Nope
Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich / Titel-Motiv: © Universal Studios
Regie-Hoffnung im Höhenflug
Behalte den Himmel im Auge… und stirb!
Otis Jr. Haywood, genannt „OJ“ (Daniel Kaluuya), hat gemeinsam mit seiner Schwester Emerald, kurz „Em“ (Keke Palmer), die Pferderanch des Vaters (Keith David) übernommen. Der Senior starb, als eine vom Himmel gefallene Münze ihn lebensgefährlich verletzte. Mitten im drögen Santa Clarita Valley trainieren „OJ“ und „Em“ Pferde für Film- und Fernseh-Produktionen. Das Geschäft läuft allerdings schlecht und „OJ“ sieht sich gezwungen, mehrere Pferde zu verkaufen. Käufer ist der ehemalige Kinder-Star Ricky „Jupe“ Park (Steven Yuen), der in der Nähe einen Wildwest-Freizeitpark betreibt. „Jupe“ kämpft immer noch mit dem Trauma, welches er am Set der Serie „Gordy’s Home!“ davontrug, wo der Hauptdarsteller (ein eigentlich dressierter Schimpanse) Amok lief und die menschlichen Protagonisten vor und hinter der Kamera in einem Akt der Raserei niedermetzelte. „Jupe“ hat seinen eigenen Weg gefunden, um mit den traumatischen Erlebnissen umzugehen. Er überspielt sie mit aufgesetzter Affektiertheit und bietet seinen Gästen ein Spektakel sondergleichen. Er ist nämlich felsenfest davon überzeugt, dass sich hinter den Wolken Außerirdische verbergen. So sehr, dass er seine zahlende Kundschaft ins Verderben lockt…
Als auch „OJ“ Zeuge davon wird, dass sich am Himmel Seltsames abspielt, ist „Em“ von der Idee, dass ein UFO sich ausgerechnet ihr vertrocknetes Nest für einen Besuch ausgesucht hat, Feuer und Flamme. Sie wittert Ruhm, Reichtum und ein paar Stündchen im Rampenlicht. „OJ“ denkt eher praktisch und würde zuerst das Erbe seines Vaters vor dem Ruin bewahren. Jeder setzt seine Prioritäten halt anders. Um Beweise für die Existenz der Aliens zu sichern, holen sie sich den Überwachungstechniker Angel (Brandon Perea) ins Boot. Eher unfreiwillig, doch der ganze Technik-Schnickschnack will ja ordnungsgemäß installiert werden. Und einmal Lunte gerochen, werden die Geschwister den neugierigen Angel nicht mehr los. Dumm nur, dass jegliche Elektronik den Geist aufgibt, so bald sich etwas Ungewöhnliches am Himmel tut. Als letzte Möglichkeit sieht „Em“ den Kamera-Pionier Antlers Holst (Michael Wincott). Etwas exzentrisch ist er schon, lässt sich aber mit der Aussicht auf die perfekte Aufnahme, welche nach seiner Ansicht nicht existiert, locken. Mit seiner selbstgebauten, handbetriebenen Kameraausrüstung geht es auf die Jagd nach… ja, nach WAS eigentlich?
Auf Spielbergs Spuren
Mit dem doppelbödigem Horror-Thriller „Get Out“ konnte der Regie-Neuling Jordan Peele 2017 nicht nur Besucher des Sundance-Festivals begeistern, sondern weltweit einen Hit an den Kinokassen landen. Sein intensiver Mystery-Erfolg, in dem Peele auf clevere Weise offenlegte, dass das Thema Rassismus noch lange nicht vom Tisch ist, etablierte ihn als aktuell lauteste Stimme afroamerikanischer Filmemacher. Das wurde bei den Oscars 2018 nicht nur mit Nominierungen in vier Kategorien belohnt, Jordan Peele konnte sogar mit dem Goldjungen für das Beste Originaldrehbuch nach Hause gehen. 2019 legte er mit „Wir“ nach, bei dem er erneut für Produktion, Drehbuch und Regie verantwortlich war. Wie schon in seinem Erstling, sparte der Filmemacher nicht mit Gesellschafts- und Sozialkritik. Bei den Oscars war „Wir“ dann zwar nicht vertreten, konnte aber zahlreiche andere Preise abräumen. Story und Inszenierung gefallen mir persönlich sogar besser, als bei seinem hochgelobten Regiedebüt. Bei der überraschend starken „Candyman“-Neuinterpretation von Regisseurin Nia DaCosta aus dem Jahr 2021, die sich hintenraus als waschechtes Legacy-Sequel entpuppte, steuerte Peele lediglich das Drehbuch bei und produzierte den Horrorstreifen, dessen Original von 1992 auf einer Kurzgeschichte von „Hellraiser“-Schöpfer Clive Barker basiert. Diese beiden Ämter bekleidete er auch schon 2020 für die kurzlebige TV-Serie „Lovecraft Country“. Pate dafür stand der gleichnamige Roman von Matt Ruff. Für seinen dritten Spielfilm nahm sich Jordan Peele dann Großes vor…
