Evil Dead Rise

Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich

Die Teufel bitten zum Tanz… erneut!

Let’s Dance

Ganze zehn Jahre hat es gedauert, bis ein weiterer Ableger aus dem „Evil Dead“-Franchise den Weg in die Kinos findet. Überraschend eigentlich, denn die Erfolgsgeschichte der kultigen Horror-Reihe ist so ziemlich beispiellos. Alles begann 1978, als der aufstrebende Filmemacher Sam Raimi im zarten Alter von 19 Jahren einen 32-minütigen Kurzfilm drehte, der eigentlich ein innovativer Werbefilm für potentielle Investoren zukünftiger Projekte dienen sollte. Raimi und sein langjähriger Freund Bruce Campbell drehten bereits einige Super8-Kurzfilmchen, blieben dabei jedoch meist im humorvollen Genre. „Within the Woods“ veränderte dann aber alles. Cast und Crew bestanden hauptsächlich aus Freunden und Familienmitgliedern. Produzent Robert G. Tapert, ein damaliger Uni-Zimmergenosse von Sam Raimis Bruder Ivan und späterer Mitschöpfer der Fantasy-Serie „Xena“, war mit an Bord, und so konnte für läppische 1.600$ die Blaupause für den legendären „Tanz der Teufel“ (OT: „The Evil Dead“) realisiert werden. Ein lokales Kino zeigte „Within the Woods“ im Vorprogramm, was für Aufmerksamkeit sorgte. 1979 gründeten Raimi, Campbell und Tapert ihre Produktionsfirma Renaissance Pictures, womit der Grundstein schon mal gelegt war. Mit 90.000$ Startkapital ging es an den zermürbenden Dreh von Sam Raimis Langfilmdebüt, welches in Deutschland bis 2016 beschlagnahmt war, heute nach Neuprüfung aber in ungeschnittener Form ab 16 Jahren freigegeben ist. Tja, wir leben in wilden Zeiten, was?

Nachdem „The Evil Dead“ weltweit rund 2,9 Millionen $ einspielte (außer Konkurrenz lief er sogar auf dem Filmfestival in Cannes und wurde durch zugkräftige Werbung von Horror-Meister Stephen King promotet), war er ein durchaus profitabler Überraschungshit. Ähnlich erging es 1999 dem Found-Footage-Vorreiter „Blair Witch Project“, der mit einer wahnsinnigen Gewinnspanne erneut bewies, dass Low-Budget kein Qualitätsmanko sein muss. Sam Raimi ruhte sich zwar nicht auf seinen Lorbeeren aus, ließ sich mit einer Fortsetzung aber bis 1987 Zeit. Das lag unter anderem daran, dass Raimi und Tapert 1985 den von Joel und Ethan Coen („Fargo“, „The Big Lebowski“, „No Country for Old Men“) geschriebenen „Crimewave“ drehten, der aber beim Publikum durchfiel. Nun musste wieder ein Hit her, sonst wäre das noch junge Produktionsstudio schnell wieder Geschichte. Also begannen die Arbeiten an „Tanz der Teufel II - Jetzt wird noch mehr getanzt“ (OT: „Evil Dead II“ aka „Evil Dead 2: Dead by Dawn“), für den Raimi sich Co-Autor Scott Spiegel (Regisseur der glorreichen Filme „From Dusk Till Dawn 2 - Texas Blood Money“ und „Hostel 3“) an die Seite holte. Als Geldgeber gewann man den finanziell schwergewichtigen Dino De Laurentiis (u.a. „Krieg und Frieden“, „King Kong“, „Conan der Barbar“, „Flash Gordon“), der mit 3,6 Milliönchen die Spendierhosen öffnete. Problematisch wurde es, weil man kein Material aus dem Originalfilm verwenden durfte, da New Line Cinema die Verwertungsrechte hielt. Also mussten alle Rückblenden zu Beginn des Films neu gedreht werden. Dabei nahm man sich einige Freiheiten, sodass der Anschluss an „Tanz der Teufel“ nicht mehr nahtlos passt. Insgesamt ist es nicht einfach, „Tanz der Teufel II“ eindeutig einzuordnen. Haben wir zwar eine lose Fortführung der Ereignisse, funktioniert der Film auch gleichzeitig als vom Grundton her komplett unterschiedliches Remake. Raimi setzte stark auf Slapstick-Humor, was Splatter-Szenen deutlich abmilderte. Durch Bruce Campbells komödiantisches Talent, welches seine Figur Ash Williams eine One-Man-Comedy-Show vom Feinsten abfeuern ließ, wurde der Charakter zur Kettensägen-schwingenden Horror-Ikone mit flottem Mundwerk und dem gnadenlosen Talent, in jedes Fettnäpfchen zu treten.

