Der Monstrumologe
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 2010
- 4
Der Doktor, der kleine Will und die Bestien
Das pittoreske Neuengland hat schon öfter als Schauplatz für Ereignisse herhalten müssen, die nichts weniger als den Untergang der Menschheit heraufbeschworen. Monster (und Autoren) aller Art scheinen dabei eine echte Vorliebe für hinterwäldlerische Käffer, nebeltriefende Wälder und viktorianische Friedhöfe entwickelt zu haben, ohne die man sich eine Schauermär nicht vorstellen will. Man denkt mit wohliger Beklemmung (oder wenigstens mit einem nostalgischen Schaudern) an die Grossmeister des Schreckens, an Lovecraft, King und Konsorten, die uns das Land der Pilgerväter als Hort des Grauens präsentierten.
Im "Monstrumologen" ist das fiktive New Jerusalem Heimat von Dr. Warthrop und dem kleinen Will, dessen Eltern ehemals in den Diensten des Doktors standen und ihren Sohn zu einem Waisen machten, als sie einem Brand zum Opfer fielen. Als eines Abends ein Grabräuber dem Doktor die Leiche eines unbekannten Wesens bringt, das sich in sein letztes Opfer verbissen hat, kommt Schwung in die Bude. Warthrop wird ganz hibbelig, handelt es sich doch dabei um einen "Anthropophagen", ein kopfloses Monster, dessen Beissapparat sich im Bauchbereich befindet und dort einzig und gerne Menschenfleisch verarbeitet. Der Doktor konsultiert seine Folianten, liest die eine oder andere Stelle in Altgriechisch, aber eigentlich ist er sich längst sicher, dass es sich um eine echte Bedrohung handelt. Denn der Doktor ist ein Experte für allerlei Fehlwüchse der Natur, ein sogenannter Monstrumologe, der sich der Erforschung und letztlich auch der Jagd solcher abnormer Wesen verschrieben hat, von denen eines jetzt auf seinem Seziertisch liegt. Doch wie ist das Ding gestorben? Um das herauszufinden zieht der gute Doktor alle Register seiner Kunst und nicht zuletzt sein Fleischerbeil, um den monströsen Leichnam in seine Einzelteile zu zerlegen.
"Mach fix, Will Henry!"
Der Monstrumologe liegt schön schwer in der Hand und macht vorerst mit dem stimmungsvollen Schwarzweiss-Umschlag Lust aufs Lesen. Die vergeht einem aber rasch und ich muss gestehen: Das Buch hat mich ab der zwanzigsten Seite gelangweilt, später dann meist geärgert. Die Ausgangslage, die der Klappentext skizziert (ein verquerer Monsterexperte und sein jugendlicher Assistent machen Jagd auf ein, - na was wohl? -, Monster oder auch auf eine ganze Horde davon) schien mir etwa genug Material für eine flotte Kurzgeschichte herzugeben. Wie, - so rätselt man -, wird es der Autor wohl schaffen, diesen schmalbrüstigen Plot aufzubauschen und den Leser über 400 Seiten spannend zu unterhalten? Yancey versucht es von Beginn weg mit Schablonen, sowohl bildhaften als auch sprachlichen. Fast jeder Satz ist ein Klischee und auf nervtötende Weise wird die Floskel "Mach fix, Will Henry!" wie ein Mantra heruntergebetet. "Reisszähne" sind bei Yancey immer "rasiermesserscharf" und die Monster "Ausgeburten der Hölle". Na, wenn das nicht Stimmung macht. Die Dialoge sind unnatürlich, so sprach niemand, auch nicht im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Beispiel gefällig? In jener Szene fragt der Doktor den fünfzehnjährigen Malachi, was dieser gesehen habe (Der Junge ist soeben Zeuge davon geworden ist, wie seine Familie von den Anthropophagen abgeschlachtet wurde), worauf dieser antwortet: "Ich sah, wie der Schlund der Hölle sich auftat und die Brut Satans sich ergoss! Das ist es, was ich gesehen habe!"
Redet so ein Fünfzehnjähriger im Schockzustand? Immer wieder hatte ich bei diesem Buch das Gefühl, dass hier so manches nicht stimmt. Trugen Ärzte damals (Gummi)-Handschuhe und Mundschutz? Sagten sie "Teenager"? War die Substanz Adrenalin schon bekannt? Auch wenn Will seine Geschichte erst später, als alter Mann, aufschreibt, wirken solche Dinge im Text deplatziert. Und dem guten Doktor wird in Regelmässigkeit die eine oder andere Weisheit in den Mund gelegt, die über die Seichtheit des Plots hinwegtäuschen soll. Nur weil man aber Herodot und Shakespeare zitiert, entsteht noch lange keine gute Literatur.
Im Verlauf der Geschichte erfährt man, dass schon Warthrops Papa (ein noch sonderbarerer Sonderling!) mit den Anthropophagen zu tun gehabt hatte. Diese waren ein Vierteljahrhundert zuvor im Bauch eines ehemaligen Sklavenschiffes von Afrika nach Amerika geschifft worden. Nicht als Staffage für ein Kuriositätenkabinett, sondern weil der Monsterjäger-Papa die Kreaturen für ein geheimes "Zuchtprogramm" auserwählt hatte. Agenten der Konföderation bekundeten bereits Interesse an diesen Plänen. Aber es kommt, wie es kommen muss: Das Schiff erleidet noch vor seiner Ankunft Havarie und wenigstens einem Paar der gefrässigen Monster gelingt die Flucht an Land. All dies erfahren der Doktor und sein Assistent in einer Irrenanstalt, wo der einzige Überlebende des Unglücks in der letzten Stunde vor seinem Ableben diese Geschichte von sich geben darf.
