Blumen des Schreckens
Film-Besprechung von Michael Drewniok
Als über der Erde ein spektakulärer Meteoritenschauer niedergeht, verflucht Seemann Bill Masen die Augenoperation, die ihn zwingt eine lichtdichte Binde zu tragen. Am nächsten Morgen kann er sich allerdings glücklich schätzen, denn er gehört zu den wenigen Menschen, die sowohl in London als auch auf der ganzen Welt nicht durch das Meteorlicht erblindet sind.
Chaos bricht aus, überfordert stehen die wenigen Sehenden ihren hilflosen Mitbürgern gegenüber. Masen sucht nach Menschen, die der Katastrophe organisiert entgegentreten. In Frankreich soll eine solche Gruppe existieren, wie er einem Funkspruch entnimmt. Zusammen mit der zwölfjährigen Susan, die er unterwegs aufgelesen hat, macht sich Masen auf den Weg über den Ärmelkanal.
Das Meteorlicht hatte noch eine weitere Wirkung: Es erweckte eine Pflanzenart ohnehin mysteriöser Herkunft zum ‚Leben‘: Die „Triffids“ wachsen und können auf ihren Wurzeln laufen. Sie verspritzen ein tödliches Gift und sind mit einem mächtigen Stachel ausgestattet. Ihre Opfer werden gefressen - ein Schicksal, das die erblindete Menschheit zusätzlich bedroht.
Auf einer vom Festland isolierten Insel hat das Forscher-Ehepaar Tom und Karen Goodwin in einem Leuchtturm zufällig ihr Augenlicht bewahrt. Fieberhaft beginnen sie nach einem Mittel gegen die Triffids zu suchen, die den Weg auch auf ihre Insel gefunden haben. Zeitgleich bewegen sich Masen und Susan, zu denen die Französin Christine stößt, durch Westeuropa auf Gibraltar zu. Dort sollen US-U-Boote auf Überlebende warten, um sie zu evakuieren - jedoch nicht mehr lange. Da sich die Triffids im warmen Spanien prächtig vermehren, ist der Weg extrem gefährlich …
Knarrendes Kraut killt Kometenblinde
Eigentlich stellen die späten 1950er und frühen 1960er Jahre eine lorbeerreiche Phase des (phantastischen) britischen Kinos dar. Obwohl die Budgets im Vergleich mit Hollywood schmal blieben, konnte dies durch Ideen hinter und schauspielerischen Einsatz vor der Kamera wettgemacht oder sogar übertroffen werden. Zu nennen ist hier vor allem die Produktionsfirma „Hammer“, die klassischen Gruselgestalten wie dem Vampir, dem Frankenstein-Monster oder dem Werwolf neues Leben einhauchte. Auch die Science Fiction wurde nicht vergessen; Filme wie „The Quatermass Xperiment“ (1955, dt. „Schock“), „Quatermass 2“ (1957, dt. „Feinde aus dem Nichts“) oder „The Damned“ (1962, dt. „Sie sind verdammt“) boten gute, manchmal sogar intelligente Unterhaltung.
Ebenfalls zu den noch heute gerühmten Filmen zählt „Village of the Damned“ (1960, dt. „Das Dorf der Verdammten“), entstanden nach einem Roman des Schriftstellers John Wyndham (1903-1969). Es lag deshalb nahe, auch Wyndhams Roman „The Day of the Triffids“ (dt. „Die Triffids“) zu verfilmen, der bereits 1951 erschienen und ebenfalls ein Bestseller geworden war.
Die Produktion begann 1960 und stand unter einem Unstern. Zwar hatte man den US-Markt berücksichtigt und mit Howard Keel einen halbwegs bekannten Schauspieler für die männliche Hauptrolle engagiert. Weniger Gedanken machte man sich um die Schaffung eines Finanzpolsters, das erforderlich war, um eine Geschichte zu erzählen, in denen immerhin mordende Pflanzen England heimsuchten! Schon während die Kamera lief, brauste man wie weiland die „Titanic“ mit Volldampf einer Katastrophe entgegen. Man machte weiter, bis das Geld buchstäblich aufgebraucht war. Zurück blieb eine Film-Ruine, die kaum eine Stunde brauchbares Material ergab.
Aus zwei mach‘ einen, der nur zur Hälfte taugt
15 Monate später versuchte man zu retten, was zu retten war. Da sämtliche Darsteller längst in alle Winde zerstreut waren, fasste die Produktionsfirma einen mutigen (oder verzweifelten) Entschluss. Freddie Francis - der klug genug war, seinen Namen dem fertiggestellten Produkt zu verweigern - inszenierte einen neuen, ca. halbstündigen Film, der mit dem vorhandenen Torso verklebt wurde. Dies ist der Handlungsstrang, der im Leuchtturm spielt. Mit diesem Wissen erklärt sich das Mirakel, wieso sich das Ehepaar Goodwin und die Gruppe um Bill Masen niemals begegnen; tatsächlich wissen sie nicht einmal voneinander, was dramaturgisch für ständige Brüche sorgt. Man sollte sich merken, wer was und wo gerade treibt, wenn wieder einmal umgeblendet wird, um den Überblick zu behalten.