Diesen Ruf festigte er noch mal in „Armee der Finsternis“ (OT: „Army of Darkness“). In Deutschland 1993 gestartet, kann ich mich heute noch an den Kinobesuch erinnern, da dort ein XL-Trailer für eine noch heute beschlagnahmte Splatter-Keule von Peter Jackson lief… und meinem 14-jährigen Ich die Kinnlade auf den Sitz des Vordermanns knallte. „Armee der Finsternis“ knüpfte nahtlos an den Vorgänger von 1987 an und verschlug unseren Helden Ash ins finstere Mittelalter, wo er nach einem Fauxpas eine klapprige Armee von Untoten heraufbeschwor und gegen sein böses Pendant antreten musste. Eigentlich war schon geplant, das Mittelalter-Setting im zweiten Film umzusetzen, doch die Nummer war Geldgeber De Laurentiis zu heiß. Slapstick-Humor stand auch in „Armee der Finsternis“ wieder auf dem Speiseplan, während das Budget nochmals aufgestockt wurde. Das sah man dem Film auch an, der mittlerweile vom Major Universal vertrieben wurde. Dort war man schon positiv vom guten Einspielergebnis des Comic-Horrors „Darkman“ angetan, den Raimi - mit Liam Neeson in der Hauptrolle - 1990 inszenierte. Von „Armee der Finsternis“ existieren unterschiedliche Schnittfassungen, die sich in ihren Lauflängen immens unterscheiden. Darunter die US-Kinofassung, der Director’s Cut, eine internationale Kinofassung und eine amerikanische TV-Fassung. Außerdem existiert ein alternatives Ende, welches Ashs Welt erneut komplett auf den Kopf stellte.

Dann wurde es lange, lange ruhig um Ash Williams. In Comics traf er zwar auf die Kollegen Freddy Krueger und Jason Voorhees, macht sogar heute noch regelmäßig in Crossovers und Solo-Serien die Panels unsicher, sollte in bewegter Form aber erst 2015 (in Deutschland 2016) wieder auftauchen. In der Serie „Ash vs Evil Dead“ lud Bruce Campbell noch mal seinen Boomstick nach und betankte die Kettensäge, da die Deadites in drei Staffeln über die TV-Bildschirme spukten. Ich persönlich war kein großer Fan der Serie, da das Konzept sich ziemlich schnell abnutzte und selbst der platte Humor nicht mehr zünden wollte.

Ein paar Jahre zuvor, 2013, reanimierte man die Marke aber auf durchaus spannende Weise! Langfilm-Debütant Fede Alvarez („Don’t Breathe“, „Verschwörung“ und Produzent des NETFLIX-Ablegers „Texas Chainsaw Massacre“) ging zurück zu deren Wurzeln und drehte mit „Evil Dead“ ein ziemlich kompromissloses Horror-Brett. Fans zeigten sich begeistert und lobten die humorlose Rückbesinnung auf die Ursprünge. Fünf junge Menschen, eine einsame Hütte im Wald, ein mysteriöses Buch… mehr braucht es nicht, um verstörenden Terror in drastischen Bildern heraufzubeschwören. Die Garde der ersten Stunde, Raimi, Tapert und Campbell, fungierten als Produzenten. Alvarez dreht gerade übrigens einen neuen Beitrag zum weitläufigen „Alien“-Kosmos für den US-Streamingdienst HULU. Zumindest aktuell lautet der Titel „Alien: Romulus“, falls Produzent Ridley Scott, Regisseur des wegweisenden ersten Films, nicht irgendwann wieder alles auf den Kopf stellt.

