Almuric

  • Edition Phantasia
  • Erschienen: Januar 1973
  • 2
Almuric
Almuric
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2020

Unschuldige Freude am gelungenen Totschlag

Stets war Esau Cairn ein Außenseiter - bärengroß und stark, schlicht im Gemüt und einem Ehrgefühl verpflichtet, das sich nur bedingt mit dem geschriebenen Gesetz deckt. Als er einem Schurken auf den Leim geht, diesen zur Rede stellt und anschließend im Zorn erschlägt, will er sich zwar der Polizei stellen. aber im Kampf den Tod finden, statt elend auf dem elektrischen Stuhl zu enden.

Der flüchtige Cairn gerät an den mysteriösen Professor Hildebrand, dem er gerade recht zur praktischen Erprobung seiner neuen Erfindung kommt: Hildebrand kann ungeachtet der Beschränkungen, die ihm die Naturgesetze auferlegen sollten, mit einer Art Maschine fremde Sterne und Planeten nicht nur betrachten, sondern auch Menschen dorthin schicken! Cairn schlägt er eine Reise ohne Wiederkehr zum Planeten „Almuric“ vor, was dieser umgehend annimmt.

Nackt landet Cairn auf der fremden Welt, deren Bewohner ihn nicht mit offenen Armen, sondern weit geöffneten Mäulern und allerlei spitzen Waffen empfangen. Unter diesen Bedingungen blüht der ehemalige Erdmensch auf und schafft es, sich einen Platz unter den örtlichen Kriegern der schlagfreudigen Guras aus der Stadt Koth zu sichern. Unter den Haudrauf-Kumpanen fühlt sich Cairn heimisch; außerdem hat die hübsche Altha ein Auge auf ihn geworfen.

Aus seligem Prügelspaß wird Ernst, als Altha von den geflügelten Yagas entführt und in die düstere Stadt Ugg verschleppt wird. Cairn folgt ihr, wird gefangengenommen und vor die grausame Königin Yasmeena geführt, die ihn so deutlich als Mann wahrnimmt, dass sogar Cairn es bemerkt und schaudernd die Flucht ergreift. An der Spitze eines gewaltigen Heers verbündeter Guras, die es satthaben, ständig vor den Yagas zu zittern, kehrt Cairn nach Ugg zurück …

Triumph des puren Abenteuers

Pulp - die blanke Lust am reinen, aber keineswegs „politisch korrekten“ Abenteuer! Ohne Rücksicht auch auf Logik (oder Naturgesetze) werden (in der Regel) Männer in gefährliche, bizarre, gruselige Situationen verwickelt, aus denen sie sich entweder einfallsreich (selten) oder kampfstark (üblich) herauswinden (und dabei oft eine Frau retten) müssen.

Die große Zeit der Phantastik-Pulps begann in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, doch reichen Vorläufer viel weiter zurück. Pulps beschränkten sich nicht auf die USA, auch wenn sie anderenorts nicht so genannt wurden. Als sie aufzublühen und sich wie Löwenzahn auf dem Rasen der Populärliteratur zu verbreiten begannen, fand eine Vielzahl oft junger Autoren einen zwar miserabel bezahlenden, aber stets nach Material gierenden Markt. Wer schnell schrieb und sich gut mit der Redaktion stellte, konnte hier durchaus seinen Lebensunterhalt verdienen.

Zu denen, die bald wussten, wie dieser Hase lief, gehörte Robert E. Howard (1906-1936), der in seinen wenigen Lebensjahren ein ebenso produktiver wie einfallsreicher und deshalb bei den Lesern beliebter Autor wurde. Tatsächlich gehört Howard zu denen, die mitverantwortlich für die nachträgliche Pulp-Nostalgie sind. Seine energischen, schlagkräftigen Helden hießen Bran Mak Morn, Kull von Atlantis oder Conan von Cimmerien. Doch Howards Schaffen beschränkte sich nicht auf deren Taten. Er sprudelte förmlich über vor Ideen - und er war sich der finanziellen Vorteile einer gut laufenden Serie bewusst.

Alte Bekannte auf neuem Planeten

„Almuric“ ist wohl einer von Howards diesbezüglichen Versuchsballons, obwohl die Entstehungsgeschichte nicht ganz klar ist. Es überrascht, dass Howard seinen recht umfangreichen Text nicht zur Veröffentlichung eingereicht hat; er war in dieser Hinsicht sehr routiniert: Was fertiggestellt war, wurde den Pulp-Redaktionen angeboten. Dagegen erschien „Almuric“ dreiteilig erst drei Jahre nach Howards Tod in den Mai- bis Juli-Ausgaben 1939 des Magazins „Amazing Stories“. Es gibt deshalb die Frage, wieviel Howard faktisch in „Almuric“ steckt. Zweifellos hat jemand den Text überarbeitet und womöglich abgeschlossen; in Verdacht geriet vor allem Otis Adelbert Kline (1891-1946), der u. a. eine Serie von Storys geschrieben hatte, die den auf dem Mars bzw. der Venus spielenden John-Carter- bzw. Carson-Napier-Garnen des Schriftstellers Edgar Rice Burroughs (1875-1950) nicht nur glichen. (Joe R. Lansdale, der selbst Schriftsteller ist und gut über das Phantastik-Genre und seine Historie Bescheid weiß, informiert in einem ausführlichen Nachwort über „Almuric“.)

