Das Flüstern zwischen den Zweigen
- Shayol
- Erschienen: Januar 2011
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Archetypische Fantasy-Kurzgeschichten
Markolf Hoffmann ist als Teil der Berliner ´StirnhirnhinterZimmer´-Combo (zusammen mit Christian von Aster und Boris Koch) bekannt für literarische Experimente der grotesken Art. "Das Flüstern zwischen den Zweigen" stellt dabei (wie seine vierteilige Romanreihe "Das Zeitalter der Wandlung") einen Ausflug in die klassische Fantasy dar. Man merkt den Geschichten aber an, dass ihr Autor einen frischen und unverbrauchten Blick auf das meist durch starke Klischees behaftete Genre besitzt. Und Hoffmann zögert nicht, das eine oder andere festgesessenen Bild etwas zurechtzurücken.
Angesiedelt sind die acht Geschichten in einem märchenhaften ´Nirgendwo und Überall´. Es ist gerade positiv zu bewerten, dass Hoffmann nicht der Versuchung erliegt, seine Szenarien zu stark zu verorten und mit Erklärungen auszuschmücken. Die Stories sind schlichtes, aber urwüchsiges Erzählgarn und stellen im Hinblick auf die Form kein Neuland dar. Das muss auch nicht sein, denn dafür konzentriert sich Hoffmann ganz auf Stimmung und Wirkung seiner Szenarien. Er nimmt Altbekanntes, beispielsweise einen Feenwald, und schaut, wie sich solche Archetypen im Licht zeitgenössischer Denkungsarten bewähren. Demnach werden Feenwälder bei Hoffmann schlicht abgeholzt und damit entzaubert. Oder die angeblich mit Reichtümern prall angefüllten "Kerker von Abîme" entpuppen sich als Lockvögel und Vermarktungsmaschinerien, denen sich der melancholische Protagonist nicht entziehen kann. "Das Flüstern zwischen den Zweigen" erinnert stellenweise an einen "Sommernachtstraum", an grimmsche Märchen oder die absurde Literatur Kafkas. Hoffmanns Welt ist dabei noch nicht (ganz) durch Wissenschaft und Kartographie erschlossen. Er schreibt gewissermassen über die weissen Flecke, die nur noch auf den Landkarten der Imagination existieren und auch dort ziemlich schnell durch Überbeanspruchung von Popkultur und Unterhaltungsindustrie schrumpfen.
In "Meine Jagd" berichtet ein Jäger mit leichter Ironie von einer Säuberungsaktion in einer von Dämonen verseuchten Steppe, die gewisse ökologischen Spätfolgen nach sich zieht.
"Der Mann aus dem Wald" ist hingegen ganz real, weder Geist, noch Dämon; die kleine Sia begegnet ihm unten am Fluss. Er ist einer von den Waldmenschen, mit denen die Siedler des Forstes niemals in Kontakt treten. Seither bewahrt Sia fasziniert das Idealbild eines ´edlen Wilden´ in sich, bis die mittlerweile zur Kriegerin herangewachsene eine Entscheidung treffen muss: Ist ihre Welt es wert im Konflikt mit dem Wald und der entfesselten Natur verteidigt zu werden? Dabei zählen letztlich nicht nur die Waldmenschen zu den Verlierern, wenn der gierige Forst immer wieder neue Opfer fordert.
Ein Dorf muss in "Der Fluch im Farn" dem Wald ebenfalls grausamen Tribut zollen. Einmal im Jahr kommen die Druiden und wählen einen Knaben im Alter von sechs bis zwölf Jahren aus, den sie mit sich nehmen. Doch was geschieht mit den Kindern? Werden sie zu Sklaven der Druiden oder geschieht gar Schlimmeres mit ihnen? Auch hier entpuppen sich die zu Beginn der Story klar als ´gut´ und ´unmoralisch´ gekennzeichneten Parteien als Marionetten einer größeren und undurchschaubaren Fügung.
"Das Verbrechen keimt in unseren Herzen, und Elend ist der Acker, der es fruchtbar werden lässt."
Ein vom Unglück verfluchter Ort ist das Dorf "Am Strand". Die Fische in der Bucht sind mager und klein, das Getreide verfault meist schon vor der Ernte. Die Dörfler sehen voller Neid reich beladene Schiffe draussen auf dem Meer vorbeiziehen. Die nahe gelegene Stadt hat alles, die Menschen im Dorf besitzen nichts. Doch weniger Neid, sondern schlichte Verzweiflung und eine drohende Hungersnot drängen die Leute zum Äussersten: Sie entfachen eines Nachts ein Leuchtfeuer an der Küste, um ein Schiff von seinem Kurs abzubringen. "Am Strand" ist für mich die überzeugendste Story des Bandes.
Die Titelerzählung "Das Flüstern zwischen den Zweigen" führt dann das Szenario weiter, das in "Der Mann aus dem Wald" schon angedeutet wurde. Die Menschen der ´Waldwacht´ erleben unsichere Zeiten: ein Krieg mit den ´Giftprinzen´ (deren Untertanen mit allerlei stärkenden Elixieren gefügig gemacht werden) steht bevor. Dann wird am Waldrand ein Elfenkind aufgefunden, auf dessen Stirn ein geheimnisvolles Zeichen prangt ("Hoffnung" oder "Verderben"?). Kurz entschlossen nehmen die Soldaten das Kind mit, das sonst zu erfrieren drohte.
