Die phantastische Reise

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  • Erschienen: Januar 1983
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Die phantastische Reise
Die phantastische Reise
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2006

Im Mikro-U-Boot durchs Agentenhirn

In einer zeitlich nicht spezifizierten Zukunft* dauert der Kalte Krieg zwischen den Supermächten des Westens und des Ostens unvermindert an. Als der berühmte Wissenschaftler Jan Benes zu den US-Amerikanern überlaufen will, wird er dort mit offenen Armen empfangen - und als abtrünniger Geheimnisträger von den Sowjets erbittert verfolgt. Nach einem Mordanschlag erreicht Benes seine neue Heimat nur im Koma; ein Blutgerinnsel im Hirn wird ihn bald töten. Es muss operativ entfernt werden, liegt aber viel zu tief, um mit bewährten Methoden behandelt werden zu können.

Nun treten die "Kombinierten Miniatur-Abwehr-Streitkräfte" auf den Plan. Eine revolutionäre Technik ermöglicht es, Objekte und Lebewesen auf Mikrobengröße schrumpfen zu lassen. Noch ist sie nicht ausgereift, doch der verzweifelte Versuch, Dr. Benes zu retten, führt zum Einsatz der "Proteus", die eigentlich als U-Boot gebaut wurde. Unter dem Kommando ihres Konstrukteurs und Erbauers Captain Owens soll es verkleinert werden und durch Benes’ Adern bis zum Gerinnsel vordringen, wo Dr. Duval, Spezialist für Operationen am Gehirn, ihm mit einem Laser zu Leibe rücken wird. Mit an Bord sind Dr. Michaels, der als Lotse fungiert und die "Proteus" an ihr Ziel steuern will, der Kommunikationsfachmann und Taucher Charles Grant sowie Dr. Duvals Assistentin Cora Peterson.

Die Miniaturisierung glückt, und das Quintett findet sich in einer bizarren Welt voller Wunder und Gefahren wieder. Körpereigene Antikörper jagen die Eindringlinge, eine Schockwelle bringt sie weit vom Kurs ab, der Sauerstoffvorrat geht aus. Ohnehin ist diese phantastische Reise ein Kampf gegen die Zeit, denn nach 60 Minuten werden die "Proteus" und ihre Besatzung ihre normale Größe annehmen. Von dem Spion der Sowjets, der sich in die Mannschaft eingeschlichen hat, um die Mission zu sabotieren und Benes endgültig zu erledigen, ahnen die Retter allerdings nichts ...

* Im Film von 1966, nach dem dieser Roman entstand (s. u.), schreiben wir das Jahr 1995.

Handlung

Der Schuft wird sich im dramatischen Höhepunkt der Handlung und nachdem alle übrigen Gefahren gemeistert wurden zu erkennen geben und für weitere Turbulenzen sorgen. Bis es soweit ist, hat man sich niemals gelangweilt. Der Autor spinnt ein ungemein unterhaltsames Garn - dieses Wort wird hier mit Bedacht benutzt, liegt ihm doch ein Plot zu Grunde, dessen Unlogik selbst dem naturwissenschaftlichen Laien in die Nase beißt. Isaac Asimov, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Naturwissenschaftler war, brachte das an den Rand des Wahnsinns. Redlich bemüht er sich zu 'erklären', wie es möglich ist, ein U-Boot und fünf Menschen einzuschrumpfen. Leider erläutert er zunächst ausführlich - und überzeugend -, wieso dies nie klappen könnte, bevor er dem bekannten Kosmos mit seinen Naturgesetzen einen "Hyperraum" andichtet, der es doch ermöglicht. Dieses Hintertürchen nutzt Asimov mit durchaus erkennbarem Unwillen, und sie kreischt in der Tat fürchterlich in ihren Angeln.