Wie lässt sich „Nope“ nun am besten beschreiben? Wohl am ehesten als Sci-Fi-Drama mit Western-Elementen. Satirische Untertöne sind ebenfalls vorhanden. Und es wäre wohl kein echter Peele, wenn der Gesellschaft nicht wieder der Spiegel vorgehalten werden würde. Diesmal steht die schier unstillbare Gier nach Sensationen im Mittelpunkt. Ganz nach dem Motto höher, schneller, weiter. Ohne Superlative erscheint keine Meldung mehr das Papier wert, auf das sie gedruckt wurde. Ein Sturm wird zum „Killer-Tornado“, zwei Tage über 35°C werden zum „Glutsommer“ mit Inferno-Tendenz hochbeschworen. Sensation folgt auf Sensation. Ein Motto, welches sich ein Kölner-Privatsender seit Jahren auf die Fahne geschrieben hat und gefühlt 90% seiner Shows mit dem Titel-Zusatz „Super“ versieht. Wenn im Januar bereits das „TV-Ereignis des Jahres“ angepriesen wird, sollte man direkt den Stecker ziehen. Jeder will ins Rampenlicht. Möglichst schnell, ohne viel Aufwand und vor allem ohne viel Hirnschmalz. Dumm wie Brot, aber erschreckend leicht an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Ist die Kartoffel heiß, wird sie mit Ach und Krach gehalten, kühlt sie ab, wird sie gnadenlos fallengelassen. Verkehrte Logik, aber so funktioniert das Geschäft nun mal. Das aktuellste Beispiel für Geltungssucht kommt aus Norwegen, wo Schaulustige es nicht sein lassen konnten, sich mit einem vor Oslo gestrandeten Walross abzulichten. Sie sprangen sogar ins Wasser, um ein perfektes Foto für ihre lausigen Insta-Storys zu schießen, was letztendlich zur Folge hatte, dass zum Schutz(!) dieser Idioten das auf den Namen Freya getaufte Walross eingeschläfert wurde. Unglaublich, aber so ticken einige von uns… für fünf Minuten im Mittelpunkt.
Den Drang nach Aufmerksamkeit setzt Peele in „Nope“ gekonnt subtil um, übernimmt sich im gleichen Atemzug jedoch. Um möglichst mysteriös zu bleiben, legt er während des Films viele Fährten. Jedoch entpuppen die sich eher als Brotkrumen, die die Spannung hochhalten sollen. Vieles davon verpufft und lässt die Zuschauer unbefriedigt zurück. Darüber trösten auch die größtenteils imposant eingefangenen Bilder von Kameramann Hoyte van Hoytema nur bedingt hinweg. Das unausgegorene Tempo stellt „Nope“ immer wieder ein Bein. Über die viel zu langen 130 Minuten kommt der Film nur zu wenigen denkwürdigen Szenen, während die Summe der Logiklöcher eher nachdenklich macht. Das Sounddesign ist aber hervorragend, was vor allem im Film „Wir“ schon positiv herausstach.
Für „Nope“ stand Peele ein Budget von 68 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mehr als das Dreifache, als noch „Wir“ verschlang. Gemessen an aktuellen Big-Budget-Blockbustern, die gerne mal dreistellige Millionen-Beträge verschlingen, zwar immer noch kostengünstig, dafür aber definitiv nicht für den Mainstream gemacht. Dafür, dass Jordan Peele sich mit seinen ersten beiden Filmen einen Ruf als „visionärer Filmemacher“ erarbeitet hat (ein Prädikat, welches Newcomer heutzutage bereits nach einem guten Film an die Schärpe genagelt bekommen), lässt „Nope“ die gewisse Originalität vermissen, die man von ihm erwartet hätte. Der neue Film sollte ein Genre-Griff zu den Sternen werden, verheddert sich jedoch bereits in den ersten bauschigen Wölkchen. Bei dem zähen Spektakel um eine vermeintliche UFO-Entdeckung wollte der Regisseur sich offensichtlich vor Spielbergs Sci-Fi-Meilenstein „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977) verbeugen, verdrehte sich beim Versuch aber schon die Hüfte. Eine ähnliche Atmosphäre kommt nicht ansatzweise auf, zumal die Motivation der Hauptfiguren alles andere als ehrwürdig ist. Das ist zwar gewollt, lässt Zuschauer aber recht regungslos deren Schicksal entgegensehen. Das Drumherum füllt Peele mit Belanglosigkeiten, die für ihn vielleicht interessant sind, der zähen Handlung aber keinen Gefallen tun. So bleibt „Nope“ ein aus diversen Blockbustern zusammenschustertes Flickwerk, aufgeplustert mit Tarantino-esquem Bla-Bla und Fährten, die ein M. Night Shyamalan selbst in seinen späteren Filmen besser gelegt hat.
