Der letzte Tag der Schöpfung
- Nymphenburger
- Erschienen: Januar 1981
- 6
Verloren im Pliozän
Wolfgang Jeschke dürfte den meisten Science Fiction-Lesern als Herausgeber von Anthologien und diverser Verlagsreihen bekannt sein. Dass sein erzählerisches Werk im Vergleich zu seiner editorischen Tätigkeit zwar schmaler, aber nicht weniger bedeutend ausfällt, zeigt gerade sein erster Roman "Der letzte Tag der Schöpfung", der mittlerweile dreißig Jahre auf dem Buckel und noch nichts von seiner Frische eingebüßt hat.
Der flüssige ´amerikanische´ Stil des Buches trug offenbar damals zu seinem (internationalen) Erfolg bei. Schon 1982, ein Jahr nach der deutschen Erstveröffentlichung, folgte die Übersetzung "Last Day of Creation" für den englischsprachigen Markt. Merkwürdigerweise hatte ich beim Lesen stets das Gefühl, dass das Buch genau den umgekehrten Weg (also die Übersetzung aus dem Amerikanischen) gegangen sei. Das mag auch mit dem Thema Öl und seinen Debatten zusammenhängen, die in Amerika ja stets mit großer Polemik geführt werden. Wer hat nicht noch einige Parolen im Hinterkopf, die oft mit den Worten "Wenn das Öl in x Jahren dann alle ist..." anfangen. Diesen Hintergrund nimmt sich Jeschke zur Vorlage und spinnt daraus ein Garn, bei dem die Amerikaner den Versuch wagen den Arabern/Nordafrikanern das Öl unter den Füßen abzupumpen. Und das, bevor überhaupt der erste homo sapiens den Schauplatz unseres Planeten betreten hat!
Drei anachronistische Funde
Das Buch ist formal in drei Teile eingeteilt. Im ersten ("Spuren") geht es um drei Artefakte, welche unabhängig voneinander bei wissenschaftlichen Grabungen oder schlicht durch Zufall ans Tageslicht und später in den Fokus von geheimdienstlichen Interessen geraten. Die Berichte sind in sich abgeschlossen und machen als kurze Texte, die untereinander noch über wenige Zusammenhänge verfügen, neugierig auf die übergeordnete Thematik der Fundgegenstände. Die stammen wiederum alle aus dem Mittelmeerraum.
Bei der ´Flöte des hl. Veit´ handelt es sich demnach gar nicht um ein Musikinstrument und auch nicht um das beste Stück des Heiligen, wie lange vermutet wurde, letztlich noch nicht mal um einen organischen Gegenstand, sondern um einen Fetzen Schlauch einer Pilotenmaske. Doch wie geschah es, dass kalabrischen Fischern im 14. Jahrhundert (!) ein solcher Gegenstand ins Netz geriet? In den Jahrbüchern der Kirche wurde der anachronistische Fund jedoch eindeutig verzeichnet. Seither verehrte man ihn als eine Reliquie, aber erst am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts bieten einige unglaubliche Spekulationen eine denkbare Erklärung für die Herkunft des Schlauches. Zwei weitere ´unmögliche´ Gegenstände erhärten den Verdacht, dass im Mittelmeerraum Dinge existieren, die neuzeitlichen Ursprungs sind aber gleichzeitig über eine Million Jahre gealtert. Ein Paradoxon? Nicht, wenn man in Betracht zieht, dass diese Materialien durch Zeitreisen in die Vergangenheit gerieten und die Jahrtausende bis in unser Heute überdauerten.
Das Mittelmeer, eine Salzwüste?
