl zu stellen und (zugegebenermaßen auf höchst unkonventionelle Art und Weise) mit ihren Fehlverhalten zu konfrontieren, ist es diesmal äußerst persönlich. Keine Frage, dass Jigsaw im Angesicht der Rache noch einmal zu Höchstform aufläuft und allerlei teuflische Fallen in petto hat, um jeden Involvierten seiner gerechten Strafe zuzuführen. Freilich tut er dies nicht allein, immerhin ist er geschwächt und todkrank. Dafür hat er eine gute, alte Bekannte, die ihm tatkräftig unter die Arme greift…

Ja, nach den besagten 35 Minuten fällt „Saw X“ wieder weitestgehend in alte Muster zurück. Man muss zugeben, dass die Fallen schon einmal trickreicher waren, was jedoch nicht bedeutet, dass hier an schmerzhaften Szenen gespart wurde. Die gibt es zuhauf und man möchte nicht mit der Klinik-Saubande tauschen. Ich fragte mich zwischenzeitlich jedoch immer wieder, wie und wann Kramer in seinem Zustand den ganzen Bums aufgebaut hat? Immerhin sind seine Fallen nicht von der Stange und erfordern reichlich technischen Aufwand. Dafür, dass ihm laut anfänglicher Prognose nur noch wenige Monate bleiben, scheinen er und seine Assistentin eine Menge Zeit investiert zu haben. Wem das schon zu große Logiklücken sind, wird mit späteren Twists auch nicht glücklich werden. Bei genauerer Überlegung passt hier vieles nicht zusammen. Angefangen mit der Tatsache, dass Jigsaw-Darsteller Tobin Bell mittlerweile 81 Jahre alt und ihm dies auch deutlich anzusehen ist. Wir erinnern uns: „Saw X“ soll zwischen „Saw“ und „Saw II“ spielen… also 2004 bzw. 2005. Hm, schwierig. Wo andere Produktion zumindest etwas digital nachhelfen, verzichtete man hier gänzlich auf eine nachträgliche Verjüngung. Das mag wohl dem Budget (rund 13 Millionen US-Dollar) geschuldet sein, sorgt aber für zusätzliche Verwirrung.

Ein großer Pluspunkt ist die Norwegerin Synnøve Macody Lund, die die Antagonistin Cecilia Pederson herrlich diabolisch verkörpert. In der sehenswerten NETFLIX-Serie „Ragnarök“ konnte sie dafür schon über drei Staffeln reichlich Erfahrung sammeln. Dem Horror-Genre ist sie ebenfalls nicht fremd und war 2017 in „Haunted Child“ zu sehen, der es allerdings erst 2021 nach Deutschland schaffte. Dort bewies sie, dass sie durchaus einen Film mit ihrer starken Präsenz stemmen kann. Mit John Kramer liefert sie sich ein beeindruckendes Duell auf Augenhöhe. Tobin Bell spielt trotz seines hohen Alters gekonnt souverän. Interessant, dass er in diesem Film eine zutiefst menschlichere Seite seines Charakters offenbart. Die restlichen Darsteller erscheinen austauschbar und stechen nicht sonderlich heraus.

Fazit

Keine Offenbarung, aber endlich mal wieder ein solider Beitrag für leidgeprüfte „Saw“-Veteranen. Man verlässt sich wieder mehr auf die Stärken des Erstlings, kann aber nicht verheimlichen, dass irgendwann mal das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Eine Credit-Scene sorgt dann noch mal für ein letztes Augenrollen, indem man wieder die Brücke zu späteren Teilen der Reihe schlägt. Wirklich weiter bringt das den Zuschauer nicht, soll aber wohl zeigen, dass man sich keineswegs von irgendwelchen Ablegern distanzieren möchte, wie es zum Beispiel die letzte „Halloween“-Trilogie tat.

Wertung: 7

Bilder: © Studiocanal

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