Heretic

Film-Besprechung von Marcel Scharrenbroich

Glaube / Unglaube

Religiöser Horror auf dem Vormarsch

Zombies sind (mal wieder) out, Found-Footage schüttelt uns höchstens noch im Heimkino durch und der Torture-Porn, heraufbeschworen durch „Hostel“, „Saw“ und die französische Terror-Welle, ist ebenfalls abgeebbt. Was bleibt uns Horror-Freunden da – neben Remakes, Reboots und Legacy-Fortsetzungen – eigentlich noch? Natürlich der gute, alte religiöse Horror! Klassiker wie „Rosemaries Baby“ (1968), „Der Exorzist“ (1973), „Carrie - Des Satans jüngste Tochter“ (1976) und „Das Omen“ (1976) erweiterten das Feld schon früh durch ein eigenes Sub-Genre, wurden aber mit der Zeit – und durch meist uninspirierte Fortsetzungen – aufs Abstellgleis gestellt. Hier und da gab es immer mal wieder kleinere Produktionen mit Potenzial, aber meist lief es auf die übliche Austreibung eines Dämons durch einen Geistlichen hinaus. Lobende Ausnahmen, die es auch auf die Leinwand schafften, waren da höchstens noch „Kinder des Zorns“ (1984), „Das siebte Zeichen“ (1988), „Stigmata“ (1999), „Der Exorzismus von Emily Rose“ (2005), „The„Possession - Das Dunkle in dir“ (2012), „Erlöse uns von dem Bösen“ (2014) oder Robert Eggers‘ „The Witch“ (2015). Über die Jahrzehnte gesehen recht mager, doch spätestens seit dem „Conjuring“-Ableger „The Nun“ (2018), gefolgt von Ari Asters Doppelschlag „Hereditary“ (2018) und „Midsommar“ (2019), scheint das Interesse des Publikums plötzlich wieder dauerhaft entflammt zu sein. Bekamen wir 2023 mit der späten Fortsetzung „Der Exorzist - Bekenntnis“ zwar ziemlichen Scheiß aufgetischt, konnte im selben Jahr immerhin Russell Crowe im kurzweiligen „The Pope’s Exorcist“ unterhalten. Oscar-Preisträger Crowe, der in den letzten Jahren lediglich mit „Unhinged - Außer Kontrolle“ vollends überzeugen konnte, scheint Gefallen an der Kutte gefunden zu haben, denn 2024 legte er mit „The Exorcism“ nach. Solide, doch mit „Das erste Omen“, „Immaculate“, „The Deliverance“ und dem „Rosemaries Baby“-Prequel „Apartment 7A“ ging es 2024 im Kino und bei Streaming-Diensten hochkarätig her.

Darunter frische, ziemlich konsequente Impulse, die zeigen, dass das Sub-Genre dem Horror noch lange nicht ausgetrieben ist. Bevor das „Exorzist“-Franchise nach dem letzten Fehlschlag (erneut) wiederbelebt werden soll, erwarten uns voraussichtlich 2025 mit „The Ritual“ und einer Fortsetzung von „The Pope’s Exorcist“ weitere Ausflüge in okkult-religiöse Regionen. Dass das Film-Jahr 2024 aber noch mal mit einem richtigen Horror/Mystery-Paukenschlag abschließt, haben wir der Goldschmiede A24 zu verdanken, die mit „Heretic“ (übersetzt „Ketzer“) schnell noch einen unkonventionellen Kracher raushaut, der mit Entschleunigung und spannenden Dialogen in einem perfiden Katz-und-Maus-Spiel zu überzeugen vermag. Halleluja, das is’n Ding!

Bless This Mess

Die beiden jungen Missionarinnen Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) sind im Auftrag der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage unterwegs, um interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern die Glaubensgemeinschaft der Mormonen näherzubringen. Dabei klappern sie eine Namensliste ab, stoßen an den Haustüren aber nur auf bedingtes bis gar kein Interesse. Lediglich Mr. Reed (Hugh Grant), dessen Name durch seine aufgeschlossene Neugier auf der Liste landete, zeigt sich freudig überrascht. Bereitwillig, sich von den unerfahrenen Missionarinnen überzeugen zu lassen, bittet er sie in sein Haus. Natürlich erst, nachdem die Schwestern sich abgesichert haben, dass eine weitere weibliche Person im Haushalt anwesend ist. Vorsicht ist oberstes Gebot. Mr. Reed versichert ihnen, dass seine Gattin in der Küche gerade einen Kuchen zubereitet, zu dem er seine Gäste herzlich einlädt. Nach so viel Ablehnung – und auf Grund des strömenden Regens – kann man da nur schwer widerstehen. Noch bevor die vermeintliche Ehefrau sich zu ihnen gesellt, entwickelt sich ein erstes Gespräch.

