Andreas Eschbach

12.2020 Für epische Fantasy braucht man weder feuerspeiende Drachen, bogenschießende Elben und ausufernde Schlachten im Sekundentakt, noch drei Vornamen. Der deutsche Bestseller-Autor Andreas Eschbach schafft es mit einer beeindruckenden Leichtigkeit, eine nicht näher definierte Zukunft zu zeigen, in der Menschen seit Generationen in scheinbar unberührter Natur leben. Ausgestattet mit mächtigen Schwingen, die sie von ihren Ahnen vermacht bekamen, bewegen sie sich elegant durch die Lüfte. Die Ahnen, die einst von den Sternen kamen. Ein Mann gibt sich nicht mit der schier grenzenlosen Freiheit zufrieden. Er möchte hinter die Fassade blicken. Auf das, was sich jenseits des Himmels verbirgt. Und tatsächlich vollbringt er das Unmögliche. Er blickt auf die Sterne. Dorthin, wo „Eines Menschen Flügel“ ihn nicht zu tragen vermögen…

Wir freuen uns sehr, Andreas Eschbach zu seinem neusten Mammut-Werk, erschienen bei Lübbe, einige Fragen stellen zu dürfen.

Das Ding ist, die Genres und ich, wir stehen einander verständnislos gegenüber. Die Genres rufen immer: »Warum willst Du Dich nicht einordnen?«, und ich rufe zurück: »Ich verstehe nicht, was ihr wollt, ich schreibe doch einfach immer Eschbach-Romane!«

Phantastik-Couch:
Lieber Andreas, zuerst muss ich sagen, wie sehr mich „Eines Menschen Flügel“ begeistert hat. Ohne vorwegzugreifen, nimmt der Roman Dimensionen an, die sich anfangs noch nicht abzeichnen. Das führt direkt zu meiner ersten Frage: Als die Idee geboren war, hattest Du da schon die komplette Handlung im Kopf oder hat diese während des Schreibens ein Eigenleben entwickelt?

Andreas Eschbach:
Bei diesem Roman hat sich fast alles wie von selber entwickelt. Am Anfang stand eine Kurzgeschichte, die ich ganz ohne Plan geschrieben hatte, wie man es sich, anders als bei Romanen, bei Kurzgeschichten erlauben kann. Als sie fertig war, hatte ich aber das sichere Gefühl, dass darin mehr steckt. Es ging mir da gewissermaßen wie Owen; auch ich wollte wissen, was »dahinter« wohl noch kommen mag. Ich habe, als ich mich schreibend weiter vorgetastet habe, natürlich jeweils allerlei Handlung geplant, aber es ist dann fast immer anders gekommen. Wobei ich es ja mag, wenn die Figuren Eigeninitiative zeigen; entsprechend viel Spaß hat das Schreiben auch gemacht. Ach ja, besagte Kurzgeschichte ist mit wenigen Änderungen jetzt das erste Kapitel.

Phantastik-Couch:
Das Buch behandelt zwei große Menschheits-Träume und auch Sehnsüchte: Zu fliegen und zu den Sternen zu reisen. Selbst Teile der friedliebenden und scheinbar glücklich lebenden Völker in „Eines Menschen Flügel“ gieren nach dem Unsichtbaren. Das Fliegen gehört zwar zum lebensnotwendigen Alltag, aber der Reiz hinter den Himmel zu blicken ist dennoch da. Woran liegt das Deiner Meinung nach? Neugier? Der Reiz des Unbekannten?

Andreas Eschbach:
Nun ja, das Wort »Neugier« bezeichnet ja genau diesen Reiz, mehr wissen zu wollen als das, was wir schon kennen. Wissen zu wollen, was hinter der verschlossenen Tür, hinter der nächsten Kurve, über den Wolken, jenseits der Sterne verborgen liegt. Dieser Antrieb ist sehr stark in uns Menschen, egal, ob wir Flügel haben oder nicht, aber nicht nur; auch viele andere höher entwickelte Lebewesen sind ja nach allem, was wir beobachten, neugierig.

Phantastik-Couch:
Du hast für den Roman eine gänzlich neue Welt erschaffen. Und zwar mit so einer Selbstverständlichkeit, dass mir nach ein paar Kapiteln Menschen ohne Flügel selbst ein bisschen „unvollständig“ vorkamen. Dazu gehst Du intensiv auf zwischenmenschliche Beziehungen ein und erklärst detailliert Flora und Fauna dieser fernen, fremden Welt. Wie lange dauert es, solch ein komplexes Universum zu entwickeln?

Andreas Eschbach:
In diesem Fall hat es durchaus lange gedauert – etwa zwanzig Jahre! Die erwähnte Kurzgeschichte habe ich schon Ende der 90er geschrieben, gedacht als Beitrag für eine französische Jugendanthologie, die dann aber nicht zustande gekommen ist. Die Story ist später, übersetzt von Claire Duval, im Festivalband zu den UTOPIALES 1999 erschienen. Da ich damals aber schon vorhatte, irgendwann einen Roman daraus zu machen, habe ich es vermieden, die Story auch im deutschen Original erscheinen zu lassen. Stattdessen habe ich mir ein dickes Notizbuch gekauft und angefangen, Karten zu zeichnen, Namen zu notieren, Landschaften zu entwerfen und über die Gesellschaft und Lebensverhältnisse auf diesem Planeten nachzudenken. Dass es so lange dauern würde, habe ich allerdings nicht erwartet.

