Blutarmer Start in Vampir-Biografie
Im Jahre des Herrn 1773 herrscht Unruhe in den amerikanischen Kolonien Treu zur Krone steht Samuel Barrett, Jurist auf Long Island. Gattin Marie Fonteyn Barrett leidet unter einer Geisteskrankheit, die sie bösartig und unberechenbar macht. Da sie das Geld in diese Ehe brachte, hat sie die Macht, der Familie die Hölle auf Erden zu bereiten. So ist es Maries Entschluss, Sohn Jonathan zum Jurastudium ins englische Mutterland zu schicken. Der junge Mann geht unwillig, weiß er doch die jüngere Schwester Elizabeth sowie den bedrückten Vater den Attacken der Mutter ausgesetzt.
In London angekommen wird Jonathan von seinem Vetter Oliver Marling mit offenen Armen aufgenommen. Im Haus eines Freundes lernt er die charismatische Nora Jones kennen, die ein düsteres Geheimnis hütet: Sie ist ein Vampir, lässt sich von jungen reichen Männern aushalten, denen sie außerdem das Blut abzapft, von dem sie sich ernährt. Jonathan wird ihr Favorit und mit dem "Vampirvirus" infiziert, ohne dies zunächst zu wissen.
Drei Jahre später zitiert die Mutter Jonathan zurück nach Amerika. Dort ist der Unabhängigkeitskrieg ausgebrochen. König George III. schickt Soldaten und Söldner über den Atlantik. Jonathan gerät fast unmittelbar nach seiner Ankunft zwischen die Fronten und fällt bei einem Scharmützel einer aus dem Hinterhalt abgefeuerten Kugel zum Opfer. Er erwacht als Vampir, ausgestattet mit übernatürlichen Kräften, die er nicht kennt oder lenken kann. Er vermag seinen Körper zu entmaterialisieren und andere Menschen in seinen Bann zwingen. Auf diese Weise gelingt es ihm, seine "Wiederauferstehung" zu vertuschen. Nur Vater und Schwester wissen Bescheid über seine wahre Natur. Jonathan jagt erfolgreich seinen eigenen Mörder, kehrt zurück in den Schoß seiner Familie, Freunde und Nachbarn, gewöhnt sich an sein neues Dasein und gedenkt die Suche nach Nora aufzunehmen ...
Viele Worte, wenig Handlung
Romantische Verwicklungen und Kämpfe in historischer Zeit unter Beteiligung vollblütiger Menschen und Vampire: Was kann mit einer Story wie dieser schon schief gehen? Leider eine ganze Menge, wie sich P. N. Elrod über viel zu viele Seiten zu belegen bemüht - unfreiwillig, wollen wir zu ihren Gunsten hoffen.
Mit dem Kritisieren i. S. von Meckern können wir allzu rasch beginnen. Was ist Der rote Tod eigentlich genau? "Ein historischer Vampirroman" lautet der Untertitel. Theoretisch stimmt das, aber präzise muss man eher von einem historisierenden Roman sprechen, der sich auf allzu viele Genre-Klischees stützt und in einen Vampirroman einmündet, ohne dass es mehr als nur eine flüchtige Verbindung zwischen den beiden Handlungssträngen gibt.
Elrod nimmt sich elend viel Zeit, Jonathans Alltag in Amerika, seine Überfahrt nach England, seine Studienzeit in London bzw. Cambridge zu beschreiben. Hier gibt es letztlich kaum und dann gar nichts mehr zu erzählen, weil faktisch nichts geschieht. Das ändert sich erst, als Nora Jones die Bühne betritt. Jetzt entspinnt sich ein Eifersuchtsdrama ohne Überraschungen, Jonathan schippert zurück nach Amerika - und dann geht's eigentlich wirklich los.