Burroughs‘ und Klines Serien werden auch deshalb erwähnt, weil auffällige Parallelen zu „Almuric“ existieren. So fällt die Nonchalance, wenn nicht Gleichgültigkeit auf, mit der Esau Cairn auf den fernen Planeten ‚reist‘: Howard (er sei hier als eigentlicher Autor von „Almuric“ betrachtet) drückt sich um Beschreibung und ‚Erklärung‘. Für die von ihm geplante Story ist die Weltraumfahrt absolut unwichtig. Der Beugung einschlägiger Erwartungen fügt sich nach dem Willen des Verfassers auch der ‚fremde‘ Planet Almuric, dessen Bewohner ausnahmslos Englisch sprechen. Es gibt also keinen langwierigen Lernprozess zwecks Kommunikationsaufnahme. Die wird stattdessen im Howard-Stil zelebriert: Wer gegen Cairn ist, wird von diesem im „fairen Kampf“ zusammengeschlagen und ist anschließend entweder mausetot oder mutiert zum Kameraden. So sieht in diesem Umfeld ein echter Mann aus!

Ungeachtet der simplen Handlung weist „Almuric“ den ‚Howard-Touch‘ auf. Der Autor war ein genialer Geschichtenerzähler mit einem bemerkenswerten Verständnis für Atmosphäre und Timing. Ohne sich in unwichtigen Details zu verlieren, greift sich Howard heraus, was simple Action plastisch und stimmungsstark werden lässt. Wucht und Verve dokumentieren noch heute Howards Talent, was mit den weniger erfreulichen Aspekten seines Werkes versöhnt.

Keine Zeit für Fragen

So lässt sich natürlich kritisieren, dass Howard „Freund“ und „Feind“ recht eigenwillig bzw. weit jenseits heutiger Toleranzgrenzen darstellt. Ihn deckt sein Status als Mitglied einer Gesellschaft, die „Rassismus“ oder „Chauvinismus“ anders definierte als die Leser des 21. Jahrhunderts. Als solcher muss man selbst entscheiden, ob man beispielsweise akzeptiert, dass die männlichen Guras gorillaähnliche Troglodyten sind, während ihre Frauen außerordentlich menschenähnlich sowie hübsch sind. Die Gura-Männer können dabei von Glück sprechen, denn normalerweise ist „hässlich“ im Howard-Universum identisch mit „böse“; ein Klischee, dem die Yagas entsprechen.

Dass deren Königin Yasmeena trotz ihrer Flügel trügerisch hübsch wirkt, interpretiert Howard als Indiz besonderer Tücke. Yasmeena ist eine kluge Frau und Herrscherin, was in den 1930er Jahren darauf hinwies, dass etwas nicht stimmte. Die ‚gute‘ Frau beugte sich wie die weiblichen Guras ihren Männern, die sie beschützen und schätzen, ohne sich von ihnen dreinreden zu lassen - ein Frauenbild, das Howard heutzutage in den Sog der „#MeToo“-Bewegung reißen würde, obwohl man ihn vielleicht falsch einschätzt: Es ist Altha, die ganz selbstverständlich die Initiative übernimmt, als ihr der Erdmann gefällt - und in gerechte (und gerechtfertigte) Wut gerät, als der naive, verwirrte Cairn einfach nicht begreift, was die/eine Frau von ihm will. Hat Howard den Witz dieser Episode gewollt? Falls ja, war er ein besserer Schriftsteller, als es die Kritik ihm zubilligen möchte …

„Almuric“ weist keinen straffen roten Handlungsfaden auf, sondern zerfällt in Episoden, die sich final eher schwerfällig zu einem Gesamtgeschehen formen. Meist gerät Cairn an wilde Tiere, Monster oder feindselige Stämme, deren Mitglieder ihn fangen oder töten wollen. Es entspinnen sich wüste Kämpfe, die Cairn mit letzter Kraft für sich entscheiden kann. Erst der Sturm auf Ugg folgt einer (lockeren) Dramaturgie, wobei das Finale recht abrupt kommt: Womöglich endete hier Howards Manuskript, aber eigentlich benötigte es kein ‚richtiges‘ Ende. „Almuric“ war eine brauchbare Basis für Fortsetzungen. Howard fügte mehr als genug Andeutungen ein, die in diese Richtung wiesen. Er dachte sogar an den von ihm verehrten Horror-Großmeister H. P. Lovecraft (1890-1937) und platzierte Almuric in ein Universum, in dem die von diesem geschaffenen kosmischen ‚Götter‘ ihr Unwesen trieben. Doch Esau Cairn blieb nach dem Tod seines Schöpfers verschollen. Dass seine (Un-) Taten auch hierzulande weiterhin präsent sind, ist erfreulich für jene Leser, die ihre Fantasy nicht unbedingt ‚episch‘ (= unendlich ausgewalzt) wünschen und hier zugreifen können - dies ungeachtet eines Covers, das vom Bucherwerb anscheinend abhalten soll.

Fazit:

Einerseits inhaltlich grob und holprig strukturiert, aber gleichzeitig vor fantastischer ‚Action‘ überquellend bietet „Almuric“ simples, triviales und klischeeschweres Abenteuer, ohne jedoch Stimmung und vor allem Schwung vermissen zu lassen: Dies ist „Pulp“ in Reinkultur - und als solcher weiterhin unterhaltsam!

 

Almuric

Robert E. Howard, Edition Phantasia

Almuric

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