Glorious
Film-Besprechung von Michael Drewniok
Lokus Dei - Gefangen zwischen Hölle und Kloschüssel
Unter unerfreulichen Umständen hat sich Wes von Freundin Brenda getrennt. Nun sitzt er in seinem Wagen und irrt ziellos umher. Die Erschöpfung lässt ihn die Straße verlassen und einen Rastplatz mit Toilettenhaus ansteuern. Dort betrinkt Wes sich, verbrennt sein Gepäck (und seine Hose) und fällt schließlich besinnungslos um.
Am nächsten Morgen erwacht Wes mit einem mörderischen Kater. Die Übelkeit treibt ihn in das Innere der Rastplatz-Toilette, wo er sich trotz des unbeschreiblichen Zustandes über eine WC-Schüssel beugt. Kurz darauf erkundigt sich eine freundliche Stimme aus der Nachbarkabine nach seinem Befinden. Peinlich berührt will Wes die Toilette verlassen, doch dies gelingt ihm nicht: Die Tür ist plötzlich verschlossen.
Die Stimme aus der Kabine klärt auf: Wes ist in einen Kampf galaktischen Über-Wesen geraten. Ghatanothoa, Inhaber der Stimme, stellt sich als Gott vor, der sich auf der Flucht vor seinem bösen Vater auf dieser Toilette verbirgt. Dort hat er auf Wes gewartet, denn nur er könne ihm zu einer Flucht verhelfen. Außerdem stünde beim Sieg des Vaters die Vernichtung allen Lebens im Universum an.
Verständlicherweise schenkt Wes diesen Worten wenig Glauben. Doch einige rätselhafte und furchterregende Vorfälle später zweifelt er nicht mehr. Sämtliche Fluchtversuche schlagen fehl. „Ghats“ Hilferufe werden immer dringlicher; der Vater ist ihm auf die Spur gekommen und nähert sich durch eine fremde Dimension dem Toilettenhaus. Was Wes geben soll, geht über menschliche Willenskraft hinaus. Doch „Ghat“ wird deutlicher, er droht, peinigt - und lockt, denn er weiß, was Wes getan hat und sich seither wünscht …
Die Sucht nach dem Ungewöhnlichen
Wenn man nicht mehr der Jüngste ist und das phantastische Kino schon lange schätzt, wird es schwierig, sich von aktuellen Genre-Filmen locken zu lassen. Ebenso schmerzlich wie nachdrücklich bestätigt sich, dass es offenbar nur eine begrenzte Zahl von Ideen gibt, die von jeder Generation aufgegriffen werden. Die Spezialeffekte mögen an Qualität zugenommen haben, doch die Jüngeren seien gewarnt: Irgendwann reicht das nicht mehr, um allzu ausgelaugte Storys und Figuren zu übertünchen. Dann beginnt die Suche nach jenem Stoff, der mehr bietet als ko(s)mische Raufereien digital auf Touren gebrachter (meist bunt gekleideter) Helden gegen CGI-Schurken und Ungeheuer.
Zum Reifeprozess (oder zur Alterung) trägt die Erkenntnis bei, dass eine einfallsreiche Story spektakulären Aufwand ersetzen kann. Es war klar, dass ein Film wie „Glorious“ diesen Rezensenten wie ein Magnet anziehen musste. Bereits die Idee ist eine Herausforderung: Wird es gelingen, Spannung in einer Kulisse zu entfachen, die sich auf ein grausig versifftes Rastplatz-Klo beschränkt? Dort gibt es nur zwei Kabinen und einige (weitgehend funktionsuntüchtige) Waschbecken.
Hinzu kommt ein wahrlich überschaubares Darstellerfeld. Außer Ryan Kwanten, der den quasi jederzeit präsenten Wes verkörpert, ist der zweite ‚Hauptdarsteller‘ ein Gott des Chaos’, dessen Menschlichkeit sich auf seine Stimme beschränkt. Man sieht „Ghat“ nur einmal in seiner ganzen Scheußlichkeit. Ansonsten wird er durch seine Stimme präsent - ein Faktor, dessen Bedeutung glücklicherweise in der deutschen Fassung aufgegriffen wurde.
Jenseits jeden hygienischen Horrors
Man kann Ryan Kwanten nicht genug loben. Im Alleingang sorgt er für den Vortrieb der grotesken Story, die man ein Horror-Kammerspiel nennen kann. Ständig ist er im Bild. Sein qualvoller Aufenthalt in der WC-Hölle wird von Rückblenden unterbrochen, die (scheinbar) seine Vorgeschichte als von der Liebe überforderter Jedermann aufrollen. Erst zuletzt und beinahe im Nachhinein enthüllt sich eine andere, sehr düstere Geschichte, die aber erklärt, wieso gerade Wes zum Retter des Universums wurde.
Kwanten ist der Herausforderung wie gesagt gewachsen. Er ist bemitleidenswert in seiner überforderten Durchschnittlichkeit, beeindruckt durch seinen aufkeimenden Widerspruchsgeist oder seine Fluchtversuche - und überrascht durch eine nach und nach enthüllte Gesamt-Persönlichkeit, die einen gänzlich unerwarteten Charakter enthüllt. Jederzeit ist Kwanten präsent, springt vom absoluten Grauen in absurden Schwarz-Humor und zwiespältige Tragik: kein „Star“, sondern ein Profi, der seinen Schauspieler-Job beherrscht und sich vor der Kamera nicht schont!