Aber ACHTUNG: Wer vorhat, „Nope“ im Kino zu schauen, sollte tunlichst die Trailer meiden!!! Speziell der zweite Trailer erzählt den kompletten Film im Schnelldurchlauf und offenbart bereits das große „Geheimnis“. Vollkommen unerklärlich, wie so etwas durchgewunken werden konnte.
ADS und andere Freiheiten
Für die Hauptrolle setzte Jordan Peele erneut auf Daniel Kaluuya („Sicario“, „Black Panther“), mit dem er bereits „Get Out“ drehte. Dafür war Kaluuya noch für den Oscar nominiert, was ihm für „Nope“ mit Sicherheit nicht noch einmal gelingen wird. Dafür ist sein Charakter „OJ“ einfach zu teilnahmslos. Mürrische Blicke und wortkarges Brummen reichen einfach nicht aus, um eine Hauptfigur zu charakterisieren. Die aufgesetzte Cowboy-Mentalität ist zuweilen sogar unfreiwillig komisch. Wo Sidney Poitier, Morgan Freeman oder Denzel Washington aus dem Nichts vielschichtige Facetten aus einer eindimensionalen Figur herausgezaubert hätten, kratzt Daniel Kaluuya leider nur an der Oberfläche.
Den umgekehrten Fall hat man bei seiner Schwester „Em“, gespielt von Keke Palmer („Scream Queens“, „Berlin Station“, „Hustlers“). Sie ist aufgekratzt, laut und überdreht. Ihre Darstellung der Emerald Haywood symbolisiert regelrecht die mediale Schnelllebigkeit, die sich mit hohem Lautstärkepegel und schrillenden Sirenen in die erste Reihe drängelt. Das wird dem Zuschauer recht früh klar, nervt aber mindestens ebenso schnell. Wenn als einzige Motivation antreibt, ein Foto eines möglichen UFOs zu schießen, um auf der Couch von „Oprah“ zu landen, mag das für den Charakter vielleicht Motor genug sein… für mich bedeutet das im Umkehrschluss aber, dass ich mir die letzten 130 Minuten auch hätte schenken können. Wer sich medial zum Selbstzweck mit irgendwelchen Federn schmückt, ist mir nämlich herzlich egal. Sensations-Satire hin oder her, hier wurden erstaunlich viele Möglichkeiten liegengelassen. Zum Beispiel eine gewisse Tiefe, die mit den gegebenen Zutaten eigentlich ohne die gewählten kryptischen Bruchstücke hätte ausgeweitet bzw. plausibel herausgearbeitet werden können. Nun ja, man steckt halt nicht drin. Palmer wurden für ihre Darstellung der hyperaktiven „Em“ viele Freiheiten eingeräumt. So entstand vieles am Set spontan. Das spricht für ihr Talent fürs Method-Acting, bewahrt sie jedoch nicht davor, übers Ziel hinauszuschießen. Besonders im direkten Vergleich zu ihrem tiefenentspannten Film-Bruder. In einer Szene dreht sie beispielsweise hektisch an einer Kurbel. Muss sehr anstrengend gewesen sein, denn anschließend liegt sie derart erschöpft im Sand, als hätte sie über die volle Distanz mit King Kong persönlich im Ring gestanden. Drüber und hart an der Grenze zur Karikatur… ebenso wie die letzte Einstellung mit „Django Unchained“-Vibes.
Fazit
Jordan Peele droht bereits mit seinem dritten Film in die Shyamalan-Falle zu tappen. Ein gewisser Ruf, eine fixe Idee und ansehnliches Budget reichen nicht aus, um bereits mit dem dritten Spielfilm (und einer absehbaren Formel) in den Regie-Olymp aufzusteigen. Mit wenig Mitteln hat Jordan Peele zuvor deutlich besser UND effektiver abgeliefert. Deshalb bleibe ich lieber bei seinen ersten Werken und gebe „Nope“ ein… nope.
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