Stationen im All

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 1972
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Stationen im All
Stationen im All
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2022

Überall präsent, aber nirgendwo ohne Probleme

Der Materietransmitter ermöglicht den ‚Sprung‘ ins All, doch der Mensch hinkt in acht Episoden der Technik stets hinterher:

- Der Sprung zum Mars (One Step from Earth; 1970), S. 7-23: 1993 wagen sich erstmals Menschen durch einen Materietransmitter; auf dem Mars müssen sie feststellen, dass die neue Technik sie nicht vor bösen Überraschungen schützt.

- Opfer für Saturn (Pressure; 1969), S. 24-43: Eine Rückkehr nach der ‚Landung‘ auf dem Planeten Saturn ist aufgrund des gewaltigen Außendrucks nur per Transmitter möglich - wenn er denn funktionieren würde.

- Der Attentäter (From Fanaticism, or for Reward; 1969), S. 44-57: Der Transmitter wird bald auch vom Verbrechen genutzt, doch dessen Möglichkeiten stehen auch den Ordnungshütern zur Verfügung.

- Die Braut des Gottes (Wife to the Lord; 1970), S. 58-73: Der vor der Bevölkerung verborgene Fund eines Transmitters ließ ihn zum Gott seines Planeten aufsteigen - ein Status, der in der Person seines Sohns nunmehr ‚offiziell‘ wird.

- Die Last der Schwerkraft (Heavy Duty; 1970), S. 74-93: Vergessen fristet die Menschenkolonie auf dem öden Planeten ein karges Leben. Per Transmitter könnten sie an den Wundern des Universums teilhaben, aber dafür wäre ein hoher Preis zu entrichten.

- Weder Krieg noch Kampfeslärm ... (No War, or Battle's Sound; 1968), S. 94-113: Der Krieg ist böse, aber er kann so verdammt abenteuerlich sein!

- Wächter des Lebens (The Life Preservers; 1970), S. 114-148: Per Transmitter reist nicht nur der Mensch durch das Universum - er bringt Krankheitserreger dorthin, wo sie sich mit massenmörderischer Gewalt verbreiten können.

- Alpha und Omega (A Tale of the Ending; 1970), S. 149-159: Mehr als eine Million Jahre in der Zukunft fragen sich zwei Wissenschaftler, ob es tatsächlich eine Zeit gegeben hat, in der man sich ohne Transmitter auskommen musste.

Wunder gibt es einfach nicht

Die Science Fiction war lange ein Genre, das optimistischen Fortschritt förmlich atmete. Bevor die Realität dem Traum einer Zukunft ohne Grenzen ein Ende bereitete, war das All vor allem Spielplatz für geniale Erfinder und angstfreie Abenteurer, die in Wundern und Schrecken schwelgten. Über Nachteile unkten höchstens Spielverderber (oder Kommunisten).

Der Kalte Krieg zeigte allerdings, dass der Mensch zwar die Atombombe realisiert hatte, die Konsequenzen ihrer Existenz und ihres Einsatzes aber erst nachträglich erfasste: Nun konnte er die ganze Welt und sich selbst vernichten! Ähnliche Erkenntnisse folgten noch andere, nur scheinbar ‚großartige‘ Entdeckungen, die in falschen Händen verheerende Folgen nach sich zogen.

Skepsis kam auf, die in den 1960er Jahren aufzuflammen begann, als Ausbeutung und Umweltzerstörung sich neben einer fehlgeleiteten Technisierung als apokalyptische Reiter in die Sättel schwangen. Der gemeinsame Schwachpunkt war stets der Mensch, der intellektuell und moralisch mit dem Fortschritt nicht schritthalten konnte.

Was könnte dieses Mal schieflaufen?

Harry Harrison (1925-2012) gehörte zu jenen SF-Autoren, die sich vergleichsweise früh darüber Gedanken machten. Sein sicherlich bekanntestes Werk wurde 1966 der Roman „Make Room! Make Room“ (dt. „New York 1999“/„Soylent Green“), eine eindringliche Dystopie, die auf einer hoffnungslos überbevölkerten, ausgepowerten Erde spielt. Harrison schrieb weitere Romane und Storys über eine vom Menschen aus den Fugen gebrachte Zukunft, wobei er auf außerirdische Schrecken verzichtete: Der vom Menschen über sich selbst gebrachte Horror stellte sie in den Schatten.

Zwischen 1968 und 1970 schrieb Harrison in rascher Folge neun Erzählungen, die in diversen SF-Magazinen („Analog“, „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“, „If“) erschienen. Sie beschrieben die mögliche Geschichte einer Menschheit, der Ende des 20. Jahrhunderts die bahnbrechende Erfindung des Materietransmitters gelingt: Nicht nur Funksprüche, sondern nun auch Objekte und Lebewesen können in Nullzeit über beliebige Entfernungen ‚versendet‘ werden.

