The Silence

  • Buchheim Verlag
  • Erschienen: Mai 2019
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The Silence
The Silence
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2020

Schweigen, obwohl man schreien muss

In Moldawien steigt eine Forschergruppe in eine Höhle, die weitaus tiefer reicht als gedacht. Als man eine bizarre Ökosphäre mit völlig unbekannten Pflanzen und Tieren entdeckt, ist der Jubel groß, bis die „Vesps“ auftauchen - fledermausähnliche Fleischfresser, die zwar blind, aber mit dem perfekten Gehör ausgestattet sind. Sie vermehren sich an der nahrungsreichen Oberfläche in rasanter Geschwindigkeit und schwärmen über ganz Europa aus. Die Vesps fallen über die Menschen her. Niemand kann sie stoppen. Vor allem in den Städten ist der Blutzoll gewaltig.

Die Andrews sind eine typische englische Mittelstands-Familie. Vater Huw und Mutter Kelly sowie Tochter Ally und Sohn Jude versuchen die üblichen Kleinstadt- und Alltagsprobleme zu meistern, wobei die 14-jährige Ally damit leben muss, nach einem Verkehrsunfall ihr Gehör verloren zu haben.

Als die Vesps den Ärmelkanal überwinden, bricht die große Stadtflucht los. Die Andrews schließen sich an und machen sich auf den 400 km langen Weg zum schottischen Heim von Huws Eltern. Schon jetzt kämpfen die Menschen um Lebensmittel, Waffen, und sichere Schlupfwinkel. Die Andrews müssen lernen mit den Wölfen zu heulen, was nicht ohne Opfer und die Aufgabe von Regeln und Gewohnheiten gelingt …

Der unerbittliche Verlust jeglicher Kontrolle

„The Silence“ ist ein zunächst typisches Horror-Garn, obwohl Urzeit-Fledermäuse blutdurstig einer unklug angestochenen Höhle entfleuchen und sich flugs daran machen, die Oberwelt in Rekordgeschwindigkeit leer zu metzeln. Tim Lebbon hält sich mit einschlägigen Elementen nicht zurück, zielt aber nicht auf reine Kopf-ab-Action, sondern interessiert sich mehr für die Folgen, die eine solche Katastrophe auf ganz normale Menschen hat. Das ist kein neuer Ansatz und wird von zahlreichen Klischees begleitet, zumal das Subgenre des Monster-Horrors eher idiosynkratisch ist und im Geschehen höchstens Variationen gestattet.

Lebbon stellt sich jedoch vergleichsweise erfolgreich der Herausforderung, den Schrecken zu ‚filtern‘, indem er eine Durchschnittsfamilie die Andrews - der Krise aussetzt, welcher sie lange nicht gewachsen ist. In einschlägigen TV-Serien US-amerikanischer Prägung folgt dem anfänglichen Schrecken in der Regel eine Rückbesinnung auf offenbar genetisch verankerte Pioniertugenden, die nach dem Untergang der Zivilisation urplötzlich aufflackern und den automatischen Griff zu Feuerwaffen aller Art beinhalten. Lebbon geht subtiler vor und davon aus, dass der Überlebenskampf wesentlich mühseliger ist, schmerzhafter abläuft und vor allen den moralischen Kodex auf die Probe stellt.

Der Autor investiert viel Mühe in seine Figuren, die außerhalb jeglichen Heldentums auf eine Odyssee geschickt werden, in deren Verlauf sie Stück für Stück verleugnen lernen müssen, was ihnen Gesetz und Moral bisher vorgeschrieben haben. Entsprechende Strukturen und der daraus resultierende Halt lösen sich auf. Was an ihre Stelle tritt, wird für Menschen, die schon lange nicht mehr in Steinzeit-Höhlen hausen und gegen Wölfe und Bären kämpfen, zur quälenden Existenz- und Gewissensfrage: Wie weit will ich gehen, um mir und meiner Familie das Überleben zu sichern?