Ohnehin geschieht gar nicht viel. Komplex bzw. kompliziert wirkt die Story höchstens aufgrund der kruden Entstehungsgeschichte. Bill Masen besichtigt London, wobei im Hintergrund schlecht einkopierte Stadtwahrzeichen ‚brennen‘, zieht weiter nach Frankreich und landet zuletzt in Spanien. Zumindest dort hat man offenbar tatsächlich gedreht, statt das Reisegeld in Wein & Gesang zu investieren. Parallel dazu hocken die Goodwins auf ihrer Insel, streiten, prügeln sich mit dem tür- und fensterbrechenden Killer-Kraut und horchen zwischendurch auf eingehende Funksprüche, die von der globalen Apokalypse künden.
Auch Masen geht diesem Hobby nach und mimt dabei Entsetzen, das sich auf den Zuschauer übertragen soll, wenn dieser plötzlich dorthin geworfen wird, wo sich gerade Böses anbahnt. So beobachten wir u. a. eine Panik an Bord eines Verkehrsflugzeugs, dessen Besatzung und Passagiere sämtlich erblindet sind. Minutenlang bleibt die eigentliche Handlung ausgesetzt, bis sich das als Plastikmodell überdeutlich erkennbare ‚Flugzeug‘ in eine ebenso kümmerliche Miniatur-Kulisse des Hafens von London bohrt.
Was gedreht wurde, kommt auf die Leinwand!
Womöglich blasen die Triffids nicht nur Giftgas - es lässt seine Opfer übrigens olivgrün anlaufen -, sondern auch berauschende Substanzen in die Atmosphäre. Auf diese Weise ergäben manche Szenen (irgendeinen) Sinn. Der Rezensent denkt vor allem an jene denkwürdige Sequenz, als das französische Landhaus, in dem Masen, seine beiden Begleiterinnen sowie diverse blinde, aber hübsche Frauen zeitweise leben, von vertierten Zuchthäuslern (!) überfallen wird, die letztere zum kollektiven Tanz zwingen; aus einem nie ausgeführten Grund - wahrscheinlich saßen sie vor ihrer Flucht in besonders tiefen Verlies-Löchern - haben die Strolche ihr Augenlicht behalten.
Während sich die Ereignisse hier schleppen, schlagen sie an anderer Stelle Rad. Das Zusammenpuzzeln vorhandener Szenen stieß offenkundig an Grenzen. Ganze Passagen fehlen, was angesichts der generellen Bockschüsse - zu denen wir noch kommen - nicht annähernd so schmerzhaft ins Auge sticht wie die Tatsache, dass nie ein echtes Finale gedreht wurde. Dies führt zu einem ‚Ende‘, das die keineswegs abgeschlossene Handlung in Minute 90 einfach abwürgt. Dazu gibt es einige Sätze aus dem Off; wir erfahren, dass die Triffids ausgerottet wurden und die Menschheit gerettet werden konnte, was angesichts des bisher Gezeigten wie blanker Hohn wirkt.
Daneben gibt es Momente, in denen deutlich wird, welcher Film dies hätte werden können! So rührt sich der erste Triffid in einem nächtlichen Gewächshaus, während außerhalb der Glaswände Meteoriten am Himmel verglühen und die Szene in ebenso bunte wie blendende Lichter hüllen. In Spanien stehen Triffids vor einem Elektrozaun und werden in Überschlagsblitze gehüllt. Eine Autopanne im dichten englischen Nebel führt erwartungsgemäß, aber trotzdem spannend zu einer unverhofften Begegnung mit einer hungrigen Grusel-Pflanze. Auch die Szene, in der Masen erwacht, sich selbst die Augenbinde abnimmt und durch ein Krankenhaus irrt, das verwüstet und verlassen wurde, ohne dass er davon in seinem Drogenschlaf etwas bemerkt hat, kann sich sehen lassen. (Dies dachte auch Regisseur Danny Boyle, der diese Prämisse 2002 für „28 Days Later“ übernahm.)
Wir könnten es, konnten es uns aber nicht leisten
Jegliche Nachsicht, die sich auch aus der Tatsache speist, dass wir hier einen Film aus dem Jahre 1962 = aus der prä-digitalen Steinzeit sehen, löst sich gemeinsam mit nostalgiebefeuertem Wohlwollen in Luft auf, sobald ‚Spezialeffekte‘ zum Einsatz kommen. Unglücklicherweise sind diese zahlreich, was angesichts der globalen Dimension der Ereignisse Sinn ergibt. Doch was uns präsentiert wird, hätte wohl selbst Georges Méliès, der um 1900 den Filmtrick erfand, peinlich berührt. Die ‚Effekte‘ sind nicht nur primitiv, sondern auch schlampig umgesetzt. (Besonders angeprangert gehört die ‚Entgleisung‘ eines Passagierzugs, der sich auf wildes Rütteln an der Kamera und einige Rauchwolken beschränkt, bevor aus dem Off erste ‚Überlebende‘ ins Bild wanken.)