Seit dem ultra-bösen „Evil Dead“ sind also wieder zehn Jahre ohne Leinwand-Deadites ins Land gezogen. Ungewöhnlich, da der Erfolg der Neuinterpretation eigentlich eine schnelle Fortführung hätte vermuten lassen. Im Gegensatz zu anderen profitablen Franchises, die nach Kassenhits ohne Rücksicht auf Verluste am Fließband produzieren, nahm man sich aber Zeit. Gut so, denn einen immer wieder aufgewärmten Aufguss hätten Horrorfans irgendwann mit Missachtung gestraft. Entsprechend groß war der Hype, als erstes Bildmaterial zu „Evil Dead Rise“ auftauchte. Ein wenig Skepsis klang schon durch, denn für den neusten Film wurde die Handlung überraschenderweise in die Großstadt verlegt. Ähnliches kannte man bereits aus „Freitag der 13. - Teil VIII: Todesfalle Manhattan“ (OT: „Friday the 13th - Part VIII: Jason Takes Manhattan“ aus dem Jahr 1989 oder ganz aktuell aus „Scream VI“. Zumindest letzterer funktioniert hervorragend, woraufhin bei mir schon ein leichtes Aufatmen zu vernehmen war. Dem Studio ging es scheinbar ähnlich, denn „Evil Dead Rise“ war ursprünglich direkt als Streaming-Veröffentlichung angedacht. Qualitativ überzeugte der Streifen intern aber so sehr, dass man unbedingt einen Kinostart anstrebte. Und um es schon mal vorweg zu nehmen… alles richtig gemacht!

Horch, was will von draußen rein…

Die lebenslustige Beth (Lily Sullivan) tourt als Technikerin mit einer Rockband durch die Gegend, als sie feststellt, dass sie unverhofft schwanger ist. Damit hadert sie, sieht sie sich doch selbst ganz und gar nicht in der Mutterrolle. Verloren und innerlich hin- und hergerissen besucht sie kurzerhand ihre Schwester Ellie (Alyssa Sutherland), die alleinerziehend ihre drei Kids Bridget (Gabrielle Echols), Danny (Morgan Davies), Nesthäkchen Kassie (Nell Fisher) und sich selbst über die Runden bringt. Von Ellies Trennung und dem anstehenden Auszug aus dem heruntergekommenen Apartmentkomplex hat Beth nichts mitbekommen, war sie doch zu sehr auf ihren ausschweifenden Lebensstil fokussiert. Da muss sie sich gleich nach ihrer Ankunft schon ein paar Vorwürfe ihrer Schwester gefallen lassen. Viel Zeit für einen Zwist unter Geschwistern bleibt aber nicht, denn ein plötzliches Erdbeben rüttelt das marode Gebäude ordentlich durch. Ellie ist besorgt um ihre Kinder, befinden die sich während des Bebens doch in der Tiefgarage. Bei denen hält der Schock aber nur kurz an, denn die verursachten Risse im Boden führen zu einem mysteriösen Loch. Scheinbar ein versteckter Raum unter dem Haus, der lange im Verborgenen lag. Neugierig und die Gefahr eines Nachbebens oder gar Einsturzes außer Acht lassend, steigt Danny hinab. Unter dicken Staubschichten findet er neben alten Dokumenten ein paar Schallplatten und ein eingeschlagenes Buch. Eines, welches er in dieser Form noch nie gesehen hat. Oh Junge, wenn du wüsstest…

Dass Neugier nicht nur der Katze Tod sein kann, findet Danny bald heraus. Nicht nur er, denn als er sich am Zahn-ähnlichen Verschluss des Buches schneidet, zeigt sich die ledrige Haut des Einbandes äußerst durstig. Als Danny dann noch die glorreiche Idee hat, die Schallplatten mit undefinierbaren Beschwörungsformeln abzuspielen, bricht ziemlich schnell die Hölle los. Leidtragende ist Ellie, in die eine dämonische Präsenz eindringt. Recht schnell wird den restlichen Familienmitgliedern klar, dass von Mom nur noch wenig übrig ist. Die Besessene wendet sich völlig entfesselt gegen ihre Familie und kennt weder Skrupel noch Gnade. Nun ist es an Beth und den Kids, dem teuflischen Treiben mit halbwegs heiler Haut zu entkommen. Einfach gesagt, denn aus dem Gebäude gibt es kein Entrinnen mehr, während die Teufel zum blutigen Tanz bitten…