Die Ratlosigkeit im Angesicht des Unfassbaren

Die Apokalypse kommt für die Andrews mit Voransage. Lebbon lässt das Grauen trügerisch weit entfernt ausbrechen. Das Vordringen der Vesp-Schwärme schildert er durch eingeschobene TV-Berichte, Internet-Beiträge, Mails u. a. Nachrichten, die das unerbittliche Vordringen der Kreaturen und den sich anschließenden Zusammenbruch von Ordnung und Kommunikation - das „Grau“-Werden - dokumentieren, während man in England (zu) lange darauf hofft, dass die Insellage wie schon so oft den Feind fernhalten wird. Doch das Florian-Prinzip („Heiliger St. Florian, verschon‘ mein Haus, steck‘ andere an“) will nicht greifen. Als den Andrews dies bewusst wird, gehören sie zum Heer derer, die nunmehr die Flucht ergreifen - bloß wohin? Die Städte werden verlassen, aber das Land erweist sich nicht als Rettung. Niemand ist auf die Flüchtlinge vorbereitet, niemand will helfen, ist man doch mit eigenen Verteidigungsmaßnahmen beschäftigt und gedenkt vorhandene Ressourcen nicht zu teilen.

Die Vesps bleiben lange handlungsfern. Sie dienen Lebbon als Treibriemen, der das eigentliche Geschehen in Gang bringt. Irgendwann sind sie da, aber die Flucht verwandelt sich nicht deshalb in einen brutalen Überlebenskampf. Die Vesps sind Tiere mit bestimmten Reaktionsmustern. Beobachtet man sie, kann man dies ausnutzen und sich buchstäblich unterhalb ihres Radars bewegen, solange man das Schweigen des Titels wahrt.

Gefährlicher sind weiterhin die Mitmenschen. Sektenwahn ist ein Klischee praktisch jeder Apokalypse. Lebbon macht keine Ausnahme, schlägt aber auch hier einen alternativen Weg ein. Die Gemeinschaft der „Zum Schweigen Gebrachten“ kann es mit den Andrews nicht aufnehmen. Der Kampf ist grausam und endet ohne Gewinner; nur die Vesps werden satt. Ob die weiterziehenden Andrews ihr Ziel erreichen werden und ob dies die Rettung bringt, bleibt offen. Lebbon blendet einfach ab. Das übliche, womöglich als Cliffhanger gestaltete Turbulenz-Finale würde dem düsteren Grundton widersprechen. „Das Schweigen“ endet still; ein wirkungsvoll gesetzter Schlusspunkt.

„The Silence“ - der Film

Manche (gute) Idee kommt zeitgleich mehrfach auf. Entstehen daraus Filme, gibt das Probleme, denn dieses Medium liebt keine inhaltliche Gleichzeitigkeit. Wer zuerst kommt, macht das Rennen, während Nachzügler sich vorwerfen lassen müssen, nur Kopien zu liefern. So erging es „The Silence“, dem Film, der 2019 von „Netflix“ veröffentlicht wurde - nach „A Quiet Place“, der eine überaus ähnliche Geschichte erzählt.

„The Silence“ war Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, die eine Auswertung verzögerten. „A Quiet Place“ kam schneller und hinterließ für „The Silence“ verbrannte Erde - dies auch deshalb, weil „A Quiet Place“ zwar kein wirklich guter, aber im Vergleich dennoch der bessere Film ist. Für „The Silence“ nahm John R. Leonetti auf dem Regiestuhl Platz, was bereits für Misstrauen sorgt, ist er doch für Schmalspur- und Schlapp-Grusel wie „Annabelle“ (2014), „Wolves at the Door“ (2016) oder „Wish Upon“ (2017) verantwortlich.

„The Silence“ reiht sich nahtlos in diese unrühmliche Reihe ein. Während die Darsteller sich wacker schlagen, bleiben Drehbuch und Regie farblos; es rächt sich, dass der eigentliche Horror im Zerfall menschlicher Werte besteht und die Vesps wenig mehr als Fresslust und scharfe Ohren bieten. Leonetti ist mit dieser Ausgangslage überfordert. Das „Schweigen“ des Titels weiß er nur bedingt zu nutzen.

Fazit:

Die Krise wird zur Prüfung für menschliche Werte, die unter diesem Druck nachgeben, um in einer sich wandelnden Welt zu funktionieren. Dieser Prozess wird einerseits klischeehaft, aber insgesamt eindringlich geschildert: Der Roman ist besser geraten als der Film.

The Silence

Tim Lebbon, Buchheim Verlag

The Silence

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