Hellraiser: Das Schloss zur Hölle
Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich
Frisches Blut oder doch nur Leichenschändung?
Wir haben (hatten?) dir so viele wundervolle Dinge zu zeigen!“
Die „Hellraiser“-Reihe, ursprünglich basierend auf der 1986 erstveröffentlichen Novelle „The Hellbound Heart“ von Clive Barker, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Eine Geschichte voller Aufs und Abs… vornehmlich Abs…, Verstümmelungen durch dünnhäutige Prüfgremien und leiderprobten Horrorfans weltweit. „Leid“ ist ein zentrales Thema und zieht sich wie ein blutroter Faden mit Stacheln und Widerhaken durch die Storys, doch die Tortur war eher qualitätsbedingt. Dem überaus humorbefreiten und düsteren „Hellraiser - Das Tor zur Hölle“ (1987) folgte nur ein Jahr später mit „Hellbound - Hellraiser II“ eine Fortsetzung, die dem Original in nichts nachstand. Mein persönlicher Lieblingsfilm der Reihe, da er inhaltlich an den Vorgänger anknüpft, mehr über die Zenobiten verrät und uns gleich noch einen Blick in die Dimension des Schmerzes werfen ließ. Ein nettes Örtchen… etwas karg eingerichtet, aber nett. Mit dem dritten Film, „Hellraiser III - Hell on Earth“ (1992), wurden Pinhead und seine Co-Forschungsreisenden dann endgültig als Horror-Ikonen gefestigt. Ähnlich dem Genre-Kollegen Freddy Krueger, der spätestens 1987 in „Nightmare III - Freddy Krueger lebt“ (aka „A Nightmare on Elm Street 3: Dream Warriors“) zum Pop-Kultur-Phänomen mutierte. Den ersten drei Filmen, in die Clive Barker immerhin noch involviert war, haben wir auf unserer Couch übrigens ein ganzes Special gewidmet. Fürs Heimkino ist die „Hellraiser“-Trilogie in verschiedenen Editionen aufwendig von TURBINE überarbeitet worden, inklusive durchgängiger deutscher Synchro für Teil 3.
Für „Hellraiser IV - Bloodline“ (1996) verlegte man dann die Rahmenhandlung ins Weltall. Ein Trend, welcher irgendwann scheinbar jedes große Horror-Franchise einholt (siehe „Jason X“, „Leprechaun 4: In Space“ (aka „Space Platoon“) oder „Critters 4 - Das große Fressen geht weiter“). Rückblenden in die Zeit der Entstehung der unheilvollen Puzzlebox machten den Streifen dann in seiner ungekürzten(!) Fassung aber noch immer sehenswert. Mit meiner Meinung zu „Hellraiser: Inferno“ (2000), dem fünften Teil unter der Regie von Scott Derrickson, stehe ich womöglich ziemlich einsam da, halte ihn aber für einen wendungsreichen und durchweg straff inszenierten Horror-Schocker, der auch ohne Zenobiten-Verbindung effektiv funktioniert hätte. 2002 versuchte „Hellraiser: Hellseeker“ noch einmal, an die Anfänge der Reihe anzuknüpfen. Darstellerin Ashley Laurence kehrte als Kirsty Cotton zurück. Das Ergebnis war eine recht durchschnittliche Direct-to-DVD-Veröffentlichung ohne großartige Highlights. Regisseur Rick Bota inszenierte dann noch die runtergekurbelten Fast-Food-Fortsetzungen „Hellraiser: Deader“ und „Hellraiser: Hellworld“ (beide 2005… und „Hellworld“ mit Katheryn Winnick, Henry Cavill und Lance Henriksen sogar verdammt gut besetzt!), bevor es so richtig stramm bergab ging. Wurden Pinhead und die Zenobiten in den letzten Filmen eh nur als wiederkehrende Randnotizen in die überschaubaren Drehbücher geklöppelt, um einen zugkräftigen Namen im Titel zu verbraten, entstand „Hellraiser: Revelations - Die Offenbarung“ einzig aus dem Grund, damit die Rechte an dem „Hellraiser“-Franchise nicht verfallen. Diese hielt DIMENSION FILMS und man leierte sich den minderwertigen Murks - erstmals ohne den ikonischen Doug Bradley als Pinhead - in Rekordzeit aus dem Kreuz. Qualitativ unterboten wurde diese Fan-Ohrfeige nur noch von „Hellraiser: Judgment“ (2018), den man in nur drei Wochen wegnudelte. Im Hinterkopf hatte man schon länger ein Reboot der Reihe, weshalb man sich auch so arg an die Rechte klammerte und sogar vorprogrammierte Rohrkrepierer auf die Menschheit losließ. That’s Business, Baby. Aber jetzt wird ja alles gut… oder? ODER???
