Event Horizon – Am Rande des Universums
Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich
Liberate me… *
Allseits beliebt?
Kämpfen wir uns auf der einen Seite durch den Horrorbereich und kratzen auf der gegenüberliegenden Science-Fiction-Seite mal Star Trek und Star Wars von der Oberfläche, stoßen wir ziemlich mittig auf das Sub-Genre des Sci-Fi-Horrors. Und was fällt uns da zuerst ein? Richtig, „Alien“. Ridley Scott ließ 1979 „Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ auf die Menschheit (und die arme Crew der Nostromo) los und ebnete Sigourney Weaver den Weg als erste weibliche Action-Heldin. Der Start eines Franchises, welches überraschenderweise bis heute Bestand hat, seinen Höhepunkt aber bereits 1986 mit James Camerons „Aliens - Die Rückkehr“ erreichte. Danach ging es stetig bergab, obwohl David Finchers „Alien³“ (1992) gerade in der deutlich besseren Langfassung oft unterschätzt wird. In der A-Liga der Blockbuster hatte die Reihe das Zepter weitestgehend allein in der Hand. Hin und wieder gab es mal nennenswerte Beiträge wie „Sphere“ (1997), „Sunshine“ (2007) oder „Pandorum“ (2009), wobei diese Genre-Ausreißer mehrheitlich Thriller-Elemente statt waschechten Horrors hinzufügten. Actionreicher ging es bei Paul Verhoevens satirisch überspitzen Ballerorgie „Starship Troopers“ (1997) und der recht eindimensionalen Game-Verfilmung „Doom“ (2005) zu. 2000 brachte „Pitch Black“ (trotzt eines einsilbigen Herrn Diesels) endlich wieder mehr Horror-Flair in das schwer vernachlässigte Genre. Zwischenzeitlich sorgten immer mal wieder kleinere Produktionen wie „M.A.R.K. 13 - Hardware“ (1990), „Screamers - Tödliche Schreie“ (1995) und „Death Machine“ (1995) für ein laues Lüftchen. Erst 2017 kam mit Daniel Espinosas „Life“ ein äußerst gelungener Beitrag in die Kinos, der mit den großen Namen Jake Gyllenhaal, Ryan Reynolds und Rebecca Ferguson aufwarten konnte, sich inhaltlich aber doch sehr an Scotts erstem „Alien“ orientierte.
Scott hatte währenddessen schon wieder (Säure)blut geleckt und arbeitete sich weiter an der einst wegweisenden Marke ab. Sein „Prometheus - Dunkle Zeichen“ (2012) sollte der Auftakt einer eigenständigen Saga sein, die zwar im „Alien“-Universum spielt, aber ansonsten keine Verbindungen zu bekannten Handlungselementen aufweist. Die Betonung liegt auf sollte, denn als Regie-Kollege Neill Blomkamp („District 9“, „Elysium“) mit der Idee um die Ecke kam, Camerons „Aliens“ in einem neuen Film weiter zu erzählen und Ellen Ripley noch einmal zum Arschtreten zu reaktivieren, stellte ausgerechnet Ridley Scott sich quer. Aus einer „Prometheus“-Fortsetzung wurde plötzlich „Alien: Covenant“ (2017) und Blomkamps Pitch wurde in den Limbus geblasen. Schließlich hatte das Studio nichts zu verschenken, und zwei unterschiedliche Projekte im gleichen Film-Universum wollte man nicht finanzieren. Nachvollziehbar. Vor allem, weil „Alien: Covenant“ ziemliche Scheiße war. Aber keine Angst, so schlecht mit den Xenomorphen (inklusive den beiden „Alien vs. Predator“-Ausflügen) auch umgegangen wurde, so schwer lassen sie sich abschütteln. Ein neuer Streifen namens „Alien: Romulus“ ist von Regisseur Fede Alvarez („Evil Dead“, „Don’t Breathe“, „Texas Chainsaw Massacre“) bereits abgedreht. Außerdem hockt man bei Disney auf einer schon fertig produzierten Animationsserie zu „Alien vs. Predator“, hält sich aber mit einer Veröffentlichung unerklärlicherweise zurück… und das seit 2016.
