Hagen - Im Tal der Nibelungen
Film-Besprechung von Brigitte Grahl
Der Burgunder Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber) hält mit Pflichtbewusstsein und eiserner Härte das von Krisen geschüttelte Königreich zusammen. Dabei unterdrückt er die heimliche Liebe zur Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag) und verdrängt seine eigene dunkle Vergangenheit. Als der sagenumwobene Drachentöter Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) in Worms auftaucht und mit seiner Unberechenbarkeit die alten Strukturen gefährdet, wird Hagen zunehmend zur tragischen Figur. Der junge und durch den plötzlichen Tod seines Vaters noch unerfahrene König Gunter (Dominic Marcus Singer) sieht in Siegfried eine Chance, das Reich zu retten. Er bittet ihn außerdem um Hilfe, die Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster) zu freien. Als sich Kriemhild ausgerechnet in Hagens Widersacher Siegfried verliebt, muss sich der Waffenmeister zwischen Liebe und Königstreue entscheiden.
Das Nibelungenlied ist DIE deutsche Heldensage. Die epische Geschichte von Eifersucht und Verrat wurde bereits mehrmals verfilmt und immer stand Siegfried, der Drachentöter als strahlender Held im Mittelpunkt - hinterrücks getötet vom finsteren Hagen von Tronje.
Die neueste Verfilmung „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ orientiert sich an Wolfgang Hohlbeins Roman von 1986, eine psychologisierte Interpretation, in welcher der burgundische Waffenmeister Hagen von Tronje als pflichtbewusster Mann zur tragischen Hauptfigur wird. Diese Neuinterpretation hat die Constantin Film als Spielfilm (138 Minuten) und gleichzeitig als Sechsteiler fürs Fernsehen verfilmt.
Protagonist Hagen und Antagonist Siegfried: Ordnung versus Chaos
Der Niederländer Gijs Naber spielt die titelgebende Hauptfigur Hagen. Ein ernster, verschlossener Mann. Unbedingt loyal gegenüber dem burgundischen Königshaus, pflichtbewusst bis zur Selbstaufgabe. Seine Liebe zu Kriemhild unterdrückt er und muss mit ansehen, wie sich seine Angebetete in Siegfried verliebt und von ihm betrogen wird.
Siegfried ist das genaue Gegenteil von Hagen: anarchisch, destruktiv und impulsiv. Siegfried ist ein Getriebener, der nach Geborgenheit sucht, sie aber weder in sich noch bei anderen findet. Er erlebt Gefühle nur als Rausch beim Kämpfen, beim Töten und beim Sex. Alles ist für ihn ein Spiel, alles langweilt ihn schnell. Jannis Niewöhner überzeugt als Heißsporn und Frauenschwarm, von dem alle fasziniert sind. Er ist eine sehr moderne Figur und sticht auch optisch durch seinen Look hervor.
Siegfried glaubt, in Burgund endlich ein Zuhause gefunden zu haben. Während alle seinem Charme erliegen, bleibt Hagen abweisend. Trotzdem oder genau deswegen sucht Siegfried seine Nähe. Beide kennen das Gefühl, anders zu sein und die Sehnsucht, dazugehören zu wollen. Beide fühlen sich vom anderen erkannt, was sie sowohl zu Freunden als auch zu Feinden macht. Hagen sieht von Anfang an die Gefahr, die Siegfried mit sich bringt, das personifizierte Chaos, dass die starre höfische Ordnung bedroht.
Die Nebenfiguren: Kein Happy End für niemanden
König Gunter (Dominic Marcus Singer) ist ein schwacher Regent, der durch den unverhofften Tod seines Vaters auf den Thron kommt. Der Tod seines Vaters ermuntert die Feinde, sich gegen Burgund zu erheben. Beraten von seinen beiden Brüdern setzt Gunter auf die Verheiratung von Kriemhild, um einen Bündnispartner zu bekommen. Als sich Siegfried entscheidet, für Burgund zu kämpfen, verlässt Gunter sich ganz auf den unbesiegbaren Drachentöter. Er fühlt sich stark, weil er sich mit starken Figuren umgibt. Dazu gehört auch die Walküre Brunhild, die er so unbedingt haben will, dass er dafür sogar auf Zauberei zurückgreift.
