Säule der Welten
- Heyne
- Erschienen: Januar 2010
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Zoom in einen von Virgas Mikrokosmen
Die Clique aus "Planet der Sonnen" ist in alle Winde zerstreut. Die Flotte Admiral Fannings, der im Namen Slipstreams auszog, um der Nation der Falken mit einem Überraschungsangriff aufzuwarten, ziemlich dezimiert. Der Admiral selber vielleicht schon tot. Und seine Frau, das mit allen Wassern gewaschene Blaublut Venera Fanning, befindet sich im freien Fall auf das Habitat Spyre. Nur mit Glück (das einem Lottogewinn gleichkommt) überlebt sie den Absturz auf Gross-Spyre. Nicht zuletzt dank dem Outlaw und alternden Gigolo Garth Diamandis, der diesem Glück wesentlich nachhilft, indem er Veneras tiefen Fall mit ein paar Auffangnetzen dämpft. Er bringt die fast Leblose in seine Hütte und pflegt vorerst mit feuchten Tüchern den Sonnenbrand, den sie sich bei ihrem Flug durch Virgas Lüfte geholt hat. Wie durch ein weiteres Wunder ist Venera noch immer im Besitz des Schlüssels zur künstlichen Sonne Candesce. Nicht nur Symbol der Macht, sondern auch ein realer Trumpf im Kampf um die Vorherrschaft unter Candesces Prinzipalitäten. Kaum erholt, macht sich Venera Gedanken, wie sie diese Welt wieder verlassen kann, denn der Schlüssel zu Candesce könnte ihrer Heimat Slipstream im Konflikt mit ihren Feinden den entscheidenden Vorteil bringen. Doch vorerst muss sie wohl oder übel Bekanntschaft mit Spyres etwas eigenartigen Bewohnern machen.
Venera Fannings politische Robinsonade
Was in "Planet der Sonnen" als abenteuerliche Odyssee begann, mündet in "Säule der Welten" in räumlich überschaubare Dimensionen. Nach den ersten Seiten hatte ich die Vermutung, dass sich Schroeder nun bei einer stillen Robinsonade auf dem abgewrackten Habitat Spyre von seinem weitschweifigen ersten Teil erholen wollte. Doch weit gefehlt, denn die Beschränkung auf nur einen Schauplatz soll in diesem Fall nichts über die Komplexität der vorliegenden Geschichte aussagen. Mit der Landung auf Spyre bringt unser ´Robinson´ Venera auch gleich den guten Schwung der Vorgeschichte mit und damit die Lebensgewohnheiten der Habitat-Bewohner gehörig durcheinander. Dieses Spyre darf man sich als einen gigantischen Hohlzylinder vorstellen. An der Aussenhülle angebrachte Düsen versetzen diesen in Rotation. Umgeben von einer Wolke aus Stacheldraht und Minen kapseln sich seine Bewohner seit Jahrhunderten von ihrer Umwelt ab. Die Gruppe der Konservationisten versucht mit Verlagerungen von Gewichten und Gegengewichten die Rotation aufrecht zu erhalten. Denn die besten Zeiten Spyres, das primär vom Handel und vom Export lebt, sind längst vorbei. Oder anders gesagt: es ist nur eine Frage der Zeit, bis das ganze Ding in seine Einzelteile zerfällt, denn faktisch ist Spyre nichts als ein Haufen Schrott.
Weitaus seltsamer mutet die politische Gliederung dieser Welt an. Man kann durchaus behaupten, dass man schon nach dreissig Seiten komplett den Überblick über das Wer? und das Was? verliert. Grob gesagt ist das Habitat in zwei Teile, in Gross- und Klein-Spyre gegliedert, welche wiederum in dutzende Nationen unterteilt sind.
Trotz der gewaltigen Ausmasse dieses Zylinders darf man sich die meisten dieser Nationen nicht grösser als ein Fussballfeld vorstellen. Mauern und Stacheldraht markieren die Hoheitsgebiete der jeweiligen Nationen. Wer diese Grenzen nicht respektiert, riskiert, von Söldnern über den Haufen geschossen zu werden. Und in diesen Schrebergarten-Staaten werden verständlicherweise auch seltsame Gebräuche und Paranoia gepflegt. Jedes dieser Hoheitsgebiete handelt mit irgendeiner typischen Ware, die den Staatsapparat finanziert. Auf dem wöchentlichen Markt werden diese Waren dann zum Verkauf angeboten, eine Art venezianischer Maskenball, den auch Touristen und Handelsreisende von ausserhalb Spyres aufsuchen.