Und der Leser erfährt in dieser Story auch, was es mit den Elfenohren auf sich hat: "Elfenohren wachsen mit den Jahreszeiten, sie entfalten sich im Frühjahr wie Knospen, erheben sich im Sommer zur Blüte, färben sich im Herbst und verwelken im Winter."
Genau solche Stellen sind es, die diese Storysammlung auszeichnen. Hoffman erfindet das Rad nicht neu, doch sein Blick und sein Hang zum leicht Verschrobenen, ermöglicht eine erfrischende Neuinterpretation bekannter Motive.
"Die Kerker von Abîme" ist wahrscheinlich die atmosphärisch stimmigste Erzählung. Ein ´Glücksritter´ begibt sich auf ein Abenteuer, das ihm unermesslichen Reichtum verspricht. Denn in den Kerkern von Abîme, einer vor Jahrzehnten geschleiften und ehemals reichen Abtei, sollen noch immer Schätze von ungeahnter Fülle ruhen. Und was läge da näher, als sich dort unten selber zu bedienen? Einziges Hindernis scheinen die zig Fallen zu sein, die auf unvorsichtige Schatzsucher warten. Doch sieht sich nicht jeder Glücksritter als Lieblingskind des Schicksals? Als der Held in der Stadt Abîme ankommt, erfährt er, dass die Bergung der Schätze gewissen Regeln unterliegt und dass es schon gar nicht jedem erlaubt ist, in die streng bewachte Festung zu gelangen. "Die Kerker von Abîme" kommen zwar ganz ohne blutige Effekte aus, dennoch überzeugt die langsam aufgebaute Stimmung, die man getrost als kafkaesk bezeichnen darf. Nur das Ende kam für mich zu schnell und ein wenig lustlos.
Eine weitere Variation des Waldthemas ist die Erzählung "Feenholz". In einem mittlerweile auf eine kleine Parzelle geschrumpften Waldstück lässt der Herzog eine besondere Sorte Holz schlagen. Das belebte ´Feenholz´ ist so etwas wie ein Exportschlager und (einziges) Standbein des finanziell angeschlagenen Herzogtums. Die Holzfäller des Herrschers haben jedoch keinen einfachen Job, denn das Vordringen in den Forst ist alles andere als leicht. Die Atmosphäre ist buchstäblich verzaubert und selbst die Zeit vergeht dort in anderen Massen als draussen in der Welt.
In "Grenzland" durchreist ein Gesandter des Königs die Steppe, um nach Beweisen oder Hinterlassenschaften einer vor Jahren besiegten Rasse aufzuspüren. Denn der Monarch zweifelt selber schon an der Realität des Sieges seiner Vorfahren über die Steppenbewohner. Diese werden von den Bürgern des Königreichs nur abschätzig ´Stinker´ genannt. Haben sie wirklich gelebt oder sind sie bloss Legende? In einem armseligen Dorf stösst der Gesandte des Königs dann auf eine heisse Spur...
Gekonnte Variationen des Vertrauten
Die Protagonisten in Hoffmanns Geschichten sind von jenem Typus, mit dem man sich sofort identifiziert. Nicht über die herrschende Klasse seiner Welt schreibt Hoffmann, sondern über durchschnittliche Bürger und Soldaten. Zu Beginn herrscht meist ein übersichtliches Kräfteverhältnis zwischen Gut & Böse, das der Autor im Verlauf der meisten Stories gekonnt relativiert oder auflöst. Etwas Vertrautes wird plötzlich zur Bedrohung oder umgekehrt verliert etwas Beunruhigendes seine bedrohliche Seite, indem die Protagonisten einen Blick hinter die Dinge riskieren. Die manchmal etwas floskelhaften Wendungen passen in diesem Fall gut zum altertümlichen Stil der Geschichten. Man denkt vielleicht an Legenden, die sich die Bewohner von Hoffmanns Welten am Lagerfeuer erzählen. Die subtile Kritik am Menschen, der sich die Natur untertan und letztlich seinen eigenen Lebensraum zunichtemacht, ist nie so penetrant, dass es moralinsauer wirkt. Den erhobenen Zeigefinger hat Hoffmann auch gar nicht nötig. Er stellt lediglich fest, dass es in der Natur (als dessen Teil wir uns sehen dürfen) immer zwei Seiten gibt, eine zerstörerische und eine, die Neues hervorbringt. Werden Wälder geholzt, bedeutet das für die einen Gewinn, für die anderen Verlust von Lebensraum. Leben kann sich auch auf Kosten anderer entfalten, doch treibt man es zu weit, entsteht ein Ungleichgewicht. Diese Ungleichgewichte - den Umgang mit ´Lebensraum´ generell - thematisieren Hoffmanns Stories. Und gleichzeitig sind das schmale 178 Seiten kurzweiliges Lesevergnügen.
Markolf Hoffmann, Shayol
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