Schwächen
Der exzentrische Millionär Roland Voight (Goran Višnjić) hat durch seine Handlanger in Belgrad ein mysteriöses Exponat erstanden. Eine geheimnisvolle Puzzlebox, von der er sich Großes verspricht. Er weiß ganz genau, welches höllische Spielzeug er in Händen hält… und ebenso, dass die Box nach Blut verlangt. Sind die Seiten des Würfels vollständig gelöst und entsprechend Opfer dargeboten worden, erwarten ihren Besitzer Gaben vom Herrscher des Reichs der Gelüste. So beginnt der machtgierige Voight die Spieluhr zu füttern…
Sechs Jahre später gilt Roland Voight als verschollen. Sein kreativ umgestaltetes Prachthaus steht leer, während der Würfel in einer Lagerhalle darauf wartet, wiederentdeckt zu werden. Die junge Riley (Odessa A’zion), stark strauchelnd wegen ihrer Pillen- und Alkoholsucht, lässt sich von ihrem neuen Freund Trevor (Drew Starkey) zu einem Bruch überreden. Wie „Gott“ will, fällt ihnen die prunkvoll verzierte Box in die Hände. Rileys Bruder Matt (Brandon Flynn), in dessen WG sie untergekommen ist, macht sich große Sorgen, dass seine Schwester noch weiter abrutscht. Über ihren ausschweifenden Lebensstil entbrennt ein nächtlicher Streit, in Folge dessen er Riley kurzerhand vor die Tür setzt. Aufgelöst und mental komplett am Boden, greift sie wieder zu pillenförmigen Stimmungsaufhellern und beginnt, an der Box herumzuwerkeln. Tatsächlich löst sie eine der sechs Konfigurationen, woraufhin eine Klinge aus dem Würfel schnellt. Noch bevor Riley diese genauer unter die Lupe nehmen kann, sackt sie zugedröhnt auf einem Spielplatz zusammen. Matt erwacht währenddessen aus einem Albtraum. Eine schlimme Vorahnung lässt ihn noch in der gleichen Nacht auf die Suche nach seiner Schwester gehen. Als er sie benommen vorfindet, verletzt er sich an der Klinge der Box. Dieses ungewollte Blutopfer setzt ungeahnte Kräfte frei. Matt wurde markiert, nun holt sich die Hölle ihre Beute.
Matt bleibt seit dieser Nacht verschwunden. Seine Freunde und Riley sind in großer Sorge und Stück für Stück beginnt die labile junge Frau, das Rätsel um die Spieluhr zu entwirren. Bei ihren Recherchen stößt sie auch auf Voight und dessen Anwesen, doch da ist die Hölle bereits entfesselt. Und einmal gerufen, lassen deren Bewohner so schnell nicht von ihrem Ziel ab.
Pacing aus der HÖLLE!
Davon abgesehen, dass „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ (für den geistreichen Nebentitel sollte es einen Schlag in den Nacken setzen!) mir gut zwei Stunden Laufzeit locker eine halbe zu lang ist, krankt es dem Reboot an Rhythmus. Passiert während der ersten Hälfte erschreckend wenig, wird speziell in Richtung Finale die Schraube angezogen. Hier bekommen die Zuschauer dann auch endlich mehr von den Zenobiten geboten. Vorher plätschert der Film so dahin und legt den Fokus vor allem auf Riley, gespielt von der Newcomerin Odessa A‘zion.
Allerdings nervt ihre Figur ohne Ende, was schon mal einem K.O.-Kriterium gleichkommt, wenn ich mit einem Hauptcharakter mitfühlen soll. High, verlottert und ständig angepisst, stößt sie alles und jedem vor den Kopf, wenn sie nicht mit Heulen, Fluchen oder hysterischem Gekreische beschäftigt ist. Wo ist ein fucking Zenobit, wenn man mal einen braucht… Jedenfalls hätte mir ihr Schicksal egaler nicht sein können. Ihre Suchtprobleme stehen im Vordergrund, während die LeMarchand-Puzzlebox das tut, was sie immer macht: darauf warten, dass ein Dämlack an ihr herumfingert und damit Nachschub für die Hölle herankarrt. Das passiert natürlich ständig, da der stotternde Story-Motor irgendwie in Schwung kommen muss. Im späteren Verlauf gibt es noch einen ganz netten Twist, doch da ist der Zug schon halbwegs aus dem Bahnhof zur Schmerz-Dimension raus.