Nach ihrer Ankunft auf Spyre wird Venera eher ungewollt Bürgerin von Liris, einer Zwergnation, die sich auf die Kultivierung von Kirschen spezialisiert hat. Und das unter der Führung einer charismatischen Herrscherin, schlicht ´die Botanikerin´ genannt. Die direkte Konfrontation unserer Heldin mit der Gebieterin scheint vorprogrammiert und am Ende des Zickenkriegs stösst Venera tatsächlich Liris´ Herrscherin vom Thron. Wenn erstere dabei auch einen herben Verlust hinnehmen muss: den Schlüssel von Candesce. Doch Veneras rasanter Aufstieg in der politischen Gesellschaft Spyres ist unumgänglich. Es gelingt ihr letztlich durch geschickte Inszenierung, sich als Erbin der Nation Buritan auszugeben. Der Turm von Buritan wartete zuvor seit Jahrhunderten auf die Rückkehr seiner rechtmässigen Erben. Und der Rat der Nationen erkennt letztlich, - wenn auch widerwillig -, Veneras Legimität an.
Inzwischen verfolgt das einflussreiche Sacrus eigene finstere Pläne. Will die Nation gar ihre Heimat Spyre opfern, um mithilfe des Schlüssels zu Candesce zu höherer Macht in den Prinzipalitäten zu gelangen? Und auch Venera Fanning scheint Blut geleckt zu haben, wie immer, wenn es darum geht, irgendwelche Machtansprüche geltend zu machen. Ihr Agieren ist ein Kratzen an jahrhundertealten Krusten und es wundert niemand, dass darunter ein gärender Sumpf des Unmuts und der Unterdrückung liegt. Es gelingt Venera ein paar Nationen, eine Gruppe von Revolutionären und die Konservationisten auf ihre Seite zu bringen um gemeinsam gegen Sacrus vorzugehen. Im Kugelhagel der Revolte kommt es zu einer erneuten Begegnung mit Margit, der Botanikerin von Liris. Die Lady, selbstverständlich eine Agentin von Sacrus, scheint inzwischen komplett wahnsinnig geworden zu sein. Sie nennt sich schon mal ´Königin von Candesce´ (und dies wäre auch die Entsprechung des englischen Originaltitels) in Anlehnung an das von ihr begehrte Artefakt. Doch wie weit kann jede der Konfliktparteien gehen, ohne Spyre den eigenen Ansprüchen zu opfern?
Sitzt, passt, wackelt und hat Luft
Was dem ersten Teil der Trilogie noch anzukreiden war, nämlich, dass der Autor uns Leser mit (zu) vielen Schauplätzen strapazierte, gilt nicht für "Säule der Welten". Fast die ganze Handlung spielt auf dem lotterigen Habitat Spyre. Dafür wird die Geschichte zu einem komplizierten Vexierspiel der Nationen und Gruppierungen. All die verschiedenen Parteien tragen nicht gerade dazu bei, dass sich der Leser heimisch fühlt. Die ganzen Ränke wirken mit der Zeit etwas konstruiert und widerstreben einem bald. Irgendwie fehlt dem Roman der rote Faden, die Handlung verläuft sprunghaft und man hat das Gefühl, der Autor habe sich ganz seinen Launen und Einfällen hingegeben (was ja nicht immer negativ sein muss). Beispielsweise hatte mich die Szene verblüfft, als Venera plötzlich (kurzzeitig) das Habitat auf offiziellem Weg verlässt. Als Leser spürt man da, dass sich der Autor über seine selber gesteckten Grenzen (das Habitat als Schauplatz) hinwegsetzte.
Weiter verzichtet Schroeder in diesem Teil auf polyperspektivische Erzähltechnik und konzentriert sich fast ausschliesslich auf Venera Fanning. Diese ist als zickiges Blaublut nicht immer Sympathieträgerin und mir fehlte da eine etwas bodenständigere Figur, die einen anderen Blick auf das Geschehen zuliesse. Die Geschichte ist ein überfrachtetes Kammerspiel, das nicht ohne Reiz bleibt, wenn auch "Säule der Welten" wegen einiger Verweise auf den ersten Band besser nicht als eigenständiges Buch gelesen werden sollte.
Trotzdem: Die Welt, die Schroeder entwirft, ist komplex, originell und bildhaft. Hingegen hapert es meiner Meinung nach daran, dass der Autor gelegentlich selber nicht so recht an die Faszination seines Weltentwurfs glaubt. Dafür tischt er uns immer noch eine Idee und noch einen Hintergrund auf. Leider ist in diesem Fall ´mehr´ nicht wirklich ´mehr´. Die Beschränkung auf ein paar der Ideen in "Säule der Welten" hätte der Geschichte mehr Klarheit verliehen und dem Leser etwas mehr Raum für eigene Ausschmückungen gelassen. So ist es eine überfrachtete Traummaschine mit technischen Mängeln, um beim Bild des alternden Habitats Spyre zu bleiben.
Trotzdem bin ich der Meinung, die Welt Lyra hätte nicht nur für ihren Autor einer der ganz grossen Würfe in der Science Fiction werden können. Die sprachliche Umsetzung ist dann aber doch dürftig geraten, die Figuren wirken zum Teil eher wie Schauspieler eines Schultheaters als wie echte Menschen und daher übertrieben und unecht. Dennoch bleibt letztlich eine kindliche Faszination für die Welt Virga zurück. Und ich kann mir vorstellen, dass Schroeder noch den einen oder anderen Strauss Ideen aus seinem Ärmel zaubert.
Karl Schroeder, Heyne
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