Die Geisterflöte

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2024
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Die Geisterflöte
Die Geisterflöte
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2024

Irrtum mit schauerlichen Folgen

Nachdem sie Eltern und Schwester unter tragischen Umständen verloren hat, sucht Elspeth Swansome 1860 den Neuanfang. Sie verlässt das heimische Edinburgh und nimmt eine Stelle als Kindermädchen auf der schottischen Insel Skelthsea an. Dort soll sie sich um die neunjährige Mary kümmern, die ebenfalls die Eltern und dann ihren Zwillingsbruder William sterben sah; letzterer kam durch einen Sturz von einer hohen Inselklippe um. Seither spricht Mary kein Wort mehr.

Sie kam bei einer Schwester der Mutter unter. Violet Gillies ist Herrin über Iskar, einer großen, einst prächtigen Villa, die nun allmählich verfällt. Die Stimmung im Haus ist melancholisch, aber immerhin wird Elspeth von Violet und vorsichtig auch von Mary freundlich empfangen, während das Hauspersonal und hier speziell die Dienerin Greer sich abweisend gibt. Zudem hütet man in Iskar angestrengt ein möglicherweise düsteres Geheimnis: Dass William in den Tod stürzte, dürfte kein Unfall gewesen sein. Violet verbietet streng jegliche Diskussion über dieses Thema, aber Elspeth knüpft Kontakte zu weniger schweigsamen Inselbewohnern.

Nicht nur die maroden Räumlichkeiten machen Elspeth zu schaffen. Sie glaubt auch Anzeichen einer übernatürlichen Heimsuchung festzustellen. In jenen Räumen, die Mary einst mit ihrer Mutter und dem Bruder bewohnte, spürt sie eine flüchtige, aber deutliche Präsenz. Außerdem hört sie immer wieder eine seltsame Melodie. Elspeth forscht nach und kommt einem hässlichen Geschehen auf die Spur, dem Unglück, Unrecht und Tod kein Ende setzen konnten. Wütende Geister verlangen Gerechtigkeit, doch nicht sie sind es, von der die eigentliche Gefahr ausgeht, der auch die allzu gutgläubige Elspeth zum Opfer zu fallen droht  ...

Kein Friede im Jenseits

Der Geist des verstorbenen Menschen fährt nach einem mühsamen und damit aus christlicher Sicht vorbildlichen Leben in den Himmel auf, wo die Belohnung darin besteht, auf einer Wolke zu sitzen und Harfe zu Ehren des HERRN zu spielen. Wer auf Erden jedoch dem Spaß = der Sünde gar zu viel Aufmerksamkeit gezollt hat, wird in die entgegengesetzte Richtung befördert, um sich fürderhin von höllischen Dämonen mit spitzen Pieken malträtieren zu lassen.

Zwischen diesen beiden Polen existiert ein Jenseits, in dem jene Pechvögel buchstäblich umhergeistern, die es unverhofft aus besagtem Leben gerissen hat. Sie konnten sich nicht vorschriftsmäßig vom Diesseits verabschieden, sondern hinterließen Unrecht, das gesühnt werden muss, um ihren unsteten Seelen Frieden bzw. den eingangs beschriebenen Auf- oder Abstieg zu ermöglichen. Solche Geister sind entweder Opfer eines Verbrechens geworden oder haben sich mit bösen Mächten eingelassen, was sie zu einem freudlosen Straf-Dasein im Jenseits verurteilt.

In beiden Fällen ist ein Ende dieses Zustands erwünscht. Da trifft es sich gut, dass Geister sich im Diesseits bemerkbar machen können. Wie so oft gibt es einen Haken: Man kann sich nicht an eine Zielperson nach Wunsch wenden und in klaren Worten erklären, was zu tun ist. Geister müssen sich nach Gesetzen richten, die der Logik geradezu penetrant eine lange Nase drehen. Dies nennt man „Spuk“, und der muss rätselhaft sein, um im Diesseits für jene Verwirrung und jenes Entsetzen zu sorgen, das für Unterhaltung sorgt.

Hier sind Geister - schau’ endlich hin!