Ihr seht, dass das Sci-Fi-Horror-Sub-Genre ein ziemlich einseitiges Feld ist. Man kann sogar behaupten, dass ohne das „Alien“-Franchise erschreckend wenig los wäre. Immerhin ruft jeder neue Teil Nachahmer auf den Plan, obwohl der meiste Output in die Kategorie B-Schrott fällt. Aber ein Streifen, der über die Jahre mehr und mehr Wertschätzung erhält, ja geradezu wie ein guter Wein zu reifen scheint, fällt da aus dem Rahmen. 1997 veröffentlicht und noch immer sehr effektiv. Düster, beklemmend, mysteriös. Genau das ist „Event Horizon“.
Hinterm (Ereignis)horizont geht’s weiter…
Im Jahr 2040 wurde ein riesiges, hochmodernes Raumschiff entsandt, um die Grenzen des Universums zu erforschen. Ausgestattet mit einem neuartigen Gravitationsantrieb, mit dessen Hilfe ein künstliches Schwarzes Loch erschaffen werden kann, sollte die Crew in unbekannte Sphären vorstoßen. Und zwar mit Überlichtgeschwindigkeit. Ein Wurmloch (Einstein-Rosen-Brücke, benannt nach Albert Einstein und Nathan Rosen) stellt dabei durch Faltung der Raumzeit eine direkte Verbindung von Punkt A nach Punkt B dar, ohne Umwege. Praktisch, wäre die Event Horizon nicht seitdem spurlos verschwunden. Sieben Jahre sollte es dauern, bis der gewaltige Kreuzer wieder auf dem Radar erscheint. Einsam und abgetrieben am Rande des Neptun-Orbits.
Mit der Bergung beauftragt ist die Crew der Lewis & Clark (benannt nach den Entdeckern Meriwether Lewis und William Clark), unter der Führung von Captain Miller (Laurence Fishburne). Instruiert werden sie von Dr. William Weir (Sam Neill), Wissenschaftler und Schöpfer des Schiffs und dessen bahnbrechenden Antriebs. Es gilt strengste Geheimhaltung. Tatsächlich treibt das Schiff in der Umlaufbahn des Neptuns. Wo es sich die letzten sieben Jahre befand, bleibt unklar… vorerst.
Beim ersten Scan der Event Horizon bekommt die Crew ungewöhnliche Signale, sodass ein Teil der Mannschaft die tunnelartigen Gänge vor Ort inspiziert. Gefundene Videodaten sollen den Verbleib der ursprünglichen Besatzung aufklären, doch irgendwas Unvorhergesehenes scheint passiert zu sein. Das Video-Logbuch weist Störungen auf und liefert verzerrte Bilder und kryptisch-abgehackte Sätze in einer fremden Sprache. D. J. (Jason Isaacs) ist sich sicher, Wortfetzen in Latein erkannt zu haben: Liberate me… rettet mich.
Beunruhigend. Noch beunruhigender ist es, dass die Crew-Mitglieder allesamt von finsteren Visionen heimgesucht werden. Ihre Ängste manifestieren sich bedrohlich, was drastische Folgen hat. Immer mehr wird klar, dass die Event Horizon während ihres Verschwindens an einem Ort war, den kein Sterblicher bisher gesehen hat… oder sich auch nur ansatzweise vorstellen könnte. Und das Schiff hat etwas mitgebracht.