Doch er hatte seine Vorgaben, als er 1966 den Auftrag übernahm, einen Roman zum Kinofilm "Fantastic Voyage" (dt. "Die phantastische Reise") bzw. nach einer Erzählung von Otto Klement und Jerome L. Bixby sowie dem Drehbuch von Harry Kleiner und David Duncan zu verfassen. Die Handlung stand fest, was ein Glücksfall war, denn es zwang Asimov, der in seinen eigenen Werken gern zum Schwafeln neigte, zur Disziplin. Er unterwarf sich der Story, die bei aller Absurdität ihren filmischen Auftrag perfekt erfüllte: Sie unterhielt wahrlich phantastisch und war reich an Episoden, die auf der Kinoleinwand prächtig aussahen und wirkten. (Zu den optischen Attraktionen gehörte im Jahre 1967 natürlich auch Raquel Welch in der Rolle der Miss Peterson.)

Asimov, als Schriftsteller ein Vollprofi mit jahrzehntelanger Erfahrung und einem Ruf wie Donnerhall (weshalb man wohl gerade ihn angeheuert hatte), setzte die Story kompetent und lesenswert um. Er vermochte das (damals) aktuelle medizinische Wissen über den menschlichen Körper mit der Schöpfung fiktiver ‚zukünftiger’ Hightech überzeugend zu kombinieren. Darüber hinaus investierte er eigene Fantasie; sehr richtig hatte er erkannt, dass Kleiners und Duncans Drehbuch primär auf den Film zugeschnitten war, der anderen dramaturgischen Gesetzen gehorcht als das Buch. Die grandiosen Effekte, die den Zuschauern förmlich die Augen übergehen ließen, verloren in der Beschreibung ihre Wirkung.

Dies auszubügeln sah Asimov als seine Aufgabe an. Er schrieb u. a. einen Prolog, der wesentlich ausführlicher als der Film in die Handlung einführte. Nunmehr wird deutlich, in welcher (nach dem realen Ende des ‚Ostblocks’ surreal wirkenden) Welt unsere Geschichte spielt. Das hilft zu begreifen, wieso 'der Gegner' versucht, den abtrünnigen Benes noch in seinem eigenen Körper auszuschalten.

Gleichzeitig stellt uns Asimov die Hauptfiguren vor. Sie erhalten (kurze) Viten und werden dadurch von Handlungsträgern zu plastischen Figuren. Dabei vermeidet es der Autor geschickt, die Identität des Verräters zu offenbaren. Er streut viele Spuren - Asimov schrieb auch Krimis - und seinen Lesern dennoch Sand in die Augen. So entstand ein Filmbuch, das in diesem nicht gerade von literarischen Leistungen geprägten Genre ein Highlight darstellt. (Man wundert sich, dass es erst 1983 ins Deutsche übersetzt wurde.)

Figuren

Vier Musketiere und einen Agenten des Kardinals finden wir an Bord der "Proteus" ... Anders ausgedrückt: Die Figurenzeichnung folgt bewährten Hollywood-Klischees. Da haben wir Dr. Michaels als weisen Graubart, der die 'Topografie' des menschlichen Körpers kennt, in jeder Krise einen Ausweg findet und gleichzeitig für Frieden unter seinen Gefährten sorgt. Captain Owens steuert sein U-Boot souverän durch Adern und Organe und wechselt sich mit Michaels in der Rolle des Graubarts ab. Dr. Duval gibt sich genial und sozial inkompetent genug, um sich als Judas unserer Crew förmlich aufzudrängen. Bis sich dieser Verdacht klärt, sorgt er für zwischenmenschlichen Konfliktstoff, der die (für manchen Zuschauer/Leser eventuell zu) phantastische Geschichte immer wieder erdet.

Für Cora Peterson bleibt die aus heutiger Sicht undankbare Rolle als Augenweide und ";love interest";, das von männlichen Helden aus grausigen Todesfallen gerettet werden muss. Ansonsten darf sie ihrem Chef Duval die Operationsinstrumente anreichen und ihn heimlich (aber unheimlich) anhimmeln. So war das im Popcorn-Land Hollywood Anno 1967; die Leser/innen dieser Zeilen mögen entscheiden, ob sich das seitdem entscheidend geändert hat ... Der Verfasser fügt freilich gleich mehrere Szenen ein, in der Peterson den Chauvinismus in der angeblich objektiv denkenden Wissenschaft thematisiert - Asimov war kein Schriftsteller, der Liebesgeplänkel überzeugend darstellen konnte oder wollte. Die kühle Cora Peterson ist daher eine wie für ihn geschaffene weibliche Figur.

