Film:
ES - Kapitel 2

Film-Kritik von Yannic Niehr / Titel-Motiv: © 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

ES Endet

„Ich bitte um Entschuldigung. Es wird hier so furchtbar heiß um diese Jahreszeit.“

Tatsächlich ist es bedrückend schwül in dem muffigen, nur von trübem Licht erfüllten Zimmer. Beverly ist unwohl zumute. Sie wäre besser nie hergekommen. Und bei aller Freundlichkeit: irgendetwas an der alten Dame, die nun in Beverlys alter Bleibe haust und sie auf einen Tee hereingebeten hat, stimmt nicht so ganz. Jetzt öffnet sie den obersten Knopf ihrer Bluse… doch was war das dort auf ihrer Haut? War das wirklich da?

„Man denkt, man würde jeden Moment tot umfallen“, witzelt die Dame. „Aber sie wissen ja, was man über Derry sagt: niemand, der hier stirbt, stirbt jemals wirklich.“

Die mehr als seltsame Aussage lässt Beverly stutzen. Die Frau schweigt, stumm und regungslos. Als wäre das Bild eingefroren. Beverly wird unbehaglich zumute. Sie möchte gerne ganz woanders sein.

„Und wie ist es für Sie, wieder zurück in Derry zu sein?“, unterbricht die Dame das seltsame Schweigen und nippt an ihrem Tee. Dann entschuldigt sie sich, sie habe noch Kekse im Ofen. Nachdem sie in die düstere Küche verschwunden ist, hat Beverly die Gelegenheit, sich umzusehen. Der Plattenspieler eiert vor sich hin, die nostalgische, aber verzerrte Musik lässt sich nicht gerade als schön bezeichnen. Beverly betrachtet die Bilder an der Wand.

„Mein Vater ging zum Zirkus“, sagt die Dame just in dem Moment, als Beverly das gerahmte Foto von diesem an der Wand ins Auge fällt. Aber… das sieht doch aus wie… nein, das kann nicht sein!

„Ich war immer Daddys kleines Mädchen“, tönt es aus der Küche, und Klauen aus Eis umfassen Beverlys Herz. Was?
„Und du? Bist du auch immer noch sein kleines Mädchen, Beverly?“
Was für ein Unterton sich in die Stimme der Frau geschlichen hat.
„Bist du?“

Ist diese Stimme überhaupt noch menschlich, oder…?
Das, was plötzlich auf Beverly zuwankt, ist es sicher nicht.

Luftballon gefällig?

Damit endet der vielversprechende, atmosphärische Teaser-Trailer für den zweiten Teil der Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“, der – ähnlich wie der erste Teil im Kino – rekordverdächtige Zuschauerzahlen erreichte und der die Vorfreude eines jeden Horrorfans gekonnt zu steigern wusste. Was immer es auch sein mag: etwas an dieser Horror-Duologie trifft offensichtlich den Nerv des Publikums. So wurde „Es“ 2017 zum erfolgreichsten Horrorfilm aller Zeiten. Doch zumindest eifrige Leser wussten natürlich, dass es damit noch nicht vorbei war – das Rematch, welches sich in der zweiten Hälfte von Kings Roman abspielt, folgt nun in der Fortsetzung.

Das 1986 veröffentlichte Buch, das – typisch für King – recht ausladend daherkommt, die vermeintliche amerikanische Kleinstadtidylle beleuchtet und mit jeder blutrünstigen und abgefahrenen Idee aufwartet, die der menschliche Geist sich ausdenken kann, gilt als eines seiner einschlägigsten. Kultstatus erreichte das Werk vor allem durch die dreistündige TV-Miniserie von 1990 – die aber ganz offensichtlich auch nur ein TV-Budget für die Effekte zur Verfügung hatte und dem Stoff den ein oder anderen Zahn ziehen musste, damit er zur Primetime über die Fernsehbildschirme flimmern konnte. Trotz ihrer Längen – und Unzulänglichkeiten – hat diese Adaption sich ihren nostalgischen Charme bewahrt und kann mit einem besonderen Glanzstück aufwarten: nur dank Schauspiel-Urgestein Tim Curry, der den diabolischen Clown Pennywise verkörpert, gehört Coulrophobie heute praktisch zum guten Ton.   