Mortalis
Regie führte der Brite Paul W. S. Anderson, der kurz zuvor mit seinem zweiten Spielfilm Eindruck bei den Studiobossen hinterließ. Die überdrehte Videospiel-Verfilmung „Mortal Kombat“ (1995) schaut man heute zwar eher schmunzelnd, dafür hat sie immer noch mehr Unterhaltungswert als die vollkommen sinnfreie Neuverfilmung von 2021. Nach „Mortal Kombat“, den Anderson gewinnbringend mit einem überschaubaren Budget (rund 20 Millionen US-Dollar) realisierte, hatte er einen Freifahrtschein. Er schlug aber ebenso eine Fortsetzung aus, wie das filmische Debüt der „X-Men“, die dafür Bryan Singer („Die üblichen Verdächtigen“) zum Leben erweckte. Anderson wollte einen Film mit einer höheren Altersfreigabe machen, bei dem er mal richtig die Sau rauslassen konnte. Später blieb er dieser Linie treu, indem er das „Resident Evil“-Franchise mit immer stupideren Ablegern zu Tode ritt, doch zuvor ging er „Event Horizon“ an, an dessen Drehbuch (von Philip Eisner) er ordentlich rumwerkelte. Es sollte kein weiterer „Alien“-Klon werden, sondern psychologischer Horror in drastischen Bildern. Das gelang ihm, doch seine erste Rohfassung sorgte für Entsetzen. Nicht nur beim Testpublikum, auch bei den Verantwortlichen bei Paramount. Zu blutig, verstörend und abstoßend lautete der allgemeine Tenor. Anderson kürzte zahlreiche Gewalt-Passagen heraus, sodass die dritte Schnittfassung schließlich grünes Licht erhielt. Ein Erfolg an den Kinokassen wurde der Film dennoch nicht. „Event Horizon“ spielte bei 60 Millionen Produktionskosten lediglich 42 Millionen US-Dollar ein. Ein waschechter Flop.
Man muss schon zugeben, dass der Film an einigen Stellen etwas holprig erzählt ist. Das liegt hauptsächlich an der kurzen Produktionsdauer. Anderson hatte ordentlich Druck, den Streifen schnell fertigzustellen, denn mit James Camerons „Titanic“ wartete ein weiteres Schiff darauf, auszulaufen. So richtig schien man dem Mega-Projekt des „Terminator“-Schöpfers nicht zu trauen, denn „Event Horizon“, eine vermeintlich sichere Bank, sollte den potentiellen Verlust an den Kinokassen etwas abfedern. Nun, die Nummer verlief freilich anders als erwartet. Die „Event Horizon“ soff gnadenlos ab, während die „Titanic“ in ungeahnte Höhen davonsegelte. Wer hätte das gedacht…
Alle an Bord!
Neben dem starken Cast, der immerhin Sam Neill („Barbara’s Baby - Omen III“, „Jurassic Park“, „Die Mächte des Wahnsinns“), Laurence Fishburne („Apocalypse Now“, „Tina - What’s Love Got to Do with It?“, „Matrix“), Joely Richardson („King Ralph“, „101 Dalmatiner“, „Der Patriot“) und Kathleen Quinlan („The Doors“, „Apollo 13“, „The Hills Have Eyes“) unter einen Hut bringt, ist es vor allem das Schiff selbst, welches eine wichtige Rolle einnimmt. Schon der erste Blick auf die Event Horizon ist imposant eingefangen. Für das Design orientierte man sich an der Kathedrale Notre Dame, die digitalisiert und in Teilen zu einem gigantischen Raumschiff zusammengefügt wurde. Auch der Innenraum ist mit architektonischen Details vollgestopft. Markante Formen und detailreiche Verschnörkelungen erinnern an gotische Bauwerke. Da „Event Horizon“ entstand, als lebensechte CGI-Effekte noch lange nicht ausgereift waren, wurden riesige Sets gebaut, die zum einen die Weitläufigkeit des Schiffes hervorragend darstellen, als auch klaustrophobische Enge verdeutlichen. Gepaart mit einer atmosphärischen Beleuchtung und der tollen Kameraarbeit von Adrian Biddle („Aliens - Die Rückkehr“, „Die Braut des Prinzen“, „Willow“), überträgt sich die beklemmende Stimmung an Bord unweigerlich auf das Publikum.
Verschollen?