Die breite Brust, an die sich Cora dennoch notfalls flüchten kann, gehört dem stattlichen Grant, der als militärischer Undercovermann + Taucher = junger Held primär Körperlichkeit demonstriert. Asimov erzählt "Die phantastische Geschichte" aus seiner Sicht und stattet ihn mit kleinen Ecken und Kanten sowie einem gewissen Widerspruchsgeist aus, um ihn in seiner Soldatenrolle etwas 'menschlicher' wirken zu lassen. Außerdem zeigt Grant jenes Ungestüm, das dem Graubart abgeht und das die Handlung durch die spontane Wahl 'gefährlicher' aber spannender Lösungsansätze beschleunigt.

Unterm Strich geht die Rechnung auf. "Die phantastische Reise" ist ein kleiner Klassiker der SF und als Roman eine wertvolle Ergänzung zum Film, der plötzlich sehr 'fehlerhaft' wirkt. (Was geschieht eigentlich mit der "Proteus", nachdem die Besatzung sie verlassen muss? Im Film wird ignoriert, dass sie sich wie ihre Besatzung wieder vergrößern müsste und den armen Benes dabei spektakulär töten würde. Asimov reißt sich abermals ein Bein aus, um Drehbuch und "Realität" in Einklang zu bringen.) Doch das menschliche Gehirn folgt unterschiedlichen Interpretationsvorgaben, wenn es mit einem Film oder mit einem Buch konfrontiert wird. Asimov ist ein ehrgeiziger 'Übersetzer', der die Vorlage achtet und durch sein Talent veredelt.

"Die phantastische Reise" - der Film

Science Fiction, Fantasy und Horror gehörten in den 1960er Jahren nicht zu den Genres, in denen das Geld für Filme mit entsprechender Handlung reichlich floss. (Auch Hirnschmalz wurde eher sparsam eingesetzt, aber das ist bekanntlich bis auf den heutigen Tag so geblieben.) "Die phantastische Reise" gehört zu den Ausnahmen. Hier wurde nicht gespart - die Kulissen sind bemerkenswert, die Effekte (für die Entstehungszeit) aufwändig und überzeugend. Auf dem Regiestuhl saß Richard Fleischer (1916-2006), ein hochkompetenter Mann, der auch in der Kunst der Kameraführung bewandert war und sehr genau wusste, wie er möglichst wirkungsvoll inszenieren konnte.

Angesichts der Schauwerte meinte das Studio bei der Besetzung der Rollen sparsam bleiben zu dürfen. Deshalb finden sich unter den Darstellern keine Stars, die auch den jüngeren Filmfreunden bekannt sein dürften, sondern gern und oft beschäftigte Schauspieler wie Stephen Boyd, Edmond O’Brien, Donald Pleasance, Arthur Kennedy sowie natürlich Raquel Welch, die in der Filmgeschichte feste Plätze einnehmen.

"Die phantastische Reise" mag heute veraltet wirken, ohne deshalb seinen Unterhaltungswert oder seine Ansehnlichkeit eingebüßt zu haben. Filme, denen dies gelingt, nennt man gern "Klassiker" - ein inflationär eingesetzter Titel, der diesem Streifen indes definitiv gebührt.

Über die Kompromisse, die er bei der Niederschrift der "Phantastischen Geschichte" eingehen musste, ärgerte sich Asimov übrigens so nachhaltig, dass er sie 1987 noch einmal und dieses Mal ganz in seinem Sinn schrieb: "Destination Brain" (dt. "Doktor Schapirows Gehirn") ist ein überaus ambitioniertes, umfangreiches und - ist das wirklich eine Überraschung? - langweiliges Werk.

Die phantastische Reise

Isaac Asimov, -

Die phantastische Reise

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