Ist Pennywise auch nur eine der Formen, die der titelgebende Gestaltwandler annimmt, so ist es mit Sicherheit die einprägsamste. Sämtliche Werbekampagnen fokussierten sich auf den durchtriebenen, so gar nicht spaßigen Spaßmacher. Bill Skarsgårds Performance war und ist ein Knaller: mit viel Körpereinsatz und einigen angeborenen, mimischen Defiziten, die er sich hier zum Vorteil machen kann, vermittelt er glaubwürdig den Eindruck von einem Wesen, das seine menschliche Fassade nur mit Mühe und Not aufrecht erhält, und dessen Dimensionen, die sich dahinter verbergen, kein sterblicher Verstand fassen kann. Dennoch lässt sich auch dieser Pennywise sein Joker-Grinsen nicht nehmen und ist mit einem herrlich bösartigen Spieltrieb gesegnet. Egal ob kindliche Ängste oder Wünsche: der Kinderfresser kann die Schwachstellen seiner Opfer riechen, wird sie kurz darin marinieren, um dann gnadenlos zuzuschnappen. Doch da hat er die Rechnung natürlich ohne den überraschend widerspenstigen „Club der Verlierer“ gemacht…

Die Hälfte von „Es“ spielte in den 50er Jahren und schilderte die Kindheit der jugendlichen Protagonisten und ihren ersten Kampf mit dem Monster, während der Rest der Handlung in der (damaligen) Gegenwart der späten 80er angesiedelt war. Die neue Filmfassung verlegt das Ganze entsprechend, sodass die Szenen mit den mittlerweile erwachsenen Helden heute spielen, während Teil 1 in den 80ern landete. Die deutlichen Anklänge an „Stranger Things“ waren für den Erfolg sicher von Nutzen. Durch diese chronologische Zweiteilung (Flashbacks zu den Kindern aus Teil 1 hat das Sequel allerdings auch zu bieten) von Zeitebenen, die im Buch miteinander verwoben waren, erhält jeder der beiden Filme auch einen eigenen thematischen Fokus. Im 1. Part ging es um das Grauen, welches die Welt der Erwachsenen bereithält und welches Kinder nur bedingt begreifen können; doch gehört zum Erwachsenenwerden eben auch der Verlust der Unschuld dazu. Teil 2 dreht sich mehr um die Verarbeitung von verdrängten Traumata aus der Kindheit, die oft bis ins Erwachsenenalter ihre Narben hinterlassen, aber auch um schöne Erinnerungen, die man zu- oder loslassen muss, um Zusammenhalt und um das Überwinden von Ängsten und Schuld. 

Derry sehen … und sterben

Eine Bande von Außenseitern hat sich zusammengefunden, „Es“ den Kampf anzusagen. Der Club der Verlierer teilt eine besondere Verbundenheit. Schon in Teil 1 war dieser großartig besetzt: Jaeden Martell als der heldenhafte Stotterer Bill Denbrough, dem Pennywise seinen Bruder Georgie genommen hat; Jeremy Ray Taylor als cleverer Ben Hanscom; Chosen Jacobs als Mike Hanlon, dessen „Schlachthaus“-Szene eines der Highlights von Teil 1 war; Wyatt Oleff als abgeklärter Stanley Uris; Jack Dylan Grazer als der pedantische Eddie Kaspbrack; Finn Wolfhard als Alleinunterhalter Richie Tozier, um die „Stranger Things“-Parallelen zu vervollständigen; und einfühlsam Sophia Lillis als Beverly Marsh. Diese Riege an Jungschauspielern war die Seele des Films, und so hatten die Darsteller, die diese Figuren nun im Erwachsenenalter verkörpern müssen, in große Fußstapfen zu treten. Glücklicherweise ist auch diesmal das Casting genial gelungen: Jessica Chastain kann Beverly nicht so viel Wärme verleihen wie Lillis, ersetzt aber die Unnahbarkeit der jungen Figur mit einer wohldurchdachten Melancholie; James McAvoy ist der perfekte Bill, dessen Stottern zurückkehrt und symbolisch überwunden werden muss; Bill Hader ist vermutlich die große Überraschung des Films, da er nicht nur Richies Humor auf den Punkt trifft, sondern auch die dramatischen Szenen – ein in diesem Film stärker herausgearbeiteter Subtext für seinen Charakter erlaubt es ihm, das Herz von Richie Tozier glaubhaft herauszuarbeiten; James Ransone spielt Eddie eine Spur zu aggressiv und überdreht, wird aber im Laufe des Films mit der Rolle warm, und weiß vor allem Jack Dylan Grazers Mimik und Körpersprache akkurat nachzubilden; Jay Ryan als herausgeputzter und deutlich schlanker gewordener Ben fügt der grundsätzlichen Freundlichkeit der kindlichen Figur eine nötige Portion Stärke hinzu; zuletzt hat leider Andy Bean als Stan Uris den Kürzeren gezogen – warum, das soll an dieser Stelle für diejenigen, die das Buch nicht kennen, nicht verraten werden. Fast schon unheimlich ist auch die äußerliche Ähnlichkeit, die alle Darsteller mit ihren jüngeren Pendants haben – waren die Jungschauspieler in Teil 1 als Team ein klein wenig besser aufeinander eingespielt, so kommt der neue Cast doch sehr nah ran.