Stärken
Es gibt aber auch durchaus Positives zu vermelden. Zu meiner großen Überraschung waren es ausgerechnet die frischen Zenobiten, die den Film aus dem Sumpf der unnötigen Reboots ziehen. Die ursprünglichen SM-Anlehnungen der Forschungsreisenden in die weiten Regionen der menschlichen Erfahrungen hat man zwar weitestgehend über Bord geworfen, doch Body-Horror steht noch immer auf der Tageskarte von Pinhead & Co. Dann wird es auch mal saftig und einige Szenen tuen schon beim Hinsehen weh. Optisch sehr gelungen.
Pinhead, in den Credits nur noch als The Priest gelistet (wie bereits in frühen Drehbuchentwürfen von Clive Barker zum Original-„Hellraiser“), wird erstmals von der amerikanischen Trans-Schauspielerin Jamie Clayton („Sense8“, „The Neon Demon“, „Designated Survivor“) verkörpert. Eine hervorragende Wahl, denn die 45-jährige schafft es mit Bravour, sich den Charakter zu eigen zu machen. Mit starker Präsenz und stets bedrohlich, spielt Clayton unter Schichten von Make-Up und Prosthetics diabolisch auf. Die stoische Ruhe, mit der ihre Pinhead-Version auch in der deutschen Synchronisation puren Horror vermittelt, hat man so wirkungsvoll seit den besten Zeiten von Doug Bradley, dem Ur-Pinhead, nicht mehr gesehen. Der Zenobiten-Look im Ganzen hat mir sehr gefallen, ist er doch klinischer ausgefallen und schreit nicht mehr nach SM-Keller. Einige Szenen verdeutlichen mehr als zuvor, warum der Satz „Für manche Dämonen …Engel für andere“ hier mindestens so treffend wie im Original zählt.
Wie heutzutage fast schon üblich, gab es bei Bekanntwerden der Besetzung mit Jamie Clayton durchaus kritische Stimmen. Im Getöse des Internets könnt Ihr euch denken, wessen Natur ein Großteil des Geplärres war. Abseits des trans-feindlichen Gezeters gab es aber durchaus sinnvolle Befürchtungen. Immerhin waren die Fußstapfen von Doug Bradley, Höllenpriester in acht der bisherigen zehn Filme, enorm groß. Wie so etwas in die Hose gehen kann, hat man 2010 im Remake von „A Nightmare on Elm Street“ gesehen, in dem Neu-Freddy Jackie Earle Haley („Watchmen“, „Shutter Island“) trotz sehenswerter Darstellung einen schweren Stand hatte. Dazu sei lediglich gesagt, dass Clive Barker den erst von der späteren Film-Crew so getauften Pinhead in seiner Novelle als androgyn beschrieb. Sogar die Stimme umschrieb Barker als die eines aufgeregten Mädchens. Original-Zitat aus „The Hellbound Heart“: „Its voice, unlike that of its companion, was light and breathy - the voice of an excited girl.“
Fazit
Nein, der erhoffte große Wurf ist das Streaming-Reboot des Kult-Franchises bei aller Liebe nicht. Dennoch hat man sich immerhin Mühe gegeben, dem totgesagten Franchise neues Leben einzuhauchen. Produktion und Effekte machen einen durchaus hochwertigen Eindruck, wenn die überschaubare Story auch zu lang und zudem noch holprig inszeniert ist. Die runderneuerten Zenobiten, angeführt von einer starken neuen Priest-Verkörperung, sollten Horror-Fans aber schon einen Blick wert sein. Da hat man bei anderen Marken-Wiederbelebungen *hust* „Leprechaun“, „Jeepers Creepers“ *hust* schon deutlich treffsicherer in die Scheiße gegriffen…
„Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ erschien am 7. Oktober 2022 exklusiv auf der amerikanischen Video-on-Demand-Plattform HULU. In Deutschland ist der Film von David Bruckner seit dem 15. April 2023 mit reichlich Verspätung auf dem Streamingdienst PARAMOUNT+ abrufbar.
Wertung: 6
Bilder: © Paramount
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