Anatomie 1+2
Mediabook Collection
Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich / Titel-Motiv: © justbridge entertainment
German Angst 2.0
Anamnese
1996 kehrte ein längst totgeglaubtes Genre aus seinem Schattendasein zurück und brachte neben reichlich frischem Blut sogar über die Jahre angestaubte Charaktere wieder aufs Radar der Zuschauer: der gute alte Slasher.
Wo Michael Myers, Jason Voorhees, Freddy Krueger, der liebe Leatherface und Horror-Knirps Chucky sich seit den 70ern kontinuierlich weiter durch Videotheken (und bei uns auf dem Index) metzelten, bildeten sie mit ihren x-ten Wiederbelebungen nur noch den harten Kern der Schlitzer, die immer mehr in der Versenkung verschwanden. Klar, irgendwann hatte man so ziemlich alles gesehen, da die filmischen Amokläufe der Macheten-, Messer und Kettensägen-Schwinger meist immer nach dem gleichen Schema abliefen. Einen richtigen Boom gab es erst wieder mit Wes Cravens (1939 – 2015) Teenie-Schlachtplatte „Scream“. Der „A Nightmare on Elm Street“-Schöpfer hatte genau den richtigen Riecher und brachte zudem noch einiges an Erfahrung mit. So kannte er das Genre in- und auswendig, weshalb „Scream“ nicht nur durch und durch blutig, sondern auch gespickt ist mit Genre-Zitaten. Schwarzhumorig, überraschend, blutrot und mit Hollywoods neuen jungen Wilden besetzt. Kein Wunder, dass Fortsetzungen nicht lange auf sich warten ließen. Noch weniger, dass Trittbrettfahrer auf das erfolgreiche Vehikel aufsprangen. So kamen neben den mittlerweile vier „Scream“-Filmen (ein fünfter Film ist bereits abgedreht!) und einer mäßig erfolgreichen TV-Serie Werke wie „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ (1997), „Düstere Legenden“ (1998), „Dich kriegen wir auch noch! (1998), „Final Destination“ (2000), „Schrei, wenn Du kannst“ (2001) oder der Körperfresser-Mix „The Faculty“ (1998) und der humorvolle Horror/Fantasy-Slasher „Die Killerhand“ (1999) ans Licht der Welt. Einige davon gleich in mehrfacher (und qualitativ schwankender) Ausführung.
Dann gab und gibt es noch immer die nicht tot zu kriegenden Konsorten. Freddy und Jason nehmen sich seit ihrem Aufeinandertreffen in „Freddy vs. Jason“ (2003) und jeweiligen Einzel-Reaktivierungen – „A Nightmare on Elm Street“ (2010) und „Freitag, der 13.“ (2009) – zwar eine Auszeit, was im Falle von Jason der schwierigen Rechtslage der Marke geschuldet ist, aber erfahrene Kollegen wie Michael Myers (sorgt nach dem erfolgreichen Reboot von 2018 bald in „Halloween Kills“ wieder für Angst und Schrecken in Haddonfied, nachdem Alt-Rocker Rob Zombie sich zweimal an ihm austobte), Leatherface (zuletzt 2017 im gleichnamigen Prequel zum legendären „Texas Chainsaw Massacre“ (1974)) und Mörderpuppe Chucky (2019 mit dem Remake „Child’s Play“ im Kino und dank eines Rechte-Splittings bald auch als Fortsetzung des Originals von 1988 als Serie im TV) treiben es weiterhin bunt… um nicht zu sagen BLUTROT.
Selbst in Deutschland sprang man auf den Slasher-Zug auf. 1999 und 2001 entstanden unter der Regie von Robert Sigl mit „Schrei, denn ich werde dich töten - School’s Out“ und „Die Insel der Angst - School’s Out 2“ zwei Genre-Vertreter, die ich als ganz anschaubar in Erinnerung behalten habe. Produktionen des Privatsenders RTL, die allerdings besser umgesetzt wurden als man es nach heutigen TV-Maßstäben denken würde. Zwischendurch ging es dann mit „Flashback - Mörderische Ferien“ (2000) gut besetzt im Kino weiter. Inhaltlich zwar voll und ganz auf der US-Teenie-Welle mitschwimmend, dafür sehr unterhaltsam. Im gleichen Jahr war es aber der Psychothriller „Anatomie“ des österreichischen Regisseurs Stefan Ruzowitzky (2008 für „Die Fälscher“ mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet), der der Konkurrenz im Kino den Rang ablief. Der Medizin-Thriller wartete nicht nur mit einem großartigen Darsteller-Ensemble auf, sondern konnte auch dank seiner drastischen Effekte beim Publikum punkten. Da war eine Fortsetzung schnell beschlossene Sache, doch Ruzowitzky hatte eigentlich nicht vor, noch einmal auf den Regiestuhl zurückzukehren. Nachdem er aber das Drehbuch zu „Anatomie 2“ verfasste, konnte er von den Produzenten letztendlich doch für die Inszenierung gewonnen werden. Wer dabei einen 1:1-Abklatsch des Erstlings erwartet, wie es in Hollywood oft Gang und Gäbe ist, wird eines Besseren belehrt, denn beide Filme sind grundlegend anders aufgebaut.