Bleibt nur die Frage, warum in Zeiten von DVD, Blu-ray und UHD noch niemand auf den Trichter kam, diese zum Kultfilm avancierte Genre-Perle um die entfernten Szenen zu erweitern? „Unrated“-Fassungen und „Director’s Cuts“ begegnen uns mittlerweile schließlich an jeder Ecke. Das war tatsächlich mal geplant, doch die herausgeschnittenen Szenen (immerhin mehr als 30 Minuten) waren weit verstreut. Hieß es anfänglich, dass das entfernte Material vernichtet worden sei, tauchten Schnipsel eingelagert an den entlegensten Orten auf… zum Beispiel in einer Salzmine in Transsilvanien. 2012 wurde bekannt, dass die ursprüngliche Filmfassung auf VHS vorliegt, die Qualität aber derart desaströs sei, dass eine Restaurierung unmöglich erscheint. Da ist das Schiff wohl endgültig abgeflogen.
Doch auch in der Kinofassung ist „Event Horizon“ ein wuchtiges Stück Sci-Fi-Horror, das seine Wirkung nicht verfehlt. Einflüsse von „Alien“ lassen sich nicht von der Hand weisen, was bei dem limitierten Spielraum auf einem Raumschiff per se schwerfallen dürfte, doch der Film verbeugt sich noch vor mehreren cineastischen Schwergewichten. Zum Beispiel vor Stanley Kubricks Meisterwerk „Shining“ (1980) oder dem psychologischen Sci-Fi-Drama „Solaris“ (1972), basierend auf dem Roman von Stanisław Lem. Gleichzeitig inspirierte „Event Horizon“ wiederum das erfolgreiche Videogame „Dead Space“, welches kürzlich erst mit einem Remake für die aktuellen Konsolen-Generationen bedacht wurde.
Aufpoliert
Kannte man vorher nur die Blu-ray des Films, wird die UHD von „Event Horizon“ eine regelrechte Offenbarung für die Zuschauer. Das verzerrte Bild wurde korrigiert, sodass die Proportionen nun realistisch und nicht mehr seltsam verformt erscheinen. Auch das bis zum Erbrechen nachgeschärfte Bild der Blu-ray ist nun passé. Verschmutzungen wurden entfernt und es ergibt sich ein ruhiges, homogenes Seherlebnis. Die Farben kommen kräftig, aber nicht aufdringlich rüber. Die giftgrüne Beleuchtung in den engen Gängen ist gewollt und trägt der Stimmung bei. Auf einem OLED-TV kommt der Schwarzwert besonders gut zur Geltung. Perfekt für eine tiefschwarze Weltraum-Atmosphäre. Lediglich helle All-Hintergründe sind klar als Effekt-Shots zu erkennen. 1997 waren Spezialeffekte halt nicht derart ausgereift, wie man es von aktuellen Produktionen kennt. Der hohe Detailgrad, besonders gut in Schiffs-Applikationen und Verzierungen der Architektur zu sehen, ist daher schon bemerkenswert. Ein sauberer Transfer, der „Event Horizon“ in neuem Glanz erstrahlen lässt.
Auf der zusätzlich enthaltenen Blu-ray findet sich - neben dem Hauptfilm - noch Einiges an Bonusmaterial. Darunter ein Audiokommentar von Regisseur Paul W. S. Anderson und Produzent Jeremy Bolt, das Making of (bestehend aus mehreren Kapiteln), Kein Weg zurück: Die Filmaufnahmen von Event Horizon, Geheimnisse (erweiterte und entfernte Szenen), Die ungesehene Event Horizon mit Konzeptzeichnungen und nicht gefilmten Storyboard-Skizzen, sowie Kino- und Videotrailer. Die Keepcase-Variante kommt mit FSK-freiem Wendecover und steckt in einem O-Card-Schuber.
Fazit
So mancher Spezialeffekt mag antiquiert erscheinen, jedoch sind die toll ausgestatteten Sets noch heute beeindruckend. Wurde „Event Horizon“ bei seiner Erstveröffentlichung noch weitestgehend sträflich missachtet, hat er sich seine Fangemeinde im Laufe der Jahre stetig erarbeitet. Belohnt werden wir nun mit einer gelungenen 4K-Fassung, die den puren Horror noch greifbarer erscheinen lässt. Guten Flug… wir sehen uns auf der anderen Seite.
* Rettet mich…**
** Ihr seid am Arsch…
Wertung: 9
Bilder: © 1997, 2022 Paramount Picture
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