Weit an der Spitze desillusionierender Momente rangieren sämtliche Auftritte der Triffids. Autor Wyndham hatte sich über seinen wandertauglichen Killer-Wurz Gedanken gemacht. Selbst der Name basiert nicht auf zufälliger Wortfindung, sondern bezeichnet einen ‚asymmetrischen‘ Organismus, der nicht über zwei oder vier, sondern drei Gliedmaßen verfügt. Sollte dies im Film Berücksichtigung gefunden haben, fällt es nicht auf. Niemand will nachzählen, wenn sich jener Haufen aus dürren Stecken und trockenen Blättern, der einem gigantischen Dudelsack ähnelt und von einem ‚Kopf‘ mit Blütenblatt-‚Ohren‘ gekrönt wird, knarrend in Bewegung setzt (und dabei auf einem Schubkarren oder Hubwagen montiert ist; einmal sieht man sogar die Räder)! Auch die Fäden, mit denen die Ranken-Tentakeln animiert werden, bleiben keineswegs unsichtbar. Nie wirken die Triffids aktiv, sondern werden höchstens von hinten geschüttelt.
Die von ihnen ausgehende Bedrohung soll sich in den Gesichtern ihrer Opfer widerspiegeln, was uns zu einem weiteren Tiefpunkt bringt: Die menschlichen Darsteller schauspielern keinesfalls besser als die Triffids. Hollywood-Import Keel stapft mit Todesverachtung durch den Desaster-Dreh. ‚Moderne‘ Frauen, wie sie Nicole Maurey oder Janette Scott personifizieren sollen, bekommen beim Anblick eines Triffids keinen Schrecken, sondern versteinern oder zerspringen vor Panik: Man muss es sehen, um zu verstehen, wie präzise diese Verben den Vorgang beschreiben! Dabei schreien die Darstellerinnen wie tollwütige Hyänen und beanspruchen ihre Gesichtsmuskeln bis zur Reißgrenze.
Triffids wachsen nach
John Wyndhams Begeisterung hielt sich in Grenzen, als „Blumen des Schreckens“ doch ins Kino kam, aber er hatte seinen Honorarscheck bekommen und eingelöst. Zu seinem Pech war er schon tot, als die BBC 1981 eine TV-Miniserie (3 Episoden à 50 min.) ausstrahlte, die erzählerisch und darstellerisch bot, was der Film hatte vermissen lassen. Ins digitale Zeitalter stießen die Triffids 2009 in einer zweiteiligen US-Version des Wyndham-Romans vor. Während die Inszenierung bewährten, aber ideenarmen TV-Konventionen folgte, wirkten die Triffids endlich bedrohlich. Auch eine Kino-Version war angekündigt, (ver-) endete jedoch in der „development hell“ für Projekte, die in Hollywood keinen Anklang finden, aber nicht sterben wollen.
Der Teufelskreis des unfreiwilligen Schreckens schließt sich, wenn man weiß, dass Wyndham die Triffids primär als Auslöser eines Planspiels einsetzte, in dessen Verlauf er die Zivilisation nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Prüfstand stellte. Solche Hintergründigkeit flackert zwar im Film von 1962 hier und da auf, geht aber rasch in der nächsten Triffid-Attacke unter: In diesem Punkt war das Kino schon damals sehr modern. So wurzeln die „Blumen des Schreckens“ auf der Mülldeponie der Filmgeschichte, wo sie den Boden für ähnlichen Trash düngen. Ob man dem zuschauen möchte, ist eine individuelle Entscheidung. Ein Nein führt keineswegs zum Versäumnis einer cineastischen Sternstunde, obwohl so viele Meteoriten vom Himmel fallen.
Die deutsche DVD ist ein echtes Ärgernis. Als Vorlage diente eine ausgelaugte, halb vermoderte Filmkopie, die in keiner Weise aufbereitet oder gar restauriert wurde. Das Bild ist verschwommen, konturschwach und von Fehlerstellen durchsetzt, die Farben sind verwaschen und neigen vor allem in den dunklen Szenen zum schlierigen Zusammenlaufen. Das Format lautet 4:3; an den Seiten entfallen also Bildinformationen. Anders als auf dem Cover angegeben erklingt der (deutsche) Ton nur in 1.0 Mono, Originalton gibt es nicht. Einziges ‚Extra‘ sind einige zusammengestoppelte Filmografie-Texte.
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