Leichte Besserung mit Wiedererkennungsfaktor
Erst im letzten Drittel macht Elrod dramaturgischen Boden gut. Jonathans Erwachen als Vampir ohne entsprechende ‚Ausbildung', der mit sich und seinen misstrauischen Zeitgenossen gut beschäftigt ist, liest sich interessant. Freilich gibt es unübersehbare Parallelen zum ersten Band der "Vampire Files", in denen Privatdetektiv Jack Fleming in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts ebenfalls zum Vampir mutiert; geschrieben wurde diese Serie von - P. N. Elrod.
Jedoch geht es ein bisschen zu glatt mit seiner Integration. Wie sollte es auch je wirklich kritisch für Jonathan werden, wenn er sein Gegenüber mit dem festen Blick in die Pupille geistig manipulieren kann?
Der rote Tod ist ein wenig zu deutlich "nur" Auftakt einer (vierteiligen) Serie. Autorin Elrod bereitet das Feld vor, auf dem sich die folgenden Ereignisse abspielen werden. Darf man dies als Entschuldigung gelten lassen? Wohl kaum, denn eine Episode muss auch ohne die Verheißung einer tollen Fortsetzung für sich bestehen.
Gutmensch mit Fangzähnen
Jonathan Barrett hat ein Problem, das er weder als Mensch noch als Vampir loswird: Er ist viel zu gut für diese Welt, ein braver Sohn und Bruder, Sklavenfreund, vorbildlicher Liebhaber. Anders ausgedrückt: Er ist zu alltäglich, um wirklich Interesse an seinem Schicksal zu wecken. Nachdem er endlich zum Blutsauger geworden ist, zwickt er des Nachts nur Pferde, was ihm - Tierfreund ist er auch - wiederum stark zu schaffen macht.
Im (gar nicht so) großen Finale rettet Jonathan selbstlos zwei Rebellen, plagt sich mit Gewissensbissen, wenn er mal seinen Bannblick einsetzt, und wünscht sich ein Dasein als Untoter mit Familienanschluss. Solches mag auch Graf Dracula in jungen Vampirjahren durch den Kopf gegangen sein, aber wollen wir so etwas wirklich wissen? Nosferatus sind Geschöpfe der Nacht; wie solche sollten sie sich gefälligst benehmen, d. h. geheimnisvoll, verführerisch, latent oder offen gefährlich & unberechenbar sein.
Nora Jones kommt diesem Bild schon etwas näher. Wir erfahren in diesem ersten Band der Saga noch nicht viel über sie. Es scheint durch, dass sie schon ziemlich lange ihr Unwesen treibt und über dunkle Seiten verfügt. Ihr Harem blut- und geldgezapfter Gespielen ist ein guter Einfall: Nora weiß sich sichtlich zu helfen und lässt sich den Blick für ihre besondere Realität nicht durch die "große Liebe" vernebeln.
Über die übrigen Figuren gibt es wenig zu sagen. Vater und Tochter Barrett sind langweilige Gutmenschen, die hier und da in Gefahr geraten, damit Jonathan um sie bangen oder sie retten kann. Mutter Marie ist stets für eine irrsinnige Überraschung gut, wobei dies mehr Elrods Wunschdenken ausdrückt als tatsächlich gelungen ist. In England werden Jonathans Freunde mit breiten Strichen gezeichnet; wofür nur, denn der Aufwand lohnt nicht, so schnell und spurlos verschwinden sie wieder aus der Handlung und werden durch neue Nullgesichter ersetzt.
Hierzulande wurde die Barrett-Serie vollständig übersetzt. Sie war zwar nicht spannend genug, um "echte" Blutsauger-Gruselfans zu interessieren, konnte aber genug jener sacht erotisch aufgeladenen Leser/innen binden, die zu den "Abenteuern" der sich seit dem Millennium wie Schimmelpilze verbreitenden, Lotterbett und Shopping dem Blutgenuss vorziehenden Chick-Lit-"Vampire" greifen.
P. N. Elrod, Festa
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