Erstuntersuchung
Die junge Medizinstudentin Paula Henning (Franka Potente) eifert ehrgeizig ihrem schwerkranken Großvater (Werner Dissel) nach. Dieser hatte im Laufe seiner aktiven Karriere wegweisende Forschungsergebnisse erzielt und war an der Universität Heidelberg eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Paulas Vater (Rüdiger Vogler) ist ebenfalls Mediziner und betreibt eine Hausarzt-Praxis in München. In dessen Fußstapfen zu treten ist für Paula jedoch keine Option, da sie weitaus höher gelegte Ambitionen hat. Umso größer ist ihre Freude, als sie an der Heidelberger Universität für den Anatomie-Kurs des renommierten Professor Grombek (Traugott Buhre) zugelassen wird… sehr zum Missfallen ihres Vaters.
Bereits im Zug nach Heidelberg trifft Paule auf Gretchen (Anna Loos), eine Mitstudentin, die ebenfalls für den Kurs zugelassen wurde. Obwohl die beiden Frauen komplett verschieden sind und Party-Gretchen die Dinge eher locker zu sehen scheint, liegen sie irgendwie auf einer Wellenlänge. Ihre medizinischen Kenntnisse müssen sie sogar schon während der Zugfahrt unter Beweis stellen, als plötzlich der mitreisende David (Arndt Schwering-Sohnrey) kollabiert. Durch beherztes Eingreifen rettet Paula ihm das Leben. Im Kurs von Professor Grombek, der direkt zu Beginn klare Ansagen macht, dass es unter seinen strengen Augen kein Spaziergang wird und nur die wenigsten bestehen werden, sitzt der Schock bei Paula und Gretchen tief, als David tot auf dem Seziertisch liegt.
Paula untersucht die Leiche genauer und stößt auf Ungereimtheiten, was die Todesursache angeht. Davids Körper weist ungewöhnliche Einschnitte auf und sein Blut ist verdickt. Wie sich herausstellt, durch ein Mittel, welches zur Tierpräparation verwendet wird. Außerdem findet sich eine seltsame Markierung an Davids Knöchel: „AAA“.
Paulas Recherchen führen sie zu einer eigentlich verbotenen Geheim-Loge: den Antihippokraten. Ärzte und Studenten, die jegliche Ethik über Bord geworfen haben und ihre Forschungen am lebenden Objekt vollziehen. Sie leiten Konservierungs-Verfahren an entführten Unschuldigen ein und schrecken vor nichts zurück, um ihre unethische Arbeit voranzutreiben. Und je tiefer Paula gräbt, desto mehr merkt sie, dass sie den Antihippokraten bereits gefährlich nahegekommen ist… zu nah.
Zweite Meinung
Nicht nur in Heidelberg wird geschnippelt was das Zeug hält. In der Hauptstadt ist man ebenfalls nicht untätig, wenn es um das Hantieren mit dem Skalpell geht. Dorthin verschlägt es den Duisburger Mediziner Jo Hauser (Barnaby Metschurat). In Berlin absolviert der junge Neurochirurg sein Praktikum an einer renommierten Klinik. Nicht zuletzt, da er sich neue Erkenntnisse erhofft, was die Erkrankung seines Bruders angeht. Willi (Hanno Koffler) leidet unter Muskeldystrophie und sitzt im Rollstuhl.
Der einflussreiche und hoch angesehene Professor Müller-LaRousse (Herbert Knaup) schart im Berliner Klinikum einen elitären Kreis von Jung-Ärzten (darunter Heike Makatsch und Wotan Wilke Möhring) um sich, mit denen er an streng geheimen Forschungen arbeitet. In diese Gruppe hineinzukommen scheint unmöglich für den Neuankömmling aus dem Ruhrgebiet. Als Jo eines Nachts jedoch der Krankenschwester Lee (Rosie Alvarez) und seiner philippinischen Gastfamilie hilft, die einen schwer verletzten Jungen in die Klinik bringen, wendet sich das Blatt. Heimlich operiert Jo das nicht versicherte Kind und rettet ihm mit dieser riskanten Tat das Leben. Trotz aller Vorsicht bleibt die Nacht-und-Nebel-Aktion nicht vor Müller-LaRousse verborgen, der alles über die Überwachungskamera mitverfolgt hat. Er schätzt Jos Engagement und sieht großes Potential in dem jungen Kollegen. Kurzerhand lädt er Jo in die Gruppe ein.