Der leidenschaftliche Hobby-Modellbauer Mr. Reed zeigt sich nicht nur fasziniert und interessiert, sondern erweist sich durchaus als Gesprächspartner auf Augenhöhe, wenn es um religiöse Ansichten geht. Gibt es die eine Religion? Christentum, Judentum, Islam… in gemütlicher Runde wird hitzig aber sachlich diskutiert. Über Themen, die schon ganze Kriege vom Zaun gebrochen haben. Und mit abstrusen Vergleichen… Stichwort „Star Wars“. Trotz seines Charmes lässt der gute Mr. Reed aber immer wieder provokant durchblicken, wer hier die Oberhand zu haben scheint. Als er sich kurz in die Küche verabschiedet, wird Schwester Barnes und Schwester Paxton allmählich klar, dass sie sich in einer Zwickmühle befinden. Zwar wollen sie ihren Gastgeber nicht direkt vor den Kopf stoßen, doch löst er bei ihnen durchaus Unbehagen aus. Nicht nur, weil die angebliche Ehefrau sich noch immer nicht hat blicken lassen, eher weil der Blaubeer-Duft nicht vom angepriesenen Kuchen kommt, sondern von einer Duftkerze. Als die Missionarinnen sich klammheimlich aus dem Staub machen wollen, stehen sie vor einer verschlossenen Tür. Sie sitzen in der Falle… vollkommen ahnungslos, welche Absichten Mr. Reed wirklich verfolgt.

Unbehagliches Kammerspiel

„Heretic“ ist ein echter Slowburner. Soll heißen, dass die Handlung nicht mit dem Holzhammer präsentiert wird, sondern sich ganz langsam offenbart. Damit sind wir nah an den beiden weiblichen Hauptfiguren, da einzig und allein Mr. Reed steuern kann, wieviel und wann wir überhaupt etwas erfahren. Die Atmosphäre wird immer angespannter, was sich sehr gut in den Gesichtern von Sophie Thatcher und Chloe East ablesen lässt. Die Kamera des Südkoreaners Chung Chung-hoon („Oldboy“, „Es“, „Last Night in Soho“) hält da gnadenlos drauf, damit sich jede Regung auf die Zuschauer projiziert. Insgesamt ist „Heretic“ fantastisch gefilmt. Erst einmal bei Mr. Reed angekommen, was bereits nach einer kurzen Exposition geschieht, findet die Handlung ausschließlich im Haus des mysteriösen Gastgebers statt. Dabei ist dieses verschachtelter, als es den Anschein machen könnte. Mit der warmen Beleuchtung, klaustrophobischen Fluren, die wir erst nur durch einen Türspalt erspähen, und versteckten Ecken mit überraschender Ausstattung, erweist sich die Behausung mit ihren asymmetrischen Türen als perfekter Handlungsspielplatz, der im Laufe der Handlung stets erweitert wird. Heimelig irgendwie, gleichzeitig aber unheimlich. Stets so gefilmt, als wären wir als stille Zuhörer mit im Raum. Und während die Anspannung bei den Protagonistinnen steigt, rutschen wir immer nervöser werdend auf unseren Sitzen hin und her.

Das liegt nicht nur an dem tollen Kammerspiel-Drehbuch von Scott Beck und Bryan Woods, die als Schreiber von „A Quiet Place“ und „The Boogeyman“ schon erfolgreich Genre-Luft schnupperten und hier auch gleich als Regisseure in Erscheinung treten, sondern vor allem an Hugh Grant. Meine Fresse… es ist einfach toll, den Engländer, der seinen großen Erfolg vor allem romantischen Komödien verdankt („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“, „Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück“, „Ein Chef zum Verlieben“, „Tatsächlich… Liebe“, „Mitten ins Herz - Ein Song für dich“), komplett gegen den Strich besetzt zu sehen. Mit mittlerweile 64 Jahren aus Hollywood-Sicht zu alt, um den sinnlichen Verführer zu spielen (was ziemlicher Quatsch ist!), wäre es aber zu schade gewesen, Grant nicht mehr in Hauptrollen auf der großen Leinwand zu sehen. Ein Schicksal, welches vieler seiner Schauspiel-Kollegen ereilte, die man nach dem Aussortieren höchstens noch in B-Produktionen oder kleinen Gastrollen sieht. Mit „Heretic“ feiert Hugh Grant nicht nur ein grandioses Comeback, sondern empfiehlt sich gleich noch für eine ganz andere Sparte von Filmen. Seine charmante Art, oft dargestellt durch ein verschmitztes Lächeln oder gespielte Unsicherheit, musste er dafür nicht ablegen. Der „alte“ Grant blitzt sofort durch, durchaus einnehmend und charismatisch. Ein Geschenk für seine Schauspiel-Partnerinnen Sophie Thatcher („Yellowjackets“, „The Boogeyman“) und Chloe East („Generation“, „Die Fabelmans“), die die Spielfreude ihres Co-Stars sichtlich annehmen.

Fazit

Wer Jump-Scares und blutige Effekte sucht, ist bei „Heretic“ im falschen Film. Hier wird Unbehagen durch eindringliche Gespräche aufgebaut, bevor wir in einem dialoglastigen Katz-und-Maus-Spiel hinter die Fassade schauen dürfen. Spielraum für Interpretationen bleibt vorhanden, woraus Zuschauer schlussendlich ihre eigenen Erklärungen ziehen dürfen. Im Horror-Genre mittlerweile recht selten, bekommt man doch zu oft ein aufgezwungenes „Friss-oder-Stirb“-Ende vorgesetzt, mit dem man sich arrangieren muss. Definitiv ein Film, mit dem man sich auch nach dem Abspann noch länger beschäftigen kann. Gerne in gemütlicher Runde bei einem Stück Blaubeer-Kuchen…

Wertung: 8

Bilder: © Plaion Pictures

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