Das Haus der
langen Schatten
Das Haus der langen Schatten
Film-Besprechung von Michael Drewniok
Erfolgsautor Kenneth Magee steckt in der Krise. Seine Romane verkaufen sich nicht mehr, was nach Ansicht des Verlegers Sam Allyson daran liegt, dass für Magee der Verdienst im Vordergrund steht. Der fühlt sich bei seiner Ehre gepackt und bietet Allyson eine Wette an: Binnen 24 Stunden werde er einen von Emotionen geradezu triefenden Roman schreiben! Er müsse nur einen ruhigen Ort finden. Allyson schlägt ein, und eine geeignete Stätte kennt er auch - Baldpate Manor, den seit vier Jahrzehnten leerstehenden Sitz der nach einem Skandal in alle Winde verstreuten Familie Grisbane in Wales!
Dorthin macht sich Magee umgehend auf. Genretypisch gerät er in ein Gewitter, das in den folgenden Stunden nie nachlässt. Baldpate Manor entpuppt sich selbstverständlich als gewaltiges, mit verhüllten Möbeln und Gemälden überfülltes, spinnwebverhangenes Anwesen, das Magees Fantasie umgehend beflügelt. Dennoch kommt er nicht wirklich zum Schreiben, denn in dieser Nacht finden sich immer neue ‚Gäste‘ auf Baldpate Manor ein.
Sie geben sich als Mitglieder der Grisbane-Familie zu erkennen. Vater Lord Elijah und seine Kinder Lionel, Sebastian und Victoria haben vierzig Jahre zuvor Roderick, den Jüngsten, einen mörderischen Irren, in sein Zimmer gesperrt, um das Ausmaß seiner Untaten zu verschleiern. Nun wollen sie Roderick endlich freilassen. Der hat sein Zimmer jedoch längst verlassen. Er kennt das Haus wie seine Westentasche und brennt darauf, sich für seine Kerkerhaft zu rächen ...
Lange Schatten, tolle Schauspieler, mieses Drehbuch
Vincent Price (1911-1993), Christopher Lee (1922-2015), Peter Cushing (1913-1994), John Carradine (1906-1987): Bis 1983 hatten diese vier Schauspieler beinahe tausend Filme gedreht. Darunter war rasch vergessener Schund, doch zeichnete das Quartett auch für zahlreiche Klassiker des Horrorfilms verantwortlich, sodass es auf seine jeweils unnachahmliche Art das Genre mitgeprägt hatten. Man kannte ihre Namen, und sie drehten weiterhin Film auf Film, weshalb es nachträglich wundert, wie lange es dauerte, bis man sie endlich - und nur dieses eine Mal - gemeinsam engagierte.
Leider stand das Gipfeltreffen unter einem Unstern. Nachträglich ist es einfach zu bestimmen, woran es lag, dass „Haus der langen Schatten“ eine Enttäuschung wurde, die ausschließlich durch das Spiel der Darsteller zu ertragen ist. So wurde dieser Film von der Firma „Cannon“ produziert, der die Cousins Menahem Golan (1929–2014) und Yoram Globus (geb. 1941) vorstanden, die in den 1980er Jahren versuchten, sich in Hollywood als „global player“ zu etablieren. Für einige Zeit war „Cannon“ erfolgreich, indem man kostengünstige Unterhaltungsfilme herstellte, die weniger auf das Kino als auf den aktuell aufblühenden Videomarkt zielten. Gern heuerte man billig Stars von gestern an, um zusätzliche Zuschauer zu locken. Zwar gönnten sich die Cousins Prestige-Produktionen, mit denen man den Ruch des Bodensatz-Kinos abschütteln wollten. „Haus der langen Schatten“ gehörte nicht dazu.
Hier hatten die Billigheimer das Sagen. Regisseur Pete Walker war eher berüchtigt als berühmt. Er drehte vor allem anspruchslose Sex-Komödien, die Titel wie „School for Sex“ (1969; dt. „Rund ums Bett“), „Four Dimensions of Greta“ (1972; dt. „Rosemaries Liebesreport in 3 Dimensionen“) oder „House of Whipcord“ (1974; dt. „Das Haus der Peitschen“) trugen. „Haus der langen Schatten“ wurde sein letzter Film, bevor er mit 44 Jahren in den Regie-Ruhestand trat. Aus der Trash-Schublade sprang auch Autor Michael Armstrong, der u. a. ‚Meisterwerke‘ wie „Hexen geschändet und zu Tode gequält“ (eine deutsche Produktion, für die Armstrong sich vorsichtshalber „Sergio Casstner“ nannte) oder „Adventures of a Private Eye“ (1977; dt. „Mein lieber Boss, Du bist 'ne Flasche!“) fabrizierte.
So etwas wie ein Klassentreffen
Am Drehbuch kann es folglich nicht gelegen haben, dass Price, Lee, Cushing und Carradine für „Haus der langen Schatten“ unterzeichneten. Sie alle waren Profis und mussten deshalb wissen, worauf sie sich einließen. Das Skript basierte zu allem Überfluss auf einem nicht grundlos vergessenen Mystery-Thriller („Seven Keys to Baldpate“), der Earl Derr Biggers (1884-1933) - später bekannt für seine „Charlie-Chan“-Kriminalromane - 1913 (!) aus der Feder geflossen war.
