Zwischen Nacht und Dunkel

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2010
  • 9
Zwischen Nacht und Dunkel
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Verena Wolf
91°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2010

Der König des Horror lässt uns atemlos zurück

"Die Storys in diesem Band sind hart. Vielleicht ist es Ihnen teilweise schwergefallen, sie zu lesen. Dann seien Sie versichert, dass es mir stellenweise ebenso schwergefallen ist, sie zu schreiben." So beginnt Kings lesenswertes Nachwort zu den vier düsteren Novellen, die in "Zwischen Nacht und Dunkel" auf den Leser lauern. Damit ist die stringente Grundstimmung der vier thematisch sehr unterschiedlichen Novellen festgezurrt. In allen vier Storys taucht man mit jeder Seite vielleicht tiefer als man will in die Abgründe der menschlichen Seele ein. Und das ist - wie King zu Recht schreibt und wie so oft bei ihm - kein sonniger Spaziergang mit Vogelgezwitscher. Die Geschichten hätten gut unter Kings Pseudonym "Richard Bachmann" herausgegeben werden können, unter dem er früher seine eher psychologisch ausgerichteten Romane bündelte. Den rein übersinnlichen, fantastischen Horror à la "Es" findet man hier nicht. Vielmehr lotet King das Monster im Menschen aus und gleichzeitig eins seiner Lieblingsthemen: ganz normale Personen und wie sie sich in höchst außergewöhnlichen Situationen verhalten.

"1922" ist die längste Geschichte des Bandes und von ungeheuer dichter Atmosphäre. Als Leser wird man hineingeworfen in die einsame, karge Farmlandschaft der USA, nur einige Jahre vor dem größten Wirtschaftscrash, der die Vereinigten Staaten - bis dahin - erschüttern sollte. Die Hauptfigur ist der introvertierte Farmer Wilf, der sich verbissen an sein einziges Lebenskonzept klammert: Farmer zu sein. Diesen Traum verteidigt er gegen jede Gefahr, auch gegen seine eigene Ehefrau, als sie es wagt, zumindest zu überlegen, aus der Enge auszubrechen. King erzählt scharf beobachtend, wie Wilf die aus seiner verzerrten Sicht fast logische Entscheidung trifft, seine Frau umzubringen, um so ihr Erbe, ein großes Stück Land, zu sichern. Aber er und sein Komplize, der gemeinsame Sohn, erholen sich nie von der Tat - die in allen horrormäßigen Details mehr als plastisch von King dargestellt wird. Wie Vater und Sohn bezahlen, wird mit die Kehle zuschnürender Konsequenz aus Wilfs Sicht berichtet. Die unmittelbare Nähe zur Handlung und den Figuren, deren Atem man fast auf der Haut zu spüren glaubt, macht diese Novelle aus. Und das Ende ist klassisch King.

In "Big Driver" wird die Krimiautorin Tess vergewaltigt. Tess wird dadurch in den Grundfesten erschüttert und sie findet sich in einer Situation wider, die an das Leben ihrer erfundenen Figuren erinnern. Sie muss sich einem Verbrechen stellen, den Täter finden und dann die nächsten Schritte abwägen. Der große Unterschied ist, sie ist selbst das Opfer. Schock und Schmerz sind beängstigend real. Dazu passend schlägt die Handlung einige Kaninchenhaken, die geradezu notwendig sind, da sie nicht so glatt - und konstruiert - läuft wie viele erfundene Handlungen. Dadurch wird der Unterschied zu den harmlosen Miss-Marple-artigen Krimis von Tess betont und King beweist zugleich elegant, dass er eine Geschichte so real stricken kann, dass man völlig vergisst, dass auch sie nur Fiktion ist.

In "Faire Verlängerung" geht der todkranke Streeter einen Pakt mit dem Teufel ein. Nur hier wird wirklich eine phantastische bzw. unrealistische (so hoffen wir einmal, vielleicht weiß King es besser?) Ausgangssituation für die Geschichte gewählt. Wirklich teuflisch ist jedoch die Erbarmungslosigkeit, mit der Streeter sein eigenes Glück über das seines besten Freundes stellt. King zeigt dies dem Leser unerbittlich und bis zum Ende. Diese Geschichte fällt auf sehr hohem Niveau aber ein wenig im Vergleich mit den anderen drei Geschichten ab.

Da bleibt "Eine gute Ehe" eindringlicher hängen. King wählt eine weibliche Protagonistin, die sich geborgen wähnt in ihrem Leben und ihrer Ehe und dann entdecken muss, dass sie den eigenen Ehemann offensichtlich überhaupt nicht kannte. Die täglichen Rituale, die Kleinigkeiten, die eine behagliche Sicherheit suggerieren, sind der Boden, auf dem King dann wie eine Bombe die Erkenntnis fallen lässt, die alles verändert. Die Unschuld ist verloren. Wie die Frau ihrem Mann mit dem jetzigen Wissen gegenüber tritt und was sie tun kann und was nicht, lässt die Buchseiten dahin rasen, ohne dass viel Blut fließen muss.

King beweist in diesen vier Kurzromanen mit intelligenter Sicherheit, dass er der Meister seines Genres ist. Mit einer Leichtigkeit beschwört er das Grauen herauf, dass man denkt, man liest nicht nur, sondern sieht, fühlt, schmeckt und hört. Nie schön, aber grauenvoll gut.

(Verena Wolf, September 2011)

Zwischen Nacht und Dunkel

Stephen King, Heyne

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