Isaiah Mustafahs Mike ist der einzige, der in Derry, der Stadt, in der all die Kinder verschwinden und in der seltsame Mächte wirken, geblieben ist. So ist er auch der einzige, der sich an alle Ereignisse von damals erinnern kann. Doch leider haben die Kids das böse „Es“ nicht ausgerottet, sondern nur in seinen üblichen, etwa dreißigjährigen Winterschlaf geschickt. Und dieses Wesen erhebt sich immer wieder dort, wo das im Menschen sprießt, was andere in Todesangst versetzt. So wird gleich in der Eröffnungsszene der junge homosexuelle Adrian Mellon von einer Bande Jugendlicher zusammengeschlagen, um sodann im Rachen von „Es“ zu enden (eine Szene aus dem Buch, die von einer wahren Begebenheit inspiriert wurde und nicht mit erschütternder Grausamkeit geizt). Als sich daraufhin die Kindermorde häufen, ist Mike klar: „Es“ ist zurück. Und nur darauf hat er gewartet! Denn er hat zwischenzeitlich einiges über das Monster herausgefunden und ein uraltes Ritual zutage gefördert, mit welchem man es ein für alle Mal besiegen können soll. Dazu trommelt er den alten Club zusammen: jeder von ihnen muss ein Artefakt finden, einen persönlichen Gegenstand, der an Erinnerungen aus jenem Sommer geknüpft ist. So streifen die Verlierer durch Derry, begehen alte und neue Pfade in der Hoffnung, die Angst und das Böse endgültig vernichten zu können. Doch natürlich weiß „Es“ längst, was sie vorhaben – und freut sich auf ein Wiedersehen…

Der Weltenverschlinger

Wie zu erwarten ist auch in diesem Teil Andrès Muschiettis Regieführung raffiniert. Besonders die Eröffnung kommt gleich zur Sache, und mit originellen Übergängen wechseln die Szenen von einem nunmehr erwachsenen Mitglied des Clubs der Verlierer zum nächsten. Lyrische Musik und kreative Kameraarbeit lassen Derry als einen oberflächlich schönen Ort erscheinen, doch kann an jeder Ecke das Grauen lauern. Besonders stimmungsvoll eine spannende, düstere Szene unter den Sitzbänken eines Baseballfeldes, in welcher der geifernde Pennywise glänzen kann. Von diesem gibt es diesmal leider etwas weniger zu sehen, und das, obwohl der Film eine Länge von knapp 170 Minuten erreicht. Aber der Fokus liegt dort, wo er liegen sollte – bei den Verlierern und ihrer Konfrontation mit der Vergangenheit.

Zugegeben, auch dieser Film hat seine Längen, und man fragt sich, ob er so kurz wie Teil 1 nicht besser funktioniert hätte. Hin und wieder sind die typischen Jump Scares arg vorhersehbar und werden auf Dauer etwas ermüdend, verlässt sich der Film zu sehr auf CGI-Orgien, die mehr an ein Fantasy-Spektakel als an einen intimen, finsteren Horrorfilm erinnern, wirkt Manches doch eine Spur zu melodramatisch, zu dick aufgetragen, zu viel des Guten. Gerade Letzteres ist schon typisch King – doch wäre weniger hier stellenweise mehr gewesen. Etwas enttäuschend ist tatsächlich auch die Umsetzung der finalen Konfrontation, bei der man die wahre Gestalt von „Es“ zu Gesicht bekommen sollte – hier hätte man als Zuschauer etwas anderes erwartet. 

In Anbetracht der Tatsache, dass die kosmischen Ursprünge von „Es“ in diesem Teil nicht ausgespart werden, funktioniert die Balance des Films trotzdem recht gut. Einige der abgedrehteren Passagen aus Kings Werk lässt aber auch diese Verfilmung – wie schon die TV-Umsetzung – außen vor, was vermutlich die richtige Entscheidung war. Seine Mankos kann der Film mit einer erfrischenden Portion Selbstironie (Bill Denbrough ist zu einem Autor geworden, dem keine Enden gelingen wollen, was sich sogar auf seine Verfilmungen niederschlägt…), seiner behutsamen Figurenregie und seiner thematischen Vielschichtigkeit ausgleichen. Irgendwo in diesen insgesamt fast 5 Stunden Laufzeit verbirgt sich ein intelligenter, gut gemachter Horrorfilm mit Herz. Und ebenso viel Herzblut steckt in der Umsetzung, sodass der Funke definitiv überspringt. Wenn nur alle Adaptionen so viel Leidenschaft an den Tag legen würden, wie Pennywise beim Spiel mit seinen Opfern.

Fazit:

Der Film kommt nicht ohne Schwächen daher und ist nur punktuell wirklich gruselig, aber er wirkt mit Teil 1 – so soll es ja auch sein – wie aus einem Guss und hat sowohl für King-Fans als auch für völlige Neulinge als fulminanter Abschluss einiges zu bieten. Nicht zuletzt wartet er mit dem bislang vermutlich besten Stephen-King-Gastauftritt auf! Also husch, husch ins Kino, mit ein wenig Popcorn (das mochte Georgie ja so gern), und man wird fliegen. Denn sie alle fliegen…

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