Ab diesem Zeitpunkt scheint er die Karriereleiter nach oben zu fallen. Doch ungefährlich scheint der Schritt in die Upper-Class der Mediziner nicht zu sein. Das Team um Müller-LaRousse forscht an synthetischen Muskeln und schreckt auch vor Selbstversuchen nicht zurück. Die künstlichen Implantate sollen nicht nur Patienten mit Gehbehinderungen ein neues Leben eröffnen, sondern auch kerngesunden Menschen zu übernatürlichen Leistungssteigerungen verhelfen. Mit moderner Computer-Technik und Medikamenten-Cocktails werden so ungeahnte Höchstleistungen möglich. Als Jo an der Reihe ist und sich die synthetischen Muskeln freiwillig implantieren lässt, steckt er schon in einem berauschenden Kreislauf, in dem sich Recht und Wahnsinn nur noch schwer auseinanderhalten lassen. Die Antihippokraten sind auch in der Hauptstadt sehr aktiv und gehen gnadenlos gegen jene vor, die sich ihren Machenschaften in den Weg stellen. Das muss Jo bald schon auf die harte Tour einsehen…
Zyanose (Blausucht)
Lange hat’s gedauert, aber seit dem 27. August 2021 sind beide Filme der „Anatomie“-Reihe zusammen in einem Mediabook erhältlich. Der Publisher JUSTBRIDGE ENTERTAINMENT hat sich den Werken von Stefan Ruzowitzky angenommen und für HD-Portierungen gesorgt, die ich jedoch nicht ohne Beanstandungen auf den Rezeptblock kritzeln kann. Die Bildqualität von „Anatomie 2“ hat dabei insgesamt die Nase vorn, da das Bild satter und verhältnismäßig kräftiger ausfällt. HD-Feeling kommt aber nur bedingt auf. „Anatomie“ aus dem Jahr 2000 hingegen lässt dieses weitgehend vermissen. Einen enormen Mehrwert zur ersten DVD-Veröffentlichung sehe ich da persönlich nicht. Irgendwie wirkt das entsättigte Bild wie hochgerechnet, was sich durch Rückstände, teilweise Unschärfe und rauschendem Filmkorn bemerkbar macht. Der unterkühlte Look passt zwar zur Thematik des Films, sorgt aber zu keiner Zeit für staunende Augen. Im Kontrast-Bereich offenbart „Anatomie“ ebenfalls Schwächen.
Der Buchteil wurde vom Autor Christoph N. Kellerbach verfasst, den Freunde dieser Verpackungsart schon kennen dürften. Kellerbach liefert interessante Einblicke in die Produktionen beider Filme. Angereichert werden die rund 20 Seiten, die leider aus sehr dünnem Papier bestehen, mit reichlich Szenenfotos aus den Filmen.
Beim Bonusmaterial darf man keine großen Sprünge erwarten, da dieses im Vergleich mit den alten COLUMBIA-DVDs nicht angewachsen ist. Zu „Anatomie“ finden sich entfallene Szenen, ein kurzes Making-of, ein noch kürzeres Feature zu Make-up und Effekten, ein Storyboard/Szene-Vergleich und Interviews. Die Extras zu „Anatomie 2“ bestehen aus einem rund 17-minütigen Making-of und dem Trailer.
Der FSK 16-Sticker ist nur auf der Außenfolie und wird dadurch nicht zum Ärgernis. Das Backpaper mit den Film-Informationen hingegen ist mit zwei Klebepunkten auf der Mediabook-Rückseite angebracht, weshalb beim Entfernen Vorsicht und ein wenig Geduld gefragt ist, damit keine Schäden in Form von Oberflächen-Wölbungen entstehen. Das hätte man besser lösen können.
Diagnose:
Ich bin positiv überrascht, denn speziell „Anatomie“ aus dem Jahr 2000 ist sehr gut gealtert. Es gibt nur wenige Indizien, die den Film an seinen Entstehungszeitraum binden, weshalb er noch heute funktioniert und irgendwie zeitlos erscheint… von ein paar modischen Ausreißern mal abgesehen. Der eher Technik-orientierte Nachfolger muss mit seinen Computer-Spielereien ein paar Federn lassen, wurde aber spannend inszeniert und sieht zudem noch gut aus. Ein insgesamt halbwegs geglückter Sprung ins HD-Zeitalter… fast ohne Langzeitschäden.
Wertung: 7
"Anatomie": 8 | "Anatomie 2": 7 | Umsetzung: 6
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Fotos: © justbridge entertainment
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