Das magische Buch

  • Heyne
  • Erschienen: September 2000
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Michael Drewniok
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2022

Satan down under

In London tritt der junge Christian 1867 in den Dienst des geheimnisvollen Privatgelehrten Peter Owling, dem er bei seinen wissenschaftlichen Experimenten zur Hand gehen soll. Christians Freude schlägt in Entsetzen um, als sich sein scheinbarer Gönner als Magier und Satanist entpuppt. Owling ist besessen von der Suche nach dem ewigen Leben. Um es zu erlangen, muss Satan persönlich beschworen werden. Wie dies zu gelingen kann, wird im „Grimoire“ beschrieben, einem sagenhaften Buch der Zaubersprüche, das Owling sich aus dunklen Quellen verschaffen konnte.

Der Zauberlehrling scheint allerdings ein altes Sprichwort nicht zu kennen: Wer mit dem Teufel essen will, braucht einen langen Löffel! Owlings große Beschwörung endet in einer Katastrophe; der Möchtegern-Magier und sein Gehilfe kommen auf entsetzliche Weise um. Owlings Nachlass wird über die ganze Welt verstreut. Das Grimoire landet in Australien.

Lucien Humberstone ist 1998 ein in Melbourne lebender Nachfahre des gescheiterten Peter Owling und ebenfalls ein Teufelsjünger. Er hat von der Macht des Grimoires erfahren und setzt mit den Mitgliedern seines magischen Zirkels alles daran, es an sich zu bringen. Der vor 130 Jahren umgekommene, aber als Geist fortexistierende Christian versucht Humberstone aus dem Jenseits zu stoppen.

Drei Literaturstudenten geraten in den Sog der Ereignisse. Holly empfängt im Schlaf Christians Botschaften aus dem Geisterreich. Prudence lebt unter dem Zwang, die Geheimnisse ihrer Mitmenschen aufzudecken. Justin driftet zwischen den beiden Frauen hin und her und erwehrt sich zusätzlich der Avancen seiner Tante.

Die Vergangenheit dieser drei Menschen weist mindestens einen dunklen Punkt auf, den sie sorgfältig voreinander zu verbergen trachten. Ausgerechnet dieses zerrissene Trio muss lernen einander zu vertrauen, denn nur so kann es verhindern, was der ehrgeizige Humberstone zu riskieren bereit ist: Der Zauber des Grimoires soll die Pforten der Hölle aufstoßen, und die Dunkelheit wird Besitz von dieser Welt ergreifen ...

Es spukt auf klassische Weise

„Das magische Buch“ ist ein guter, altmodischer Gruselroman, der Satan in der Hölle und nicht im Aufsichtsrat eines modernen Weltkonzerns ortet. Zauberbücher, Teufelsanbeter, okkulte Praktiken, Geister und Dämonen: Wilson bringt das gesamte Arsenal des klassischen Horrors zum Einsatz, und sie tut es in offensichtlicher Kenntnis der alten Meister.

Der Magier Humberstone erinnert an literarische Vorbilder wie M. R. James‘ Dr. Karswell („Casting the Runes“, 1910) oder W. Somerset Maughams „The Magican“ (1908). Diese orientierten sich wiederum an realen Personen wie den Kabbalisten Eliphas Levi (1810-1875) und natürlich den „bösesten Menschen auf Erden“: Aleister Crowley (1875-1947). Als „Magicker“ ungleich erfolgloser denn als Bürgerschreck (der das Pech hatte, Jahrzehnte vor dem Aufkommen des Internets und daher vergessen und in Armut zu sterben), ist Crowleys seltsames Leben noch heute ein Quell künstlerischer Inspiration.

In die Freude, endlich einmal von besessenen Kleinkindern, Traumdämonen oder nicht tot zu kriegenden Massenmördern verschont zu bleiben, mischt sich während der Lektüre leise Wehmut. Sie entsteht angesichts einer wenig überzeugenden Figurenzeichnung. Natürlich ist es positiv, wenn als Hauptfiguren ‚normale‘ Menschen mit wenig heldenhaften Zügen auftreten.

Des Teufels fade Gegner

Doch Holly, Prudence und Jonas wecken bei der Lektüre wenig Mitgefühl, sondern bald Verdruss. Zum guten Teil geht dies auf stilistische Schwächen der Autorin zurück: Da gibt es zu viele angstvoll aufgerissene Augen, hämmernde Herzen und fest zusammengepresste Münder, und angesichts ihres ständigen Stirnrunzelns dürften die drei Geisterjäger unter dauerhaften Kopfschmerzen leiden. Hier kann die Autorin ihre Herkunft im Liebesschmalzthriller-Tümpel nicht verhehlen.

Allzu offensichtlich wird beschrieben bzw. unterstrichen, was aus dem Dialog bereits hervorgeht oder unwichtig ist. Ständige Doppelungen sind mitverantwortlich für den Umfang dieses Romans, dessen Plot ihn nicht über die volle Distanz tragen kann. Dazu kommt Wilkins‘ allzu großes Interesse an den diversen erotischen Abenteuern ihrer Helden, die diesen Tragik und Tiefe verleihen sollen, zur Handlung indes nur bedingt beitragen.

Ob und in welchem Maße der Übersetzer für die hausbackene Sprache verantwortlich ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Entlastet wird dieser durch Passagen, die - selbst wenn sie schlecht übersetzt sein sollten - definitiv auf die Autorin zurückgehen und arge Schwierigkeiten im Umgang mit der Materie vermuten lassen. Dies gilt im Ganzen, aber auch im Detail. So übertreibt es Wilkins mit dem Bemühen, den Kampf Gut gegen Böse ‚logisch‘ zu entwickeln. Sie geht gar zu ernst an ihr Thema heran, das doch bei Licht betrachtet nur reine Unterhaltung bieten kann.

Bierernst schadet diesem Horror

Wilkins fehlt jene Mischung aus Ehrfurcht vor der Kunst des Trivialen (die es durchaus gibt) und der Unbefangenheit, das Abseitige und Groteske schlicht als gegeben vorauszusetzen und in den Dienst der Handlung zu stellen. Sie zeichnet beispielsweise Stephen King aus und trägt dazu bei, dass seine neuen Werke stets auch in Deutschland erscheinen, wo Wilkins trotz ihrer schnellen Feder nicht mehr anzutreffen ist.

Das Phantastische ernst zu nehmen und doch damit zu spielen, ist Kim Wilkins nicht gegeben. Satan und seine Dämonen wirken bei ihr wie aus einer alten Kinderbibel entsprungen. Sie sind plakativ hässlich und stellen ihre Bosheit mit der schmierenkomödiantischen Wonne eines Stummfilm-Bösewichts zur Schau. Dadurch wirken sie gewiss nicht beeindruckend oder gar beängstigend, sondern bald lächerlich. So bleibt „Das magische Buch“ ungeachtet der eingangs genannten Qualitäten ein solider, nicht wirklich beeindruckender, leidlich unterhaltsamer Grusel-Thriller“.

Fazit:

Dieses Garn um eine Jagd nach dem ewigen Leben, das den Teufel und das Jenseits einschließt, liest sich recht spannend, leidet aber unter seifenoperhaften Einschüben, Schmalz und unfreiwilliger Komik: ein durchwachsenes Vergnügen.

Das magische Buch

Kim Wilkins, Heyne

Das magische Buch

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