Dennoch könnte „Glorious“ nicht ohne das Talent seines Co-‚Darstellers‘ funktionieren. Regisseurin Rebekah McKendry wusste genau, was sie tat, als sie den US-amerikanischen Schauspieler J. K. Simmons („Oscar“ 2014 als charismatisch-sadistischer Musiklehrer in „Whiplash“) als Stimme des ‚Gottes‘ Ghatanothoa anheuerte. Da man diesen nicht sieht, kann er sich nur akustisch präsentieren. Die heutzutage leider üblich gewordene Billig-‚Synchronisation‘ durch stimmlose Stammler würde den Tod dieser Geschichte bedeuten. Glücklicherweise griff das Label Pierrot le Fou zu. Hier werden unkonventionelle Filme veröffentlicht, ohne angebliche Zugeständnisse an die Präsentationsqualität zu machen. Also suchte und fand man in Sven Brieger eine Stimme für Ghatanothoa, die diesem auch ohne physische Anwesenheit Allgegenwärtigkeit verschafft.
Buchstäblich eine „condensed story“
Loben muss man auch das Team hinter der Kamera. Was sich aus der bescheidenen ‚Kulisse‘ herausholen ließ, hat es gefunden. Die Kamera findet dort immer neue Winkel, statt billigen Syntho-Gedudels gibt es eine richtige Filmmusik. Darüber hinaus gilt die Anerkennung einer Story, die das Groteske erfolgreich neben das Drama stellt. Obwohl „Glorious“ nur 75 Minuten dauert, gibt es viel Subtext. Er umfasst wie schon angedeutet eine Nebenstory, die Wes in einem völlig neuen Licht zeigt (aber hier nicht verraten wird). Hinzu kommt die Geschichte von Ghatanothoa, die ungeachtet seines Aufenthaltsortes durchaus plausibel in einer ‚parallelen‘ Historie des Universums wurzelt.
Die Autoren zitieren hier einen Meister des modernen Horrors: H. P. Lovecraft (1890-1937) schuf den „Cthulhu“-Mythos, der den Kosmos als Arena übermächtiger ‚Götter‘ enthüllt, die dem Menschen keine echte Aufmerksamkeit widmen. Wer sich mit diesen Wesen einlässt, wird ein böses Ende nehmen. Hier bleibt „Glorious“ eng am Vorbild, auch wenn sich „Ghat“ trügerisch ‚menschlich‘ gibt: Letztlich sucht er nach eigener Erlösung und nutzt Wes als Mittel zum Zweck.
Wen wundert’s, denn Ghatanothoa wird von Lovecraft als einer der Nachkommen genannt, die Cthulhu in dieses Universum setzt. Somit ist es der erzböse ‚Gott‘ persönlich, den wir durch die löchrig werdenden Wände der Rastplatz-Toilette beobachten, wie er sich aus Dimension X der irdischen Realität nähert.
Dem Grotesken gewachsen
Selbstverständlich ist dies alles lächerlich. Die Kunst besteht darin, diesen Eindruck zu verwischen bzw. dem Wahnsinn eine Basis zu schaffen. Das gelingt, weshalb irgendwann durchaus glaubhaft ist, dass in einer schmutzstarrenden Bedürfnisanstalt über den Fortbestand allen Lebens entschieden wird.
Ebenfalls eine kluge Entscheidung ist die Beschränkung der Filmdauer. Jede Idee trägt nur über eine gewisse Zeit. Je ungewöhnlicher sie ist, desto kürzer ist in der Regel ihre Existenzkraft. „Glorious“ läuft 75 Minuten. Der Leerlauf beschränkt sich auf kurze Phasen, bevor das Geschehen erneut eine unerwartete Richtung nimmt. Zudem ist „Glorious“ keineswegs eine Billig-Produktion. Es gibt sogar mehr Spezialeffekte als erwartet. Sie sind relativ aufwändig und schließen diverse Splattereffekte ein. Obwohl man beispielsweise nicht sieht, wie Gary C sein Ende findet, stolpert Wes noch länger über dessen Überreste, die „Ghat“ überall im Raum verteilt hat.
Souverän und überraschend bis zum Schluss bringt McKendry ihren Film ins Finale. Sie hat uns kurzweilig unterhalten, die makabre Stimmung unbekümmert durch schwarzen Humor nicht gelockert, sondern unterstützt sowie alle losen Enden im Auge behalten. „Glorious“ mag oberflächlich betrachtet ein Nischenprodukt für ein Publikum mit ‚abseitigen‘ Interessen sein. Wer sich davon abschrecken lässt, wird ein schräges, aber interessantes und erfreuliches Filmvergnügen versäumen.
Wer mehr erfahren möchte ...
Diese erste deutsche Fassung von „Glorious“ wird als Mediabook auf den Markt gebracht, das den Film auf Blu-ray und DVD enthält. Der Zweck dieser Kombination konnte nie schlüssig erläutert werden; man sollte deshalb finanzielles Interesse verantwortlich machen. Wer sparen möchte und geduldig ist, wird Ende 2023 auch eine Single-DVD bzw. -Blu-ray erwerben können.
Diese Fassung erfreut diejenigen Zuschauer, die sich auch für den Produktionshintergrund eines Films interessieren, mit Zusatzmaterial: Hauptdarsteller Kwanten und Simmons sowie Regisseurin McKendry äußern sich im Rahmen ausführlicher Interviews zu ihrem Werk.
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