Großstadt-Kammerspiel

Große Namen im Cast sucht man vergeblich. Gut so, denn so kommt man nicht in die verzwickte Situation, Hollywoods A-Kaliber gleich in eine entsprechende Schublade zu stecken. Die frischen Gesichter kann man ganz unvoreingenommen kennenlernen. Und nach der Sichtung des Films möchte ich niemand anderen in „Evil Dead Rise“ sehen wollen, da ausnahmslos alle Darsteller hervorragend abliefern. Allen voran Alyssa Sutherland, die als besessene Dreifachmutter eine unglaubliche Leinwandpräsenz mitbringt. Hinterhältig, auf bizarr-verstörende Weise ästhetisch und gnadenlos böse. Die 40-jährige Australierin mit dem durchdringenden Blick sah man bereits in den Serien „Vikings“ und „Der Nebel“, basierend auf dem Roman von Stephen King. Auch die Leistung der Kinder-Darsteller sollte unbedingt hervorgehoben werden. Hier im Besonderen die der erst elfjährigen Nell Fisher. Bei dem blutigen Massaker, durch das Regisseur Lee Cronin die junge Engländerin scheucht, kann man nur hoffen, dass der Preis für den Therapeuten in der Gage schon mit drin war. Echt eine harte Nummer. So makaber es sich anhört, muss man „Evil Dead Rise“ ebenfalls zugutehalten, dass er im Gegensatz zu anderen Horrorfilmen auch vor Kindern kein Erbarmen kennt. Hier steht absolut niemand unter Schutz, Tabus gibt es kaum. Da durchbricht Cronin gängige Genre-Strukturen und verstärkt dadurch den stets konsequenten Terror-Faktor. „Evil Dead“ von 2013 hat die Brutalitäten zwar noch etwas weiter ausgereizt, aber Gorehounds wird das nicht allzu sehr stören. Blutfontänen, exzessive Härte und spitze Gegenstände, die genüsslich langsam aus triefenden Wunden gezogen werden, gibt es trotzdem en masse.

Man braucht auch nicht besorgt sein, weil die Handlung nun in die Großstadt verlegt wurde. Die Wände des maroden Gebäudes werden nämlich nicht verlassen. Dreh- und Angelpunkt ist das düstere Apartment von Ellie und ihren Kids, welches eine durchaus beklemmende Enge vermittelt. Cabin-Vibes sind also stets vorhanden. Auf die obligatorische Hütte im Wald muss aber dennoch nicht komplett verzichtet werden. Das beweist eine äußerst fiese Eröffnungssequenz, in der Cronin und Kameramann Dave Garbett („Sweet Tooth“, „Ash vs Evil Dead“) Raimis ikonischer Fahrt durch die Wälder huldigen. Für „Tanz der Teufel“-Fans gibt es immer wieder kleine Dinge zu entdecken, die auf die Anfänge der Reihe verweisen. Das ist aber keine platte Nummernrevue nach Strichliste, sondern subtil und kreativ geraten. Selbstverständlich darf da auch eine dröhnende Kettensäge nicht fehlen. Interessant ist auch das bezahnte Design des im Film verwendeten „Buch der Toten“. Dieses unterscheidet sich allein optisch von bisherigen Versionen des „Necronomicon“, jener unheilbringenden, in Menschenfleisch gebundenen Schwarte. Macht Sinn, denn als Ash im Mittelalter (dank seiner Dämlichkeit) die „Armee der Finsternis“ heraufbeschwor, offenbarten sich ihm drei verschiedene Ausgaben des mit Blut geschriebenen Wälzers. Wer kann schon sagen, was im Laufe der Jahrhunderte mit den anderen Ausgaben geschah? Wir müssen es also nicht immer zwingend mit ein und derselben Version zu tun haben. So ist es also durchaus plausibel, dass alle Franchise-Beiträge trotz unterschiedlichen Inszenierungen in derselben Timeline stattfinden.

Fazit

Weichgespülte Horrorstreifen à la „M3GAN“ oder der (warum auch immer) gehypte „Smile“ mögen ihr Publikum gefunden haben, doch was eine drastische und kompromisslose Inszenierung angeht, zeigt „Evil Dead Rise“ der Konkurrenz den blutigen, abgenagten Mittelfinger. Hart, schnörkellos umgesetzt und mit starken Newcomern, liefert Lee Cronin die erhoffte Tour-de-Force und schickt seine Protagonisten durch die Hölle. Großartig!

Wertung: 9

Bilder: © 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

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