Phantastik-Couch:
An Charakteren wurde während der stolzen 1257 Seiten wahrlich nicht gespart und mir hat besonders gut gefallen, dass diese im Laufe der Handlung immer wieder aufgegriffen und auch vertieft wurden. Gibt es beim Schreiben Momente, an denen Dich die Handlung zu überrollen droht? Du quasi selber den Überblick verlierst?

Andreas Eschbach:
Nein, solche Momente versuche ich erst gar nicht entstehen zu lassen. Ich kämpfe mit ausgefeilten Skizzen, Zeitleisten, Namenstabellen und so weiter gegen das Chaos an, und meistens hilft das. Allerdings muss ich zugeben, dass die Erfahrung mit dem Schreiben, die ich seit damals gewonnen habe – ich mache das jetzt ja schon eine ganze Weile –, mir auch sehr geholfen hat. Ich wusste, es gibt keinen Grund, in Panik zu geraten, ich kriege das hin. Hätte ich mich schon, sagen wir, 2005 an diesen Stoff gewagt, ich glaube, ich hätte irgendwann kapituliert.

Wenn ich jetzt sagen würde, »ich werde nie einen Western schreiben«, rate mal, was dann passieren würde …!

Phantastik-Couch:
In Zeiten von Streaming-Diensten, die teilweise sehr hochkarätige Stoffe produzieren, stellen selbst aufwändige Fantasy-Landschaften keine Probleme mehr da. „Eines Menschen Flügel“ ist derart episch aufgebaut, dass ich persönlich mir eine Serie sehr gut vorstellen könnte. Gab es diesbezüglich schon Anfragen?

Andreas Eschbach:
Noch nicht, aber selbst wenn, dürfte ich nicht darüber reden.

Phantastik-Couch:
Klassische Science-Fiction, Ausflüge ins „Perry Rhodan“-Universum, erfolgreiche Thriller wie „Das Jesus-Video“, „Eine Billion Dollar“ oder „Der Nobelpreis“, Jugendromane, historische Fiktion in „NSA - Nationales Sicherheits-Amt“, dazu noch zahlreiche Kurzgeschichten, Hörbücher und Hörspiele… und nun Genre-sprengende Fantasy mit „Eines Menschen Flügel“. In welchem Bereich fühlst Du dich am wohlsten? Oder ist es gerade die Abwechslung, die den Reiz ausmacht?

Andreas Eschbach:
Das Ding ist, die Genres und ich, wir stehen einander verständnislos gegenüber. Die Genres rufen immer: »Warum willst Du Dich nicht einordnen?«, und ich rufe zurück: »Ich verstehe nicht, was ihr wollt, ich schreibe doch einfach immer Eschbach-Romane!« Also, ich denke nicht groß über Genres nach – das machen andere zur Genüge –, ich denke stattdessen über die jeweilige Idee nach und wie ich daraus ein Buch machen kann, das ihr möglichst gerecht wird. Damit habe ich genug zu tun. Und ob ich mich wohl fühle, hängt vor allem davon ab, ob die Arbeit an dem Buch gut vorangeht oder holpert. Tja, und jede Idee ist eben anders. Folglich werden auch die Bücher immer anders. Ich mache das nicht absichtlich.

Phantastik-Couch:
Gibt es eigentlich Genres, die Du als Schriftsteller kategorisch ausschließen würdest?

Andreas Eschbach:
Nein, ganz bestimmt nicht. Wenn ich jetzt sagen würde, »ich werde nie einen Western schreiben«, rate mal, was dann passieren würde …!

Phantastik-Couch:
Wie gehst Du beim Schreiben vor? Hast Du feste Zeiten, die Du einhältst, oder wäre das kontraproduktiv und würde den Druck nur erhöhen?

Andreas Eschbach:
Druck verspüre ich höchstens, wenn ich was anderes machen soll als zu schreiben – so Zeug wie Steuererklärungen ausfüllen, Handwerker anrufen oder Sperrmüll zum Wertstoffhof fahren. Ansonsten ist mein Schreibtisch mein Lieblingsplatz, an den ich mich möglichst früh am Tag begebe und den ich möglichst spät wieder verlasse.

Phantastik-Couch:
Hast Du schon eine ungefähre Ahnung, in welche Gefilde es Dich demnächst verschlägt? Kannst Du uns eventuell einen kleinen Vorgeschmack geben?

Andreas Eschbach:
Über kommende Bücher rede ich zwar grundsätzlich nicht, aber im Moment weiß ich selber noch nicht, welche der vielen Ideen, die gerade rufen, »hier! Ich!«, als nächste drankommt. Ich vermute aber stark, es wird mal wieder was völlig anderes …

Das Interview führte Marcel Scharrenbroich im Dezember 2020.
Foto: © Olivier Favre

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