Was heute dank „Star Trek“ SF-Alltag geworden ist, war damals ein noch längst nicht zu Ende gedachtes (oder ausgelutschtes) Konzept. Im Mittelpunkt stand für Harrison nicht der technische Aspekt. Er stellt uns den Transmitter leidlich plausibel, aber nicht aufwändig vor. Ihm geht es um die Folgen, die der Einsatz dieses Geräts nach sich ziehen könnte. Für ihn war es nur eine Frage der Zeit, bis der Mensch auch diese Technik missverstehen und missbrauchen würde - eine Prognose, die Harrison um die Frage erweiterte, ob und wie der Transmitter die Entwicklung oder sogar die Evolution des Menschen beeinflussen würde.

Die Schattenseiten des Geistesblitzes

Schon der erste Einsatz des Transmitters fordert Opfer. In „Der Sprung zum Mars“ stellt Harrison der über Leichen gehenden Profitgier jenes Konzerns, der die Technik vorantreibt, den freiheitsliebenden ‚Pionier‘ gegenüber, der stets vom Land hinter der Grenze träumt, während er die Realität - hier eine überbevölkerte, umweltverschmutzte Erde - so sehr hasst, dass ihn nicht einmal der drohende Tod auf dem Mars dorthin zurücklocken kann. Die neue Technik kann auch Freiheit bedeuten.

Auch „Opfer für Saturn“ erzählt von überforderten Menschen, die sich in eine Falle manövrieren, aus der sie nur der Transmitter befreien kann. Erwartungsgemäß fällt dieser aus bzw. funktioniert nur mit unerfreulichen ‚Nebenwirkungen‘, was drei Männer vor die Frage stellt, ob sie den Schritt durch Raum und Zeit trotzdem wagen sollen. Die Entscheidung fällt auf eine Weise, die den Überlebenden zeitlebens Gewissensbisse bereiten wird.

Natürlich wird der Transmitter als kriminell nutzbares Instrument entdeckt. Allerdings dreht Harrison den Spieß um: Auch die Verfolgung wird durch das Gerät möglich. Die an sich bekannten Mustern folgende Handlung erfährt eine finale Volte und kündigt eine generelle Manipulation der längst auf vielen Planeten lebenden Menschheit an: Der Transmitter wird zum Herrschaftsinstrument für nun allgegenwärtige Despoten!

Der Preis des Fortschritts

Wer die Transmitter kontrolliert, kann jene Kolonien, die ins galaktische Abseits gerieten, unter Druck setzen: Ihr könnt euch wieder einreihen! Allerdings müsst ihr dafür zahlen und euch dafür über Generationen verschulden: Ist eure Entscheidung; ihr könnt es auch bleibenlassen („Die Last der Schwerkraft“)!

Der Transmitter wird auch die Kriege der Zukunft prägen: Wie kämpft man gegen einen Feind, der quasi aus dem Nichts hinter deinem Rücken erscheinen kann („Weder Krieg noch Kampfeslärm ...“)? Ebenfalls zu bedenken ist eine aus der Historie eigentlich bekannte Tatsache: Wer fremde Welten besucht, bringt ‚seine‘ Krankheitserreger mit, die sämtliche ‚Gastgeber‘ umbringen können. Hier trifft es die Nachfahrer jener Kolonisten, die von neugierigen Erdmenschen der Jetztzeit besucht werden („Wächter des Lebens“).

Eine Million Jahre in der Zukunft stellen einige ‚Menschen‘ fest, wie sehr sich ihre Spezies aufgrund des Reisens ohne Zeitverlust verändert hat. Sie fragen sich außerdem, ob hinter einem der unzähligen Transmitter, die über die Galaxis verstreut wurden, nicht längst eine Macht lauert, die den Menschen als Herren des Universums ablösen will. Die Geschichte kennt keine Statik, und das trifft gilt auch für die Gegenwart des Jahres 1970. Harrison möchte seinen Lesern einen Spiegel vorhalten: Der Mensch steht vielleicht an der Spitze der (Nahrungs-) Pyramide, aber das muss keineswegs so bleiben („Alpha und Omega“)! (Keine gelungene Story, sondern ein Witz mit feuchter Lunte ist „Die Braut des Gottes“, eine märchenhafte Variation des „Matter-Transmitter“-Themas.)

Anmerkung: Aufgrund der zeitüblichen Seitennormierung deutscher Taschenbücher - hier auf 160 Seiten - wurde eine der ursprünglich neun „Transmitter-Matter“-Story für diese Kollektion einfach gestrichen. „Waiting Place“ findet man jedoch unter dem Titel „Einbahnstraße“ in der Sammlung „Galaxy 12“, erschienen 1970 im Heyne-Verlag (SF-TB 06/3138). Natürlich fehlt außerdem Harrisons Vorwort, in dem er erläutert, was er uns im Rahmen der Storys nahebringen möchte.

Fazit:

Acht Storys um ein zukünftiges Transportmittel zeigen den überforderten, kriminellen, achtlosen Menschen, der sich um die Nachteile der sorglos eingesetzten Supertechnik zu wenige Gedanken macht: gut und anschaulich geschrieben, aber in der finalen Wertung oft recht simpel bzw. von der Zeit eingeholt.

Stationen im All

Harry Harrison, Bastei-Lübbe

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