Schon die Wahl dieser Vorlage verriet, dass man die alten Recken keineswegs in eine moderne Story einbinden wollte. Sie sollten stattdessen nostalgisches Flair verströmen. Auf diese Weise konnte man „Haus der langen Schatten“ als Neuauflage jenes Grusels vermarkten, den einst die Firma „Hammer Films“ wie am Fließband ausgespuckt hatte. Hier waren vor allem Christopher Lee und Peter Cushing als Graf Dracula (Lee) und Van Helsing (Cushing) immer wieder aneinandergeraten. Doch „Seven Keys to Baldpate“ war ein (allzu altmodischer) Witz - ein Aspekt, der zum weiteren Nachteil des Films wurde. „Haus der langen Schatten“ sollte eine Horror-Komödie werden, womit man womöglich die Fans gleich zweier Genres locken konnte!
„Haus der langen Schatten“ funktioniert dort am besten, wo sich Armstrong und Walker jeglicher ‚Modernisierung‘ enthalten, sondern den Altstars das Ruder überlassen. Diese legen sich mit dem für sie typischen Enthusiasmus ins Zeug und spielen quasi gegen das Drehbuch an, über das sich die Spinnweben dicker türmen als über dem Inventar von Baldpate Manor (das realiter übrigens in Hampshire und nicht in Wales stand). Jeder bekommt sein Rampenlicht, wobei Peter Cushing seine Kollegen ebenso unauffällig wie großartig an die Wand spielt. Vor allem im englischen O-Ton wird der trunksüchtige, ängstliche, weinerliche Sebastian Grisbane zu einer bemerkenswerten Gestalt! Vincent Price und Christopher Lee treten erst in der zweiten Handlungshälfte auf. Während Price sich routiniert, d. h. flamboyant und theatralisch über die Zeit rettet, tritt Lee in einer belanglosen Rolle auf und wirkt kaum mysteriös.
Verschenkte Möglichkeiten in Serie
Immerhin entgehen diese beiden Darsteller der schier endlos in die Länge gezogenen, witzlosen und für das Verständnis des Folgenden unnötigen Einleitung. Es dauert und dauert, bis Magee - Desi Arnaz Jr. in einem seiner letzten Auftritte seiner früh verendeten ‚Karriere‘ - endlich Baldpate Manor erreicht, wo die eigentliche Handlung einsetzt. Lange behaupten John Carradine und Sheila Keith dort das Feld, wobei man sich bekümmert fragt, was die ursprünglich vorgesehene, aber krankheitsbedingt nicht zur Verfügung stehende Elsa Lancaster - Frankensteins Braut von 1935 persönlich! - aus der Rolle der Victoria Grisbane herausgeholt hätte.
Umständlich wird Julie Peasgood als ‚verdächtige‘ Mary Norton eingeführt. Sie muss in erster Linie kreischen und Magees männliche Begehrlichkeit wecken, was nicht einfach ist, da dieser etwa so viel Ausstrahlung wie ein Holzklotz besitzt. Zwischendurch verirren sich zwei Wandersleute ins Haus, die kurz darauf grausige Tode sterben, damit sich das Feld der Hauptfiguren nicht gar zu schnell lichtet.
Baldpate Manor ist selbstverständlich ein Labyrinth, das durch endlose Geheimgänge erst recht bzw. aufdringlich zum Spielplatz des Bösen wird. Leider wird dieser Ort so inspirationsarm in Szene gesetzt, dass er als Kulisse jederzeit erkennbar ist. (Dies mag wie der ständig gleiche, B-Movie-miserabel getrickste Blitzstrahl als Stilmittel gedacht sein.) In einem Schauerstück wie „Haus der langen Schatten“ wirken die wenigen ‚modernen‘ Schockeffekte (z. B. verweste Leiche am Henkersstrick, Gesichtsbad in Salzsäure, Axthieb in den Magen) fehl am Platz, weil viel zu drastisch und aufgesetzt.
Es ließe sich noch länger und aus guten Gründen klagen. Schon die zeitgenössische Kritik war wenig begeistert von diesem Film. Man erkannte die alten, schalen Tricks. Mit den Jahren wuchs der Nostalgie-Faktor als qualitätsausgleichendes Element. Die Zuschauer konzentrierten sich auf die einmalige Gelegenheit, vier zu Legenden der Filmgeschichte aufgestiegene Mimen bei der Arbeit zu sehen, während die auf Geiz und Untalent basierende formale Armut als „zeitgenössisch“ entschuldigt wurde. Das Drehbuch blieb davon ausgeschlossen: Hier gibt es objektiv nichts zu verzeihen, denn die Fehler und Versäumnisse waren und sind allzu offensichtlich!
Fazit
Außer der Idee, vier großartige Veteranen des Horrorfilms vor die Kamera zu rufen, ist weder dem Drehbuchautor noch dem Regisseur etwas eingefallen, um dieses als Grusel-Komödie vermarktete Machwerk gebührend in Szene zu setzen: ein Trauerspiel der verschenkten Möglichkeiten!
Neue Kommentare