Die Dänin Rosalinde Mynster beeindruckt als übernatürliche Kriegerin, die sich als Siegestrophäe am burgundischen Hof wiederfindet, verheiratet mit einem Mann, den sie verachtet. Sie schert sich ebenso wenig wie Siegfried um Konventionen und Regeln. Beide führen Gunter vor Augen, wie schwach er ist, beide werden zu einem Quell des Neides und der Eifersucht.
Ebenso ergeht es seiner Schwester Kriemhild (Lilja van der Zwaag). Sie heiratet Siegfried, einen Mann, den sie nicht versteht und der sie nicht liebt. Anfangs glaubt sie, das große Los gezogen zu haben mit ihrer Liebesheirat. Schließlich ist eine Frau zu der Zeit ein politisches Handelsgut und sie hat kein Mitspracherecht bei der Partnerwahl. Letztlich ist Kriemhild aber in den Konventionen ihrer Zeit gefangen, sie erwartet von Siegfried, dass er sich den Normen entsprechend verhält und wird enttäuscht.
In der Nibelungensage wimmelt es von übernatürlichen Wesen. Im Film werden sie eingedampft auf die Figur des Alberich, was den Film davor bewahrt, im Fantasy-Genre zu landen. Alberich ist ein „altes Wesen“ und wird geschickt uneindeutig visualisiert: sein Anblick changiert zwischen weiblich und männlich, Kind und Greis. Allein das wirkt schon gruselig. Die wenigen Auftritte des „alten Wesens“ erzeugen eine unheilschwangere Atmosphäre und rufen bei den Protagonisten unschöne Erinnerungen und Gefühle hervor, die sonst immer unterdrückt werden.
Ausstattung und Drehorte: irgendwann im Mittelalter, irgendwo in Europa
Der Film wurde in Tschechien und Island gedreht. Die Ausstattung orientiert sich an historischen Vorlagen und erspart den Zuschauerinnen und Zuschauern ein Mittelalter-Disneyland. Die Innenräume sind karg und düster, die Landschaft mitteleuropäisch mit Tannen und Laubwäldern, das Wetter neblig und bewölkt. Die Kostüme sind überwiegend naturfarben und gedeckt, es gibt nur wenige kräftige Farben und keinen kitschigen Pomp.
Besonders beeindruckend sind die Szenen auf Island. Vor der Kulisse von weißem Schnee, schwarzem Lavagestein und einem feuerspuckenden Vulkan marschieren die kriegerischen Walküren um Brunhild auf. Sie sehen gleichzeitig skandinavisch, archaisch und exotisch aus und passen wunderbar in die seltsame Landschaft.
Fazit: „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ überzeugt als Neuinterpretation der Nibelungensage
Mit „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ hat die Constantin einen Film mit großen Unterhaltungs- und Schauwerten geschaffen: mit monumentalen Kampfszenen, imposanten Landschaften, einer überzeugenden Ausstattung und einer unheilschwangeren Atmosphäre. Dazu kommt eine gute Besetzung: Bis auf wenige Rollen sind die Hauptrollen mit in Deutschland kaum bekannten Schauspielern besetzt und lenken daher nicht von den Rollen ab.
In Hollywoodproduktionen werden die Actionszenen oft zum Selbstzweck, was in „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ erfreulicherweise nicht passiert. Die Geschichte und die Entwicklung ihrer Figuren stehen im Vordergrund.
Der Spielfilm konzentriert sich gemäß seinem Titel auf Hagen und seinen Gegenpol Siegfried. Man darf gespannt sein, wie die Mini-Serie die übrigen Figuren ausleuchten wird - gerade Kriemhild, eine der Hauptfiguren der Nibelungensage, bleibt im Spielfilm etwas blass, was weniger an der Schauspielerin und mehr am Drehbuch liegt. 2025 soll die Serie auf RTL+ erscheinen.
Bilder: © Constantin Film
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