Man ist, was man jagt, lässt Yancey seinen jugendlichen Erzähler räsonieren, doch menschliche Abgründe lotet der Autor mit seinen Figuren nie aus. Weiter fand ich störend, dass Yancey seiner Geschichte partout keine Frauenfiguren gönnen mochte. Diesen sind ausschliesslich die Opferrollen vorbehalten, wobei sie gerade mal von den Monstern "geschwängert" oder von den Jägern als Köder missbraucht werden dürfen. Geschähe das mit einer gewissen Ironie, - es wäre immerhin Geschmackssache. Aber so finde ich das einfach nur erbärmlich.
"All Age Horror" oder langatmige Monsterhatz?
Das grösste Problem, an dem der Roman krankt und das das Geschehen seitenlang lahmen lässt, ist die Perspektive des Erzählers. Nicht, dass es eine Besonderheit darstellte, wenn ein Waisenkind ins Zentrum einer Geschichte gestellt wird, die Liste gelungener Beispiele (von Oliver Twist bis Harry Potter) ist lang. Aber dass Yancey sich entschieden hat, seine Geschichte aus rückblickender Sicht des jugendlichen Assistenten zu erzählen, ist wenig nachvollziehbar. Bei einem Plot, der ja besonders von der Stimmung lebt, vom Ungewissen, was die Bedrohung durch diese Menschenfresser angeht, ist der Erzähler einfach ein unglaublicher Bremsklotz. Man hat stets im Hinterkopf, dass dieser Erzähler ja (leider!) überleben muss, ansonsten könnte er uns nicht mit seinem langatmigen Bericht hinhalten. Aber das eigentlich Schräge am Monstrumologen ist, dass das amerikanische Original als Horror-Roman für Jugendliche angepriesen wird! Man hat Autor Yancey in Verdacht, dass er es nicht schaffte, einen flotten Erwachsenenroman zu schreiben, so dass er das Werk halt einfach für eine jugendliche Zielgruppe ummünzte. Die deutsche Übersetzung hat man sich dann wahrscheinlich wegen der blumig-ekligen Szenen nicht als Jugendbuch zu deklarieren getraut. Die gekünstelte Sprache kann dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Story ziemlich einfach gestrickt ist. Der Monstrumologe ist ja auch kein Roman, sondern eben eine auf 400 Seiten ausgedehnte Kurzgeschichte. Und er könnte durchaus einen neuen Trend begründen, der mit dem Stempel "All Age Horror" gut bezeichnet wäre. Doch damit haben wir auch schon die Inkompatibilität. Meines Erachtens ist ein Buch entweder Horror in all seinen Facetten (und daher für Erwachsene oder für solche, die glauben, harte Kost zu vertragen) oder es ist eine Geschichte, die sich trotz unheimlicher Atmosphäre auch an Jüngere richten kann und dabei auf explizite Gewalt verzichtet. Um das Prädikat eines Jugendbuches zu erhalten, müsste die Hauptfigur des Weiteren eine Entwicklung durchmachen, was im Fall Will Henrys nicht gegeben ist. Der Waisenjunge ist und bleibt ein Hampelmann, der sich nur gelegentlich am schlechten Vorbild des Doktors "reibt", ohne der Geschichte eigene Impulse zu verleihen oder sie zu beeinflussen. Es fehlt somit eine Identifikationsfigur. Und wie legt der Autor punkto Gewalt überhaupt seine Messlatte an? Würde er dieses Buch seinen Kindern vorlesen? Die Ekelszenen sind dann aber auch so etwas wie der (einzige) lohnende Aspekt dieses Machwerks, dort läuft Yancey zu seiner "Hochform" auf und beschert uns ein paar nette Beschreibungen.
Der anfangs erwähnte Lovecraft wusste aber, weshalb man dem Grauen in Form von einer Bedrohung durch Monster nicht unbeschränkt Raum widmen kann. Eben weil sich der Effekt des "Was-lauert-denn-da-im-Dunkel-und-wird-mich-gleich-anspringen?" bald abnutzt. Natürlich darf man als Autor (und auch als Leser) trotzdem Ungeheuer lieben. Dabei bewirken letztlich Handwerk und Talent eines Autors (der das Menschliche und Zwischenmenschliche dazu nimmt), ob aus der Monsterstory eine spannende Geschichte wird. "Der Monstrumologe" ist von Anfang an klischeebehaftet, Spannung kommt nie auf und die Charaktere bleiben Totgeburten. Da helfen auch kein scharfes Riechsalz, kein Blut und kein spritzendes Gehirngewebe, um diese Geschichte zum Leben zu erwecken.
Aber Obacht! Yancey wird von seinem Konzept nicht lassen, denn er hat uns bereits weitere Bände der frivolen Monsterhatz angedroht! Auf Englisch ist der zweite Teil mit dem Titel "The Curse oft the Wendigo" schon erschienen. Und ich denke, da geht es ganz "fix" und der trudelt auch bei uns in die Läden.
Rick Yancey, Bastei-Lübbe
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