Das Kolorit von "Der Letzte Tag der Schöpfung" ist eindeutig den Sechzigern und Siebzigern verpflichtet: im Kalten Krieg wird rege wettgerüstet und die Apollo-Missionen und ihre sowjetischen Pendants sind noch in aller Munde. Wer zuerst im Weltraum, auf dem Mond, auf dem Mars sein würde, verspricht sich davon die Vormachtstellung. Doch kaum erreichen die Amerikaner als erstes den Mond, wird es verhältnismäßig still um die Raumfahrt. Gelder werden von geplanten Projekten abgezogen und es gibt Gerüchte, dass die russische und die amerikanische Großmacht längst in einem neuen Wettstreit liegen, wo es um viel mehr als Ruhm und Ehre geht. Nämlich um Zeitreisen, von denen man sich immense wirtschaftliche Vorteile verspricht. Die U.S.A. planen in die Erdgeschichte zurückzureisen, wo die Weichen für die - aus amerikanischer Sicht - optimale Verteilung der Energieressourcen neu gestellt werden sollen. Oder ganz konkret: ein Versuch den heutigen Ölförderstaaten in Nordafrika und im mittleren Osten das Öl abzupumpen. Pipelines durch das vor ca. 5 Millionen Jahren trocken liegende Mittelmeer sollen das schwarze Gold zu futuristischen Förderanlagen in der Nordsee transportieren, wo es von modernster Technologie in die Gegenwart befördert wird. Was als reichlich spinnerte Idee anmutet, selbst für eine SF-Story, besitzt aber durchaus seinen Reiz. Denn der Einfall beruht auf einer wissenschaftlichen Theorie, die zur Zeit der Entstehung des Romans noch nicht viel mehr als Spekulation war. Heute gilt es als gesichert, dass die Gegend des Mittelmeerraums vor Jahrmillionen eine ganz andere Landschaft bot. Das Meer war ein riesiges Verdunstungsbecken, das in seiner Geschichte wiederholt trocken gelegen hatte. Weil mehr Wasser verdampfte als die großen Flüsse Nil, Rhône und der Zufluss aus dem Schwarzen Meer zulieferten und da die Straße von Gibraltar noch nicht existierte. Das Festland bildete dort einen natürlichen Damm, der später einbrach und den Zustrom aus dem Atlantik gewährleistete. Dieser erdgeschichtliche Fakt dient dem Roman als pittoreske Kulisse.
Großer Pfusch der Militärs
Im zweiten Teil ("Das Chronotron-Projekt") werden einige Angehörige der Navy oder NASA porträtiert, die für ein geheimes Projekt der Regierung angeworben werden und sich bei einer ersten Informationsveranstaltung begegnen. Auch die Hauptfigur Steve Stanley verpflichtet sich wie viele andere unter absoluter Geheimhaltung für das Chronotron-Projekt. Im dritten Teil ("Das Unternehmen Westsenke") wird er nach der Rekrutierungszeit zusammen mit seinem Kameraden Jerome Bannister von einem Flugzeugträger im Mittelmeer aus in einer Zeitkapsel in die Vergangenheit entsandt. Mit ihnen hunderte Soldaten. Man hat ihnen schon während der Ausbildung klar gemacht, dass die Kapseln aufgrund eines Streuungseffektes in einem Zeitraum von Monaten bis Jahren auseinander liegend ankommen können. Und selbstverständlich ist bei ihrer Ankunft alles ein wenig anders, als von den hohen Militärs vorausgesehen. Die ruppige Landung überstehen Bannister und Stanley zwar relativ unbeschadet, aber schon wenig später zwingt sie die unerwartete Situation zu einer Neubeurteilung der Lage. Das Gebiet ist offensichtlich radioaktiv verseucht und obendrein verlangt eine ´feindliche´ Stimme über Funk die Preisgabe ihrer Koordinaten, wovor ein anderer Funker wiederum warnt. Mit Feindkontakt hätten die beiden eigentlich nicht rechnen müssen. Schon die Reise zur Basis wird immer wieder durch feindliche Aktionen erschwert und dort angekommen, zeigt sich, dass die Amerikaner nichts als ein armseliges Häufchen Gestrandeter sind, von denen sich einige aufgrund des falsch berechneten Streuungseffektes bereits im Greisenalter befinden. Sie alle hoffen, dass es den verantwortlichen Militärs ´zuhause´ gelingt, sie zurückzuholen. So wie es scheint, haben die Generäle durch ihr Handeln nicht nur hunderte Menschenleben geopfert, sondern dadurch auch noch die Zeitenfolge durcheinander gebracht. Einige von den Gestrandeten stammen offenbar aus verschiedenen alternativen Zukünften und nicht in allen davon nehmen die USA die Position der ersten Weltmacht ein. Düstere Prognosen...
"Der Letzte Tag der Schöpfung" ist die Geschichte von Soldaten, die letztlich Opfer eines bewusst in Kauf genommenen Risikospiels der Generäle werden. Aus ihrer Zeit katapultiert, müssen sie sich in einer fremden Welt zurechtfinden, im Wissen vielleicht niemehr zurückzukehren. Der Roman liest sich in einem Schneuz wie ein Blockbuster und besonders gelungen sind die Schilderungen der technologischen Aspekte der Zeitreise, die absolut realistisch wirken. Eine eindrückliche Vision, die, - wie Jeschke in seinem Nachwort bedauert -, noch immer auf eine Adaption Hollywoods wartet.
(Thomas Nussbaumer, Januar 2013)
Wolfgang Jeschke, Nymphenburger
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