Spuk existiert naturgemäß dort am besten, wohin das Licht der Aufklärung nicht fällt. Eine einsame schottische Insel im Jahre 1860 ist dafür der perfekte Ort. Hier treffen die ‚heidnische‘ Geistergläubigkeit einer nur oberflächlich christianisierten ‚Ur-Bevölkerung‘ und die Skepsis des ‚modernen‘ Stadtmenschen aufeinander. Vorschriftsmäßig weigert sich Elspeth Swansome, die nächtlichen Seltsamkeiten in und um Iskar zur Kenntnis zu nehmen bzw. als übernatürlich anzuerkennen. Bis sie diesbezüglich endlich die weiße Flagge der Erkenntnis hisst, vergehen viele - sehr viele! - Seiten, in denen es in den Wänden knistert, unsichtbare Füße über staubige Fußböden stolpern oder die Geisterflöte des Titels unheimliche Fieptöne verbreitet.

Hier liegt das grundsätzliche Problem dieses Romans: Autorin Rebecca Netley füllt einen viel zu ausladenden Mittelteil mit Spukelementen, ohne die Handlung dadurch voranzutreiben. Sie schlägt die arme Elspeth mit Begriffsstutzigkeit, was dazu führt, dass man sie irgendwann anschreien oder in den Hintern treten möchte, weil nur sie angestrengt ignoriert, was uns Lesern längst kloßbrühenklar ist.

Furcht ist eine Emotion, die nicht einfach heraufbeschworen werden kann. Sie muss orchestriert werden und dabei einen Rhythmus entwickeln. Auf der Stelle treten darf sie nicht, wie uns Netley unfreiwillig bestätigt. Sie verheddert sich in einem nachträglich nur scheinbar komplexen Geister-Netz, denn die Auflösung sorgt nicht für Überraschung: Kein Leser dürfte geglaubt haben, dass dieser Spuk nach einem recht hausbackenen ‚Exorzismus‘ tatsächlich gebannt wäre. Schon die Tatsache, dass die Geschichte sich noch über viele Seiten fortsetzt, bestätigt es und konterkariert den geplanten Twist: Das Grauen wurzelt an einer ganz anderen Stelle und wird sich im eigentlichen Finale erst recht finster zurückmelden.

Spuk im Gaslicht

Autorin Netley ertränkt ihr Garn förmlich in (theatralischer) Tragik. Auch ohne Spuk sind die Bewohner von Iskar in sehr diesseitigen Privathöllen gefangen. Elspeth leidet unter dem Tod ihrer Familie, Violet hadert mit ihrer unglücklich umgekommenen Schwester und ihrem verbrannten Gesicht, Mary hat Mutter und Bruder verloren, Hausdienerin Greer hegt hässliche Erinnerungen ... Die Plagen wollen kein Ende nehmen; dies auch deshalb, weil Netley wiederum seitenstark auf diese Vorgeschichten eingeht, um auf diese Weise zu unterstreichen, wieso Iskar zu einem regelrechten Spuk-Zentrum mutiert. (Kein Wunder, dass der Epilog recht wortreich ausfällt, weil die Autorin Elspeth nachträglich diverse offene Rätsel auflösen lassen muss.)

Doch was als Allegorie auf Gefühle wie Verlust und Trauer gemeint sein dürfte, verselbstständigt sich und ergießt sich lähmend über die Handlung. Zwar gibt es in „Die Geisterflöte“ keinen Mr. Right, der sich rettend ins Geschehen schiebt, aber die Emotionen wallen dennoch im Takt der „Gaslicht-Romantik“: Dies umschreibt eine der (noch nicht elektrifizierten) Vergangenheit zugeschriebenen Über-Emotionalität, die sich in faktisch unbegründeten Gefühlsstürmen äußert.

Für solche Geschichten gibt es ein aufgeschlossenes Publikum. Vermutlich scheiden sich hier die (lesenden) Geister. Dieser Rezensent urteilt jedenfalls so: Wer sich nicht auf ein überladenes, Gefühle eher herbeizwingendes Garn einlassen kann oder will, dürfte „Die Geisterflöte“ anstrengend und generisch finden (oder anmerken, dass die Geschichte sich über weite Strecken eng am Plot von „The Turn of the Screw“/dt. „Die Drehung der Schraube“, Henry James’ Meisterwerk von 1898, ‚orientiert‘).

Fazit:

Klassischen Vorgaben folgende Geistergeschichte, die sämtliche Elemente dieses Genres aufgreift, aber dabei auch in aufbauschender Emotionalität verharrt. Viele isoliert voneinander funktionierende Gruseleffekte wollen sich nicht zu einer stringent spannenden Story fügen: als Derivat genießbar, aber auch als Aufguss wertbar.

Die Geisterflöte

Rebecca Netley, Festa

Die Geisterflöte

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